Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Flecken

"Lügen Sie nicht," unterbrach Marja. "Sie wissen längst, daß ich Tit Gri-
gorjewitsch Botscharows Tochter bin. Auch gestern wußten Sie es, als Sie uns
zu Brei zerstampfen wollten."

"Mein gnädiges Fräulein," versicherte er, "eine so verbrecherische Absicht habe
ich natürlich nicht. . ."

"Nicht? Was wollten Sie dann? Pfannenkuchen aus uns machen? Öl aus
uns pressen?"

"Nichts dergleichen. Ich hatte Eile. Der Dienst nimmt mich so in Anspruch,
mißt mir die Zeit so knapp zu, daß. . ."

"Daß Sie Menschen für alles Gerümpel ansehen, das man aus dem
Wege wirft."

"Mein Fräulein, ich Versich. . ."

"Mein Herr, ich erkläre Ihnen, daß . . ."

"Aber, mein Fräul. . ."

"Sie damit eine große Grobheit gesagt haben. So, jetzt wollen wir wieder
weiter gehen. Ich und Olenka, wir "vollen nämlich über die Brücke und bis zur
Poststation spazieren. Wir haben die alte Station seit dem vorigen Jahre nicht
gesehen."

"Nesckames," sprach Wolski, "ich bin so in die Enge getrieben, daß ich,
um die Möglichkeit zu finden, mich zu rechtfertigen, eine große Bitte ein Sie
richten muß."

"Welche Bitte?"

"Sie möchten mir gütigst erlauben, Sie zur Station zu begleiten, denn in
zwei oder drei Worten wird es kaum ..."

"Wir zetteln mit Olenka keine Verschwörung an, haben daher auf unseren
Spaziergängen keine Geheimnisse zu verhandeln, sondern suchen Zerstreuung, und
da Sie zu derselben vielleicht beitragen können, so ist Ihnen hiermit die Erlaubnis
gnädigst erteilt."

"Auf Ihren Spaziergängen?"

"Sagte ich so?"

"Gewiß, mein Fräulein, parole et'Konneur!"

"Na, dann, meinetwegen. Was gesagt ist, bleibt gesagt."

So ging die Unterhaltung fort. Marja führte das große Wort, währeud
Olga dann und wann treffende Bemerkungen einflocht, durch die Wolski gezwungen
wurde, auf seiner Hut zu sein und wohl zu überlegen, was er sprach.

Als sie in den Flecken zurückkehrten und sich trennten, reichten beide Mädchen
dem neuen Bekannten die Hand, und Marja fragte naseweis, ob seine Gage so
groß sei, daß er stets so neue Handschuhe tragen könne.

"Meine Gage," lächelte er verächtlich, "ist allerdings so groß, daß sie gerade
zu den Handschuhen reicht, weiter aber zu nichts."

"Und wovon schaffen Sie das übrige zum Leben Nötige an?"

"Mein Vater ist Gutsbesitzer", erklärte er trocken.

Er log nicht. Sein Vater war wirklich Gutsbesitzer in einem entlegenen
Kreise. Das Gütchen war aber unendlich klein. Wenn der Sohn auch fleißiger
gewesen wäre, hätte er das Gymnasium doch nicht bis über die Mittelklassen
hinaus besuchen können, weil die Einnahmen vom Gütchen dazu nicht reichten.


Im Flecken

„Lügen Sie nicht," unterbrach Marja. „Sie wissen längst, daß ich Tit Gri-
gorjewitsch Botscharows Tochter bin. Auch gestern wußten Sie es, als Sie uns
zu Brei zerstampfen wollten."

„Mein gnädiges Fräulein," versicherte er, „eine so verbrecherische Absicht habe
ich natürlich nicht. . ."

„Nicht? Was wollten Sie dann? Pfannenkuchen aus uns machen? Öl aus
uns pressen?"

„Nichts dergleichen. Ich hatte Eile. Der Dienst nimmt mich so in Anspruch,
mißt mir die Zeit so knapp zu, daß. . ."

„Daß Sie Menschen für alles Gerümpel ansehen, das man aus dem
Wege wirft."

„Mein Fräulein, ich Versich. . ."

„Mein Herr, ich erkläre Ihnen, daß . . ."

„Aber, mein Fräul. . ."

„Sie damit eine große Grobheit gesagt haben. So, jetzt wollen wir wieder
weiter gehen. Ich und Olenka, wir »vollen nämlich über die Brücke und bis zur
Poststation spazieren. Wir haben die alte Station seit dem vorigen Jahre nicht
gesehen."

„Nesckames," sprach Wolski, „ich bin so in die Enge getrieben, daß ich,
um die Möglichkeit zu finden, mich zu rechtfertigen, eine große Bitte ein Sie
richten muß."

