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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Elektrische Uberlandzentralcn

Kartellierungen zik begegnen wird einem erfahrenen Bauleiter in der Regel nicht
allzu schwer werden. Bei vorsichtiger Veranschlagung pflegen noch einige
Ersparnisse gemacht zu werden, die dazu dienen können, nachträglich lantgewordene
Wünsche der Beteiligten -- etwa in bezug auf Zahl und Art der Haltepunkte --
zu befriedigen.

Nun sehen wir, wie es bei der Errichtung einer elektrischen Überland-
zcntrale hergeht: In irgendeiner Gegend taucht der Wunsch auf, elektrischen
Strom zur Verfügung zu haben. Geht man den Spuren nach, so findet man
regelmäßig den Mquisitionsingenieur einer Elektrizitätsfirma. Die an der Sache
einseitig interessierte Persönlichkeit ist also von Anfang an vorhanden. Und das ist
noch nicht einmal ein Fehler. Es ist wenigstens jemand da, der etwas von der
Sache versteht, wenn man auch volle Unbefangenheit von ihm nicht erwarten
darf. Sachverständige, die völlig unabhängig sind, mit keiner der großen
Elektrizitätsfirmen in Verbindung stehen, sind nämlich sehr spärlich gesäet: die
Professoren unserer technischen Hochschulen (einer oder zwei an jeder), von denen
auch noch manche als reine Theoretiker ausscheiden werden, und die betriebs¬
leitenden Ingenieure einiger größerer kommunaler Elektrizitätswerke. Die kann
man aber erst heranziehen, wenn die Vorarbeiten bis zu einem gewissen Punkte
gediehen sind, wenn vor allen Dingen Geld zur Bezahlung der Gutachten da
ist. Während man bei Eisenbahn- und Wegebauten, bei Ent- und Bewässerungen
und bei Eindeichungen überall Kreis-Wasser-Meliorations-Bauinspektoreu findet,
die bereit sein werden, ehrenamtlich einem sich bildenden Komitee mit ihrem sach¬
verständigen Rat zur Seite zu stehen, ihm wenigstens über die erste, die gcld-
lose Zeit hinwegzuhelfen, ist man bei Elektrizitätswerken ganz auf den oben
bezeichneten Akquisitionsingenieur angewiesen und muß schon froh sein, wenn
man irgendeinen technischen Beamten findet, der so viel von der Sache ver¬
steht, daß er dessen Ausführungen zu folgen vermag.

Nun werden einige hundert Mark von irgendeiner Kommunalbehörde
bewilligt oder auf anderem Wege zusammengebracht. Das genügt, um einige
Literatur über den Gegenstand zu beschaffen und einige Komiteemitglieder auf
Reisen zu schicken, damit sie sich ähnliche Anlagen ansehen. Unter diesen Herren
sind dann leicht solche, die gleich Feuer und Flamme sind, die da glauben,
die ganze Wissenschaft zu beherrschen, weil sie gelernt haben, daß ein Kilowatt
gleich rund vier Fünftel Pferdekraft ist; andere sind schnell zu der Überzeugung
gelangt, die Sache müsse gehen, weil sie elektrisch haben dreschen, pflügen und
Fabriken treiben sehen. Ein Glück, wenn die Mehrzahl kaltes Blut behält und
sich ihrer Verantwortung bewußt bleibt.

Und nun kommt die größte Schwierigkeit. Wie ist das Unternehmen
abzugrenzen? Wie gewinnt man einen Überblick darüber, wie groß das Anlage¬
kapital sein muß? Ehe man das weiß, kann man an die Geldbeschaffung
gar nicht Herangehen. Erfahren aber kann man es nnr durch Ausarbeitung eines
Entwurfes. Das kostet Geld -- ziemlich viel Geld -- fast stets mehr, als bei


Elektrische Uberlandzentralcn

Kartellierungen zik begegnen wird einem erfahrenen Bauleiter in der Regel nicht
allzu schwer werden. Bei vorsichtiger Veranschlagung pflegen noch einige
Ersparnisse gemacht zu werden, die dazu dienen können, nachträglich lantgewordene
Wünsche der Beteiligten — etwa in bezug auf Zahl und Art der Haltepunkte —
zu befriedigen.

Nun sehen wir, wie es bei der Errichtung einer elektrischen Überland-
zcntrale hergeht: In irgendeiner Gegend taucht der Wunsch auf, elektrischen
Strom zur Verfügung zu haben. Geht man den Spuren nach, so findet man
regelmäßig den Mquisitionsingenieur einer Elektrizitätsfirma. Die an der Sache
einseitig interessierte Persönlichkeit ist also von Anfang an vorhanden. Und das ist
noch nicht einmal ein Fehler. Es ist wenigstens jemand da, der etwas von der
Sache versteht, wenn man auch volle Unbefangenheit von ihm nicht erwarten
darf. Sachverständige, die völlig unabhängig sind, mit keiner der großen
Elektrizitätsfirmen in Verbindung stehen, sind nämlich sehr spärlich gesäet: die
Professoren unserer technischen Hochschulen (einer oder zwei an jeder), von denen
auch noch manche als reine Theoretiker ausscheiden werden, und die betriebs¬
leitenden Ingenieure einiger größerer kommunaler Elektrizitätswerke. Die kann
man aber erst heranziehen, wenn die Vorarbeiten bis zu einem gewissen Punkte
gediehen sind, wenn vor allen Dingen Geld zur Bezahlung der Gutachten da
ist. Während man bei Eisenbahn- und Wegebauten, bei Ent- und Bewässerungen
und bei Eindeichungen überall Kreis-Wasser-Meliorations-Bauinspektoreu findet,
die bereit sein werden, ehrenamtlich einem sich bildenden Komitee mit ihrem sach¬
verständigen Rat zur Seite zu stehen, ihm wenigstens über die erste, die gcld-
lose Zeit hinwegzuhelfen, ist man bei Elektrizitätswerken ganz auf den oben
bezeichneten Akquisitionsingenieur angewiesen und muß schon froh sein, wenn
man irgendeinen technischen Beamten findet, der so viel von der Sache ver¬
steht, daß er dessen Ausführungen zu folgen vermag.

