Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Flecken

"Im Ernst, Papa. Er hat mich mit Olga beim Spazierengehen begleitet.
Du hast doch nichts dagegen?"

"Gott bewahre! Wenn es dir Freude macht, immerzu. Ist der Polizei¬
aufseher mit euch, wird euch wenigstens kein Betrunkener anrühren."

Bald nach dem Schlüsse der sonntäglichen Vormittagsmesse -- die gewöhnliche
Visitenzeit -- zog Wolski an Botscharows Haustür die Klingel. Eine Magd öffnete.

"Tit Grigorjewitsch zu Hause?"

"Jawohl. Treten Sie ein."

Sie führte ihn ins Vorzimmer.

"Gleich", sagte sie und begab sich rechts zu einer halbgeöffneten Tür.

"Der Polizeiaufseher fragt nach Tit Grigorjewitsch."

Hinter der Tür befand sich das Kabinett des Kaufmanns neben dem Saal,
in den man aus dem Vorzimmer geradeaus mußte. Im Kabinett saß Botscharow,
der eben aus der Kirche gekommen war, in eifrigem Gespräch mit Alexej Petrowitsch
Glebow, seinem ersten und ältesten Kommis.

"Wie Sie befehlen," hatte Glebow eben gesagt, "aber der Graf ist ein stolzer
Herr, der feilscht nicht gern. Bieten Sie ihm nicht gleich einen annehmbaren
Preis, so läßt er uns ganz fallen und holt sich einen Kaufmann von anderwärts."

"Hahaha!" lachte Botscharow, "woher kriegt er einen, der es wagte, gegen
uns zu gehen?"

"Nu," meinte Glebow, "hier im Kreise vielleicht nicht, aber im Gouvernement
oder auch von weiter her, aus einer großen Stadt."

"Dummes Zeug, Bruder. Wir wollen es darauf ankommen lassen. Biele
ihm, wie ich gesagt habe. Zulegen können wir immer noch. Entgehen lassen nur
uns das Waldstück nicht, und einen fremden Händler wollen wir hier unter unserer
Nase nicht dulden. So ist es."

"Wie Sie befehlen."

Da trat die Magd mit der Meldung in die Tür.

"Der Polizeiaufseher?" fragte Botscharow. "Was will er?"

"Fragt nach Ihnen."

"Was ist das für eine neue Model Wenn die Polizei etwas nötig hat,
warum schickt sie mir keine schriftliche Benachrichtigung? Geh doch, Alexej,
frage ihn."

"Erlaube" Sie zu erfahren, in welcher Angelegenheit Sie kommen?" wandte
Glebow sich im Vorzimmer an Wolski.
"

"Ich komme zur Visite.

"Ist zur Visite gekommen," rapportierte Glebow im Kabinett.

"Visite!" rief Botscharow, dessen Kopf voll von dem Waldhandel mit dem
Grafen war, so daß an das Gespräch, das er gestern mit der Tochter gehabt hatte,
die leiseste Erinnerung fehlte. "Was ist das für Unsinn! Visiten werden bei uns
zu Neujahr und zu Ostern gemacht. Dann ist er mir willkommen. Ich habe keine
Zeit zu neuen Moden. Sage ihm das."

"Man bittet zu Neujahr oder zu Ostern. . ."

Glebow wollte den Bescheid Botscharows treulich wiederholen, aber Wolski
hatte bereits genug an des Kaufmanns eigenen Worten. Er war hinaus und hatte
die Tür krachend hinter sich zugeworfen, ehe der Kommis weiterreden konnte.


Im Flecken

„Im Ernst, Papa. Er hat mich mit Olga beim Spazierengehen begleitet.
Du hast doch nichts dagegen?"

„Gott bewahre! Wenn es dir Freude macht, immerzu. Ist der Polizei¬
aufseher mit euch, wird euch wenigstens kein Betrunkener anrühren."

Bald nach dem Schlüsse der sonntäglichen Vormittagsmesse — die gewöhnliche
Visitenzeit — zog Wolski an Botscharows Haustür die Klingel. Eine Magd öffnete.

„Tit Grigorjewitsch zu Hause?"

„Jawohl. Treten Sie ein."

Sie führte ihn ins Vorzimmer.

„Gleich", sagte sie und begab sich rechts zu einer halbgeöffneten Tür.

„Der Polizeiaufseher fragt nach Tit Grigorjewitsch."

Hinter der Tür befand sich das Kabinett des Kaufmanns neben dem Saal,
in den man aus dem Vorzimmer geradeaus mußte. Im Kabinett saß Botscharow,
der eben aus der Kirche gekommen war, in eifrigem Gespräch mit Alexej Petrowitsch
Glebow, seinem ersten und ältesten Kommis.

„Wie Sie befehlen," hatte Glebow eben gesagt, „aber der Graf ist ein stolzer
Herr, der feilscht nicht gern. Bieten Sie ihm nicht gleich einen annehmbaren
Preis, so läßt er uns ganz fallen und holt sich einen Kaufmann von anderwärts."

