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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Postsparkassen

Die schweren Krisen, welche das belgische Sparkassenwesen in den Jahren
.1830 und 1848 durchzumachen gehabt hatte, zeigten, daß seine Organisation
viel zu wünschen übrig ließ und eigentlich keine der bestehenden Sparkassen dem
Bedürfnisse entsprach. Der Finanzminister Fröre-Orban legte daher im Jahre
1859 einen bezüglichen Gesetzentwurf vor. Nach einer langen Enquete wurde
im Jahre 18et5 eine Caisse ZLnerals et'eparAiie se cle retraite unter Staats¬
garantie errichtet, welche außer den zahlreichen Agenturen der belgischen National¬
bank auch eine Menge von selbständigen Filialen zur Vermittelung von Ein-
und Rückzahluugen benutzte. 1870 wurden auch sämtliche Postanstalten mit der
Landessparkasse in Verbindung gesetzt.

Italien hatte bis zur Einführung des Postsparkassenwesens ein sehr gering
oder wenigstens sehr ungleich entwickeltes Sparkassenwesen, so daß es nur dein
Staate möglich war, hier helfend einzugreifen. 11 Provinzen des Königreiches waren
im Jahre 1872 noch ohne Sparkasse. Den 282 Gemeinden mit 6 Millionen, welche
Sparkassen besaßen, standen 8102 Gemeinden mit 21 Millionen Einwohnern
gegenüber, welche einer Sparkasse noch entbehrten. Für drei Vierteile der
italienischen Bevölkerung bestand somit keine öffentliche Sparkasse.

Einigermaßen entwickelt war im Jahre 1872 das Sparkassenwesen nur in
einigen Teilen des nördlichen Italiens, in der Lombardei, in Toskana und
Piemont.

Auch die Niederlande hatten nur ein sehr mangelhaft entwickeltes Spar¬
wesen. Für die 4 Millionen zählende Bevölkerung bestanden im Jahre 1880
nnr 27 kleinere Sparkassen.

Übrigens dienten die holländischen Sparkassen nur dem beschränkten Zwecke,
Personen, welche im Sommer einen reichlichen Verdienst genießen, im Winter
mit Geld, Lebensmitteln oder Brennmaterial zu versorgen.

Die Sparbanken des Landes (im Jahre 1880 an Zahl 273) sind mit
wenigen Ausnahmen von der Gemeinnützigen Gesellschaft (Maatschappy tot
Nut van t'Algemeen) errichtet und hatten im Jahre 1881 nur etwa 64 Mil¬
lionen Mark Einlegerguthaben.

In Frankreich war schon vor Errichtung der Postsparkasse die Anlegung
der Sparkassengelder bei der Staatssparkasse vorgeschrieben. Alle verfügbaren
Sparkassengelder mußten binnen vierundzwanzig Stunden der Caisse des depüts
et Cousignations gegen eine Verzinsung von 4 Prozent übergebe": werden. Das
Kapital der Sparkassen wurde demnach ausschließlich vom Staate übernommen
und verwaltet. Selbst das eigene Vermögen der französischen Sparkassen ist
bei der Staatskasse oder in französischen Staatspapieren anzulegen.

Zur Verwaltung der Sparkassengelder durch den Staat kam also nur deren
unmittelbare Annahme bei den Postanstalten hinzu, so daß die Einrichtung
eigentlich mehr eine äußere Neuorganisation der Verwaltungseinrichtungen bedeutete.

Von den größeren Staaten, welche Postsparkassen einrichteten, kommt
schließlich noch Österreich in Betracht, wo weniger der Postsparvcrkehr selbst,


Postsparkassen

Die schweren Krisen, welche das belgische Sparkassenwesen in den Jahren
.1830 und 1848 durchzumachen gehabt hatte, zeigten, daß seine Organisation
viel zu wünschen übrig ließ und eigentlich keine der bestehenden Sparkassen dem
Bedürfnisse entsprach. Der Finanzminister Fröre-Orban legte daher im Jahre
1859 einen bezüglichen Gesetzentwurf vor. Nach einer langen Enquete wurde
im Jahre 18et5 eine Caisse ZLnerals et'eparAiie se cle retraite unter Staats¬
garantie errichtet, welche außer den zahlreichen Agenturen der belgischen National¬
bank auch eine Menge von selbständigen Filialen zur Vermittelung von Ein-
und Rückzahluugen benutzte. 1870 wurden auch sämtliche Postanstalten mit der
Landessparkasse in Verbindung gesetzt.

Italien hatte bis zur Einführung des Postsparkassenwesens ein sehr gering
oder wenigstens sehr ungleich entwickeltes Sparkassenwesen, so daß es nur dein
Staate möglich war, hier helfend einzugreifen. 11 Provinzen des Königreiches waren
im Jahre 1872 noch ohne Sparkasse. Den 282 Gemeinden mit 6 Millionen, welche
Sparkassen besaßen, standen 8102 Gemeinden mit 21 Millionen Einwohnern
gegenüber, welche einer Sparkasse noch entbehrten. Für drei Vierteile der
italienischen Bevölkerung bestand somit keine öffentliche Sparkasse.

Einigermaßen entwickelt war im Jahre 1872 das Sparkassenwesen nur in
einigen Teilen des nördlichen Italiens, in der Lombardei, in Toskana und
Piemont.