„Welche Bitte?"

„Sie möchten mir gütigst erlauben, Sie zur Station zu begleiten, denn in
zwei oder drei Worten wird es kaum ..."

„Wir zetteln mit Olenka keine Verschwörung an, haben daher auf unseren
Spaziergängen keine Geheimnisse zu verhandeln, sondern suchen Zerstreuung, und
da Sie zu derselben vielleicht beitragen können, so ist Ihnen hiermit die Erlaubnis
gnädigst erteilt."

„Auf Ihren Spaziergängen?"

„Sagte ich so?"

„Gewiß, mein Fräulein, parole et'Konneur!"

„Na, dann, meinetwegen. Was gesagt ist, bleibt gesagt."

So ging die Unterhaltung fort. Marja führte das große Wort, währeud
Olga dann und wann treffende Bemerkungen einflocht, durch die Wolski gezwungen
wurde, auf seiner Hut zu sein und wohl zu überlegen, was er sprach.

Als sie in den Flecken zurückkehrten und sich trennten, reichten beide Mädchen
dem neuen Bekannten die Hand, und Marja fragte naseweis, ob seine Gage so
groß sei, daß er stets so neue Handschuhe tragen könne.

„Meine Gage," lächelte er verächtlich, „ist allerdings so groß, daß sie gerade
zu den Handschuhen reicht, weiter aber zu nichts."

„Und wovon schaffen Sie das übrige zum Leben Nötige an?"

„Mein Vater ist Gutsbesitzer", erklärte er trocken.