„Hahaha!" lachte Botscharow, „woher kriegt er einen, der es wagte, gegen
uns zu gehen?"

„Nu," meinte Glebow, „hier im Kreise vielleicht nicht, aber im Gouvernement
oder auch von weiter her, aus einer großen Stadt."

„Dummes Zeug, Bruder. Wir wollen es darauf ankommen lassen. Biele
ihm, wie ich gesagt habe. Zulegen können wir immer noch. Entgehen lassen nur
uns das Waldstück nicht, und einen fremden Händler wollen wir hier unter unserer
Nase nicht dulden. So ist es."

„Wie Sie befehlen."

Da trat die Magd mit der Meldung in die Tür.

„Der Polizeiaufseher?" fragte Botscharow. „Was will er?"

„Fragt nach Ihnen."

„Was ist das für eine neue Model Wenn die Polizei etwas nötig hat,
warum schickt sie mir keine schriftliche Benachrichtigung? Geh doch, Alexej,
frage ihn."

„Erlaube» Sie zu erfahren, in welcher Angelegenheit Sie kommen?" wandte
Glebow sich im Vorzimmer an Wolski.
"

„Ich komme zur Visite.

„Ist zur Visite gekommen," rapportierte Glebow im Kabinett.

„Visite!" rief Botscharow, dessen Kopf voll von dem Waldhandel mit dem
Grafen war, so daß an das Gespräch, das er gestern mit der Tochter gehabt hatte,
die leiseste Erinnerung fehlte. „Was ist das für Unsinn! Visiten werden bei uns
zu Neujahr und zu Ostern gemacht. Dann ist er mir willkommen. Ich habe keine
Zeit zu neuen Moden. Sage ihm das."

„Man bittet zu Neujahr oder zu Ostern. . ."