Auch die Niederlande hatten nur ein sehr mangelhaft entwickeltes Spar¬
wesen. Für die 4 Millionen zählende Bevölkerung bestanden im Jahre 1880
nnr 27 kleinere Sparkassen.

Übrigens dienten die holländischen Sparkassen nur dem beschränkten Zwecke,
Personen, welche im Sommer einen reichlichen Verdienst genießen, im Winter
mit Geld, Lebensmitteln oder Brennmaterial zu versorgen.

Die Sparbanken des Landes (im Jahre 1880 an Zahl 273) sind mit
wenigen Ausnahmen von der Gemeinnützigen Gesellschaft (Maatschappy tot
Nut van t'Algemeen) errichtet und hatten im Jahre 1881 nur etwa 64 Mil¬
lionen Mark Einlegerguthaben.

In Frankreich war schon vor Errichtung der Postsparkasse die Anlegung
der Sparkassengelder bei der Staatssparkasse vorgeschrieben. Alle verfügbaren
Sparkassengelder mußten binnen vierundzwanzig Stunden der Caisse des depüts
et Cousignations gegen eine Verzinsung von 4 Prozent übergebe«: werden. Das
Kapital der Sparkassen wurde demnach ausschließlich vom Staate übernommen
und verwaltet. Selbst das eigene Vermögen der französischen Sparkassen ist
bei der Staatskasse oder in französischen Staatspapieren anzulegen.

Zur Verwaltung der Sparkassengelder durch den Staat kam also nur deren
unmittelbare Annahme bei den Postanstalten hinzu, so daß die Einrichtung
eigentlich mehr eine äußere Neuorganisation der Verwaltungseinrichtungen bedeutete.

Von den größeren Staaten, welche Postsparkassen einrichteten, kommt
schließlich noch Österreich in Betracht, wo weniger der Postsparvcrkehr selbst,


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[0034] Postsparkassen Die schweren Krisen, welche das belgische Sparkassenwesen in den Jahren .1830 und 1848 durchzumachen gehabt hatte, zeigten, daß seine Organisation viel zu wünschen übrig ließ und eigentlich keine der bestehenden Sparkassen dem Bedürfnisse entsprach. Der Finanzminister Fröre-Orban legte daher im Jahre 1859 einen bezüglichen Gesetzentwurf vor. Nach einer langen Enquete wurde im Jahre 18et5 eine Caisse ZLnerals et'eparAiie se cle retraite unter Staats¬ garantie errichtet, welche außer den zahlreichen Agenturen der belgischen National¬ bank auch eine Menge von selbständigen Filialen zur Vermittelung von Ein- und Rückzahluugen benutzte. 1870 wurden auch sämtliche Postanstalten mit der Landessparkasse in Verbindung gesetzt. Italien hatte bis zur Einführung des Postsparkassenwesens ein sehr gering oder wenigstens sehr ungleich entwickeltes Sparkassenwesen, so daß es nur dein Staate möglich war, hier helfend einzugreifen. 11 Provinzen des Königreiches waren im Jahre 1872 noch ohne Sparkasse. Den 282 Gemeinden mit 6 Millionen, welche Sparkassen besaßen, standen 8102 Gemeinden mit 21 Millionen Einwohnern gegenüber, welche einer Sparkasse noch entbehrten. Für drei Vierteile der italienischen Bevölkerung bestand somit keine öffentliche Sparkasse. Einigermaßen entwickelt war im Jahre 1872 das Sparkassenwesen nur in einigen Teilen des nördlichen Italiens, in der Lombardei, in Toskana und Piemont. Auch die Niederlande hatten nur ein sehr mangelhaft entwickeltes Spar¬ wesen. Für die 4 Millionen zählende Bevölkerung bestanden im Jahre 1880 nnr 27 kleinere Sparkassen. Übrigens dienten die holländischen Sparkassen nur dem beschränkten Zwecke, Personen, welche im Sommer einen reichlichen Verdienst genießen, im Winter mit Geld, Lebensmitteln oder Brennmaterial zu versorgen. Die Sparbanken des Landes (im Jahre 1880 an Zahl 273) sind mit wenigen Ausnahmen von der Gemeinnützigen Gesellschaft (Maatschappy tot Nut van t'Algemeen) errichtet und hatten im Jahre 1881 nur etwa 64 Mil¬ lionen Mark Einlegerguthaben. In Frankreich war schon vor Errichtung der Postsparkasse die Anlegung der Sparkassengelder bei der Staatssparkasse vorgeschrieben. Alle verfügbaren Sparkassengelder mußten binnen vierundzwanzig Stunden der Caisse des depüts et Cousignations gegen eine Verzinsung von 4 Prozent übergebe«: werden. Das Kapital der Sparkassen wurde demnach ausschließlich vom Staate übernommen und verwaltet. Selbst das eigene Vermögen der französischen Sparkassen ist bei der Staatskasse oder in französischen Staatspapieren anzulegen. Zur Verwaltung der Sparkassengelder durch den Staat kam also nur deren unmittelbare Annahme bei den Postanstalten hinzu, so daß die Einrichtung eigentlich mehr eine äußere Neuorganisation der Verwaltungseinrichtungen bedeutete. Von den größeren Staaten, welche Postsparkassen einrichteten, kommt schließlich noch Österreich in Betracht, wo weniger der Postsparvcrkehr selbst,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/34>, abgerufen am 22.07.2024.