Er log nicht. Sein Vater war wirklich Gutsbesitzer in einem entlegenen
Kreise. Das Gütchen war aber unendlich klein. Wenn der Sohn auch fleißiger
gewesen wäre, hätte er das Gymnasium doch nicht bis über die Mittelklassen
hinaus besuchen können, weil die Einnahmen vom Gütchen dazu nicht reichten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317280"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Flecken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1449"> &#x201E;Lügen Sie nicht," unterbrach Marja. &#x201E;Sie wissen längst, daß ich Tit Gri-<lb/>
gorjewitsch Botscharows Tochter bin. Auch gestern wußten Sie es, als Sie uns<lb/>
zu Brei zerstampfen wollten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1450"> &#x201E;Mein gnädiges Fräulein," versicherte er, &#x201E;eine so verbrecherische Absicht habe<lb/>
ich natürlich nicht. . ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1451"> &#x201E;Nicht? Was wollten Sie dann? Pfannenkuchen aus uns machen? Öl aus<lb/>
uns pressen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1452"> &#x201E;Nichts dergleichen. Ich hatte Eile. Der Dienst nimmt mich so in Anspruch,<lb/>
mißt mir die Zeit so knapp zu, daß. . ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1453"> &#x201E;Daß Sie Menschen für alles Gerümpel ansehen, das man aus dem<lb/>
Wege wirft."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1454"> &#x201E;Mein Fräulein, ich Versich. . ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1455"> &#x201E;Mein Herr, ich erkläre Ihnen, daß . . ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1456"> &#x201E;Aber, mein Fräul. . ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1457"> &#x201E;Sie damit eine große Grobheit gesagt haben. So, jetzt wollen wir wieder<lb/>
weiter gehen. Ich und Olenka, wir »vollen nämlich über die Brücke und bis zur<lb/>
Poststation spazieren. Wir haben die alte Station seit dem vorigen Jahre nicht<lb/>
gesehen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1458"> &#x201E;Nesckames," sprach Wolski, &#x201E;ich bin so in die Enge getrieben, daß ich,<lb/>
um die Möglichkeit zu finden, mich zu rechtfertigen, eine große Bitte ein Sie<lb/>
richten muß."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1459"> &#x201E;Welche Bitte?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1460"> &#x201E;Sie möchten mir gütigst erlauben, Sie zur Station zu begleiten, denn in<lb/>
zwei oder drei Worten wird es kaum ..."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1461"> &#x201E;Wir zetteln mit Olenka keine Verschwörung an, haben daher auf unseren<lb/>
Spaziergängen keine Geheimnisse zu verhandeln, sondern suchen Zerstreuung, und<lb/>
da Sie zu derselben vielleicht beitragen können, so ist Ihnen hiermit die Erlaubnis<lb/>
gnädigst erteilt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1462"> &#x201E;Auf Ihren Spaziergängen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1463"> &#x201E;Sagte ich so?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1464"> &#x201E;Gewiß, mein Fräulein, parole et'Konneur!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1465"> &#x201E;Na, dann, meinetwegen. Was gesagt ist, bleibt gesagt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1466"> So ging die Unterhaltung fort. Marja führte das große Wort, währeud<lb/>
Olga dann und wann treffende Bemerkungen einflocht, durch die Wolski gezwungen<lb/>
wurde, auf seiner Hut zu sein und wohl zu überlegen, was er sprach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1467"> Als sie in den Flecken zurückkehrten und sich trennten, reichten beide Mädchen<lb/>
dem neuen Bekannten die Hand, und Marja fragte naseweis, ob seine Gage so<lb/>
groß sei, daß er stets so neue Handschuhe tragen könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1468"> &#x201E;Meine Gage," lächelte er verächtlich, &#x201E;ist allerdings so groß, daß sie gerade<lb/>
zu den Handschuhen reicht, weiter aber zu nichts."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1469"> &#x201E;Und wovon schaffen Sie das übrige zum Leben Nötige an?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1470"> &#x201E;Mein Vater ist Gutsbesitzer", erklärte er trocken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1471"> Er log nicht. Sein Vater war wirklich Gutsbesitzer in einem entlegenen<lb/>
Kreise. Das Gütchen war aber unendlich klein. Wenn der Sohn auch fleißiger<lb/>
gewesen wäre, hätte er das Gymnasium doch nicht bis über die Mittelklassen<lb/>
hinaus besuchen können, weil die Einnahmen vom Gütchen dazu nicht reichten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0329] Im Flecken „Lügen Sie nicht," unterbrach Marja. „Sie wissen längst, daß ich Tit Gri- gorjewitsch Botscharows Tochter bin. Auch gestern wußten Sie es, als Sie uns zu Brei zerstampfen wollten." „Mein gnädiges Fräulein," versicherte er, „eine so verbrecherische Absicht habe ich natürlich nicht. . ." „Nicht? Was wollten Sie dann? Pfannenkuchen aus uns machen? Öl aus uns pressen?" „Nichts dergleichen. Ich hatte Eile. Der Dienst nimmt mich so in Anspruch, mißt mir die Zeit so knapp zu, daß. . ." „Daß Sie Menschen für alles Gerümpel ansehen, das man aus dem Wege wirft." „Mein Fräulein, ich Versich. . ." „Mein Herr, ich erkläre Ihnen, daß . . ." „Aber, mein Fräul. . ." „Sie damit eine große Grobheit gesagt haben. So, jetzt wollen wir wieder weiter gehen. Ich und Olenka, wir »vollen nämlich über die Brücke und bis zur Poststation spazieren. Wir haben die alte Station seit dem vorigen Jahre nicht gesehen." „Nesckames," sprach Wolski, „ich bin so in die Enge getrieben, daß ich, um die Möglichkeit zu finden, mich zu rechtfertigen, eine große Bitte ein Sie richten muß." „Welche Bitte?" „Sie möchten mir gütigst erlauben, Sie zur Station zu begleiten, denn in zwei oder drei Worten wird es kaum ..." „Wir zetteln mit Olenka keine Verschwörung an, haben daher auf unseren Spaziergängen keine Geheimnisse zu verhandeln, sondern suchen Zerstreuung, und da Sie zu derselben vielleicht beitragen können, so ist Ihnen hiermit die Erlaubnis gnädigst erteilt." „Auf Ihren Spaziergängen?" „Sagte ich so?" „Gewiß, mein Fräulein, parole et'Konneur!" „Na, dann, meinetwegen. Was gesagt ist, bleibt gesagt." So ging die Unterhaltung fort. Marja führte das große Wort, währeud Olga dann und wann treffende Bemerkungen einflocht, durch die Wolski gezwungen wurde, auf seiner Hut zu sein und wohl zu überlegen, was er sprach. Als sie in den Flecken zurückkehrten und sich trennten, reichten beide Mädchen dem neuen Bekannten die Hand, und Marja fragte naseweis, ob seine Gage so groß sei, daß er stets so neue Handschuhe tragen könne. „Meine Gage," lächelte er verächtlich, „ist allerdings so groß, daß sie gerade zu den Handschuhen reicht, weiter aber zu nichts." „Und wovon schaffen Sie das übrige zum Leben Nötige an?" „Mein Vater ist Gutsbesitzer", erklärte er trocken. Er log nicht. Sein Vater war wirklich Gutsbesitzer in einem entlegenen Kreise. Das Gütchen war aber unendlich klein. Wenn der Sohn auch fleißiger gewesen wäre, hätte er das Gymnasium doch nicht bis über die Mittelklassen hinaus besuchen können, weil die Einnahmen vom Gütchen dazu nicht reichten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/329
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/329>, abgerufen am 23.07.2024.