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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Zum hundertjährigen Geburtstag Fritz Reuters

der als hoffnungsloser Landwirt umherging, belastet mit seiner Krankheit und
dem Odium des abgebrochenen Studenten: es war nichts geworden mit den
schönen Hoffnungen, die die Reise nach Braunschweig dermaleinst geweckt hatte.
Im Jahre 1850, also im Alter von vierzig Jahren, mußte Reuter sich dann
als Schulmeister in Treptow niederlassen und hier für zwei gute Groschen die
Stunde Unterricht geben. Nichtsdestoweniger aber begann hier die Wende
seines Lebens. Sein treuer Freund Fritz Peters wagte den großen Schritt,
Louise Kunze zu ihm zu führen, als er an den Folgen eines alkoholischen
Anfalls daniederlag, und Louise Kunze wagte den noch größeren Schritt, den
unglücklichen Schulmeister von Treptow zu heiraten. Ach, die Ehe war über¬
schattet genug I Reuter verfaßte einmal in einer seiner verzweiflungsvollen Nächte
seine Grabschrift, die also lautete:

Und Louise, die an seinem Bett saß, wählte für sich als Grabschrift ein
Wort, aus dem ihre ganze Auffassung der Situation sprach -- das tiefe Wort:
"In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt über¬
wunden." In der ersten Zeit ihrer Ehe -- im Jahre 1852 -- erschien Klaus
Groths "Quikborn", und nun fand der vielgeprüfte Mann endlich im Jahre
1853 mit den "Läuschen und niueis" den Boden, auf dem auch ihm das
Glück erblühen sollte. Die Gedichte ließen seine spätere Bedeutung noch gar
nicht ahnen, er hatte sich aber selber gefunden und damit war die Wende seines
Lebens da. Bis dahin hatte er ja unter der doppelten Tragik gelitten, daß
er so wenig mit dem eigenen Innern wie mit der äußeren Welt zurechtkam.
Als nun im Laufe der nächsten Jahre seine prächtigen Arbeiten erschienen, war
Ruhm: und Lebensinhalt da und es ließ sich manches leichter ertragen, was
immer noch ertragen werden mußte.

Wenn man die literarische Bedeutung Reuters erwägt, wird immer sein
Verdienst um die ehrwürdige, plattdeutsche Sprache in erster Linie genannt
werden müssen. Es könnte nun freilich scheinen, als ob dadurch seine poetische
Geltung lokalisiert und also eingeengt würde; es scheint indessen nur so. Zunächst
ist das Reich der plattdeutschen Sprache groß genug, um den plattdeutschen
Dichter vor dem Odium der Lokalberühmtheit in einem untergeordneten Sinne
Zu schützen, und ihr Reichtum ist so tief, daß vor ihm jedes philiströse hoch¬
deutsche Wort vollends verstummen muß. Es kommt aber hinzu, daß die
hochdeutsche Kultursprache in Gefahr läuft, eine Buchsprache zu werden, wenn
sich die Literatur nicht immer wieder durch ein Bad in der Volkssprache ver¬
jüngt. Ich habe früher einmal in meinen "Berliner Kämpfen" ausgeführt,
daß die Kultursprache immer wieder ihre Wurzeln in die Tiefe senken muß,


Grenzboten IV 1910 34
Zum hundertjährigen Geburtstag Fritz Reuters

der als hoffnungsloser Landwirt umherging, belastet mit seiner Krankheit und
dem Odium des abgebrochenen Studenten: es war nichts geworden mit den
schönen Hoffnungen, die die Reise nach Braunschweig dermaleinst geweckt hatte.
Im Jahre 1850, also im Alter von vierzig Jahren, mußte Reuter sich dann
als Schulmeister in Treptow niederlassen und hier für zwei gute Groschen die
Stunde Unterricht geben. Nichtsdestoweniger aber begann hier die Wende
seines Lebens. Sein treuer Freund Fritz Peters wagte den großen Schritt,
Louise Kunze zu ihm zu führen, als er an den Folgen eines alkoholischen
Anfalls daniederlag, und Louise Kunze wagte den noch größeren Schritt, den
unglücklichen Schulmeister von Treptow zu heiraten. Ach, die Ehe war über¬
schattet genug I Reuter verfaßte einmal in einer seiner verzweiflungsvollen Nächte
seine Grabschrift, die also lautete:

Und Louise, die an seinem Bett saß, wählte für sich als Grabschrift ein
Wort, aus dem ihre ganze Auffassung der Situation sprach — das tiefe Wort:
»In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt über¬
wunden." In der ersten Zeit ihrer Ehe — im Jahre 1852 — erschien Klaus
Groths „Quikborn", und nun fand der vielgeprüfte Mann endlich im Jahre
1853 mit den „Läuschen und niueis" den Boden, auf dem auch ihm das
Glück erblühen sollte. Die Gedichte ließen seine spätere Bedeutung noch gar
nicht ahnen, er hatte sich aber selber gefunden und damit war die Wende seines
Lebens da. Bis dahin hatte er ja unter der doppelten Tragik gelitten, daß
er so wenig mit dem eigenen Innern wie mit der äußeren Welt zurechtkam.
Als nun im Laufe der nächsten Jahre seine prächtigen Arbeiten erschienen, war
Ruhm: und Lebensinhalt da und es ließ sich manches leichter ertragen, was
immer noch ertragen werden mußte.

