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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die neuen Forschungsinstitute

Bei alledem muß jeder Unbefangene doch einräumen, daß eine Trennung
von Forschung und Lehre bis zu einem gewissen Grade im Zuge der Zeit liegt.
Die Wissenschaft spezialisiert sich immer mehr, die Arbeitsteilung wird immer
weiter getrieben. Daneben verträgt der Universitätsunterricht eine gleiche
Spezialisierung nicht, weil aus pädagogischen Gründen in allen Disziplinen
grundlegende Vorlesungen gehalten werden müssen und auch die Ausbildung
für die höheren Berufe dasselbe verlangt. Ein Professor der Chemie arbeitet
vielleicht nur aus dem Gebiete der Kolloide oder Terpene; aber er ist genötigt,
in jedem Semester eine zusammenfassende Vorlesung über organische oder
anorganische Chemie zu halten. Zwar streben nicht wenige gelehrte Spezialisten
danach, daß ihr besonderes Fach durch Begründung einer Professur und Errichtung
eines Instituts als eine neue Disziplin anerkannt werde; aber die Unterrichts¬
verwaltung ist häufig nicht in der Lage, solchen Wünschen zu entsprechen. Die
Folge ist dann schließlich, daß man an die Begründung selbständiger Forschungs¬
institute außerhalb des Rahmens der Hochschule denkt.

Dazu kommt die Furcht vor der amerikanischen Konkurrenz. In Amerika
sind bekanntlich in den letzten Jahren mehrere große Institute mit fast
unbegrenzten Mitteln errichtet worden, wie das Carnegie-Institut in Washington,
und mancher glaubt daher wohl, daß wir in der wissenschaftlichen Forschung
von Amerika überflügelt werden könnten. Diese Besorgnis scheint mir jedoch
stark übertrieben zu sein. Gewiß ist mit großen und unerschöpflichen Geld¬
mitteln in der Forschung viel zu erreichen, besonders da, wo mit einem teuren
Material gearbeitet wird, wie etwa den: Radium, oder wo es sich um einen
organisierten Großbetrieb der Wissenschaft handelt, wie bei der Anfertigung von
Tabellen, der Herstellung von großen Wörterbüchern oder der Vornahme langer
Reihen von Versuchen. Aber im allgemeinen hat der Satz, daß die Masse es
bringen muß, auf diesem Gebiet keine Geltung. Es genügt nicht, in jeder Woche
einen Band herauszubringen; es kommt auf die Gründlichkeit der Arbeit und
die geistige Durchdringung des Stoffes an. Mit Geldmitteln allein, und seien
sie noch so gewaltig, kann man keine großen Gelehrten züchten. Das ist tröstlich
für uns; denn mit den amerikanischen Milliardären können unsre Großkapitalisten
doch nicht gleichen Strang ziehen. Es läßt sich auch mit einem bescheidenen
Apparat unter Umständen viel leisten. Liebig hat seine großen bahnbrechenden
Untersuchungen in einem Laboratorium gemacht, das nach heutigen Anschauungen
als völlig unzureichend betrachtet werden würde. Ist es daher notwendig,
die dem Kaiser überreichten Millionen in Bauten anzulegen?

An wissenschaftlichen Anstalten haben wir eigentlich keinen Mangel; für die
Begründung und Ausstattung von Universitätsinstituten, besonders von natur¬
wissenschaftlichen und medizinischen, ist im letzten Menschenalter in Preußen und auch
in den übrigen deutschen Staaten ungeheuer viel geschehen. Wenn das nötige Geld
zur Verfügung steht, ist es ja verhältnismäßig leicht, für einen großen Gelehrten ein
Forschungsinstitut zu bauen. Aber ist auch zu erwarten, daß nach seinem Tode stets


Die neuen Forschungsinstitute

Bei alledem muß jeder Unbefangene doch einräumen, daß eine Trennung
von Forschung und Lehre bis zu einem gewissen Grade im Zuge der Zeit liegt.
Die Wissenschaft spezialisiert sich immer mehr, die Arbeitsteilung wird immer
weiter getrieben. Daneben verträgt der Universitätsunterricht eine gleiche
Spezialisierung nicht, weil aus pädagogischen Gründen in allen Disziplinen
grundlegende Vorlesungen gehalten werden müssen und auch die Ausbildung
für die höheren Berufe dasselbe verlangt. Ein Professor der Chemie arbeitet
vielleicht nur aus dem Gebiete der Kolloide oder Terpene; aber er ist genötigt,
in jedem Semester eine zusammenfassende Vorlesung über organische oder
anorganische Chemie zu halten. Zwar streben nicht wenige gelehrte Spezialisten
danach, daß ihr besonderes Fach durch Begründung einer Professur und Errichtung
eines Instituts als eine neue Disziplin anerkannt werde; aber die Unterrichts¬
verwaltung ist häufig nicht in der Lage, solchen Wünschen zu entsprechen. Die
Folge ist dann schließlich, daß man an die Begründung selbständiger Forschungs¬
institute außerhalb des Rahmens der Hochschule denkt.