Nun werden einige hundert Mark von irgendeiner Kommunalbehörde
bewilligt oder auf anderem Wege zusammengebracht. Das genügt, um einige
Literatur über den Gegenstand zu beschaffen und einige Komiteemitglieder auf
Reisen zu schicken, damit sie sich ähnliche Anlagen ansehen. Unter diesen Herren
sind dann leicht solche, die gleich Feuer und Flamme sind, die da glauben,
die ganze Wissenschaft zu beherrschen, weil sie gelernt haben, daß ein Kilowatt
gleich rund vier Fünftel Pferdekraft ist; andere sind schnell zu der Überzeugung
gelangt, die Sache müsse gehen, weil sie elektrisch haben dreschen, pflügen und
Fabriken treiben sehen. Ein Glück, wenn die Mehrzahl kaltes Blut behält und
sich ihrer Verantwortung bewußt bleibt.

Und nun kommt die größte Schwierigkeit. Wie ist das Unternehmen
abzugrenzen? Wie gewinnt man einen Überblick darüber, wie groß das Anlage¬
kapital sein muß? Ehe man das weiß, kann man an die Geldbeschaffung
gar nicht Herangehen. Erfahren aber kann man es nnr durch Ausarbeitung eines
Entwurfes. Das kostet Geld — ziemlich viel Geld — fast stets mehr, als bei


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[0375] Elektrische Uberlandzentralcn Kartellierungen zik begegnen wird einem erfahrenen Bauleiter in der Regel nicht allzu schwer werden. Bei vorsichtiger Veranschlagung pflegen noch einige Ersparnisse gemacht zu werden, die dazu dienen können, nachträglich lantgewordene Wünsche der Beteiligten — etwa in bezug auf Zahl und Art der Haltepunkte — zu befriedigen. Nun sehen wir, wie es bei der Errichtung einer elektrischen Überland- zcntrale hergeht: In irgendeiner Gegend taucht der Wunsch auf, elektrischen Strom zur Verfügung zu haben. Geht man den Spuren nach, so findet man regelmäßig den Mquisitionsingenieur einer Elektrizitätsfirma. Die an der Sache einseitig interessierte Persönlichkeit ist also von Anfang an vorhanden. Und das ist noch nicht einmal ein Fehler. Es ist wenigstens jemand da, der etwas von der Sache versteht, wenn man auch volle Unbefangenheit von ihm nicht erwarten darf. Sachverständige, die völlig unabhängig sind, mit keiner der großen Elektrizitätsfirmen in Verbindung stehen, sind nämlich sehr spärlich gesäet: die Professoren unserer technischen Hochschulen (einer oder zwei an jeder), von denen auch noch manche als reine Theoretiker ausscheiden werden, und die betriebs¬ leitenden Ingenieure einiger größerer kommunaler Elektrizitätswerke. Die kann man aber erst heranziehen, wenn die Vorarbeiten bis zu einem gewissen Punkte gediehen sind, wenn vor allen Dingen Geld zur Bezahlung der Gutachten da ist. Während man bei Eisenbahn- und Wegebauten, bei Ent- und Bewässerungen und bei Eindeichungen überall Kreis-Wasser-Meliorations-Bauinspektoreu findet, die bereit sein werden, ehrenamtlich einem sich bildenden Komitee mit ihrem sach¬ verständigen Rat zur Seite zu stehen, ihm wenigstens über die erste, die gcld- lose Zeit hinwegzuhelfen, ist man bei Elektrizitätswerken ganz auf den oben bezeichneten Akquisitionsingenieur angewiesen und muß schon froh sein, wenn man irgendeinen technischen Beamten findet, der so viel von der Sache ver¬ steht, daß er dessen Ausführungen zu folgen vermag. Nun werden einige hundert Mark von irgendeiner Kommunalbehörde bewilligt oder auf anderem Wege zusammengebracht. Das genügt, um einige Literatur über den Gegenstand zu beschaffen und einige Komiteemitglieder auf Reisen zu schicken, damit sie sich ähnliche Anlagen ansehen. Unter diesen Herren sind dann leicht solche, die gleich Feuer und Flamme sind, die da glauben, die ganze Wissenschaft zu beherrschen, weil sie gelernt haben, daß ein Kilowatt gleich rund vier Fünftel Pferdekraft ist; andere sind schnell zu der Überzeugung gelangt, die Sache müsse gehen, weil sie elektrisch haben dreschen, pflügen und Fabriken treiben sehen. Ein Glück, wenn die Mehrzahl kaltes Blut behält und sich ihrer Verantwortung bewußt bleibt. Und nun kommt die größte Schwierigkeit. Wie ist das Unternehmen abzugrenzen? Wie gewinnt man einen Überblick darüber, wie groß das Anlage¬ kapital sein muß? Ehe man das weiß, kann man an die Geldbeschaffung gar nicht Herangehen. Erfahren aber kann man es nnr durch Ausarbeitung eines Entwurfes. Das kostet Geld — ziemlich viel Geld — fast stets mehr, als bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/375>, abgerufen am 22.07.2024.