Wenn man die literarische Bedeutung Reuters erwägt, wird immer sein
Verdienst um die ehrwürdige, plattdeutsche Sprache in erster Linie genannt
werden müssen. Es könnte nun freilich scheinen, als ob dadurch seine poetische
Geltung lokalisiert und also eingeengt würde; es scheint indessen nur so. Zunächst
ist das Reich der plattdeutschen Sprache groß genug, um den plattdeutschen
Dichter vor dem Odium der Lokalberühmtheit in einem untergeordneten Sinne
Zu schützen, und ihr Reichtum ist so tief, daß vor ihm jedes philiströse hoch¬
deutsche Wort vollends verstummen muß. Es kommt aber hinzu, daß die
hochdeutsche Kultursprache in Gefahr läuft, eine Buchsprache zu werden, wenn
sich die Literatur nicht immer wieder durch ein Bad in der Volkssprache ver¬
jüngt. Ich habe früher einmal in meinen „Berliner Kämpfen" ausgeführt,
daß die Kultursprache immer wieder ihre Wurzeln in die Tiefe senken muß,


Grenzboten IV 1910 34
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[0277] Zum hundertjährigen Geburtstag Fritz Reuters der als hoffnungsloser Landwirt umherging, belastet mit seiner Krankheit und dem Odium des abgebrochenen Studenten: es war nichts geworden mit den schönen Hoffnungen, die die Reise nach Braunschweig dermaleinst geweckt hatte. Im Jahre 1850, also im Alter von vierzig Jahren, mußte Reuter sich dann als Schulmeister in Treptow niederlassen und hier für zwei gute Groschen die Stunde Unterricht geben. Nichtsdestoweniger aber begann hier die Wende seines Lebens. Sein treuer Freund Fritz Peters wagte den großen Schritt, Louise Kunze zu ihm zu führen, als er an den Folgen eines alkoholischen Anfalls daniederlag, und Louise Kunze wagte den noch größeren Schritt, den unglücklichen Schulmeister von Treptow zu heiraten. Ach, die Ehe war über¬ schattet genug I Reuter verfaßte einmal in einer seiner verzweiflungsvollen Nächte seine Grabschrift, die also lautete: Und Louise, die an seinem Bett saß, wählte für sich als Grabschrift ein Wort, aus dem ihre ganze Auffassung der Situation sprach — das tiefe Wort: »In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt über¬ wunden." In der ersten Zeit ihrer Ehe — im Jahre 1852 — erschien Klaus Groths „Quikborn", und nun fand der vielgeprüfte Mann endlich im Jahre 1853 mit den „Läuschen und niueis" den Boden, auf dem auch ihm das Glück erblühen sollte. Die Gedichte ließen seine spätere Bedeutung noch gar nicht ahnen, er hatte sich aber selber gefunden und damit war die Wende seines Lebens da. Bis dahin hatte er ja unter der doppelten Tragik gelitten, daß er so wenig mit dem eigenen Innern wie mit der äußeren Welt zurechtkam. Als nun im Laufe der nächsten Jahre seine prächtigen Arbeiten erschienen, war Ruhm: und Lebensinhalt da und es ließ sich manches leichter ertragen, was immer noch ertragen werden mußte. Wenn man die literarische Bedeutung Reuters erwägt, wird immer sein Verdienst um die ehrwürdige, plattdeutsche Sprache in erster Linie genannt werden müssen. Es könnte nun freilich scheinen, als ob dadurch seine poetische Geltung lokalisiert und also eingeengt würde; es scheint indessen nur so. Zunächst ist das Reich der plattdeutschen Sprache groß genug, um den plattdeutschen Dichter vor dem Odium der Lokalberühmtheit in einem untergeordneten Sinne Zu schützen, und ihr Reichtum ist so tief, daß vor ihm jedes philiströse hoch¬ deutsche Wort vollends verstummen muß. Es kommt aber hinzu, daß die hochdeutsche Kultursprache in Gefahr läuft, eine Buchsprache zu werden, wenn sich die Literatur nicht immer wieder durch ein Bad in der Volkssprache ver¬ jüngt. Ich habe früher einmal in meinen „Berliner Kämpfen" ausgeführt, daß die Kultursprache immer wieder ihre Wurzeln in die Tiefe senken muß, Grenzboten IV 1910 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/277>, abgerufen am 22.07.2024.