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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

Zufälligkeiten bestimmen jetzt die ganze Laufbahn eines Verwaltungsbeamten:
die Aufnahme in den Verwaltungsdienst, die Zuweisung an die einzelnen
Behörden, das Dezernat, vor allem natürlich das Aufsteigen, sei es
in der sogenannten Ochsentour, sei es in bevorzugte Stellungen,
namentlich in Landratsämter. Freiherr von Zedlitz behauptet freilich,
daß heutzutage die Landratsämter regelmäßig mit den befähigteren der
Assessoren besetzt würden. Das ist aber, um mit Herrn Lotz zu reden, eine
Ideologie; Landräte werden die Assessoren, die die besten Beziehungen haben.
Kurz, die Sachlage ist bei uns jetzt so, daß die glänzendste persönliche Befähigung,
das größte Wissen, die tüchtigsten Leistungen allein nichts helfen. Es muß
noch ein Zufall, etwa irgend eine glückliche persönliche Beziehung hinzukommen,
damit einer in der Verwaltung etwas erreicht. Nicht selten genügt sie allein.
Man glaubt nicht, was gelegentlich ein kurzes Briefchen eines Schwiegervaters
oder einer Schwiegermutter zuwege bringen kann.

Der verstorbene Staatsminister von Hammerstein hat einmal im Abgeordneten¬
haus aus ähnliche Klagen geantwortet, daß er keinen Beamten befördert habe,
von dessen Tüchtigkeit er nicht überzeugt gewesen sei. Dasselbe werden alle
die höhern Beamten für sich in Anspruch nehmen, die einmal einem Unter¬
gebenen weitergeholfen haben. Aber jene Antwort traf überhaupt nicht den
Kern der Frage. Nicht gegen Personen richtet sich der Vorwurf, sondern gegen
ein falsches System. Ein Oberpräsident, der, nachdem er Minister geworden
ist, einen Landrat oder einen andern Beamten aus seinem bisherigen Wirkungs¬
kreis in sein Ministerium nimmt, oder ein Oberpräsident, der sich aus den
vielen Hunderten Assessoren, die wir haben, für seine Behörde einen auswählt,
mit dein er durch irgend einen Zufall einmal bekannt geworden ist, hat bei
den heutigen Einrichtungen gar keinen Grund, sich zu fragen, ob nicht ein viel
tüchtigerer, brauchbarerer Anwärter für die freie Stelle in der Person irgend¬
eines andern Beamten vorhanden sei. Für ihn genügt es, daß der Aus¬
gewählte nach seiner pflichtmäßigen Überzeugung geeignet ist. Dadurch wird
aber die Tatsache nicht aus der Welt geschafft, daß so die vom Standpunkt
des Staatswohls dringend zu fordernde freie Auslese der Tüchtigsten ver¬
eitelt wird.

Seit wann diese Günstlingswirtschaft, wie ich nach dem Grundsatz
cZenominatio lit a potion diese Zustände zusammenfassend bezeichne, besteht,
habe ich nicht genau ermitteln können. Die ersten Spuren finden sich schon im
Anfang des vorigen Jahrhunderts, und nach einer Bemerkung des Regierungs¬
präsidenten von Diest in seinen Erinnerungen muß diese Wirtschaft in der
zweiten Hälfte der sechziger Jahre schon althergebracht gewesen sein. --

Welche Folgen diese Mißstände im einzelnen für die Verwaltung haben,
werde ich im zweitnächsten Artikel darzulegen versuchen. Hier nur die allgemeine
Bemerkung, daß die Verwaltung infolge dieser Entwicklung hinter fast allen
andern abgeschlossenen Berufen zurückgeblieben ist. Überall sonst sorgt man


Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

Zufälligkeiten bestimmen jetzt die ganze Laufbahn eines Verwaltungsbeamten:
die Aufnahme in den Verwaltungsdienst, die Zuweisung an die einzelnen
Behörden, das Dezernat, vor allem natürlich das Aufsteigen, sei es
in der sogenannten Ochsentour, sei es in bevorzugte Stellungen,
namentlich in Landratsämter. Freiherr von Zedlitz behauptet freilich,
daß heutzutage die Landratsämter regelmäßig mit den befähigteren der
Assessoren besetzt würden. Das ist aber, um mit Herrn Lotz zu reden, eine
Ideologie; Landräte werden die Assessoren, die die besten Beziehungen haben.
Kurz, die Sachlage ist bei uns jetzt so, daß die glänzendste persönliche Befähigung,
das größte Wissen, die tüchtigsten Leistungen allein nichts helfen. Es muß
noch ein Zufall, etwa irgend eine glückliche persönliche Beziehung hinzukommen,
damit einer in der Verwaltung etwas erreicht. Nicht selten genügt sie allein.
Man glaubt nicht, was gelegentlich ein kurzes Briefchen eines Schwiegervaters
oder einer Schwiegermutter zuwege bringen kann.