Dazu kommt die Furcht vor der amerikanischen Konkurrenz. In Amerika
sind bekanntlich in den letzten Jahren mehrere große Institute mit fast
unbegrenzten Mitteln errichtet worden, wie das Carnegie-Institut in Washington,
und mancher glaubt daher wohl, daß wir in der wissenschaftlichen Forschung
von Amerika überflügelt werden könnten. Diese Besorgnis scheint mir jedoch
stark übertrieben zu sein. Gewiß ist mit großen und unerschöpflichen Geld¬
mitteln in der Forschung viel zu erreichen, besonders da, wo mit einem teuren
Material gearbeitet wird, wie etwa den: Radium, oder wo es sich um einen
organisierten Großbetrieb der Wissenschaft handelt, wie bei der Anfertigung von
Tabellen, der Herstellung von großen Wörterbüchern oder der Vornahme langer
Reihen von Versuchen. Aber im allgemeinen hat der Satz, daß die Masse es
bringen muß, auf diesem Gebiet keine Geltung. Es genügt nicht, in jeder Woche
einen Band herauszubringen; es kommt auf die Gründlichkeit der Arbeit und
die geistige Durchdringung des Stoffes an. Mit Geldmitteln allein, und seien
sie noch so gewaltig, kann man keine großen Gelehrten züchten. Das ist tröstlich
für uns; denn mit den amerikanischen Milliardären können unsre Großkapitalisten
doch nicht gleichen Strang ziehen. Es läßt sich auch mit einem bescheidenen
Apparat unter Umständen viel leisten. Liebig hat seine großen bahnbrechenden
Untersuchungen in einem Laboratorium gemacht, das nach heutigen Anschauungen
als völlig unzureichend betrachtet werden würde. Ist es daher notwendig,
die dem Kaiser überreichten Millionen in Bauten anzulegen?

An wissenschaftlichen Anstalten haben wir eigentlich keinen Mangel; für die
Begründung und Ausstattung von Universitätsinstituten, besonders von natur¬
wissenschaftlichen und medizinischen, ist im letzten Menschenalter in Preußen und auch
in den übrigen deutschen Staaten ungeheuer viel geschehen. Wenn das nötige Geld
zur Verfügung steht, ist es ja verhältnismäßig leicht, für einen großen Gelehrten ein
Forschungsinstitut zu bauen. Aber ist auch zu erwarten, daß nach seinem Tode stets


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[0354] Die neuen Forschungsinstitute Bei alledem muß jeder Unbefangene doch einräumen, daß eine Trennung von Forschung und Lehre bis zu einem gewissen Grade im Zuge der Zeit liegt. Die Wissenschaft spezialisiert sich immer mehr, die Arbeitsteilung wird immer weiter getrieben. Daneben verträgt der Universitätsunterricht eine gleiche Spezialisierung nicht, weil aus pädagogischen Gründen in allen Disziplinen grundlegende Vorlesungen gehalten werden müssen und auch die Ausbildung für die höheren Berufe dasselbe verlangt. Ein Professor der Chemie arbeitet vielleicht nur aus dem Gebiete der Kolloide oder Terpene; aber er ist genötigt, in jedem Semester eine zusammenfassende Vorlesung über organische oder anorganische Chemie zu halten. Zwar streben nicht wenige gelehrte Spezialisten danach, daß ihr besonderes Fach durch Begründung einer Professur und Errichtung eines Instituts als eine neue Disziplin anerkannt werde; aber die Unterrichts¬ verwaltung ist häufig nicht in der Lage, solchen Wünschen zu entsprechen. Die Folge ist dann schließlich, daß man an die Begründung selbständiger Forschungs¬ institute außerhalb des Rahmens der Hochschule denkt. Dazu kommt die Furcht vor der amerikanischen Konkurrenz. In Amerika sind bekanntlich in den letzten Jahren mehrere große Institute mit fast unbegrenzten Mitteln errichtet worden, wie das Carnegie-Institut in Washington, und mancher glaubt daher wohl, daß wir in der wissenschaftlichen Forschung von Amerika überflügelt werden könnten. Diese Besorgnis scheint mir jedoch stark übertrieben zu sein. Gewiß ist mit großen und unerschöpflichen Geld¬ mitteln in der Forschung viel zu erreichen, besonders da, wo mit einem teuren Material gearbeitet wird, wie etwa den: Radium, oder wo es sich um einen organisierten Großbetrieb der Wissenschaft handelt, wie bei der Anfertigung von Tabellen, der Herstellung von großen Wörterbüchern oder der Vornahme langer Reihen von Versuchen. Aber im allgemeinen hat der Satz, daß die Masse es bringen muß, auf diesem Gebiet keine Geltung. Es genügt nicht, in jeder Woche einen Band herauszubringen; es kommt auf die Gründlichkeit der Arbeit und die geistige Durchdringung des Stoffes an. Mit Geldmitteln allein, und seien sie noch so gewaltig, kann man keine großen Gelehrten züchten. Das ist tröstlich für uns; denn mit den amerikanischen Milliardären können unsre Großkapitalisten doch nicht gleichen Strang ziehen. Es läßt sich auch mit einem bescheidenen Apparat unter Umständen viel leisten. Liebig hat seine großen bahnbrechenden Untersuchungen in einem Laboratorium gemacht, das nach heutigen Anschauungen als völlig unzureichend betrachtet werden würde. Ist es daher notwendig, die dem Kaiser überreichten Millionen in Bauten anzulegen? An wissenschaftlichen Anstalten haben wir eigentlich keinen Mangel; für die Begründung und Ausstattung von Universitätsinstituten, besonders von natur¬ wissenschaftlichen und medizinischen, ist im letzten Menschenalter in Preußen und auch in den übrigen deutschen Staaten ungeheuer viel geschehen. Wenn das nötige Geld zur Verfügung steht, ist es ja verhältnismäßig leicht, für einen großen Gelehrten ein Forschungsinstitut zu bauen. Aber ist auch zu erwarten, daß nach seinem Tode stets

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/354>, abgerufen am 26.06.2024.