Glebow wollte den Bescheid Botscharows treulich wiederholen, aber Wolski
hatte bereits genug an des Kaufmanns eigenen Worten. Er war hinaus und hatte
die Tür krachend hinter sich zugeworfen, ehe der Kommis weiterreden konnte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317283"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Flecken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1499"> &#x201E;Im Ernst, Papa. Er hat mich mit Olga beim Spazierengehen begleitet.<lb/>
Du hast doch nichts dagegen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1500"> &#x201E;Gott bewahre! Wenn es dir Freude macht, immerzu. Ist der Polizei¬<lb/>
aufseher mit euch, wird euch wenigstens kein Betrunkener anrühren."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1501"> Bald nach dem Schlüsse der sonntäglichen Vormittagsmesse &#x2014; die gewöhnliche<lb/>
Visitenzeit &#x2014; zog Wolski an Botscharows Haustür die Klingel. Eine Magd öffnete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1502"> &#x201E;Tit Grigorjewitsch zu Hause?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1503"> &#x201E;Jawohl. Treten Sie ein."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1504"> Sie führte ihn ins Vorzimmer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1505"> &#x201E;Gleich", sagte sie und begab sich rechts zu einer halbgeöffneten Tür.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1506"> &#x201E;Der Polizeiaufseher fragt nach Tit Grigorjewitsch."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1507"> Hinter der Tür befand sich das Kabinett des Kaufmanns neben dem Saal,<lb/>
in den man aus dem Vorzimmer geradeaus mußte. Im Kabinett saß Botscharow,<lb/>
der eben aus der Kirche gekommen war, in eifrigem Gespräch mit Alexej Petrowitsch<lb/>
Glebow, seinem ersten und ältesten Kommis.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1508"> &#x201E;Wie Sie befehlen," hatte Glebow eben gesagt, &#x201E;aber der Graf ist ein stolzer<lb/>
Herr, der feilscht nicht gern. Bieten Sie ihm nicht gleich einen annehmbaren<lb/>
Preis, so läßt er uns ganz fallen und holt sich einen Kaufmann von anderwärts."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1509"> &#x201E;Hahaha!" lachte Botscharow, &#x201E;woher kriegt er einen, der es wagte, gegen<lb/>
uns zu gehen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1510"> &#x201E;Nu," meinte Glebow, &#x201E;hier im Kreise vielleicht nicht, aber im Gouvernement<lb/>
oder auch von weiter her, aus einer großen Stadt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1511"> &#x201E;Dummes Zeug, Bruder. Wir wollen es darauf ankommen lassen. Biele<lb/>
ihm, wie ich gesagt habe. Zulegen können wir immer noch. Entgehen lassen nur<lb/>
uns das Waldstück nicht, und einen fremden Händler wollen wir hier unter unserer<lb/>
Nase nicht dulden. So ist es."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1512"> &#x201E;Wie Sie befehlen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1513"> Da trat die Magd mit der Meldung in die Tür.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1514"> &#x201E;Der Polizeiaufseher?" fragte Botscharow. &#x201E;Was will er?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1515"> &#x201E;Fragt nach Ihnen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1516"> &#x201E;Was ist das für eine neue Model Wenn die Polizei etwas nötig hat,<lb/>
warum schickt sie mir keine schriftliche Benachrichtigung? Geh doch, Alexej,<lb/>
frage ihn."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1517"> &#x201E;Erlaube» Sie zu erfahren, in welcher Angelegenheit Sie kommen?" wandte<lb/>
Glebow sich im Vorzimmer an Wolski.<lb/>
"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1518"> &#x201E;Ich komme zur Visite.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1519"> &#x201E;Ist zur Visite gekommen," rapportierte Glebow im Kabinett.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1520"> &#x201E;Visite!" rief Botscharow, dessen Kopf voll von dem Waldhandel mit dem<lb/>
Grafen war, so daß an das Gespräch, das er gestern mit der Tochter gehabt hatte,<lb/>
die leiseste Erinnerung fehlte. &#x201E;Was ist das für Unsinn! Visiten werden bei uns<lb/>
zu Neujahr und zu Ostern gemacht. Dann ist er mir willkommen. Ich habe keine<lb/>
Zeit zu neuen Moden. Sage ihm das."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1521"> &#x201E;Man bittet zu Neujahr oder zu Ostern. . ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1522"> Glebow wollte den Bescheid Botscharows treulich wiederholen, aber Wolski<lb/>
hatte bereits genug an des Kaufmanns eigenen Worten. Er war hinaus und hatte<lb/>
die Tür krachend hinter sich zugeworfen, ehe der Kommis weiterreden konnte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0332] Im Flecken „Im Ernst, Papa. Er hat mich mit Olga beim Spazierengehen begleitet. Du hast doch nichts dagegen?" „Gott bewahre! Wenn es dir Freude macht, immerzu. Ist der Polizei¬ aufseher mit euch, wird euch wenigstens kein Betrunkener anrühren." Bald nach dem Schlüsse der sonntäglichen Vormittagsmesse — die gewöhnliche Visitenzeit — zog Wolski an Botscharows Haustür die Klingel. Eine Magd öffnete. „Tit Grigorjewitsch zu Hause?" „Jawohl. Treten Sie ein." Sie führte ihn ins Vorzimmer. „Gleich", sagte sie und begab sich rechts zu einer halbgeöffneten Tür. „Der Polizeiaufseher fragt nach Tit Grigorjewitsch." Hinter der Tür befand sich das Kabinett des Kaufmanns neben dem Saal, in den man aus dem Vorzimmer geradeaus mußte. Im Kabinett saß Botscharow, der eben aus der Kirche gekommen war, in eifrigem Gespräch mit Alexej Petrowitsch Glebow, seinem ersten und ältesten Kommis. „Wie Sie befehlen," hatte Glebow eben gesagt, „aber der Graf ist ein stolzer Herr, der feilscht nicht gern. Bieten Sie ihm nicht gleich einen annehmbaren Preis, so läßt er uns ganz fallen und holt sich einen Kaufmann von anderwärts." „Hahaha!" lachte Botscharow, „woher kriegt er einen, der es wagte, gegen uns zu gehen?" „Nu," meinte Glebow, „hier im Kreise vielleicht nicht, aber im Gouvernement oder auch von weiter her, aus einer großen Stadt." „Dummes Zeug, Bruder. Wir wollen es darauf ankommen lassen. Biele ihm, wie ich gesagt habe. Zulegen können wir immer noch. Entgehen lassen nur uns das Waldstück nicht, und einen fremden Händler wollen wir hier unter unserer Nase nicht dulden. So ist es." „Wie Sie befehlen." Da trat die Magd mit der Meldung in die Tür. „Der Polizeiaufseher?" fragte Botscharow. „Was will er?" „Fragt nach Ihnen." „Was ist das für eine neue Model Wenn die Polizei etwas nötig hat, warum schickt sie mir keine schriftliche Benachrichtigung? Geh doch, Alexej, frage ihn." „Erlaube» Sie zu erfahren, in welcher Angelegenheit Sie kommen?" wandte Glebow sich im Vorzimmer an Wolski. " „Ich komme zur Visite. „Ist zur Visite gekommen," rapportierte Glebow im Kabinett. „Visite!" rief Botscharow, dessen Kopf voll von dem Waldhandel mit dem Grafen war, so daß an das Gespräch, das er gestern mit der Tochter gehabt hatte, die leiseste Erinnerung fehlte. „Was ist das für Unsinn! Visiten werden bei uns zu Neujahr und zu Ostern gemacht. Dann ist er mir willkommen. Ich habe keine Zeit zu neuen Moden. Sage ihm das." „Man bittet zu Neujahr oder zu Ostern. . ." Glebow wollte den Bescheid Botscharows treulich wiederholen, aber Wolski hatte bereits genug an des Kaufmanns eigenen Worten. Er war hinaus und hatte die Tür krachend hinter sich zugeworfen, ehe der Kommis weiterreden konnte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/332
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/332>, abgerufen am 23.07.2024.