Der verstorbene Staatsminister von Hammerstein hat einmal im Abgeordneten¬
haus aus ähnliche Klagen geantwortet, daß er keinen Beamten befördert habe,
von dessen Tüchtigkeit er nicht überzeugt gewesen sei. Dasselbe werden alle
die höhern Beamten für sich in Anspruch nehmen, die einmal einem Unter¬
gebenen weitergeholfen haben. Aber jene Antwort traf überhaupt nicht den
Kern der Frage. Nicht gegen Personen richtet sich der Vorwurf, sondern gegen
ein falsches System. Ein Oberpräsident, der, nachdem er Minister geworden
ist, einen Landrat oder einen andern Beamten aus seinem bisherigen Wirkungs¬
kreis in sein Ministerium nimmt, oder ein Oberpräsident, der sich aus den
vielen Hunderten Assessoren, die wir haben, für seine Behörde einen auswählt,
mit dein er durch irgend einen Zufall einmal bekannt geworden ist, hat bei
den heutigen Einrichtungen gar keinen Grund, sich zu fragen, ob nicht ein viel
tüchtigerer, brauchbarerer Anwärter für die freie Stelle in der Person irgend¬
eines andern Beamten vorhanden sei. Für ihn genügt es, daß der Aus¬
gewählte nach seiner pflichtmäßigen Überzeugung geeignet ist. Dadurch wird
aber die Tatsache nicht aus der Welt geschafft, daß so die vom Standpunkt
des Staatswohls dringend zu fordernde freie Auslese der Tüchtigsten ver¬
eitelt wird.

Seit wann diese Günstlingswirtschaft, wie ich nach dem Grundsatz
cZenominatio lit a potion diese Zustände zusammenfassend bezeichne, besteht,
habe ich nicht genau ermitteln können. Die ersten Spuren finden sich schon im
Anfang des vorigen Jahrhunderts, und nach einer Bemerkung des Regierungs¬
präsidenten von Diest in seinen Erinnerungen muß diese Wirtschaft in der
zweiten Hälfte der sechziger Jahre schon althergebracht gewesen sein. —

Welche Folgen diese Mißstände im einzelnen für die Verwaltung haben,
werde ich im zweitnächsten Artikel darzulegen versuchen. Hier nur die allgemeine
Bemerkung, daß die Verwaltung infolge dieser Entwicklung hinter fast allen
andern abgeschlossenen Berufen zurückgeblieben ist. Überall sonst sorgt man


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[0320] Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung Zufälligkeiten bestimmen jetzt die ganze Laufbahn eines Verwaltungsbeamten: die Aufnahme in den Verwaltungsdienst, die Zuweisung an die einzelnen Behörden, das Dezernat, vor allem natürlich das Aufsteigen, sei es in der sogenannten Ochsentour, sei es in bevorzugte Stellungen, namentlich in Landratsämter. Freiherr von Zedlitz behauptet freilich, daß heutzutage die Landratsämter regelmäßig mit den befähigteren der Assessoren besetzt würden. Das ist aber, um mit Herrn Lotz zu reden, eine Ideologie; Landräte werden die Assessoren, die die besten Beziehungen haben. Kurz, die Sachlage ist bei uns jetzt so, daß die glänzendste persönliche Befähigung, das größte Wissen, die tüchtigsten Leistungen allein nichts helfen. Es muß noch ein Zufall, etwa irgend eine glückliche persönliche Beziehung hinzukommen, damit einer in der Verwaltung etwas erreicht. Nicht selten genügt sie allein. Man glaubt nicht, was gelegentlich ein kurzes Briefchen eines Schwiegervaters oder einer Schwiegermutter zuwege bringen kann. Der verstorbene Staatsminister von Hammerstein hat einmal im Abgeordneten¬ haus aus ähnliche Klagen geantwortet, daß er keinen Beamten befördert habe, von dessen Tüchtigkeit er nicht überzeugt gewesen sei. Dasselbe werden alle die höhern Beamten für sich in Anspruch nehmen, die einmal einem Unter¬ gebenen weitergeholfen haben. Aber jene Antwort traf überhaupt nicht den Kern der Frage. Nicht gegen Personen richtet sich der Vorwurf, sondern gegen ein falsches System. Ein Oberpräsident, der, nachdem er Minister geworden ist, einen Landrat oder einen andern Beamten aus seinem bisherigen Wirkungs¬ kreis in sein Ministerium nimmt, oder ein Oberpräsident, der sich aus den vielen Hunderten Assessoren, die wir haben, für seine Behörde einen auswählt, mit dein er durch irgend einen Zufall einmal bekannt geworden ist, hat bei den heutigen Einrichtungen gar keinen Grund, sich zu fragen, ob nicht ein viel tüchtigerer, brauchbarerer Anwärter für die freie Stelle in der Person irgend¬ eines andern Beamten vorhanden sei. Für ihn genügt es, daß der Aus¬ gewählte nach seiner pflichtmäßigen Überzeugung geeignet ist. Dadurch wird aber die Tatsache nicht aus der Welt geschafft, daß so die vom Standpunkt des Staatswohls dringend zu fordernde freie Auslese der Tüchtigsten ver¬ eitelt wird. Seit wann diese Günstlingswirtschaft, wie ich nach dem Grundsatz cZenominatio lit a potion diese Zustände zusammenfassend bezeichne, besteht, habe ich nicht genau ermitteln können. Die ersten Spuren finden sich schon im Anfang des vorigen Jahrhunderts, und nach einer Bemerkung des Regierungs¬ präsidenten von Diest in seinen Erinnerungen muß diese Wirtschaft in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre schon althergebracht gewesen sein. — Welche Folgen diese Mißstände im einzelnen für die Verwaltung haben, werde ich im zweitnächsten Artikel darzulegen versuchen. Hier nur die allgemeine Bemerkung, daß die Verwaltung infolge dieser Entwicklung hinter fast allen andern abgeschlossenen Berufen zurückgeblieben ist. Überall sonst sorgt man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/320>, abgerufen am 23.07.2024.