Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum hundertjährige" Geburtstag Fritz Reuters

Jahren seine schönste Jugend zermalmt. In der "Festungszeit" ist ihm diese
Episode zum ergreifenden Kunstwerk geworden und sein tapferes Herz vermag
es immer noch, selbst über diese düsteren Tage die Lichter eines wehmütigen
Humors spielen zu lassen. Nichtsdestoweniger bricht das große schicksalsschwere
Weh doch immer wieder durch. "Wenn draußen die Sonne scheint und die
Vögel singen und die Blumen blühen," sagt er an einer Stelle, "wenn alle
Welt sich freut und die Herzen lustiger schlagen, dann ist für den Gefangenen
die schlimmste Zeit. Seine beste Zeit ist, wenn der Regen gießt und der Sturm¬
wind rast und den Schnee in wilden Wirbeln zusammenjagt. Es sind seitdem
viele Jahre vergangen, aber dieses Gefühl ist nur von jener Zeit her noch
geblieben. Ich kann stundenlang in so ein wildes Wetter hinaussehen und die
Seele wird mir dann so still und ruhig. Mir ist es dann, als wenn das
schaurige Wetter draußen meine schlimmen Jahre wären, die nicht mehr an
mich heran können und vergebens um mich herumrasen, und die Traurigkeit
kommt über mich, daß dieses wilde Wetter grade in meinen Lebensfrühling
hereinbrechen mußte." Waren aber die Jahre schwer, so waren die Folgen
dieser Jahre wenn möglich noch schwerer. In einer dunklen Käsematte hatte
sein Augenlicht Schaden genommen; man braucht nur daran zu denken, daß
Reuter sich mit Malerhoffnungen trug, um das Gewicht dieser Tatsache abschätzen
zu können. Als dann mit der Amnestie bei der Thronbesteigung Friedrich
Wilhelms des Vierten die Entlassung kam, kam auch die schicksalsschwere Frage:
"Was nun?", die ihn zu dem wilden, tragischen Ausbruch am Schluß der
Festungstid veranlaßt. Er war dem Leben fremd geworden und er schreibt
das bittere Wort, daß auch sein Vater sich gewöhnt hatte, ihn als eine Art
von Unglück zu betrachten. Und doch ließ die Entlassung immer noch eine
Hoffnung zu, während sich in den darauffolgenden Jahren alles in Hoffnungs¬
losigkeit verlor. Ich weiß nicht, ob Wilbrandt medizinisch recht hat, wenn er
Reuters gelegentliche krankhafte Neigung zum Alkohol auf ein körperliches
Leiden zurückführt, das er sich in der Festungszeit holte; ich weiß aber, daß
der Alkohol, wenn er in dieser Form auftritt, ein dämonisches Verhängnis ist --
so bei Reuter, so bei Grabbe, so bei Hartleben, wo auch Schmerz und Ver¬
zweiflung hinter den Kulissen lauerten, wie lustig die Außenseite sich unter
Umständen auch ausnehmen mochte. Im Herbst 1840 wurde Reuter nach Heidel¬
berg gesandt, um seine Studien fortzusetzen; aber die kranken Nachwehen von
der Festung waren zu stark, oder der Wein war zu gut, und sein Vater mußte
ihn wieder zurückrufen. Als dreißigjähriger Mensch mußte er sich nun als
Lehrling auf die Landwirtschaft werfen, und immer wieder wurde sein Leben
von der Festungskrankheit überschattet, für die die biederen mecklenburgischen
Philister vermutlich andere und derbere Bezeichnungen hatten.

In diesen Jahren hielt er um Louise Kunze an; er hatte aber keine
Gegenwart, und da er lebensunfähig schien, auch keine Zukunft: sie schlug es
ihm darum ab. Als im Jahr 1845 der Vater starb, hinterließ er einen Sohn,


Zum hundertjährige» Geburtstag Fritz Reuters

Jahren seine schönste Jugend zermalmt. In der „Festungszeit" ist ihm diese
Episode zum ergreifenden Kunstwerk geworden und sein tapferes Herz vermag
es immer noch, selbst über diese düsteren Tage die Lichter eines wehmütigen
Humors spielen zu lassen. Nichtsdestoweniger bricht das große schicksalsschwere
Weh doch immer wieder durch. „Wenn draußen die Sonne scheint und die
Vögel singen und die Blumen blühen," sagt er an einer Stelle, „wenn alle
Welt sich freut und die Herzen lustiger schlagen, dann ist für den Gefangenen
die schlimmste Zeit. Seine beste Zeit ist, wenn der Regen gießt und der Sturm¬
wind rast und den Schnee in wilden Wirbeln zusammenjagt. Es sind seitdem
viele Jahre vergangen, aber dieses Gefühl ist nur von jener Zeit her noch
geblieben. Ich kann stundenlang in so ein wildes Wetter hinaussehen und die
Seele wird mir dann so still und ruhig. Mir ist es dann, als wenn das
schaurige Wetter draußen meine schlimmen Jahre wären, die nicht mehr an
mich heran können und vergebens um mich herumrasen, und die Traurigkeit
kommt über mich, daß dieses wilde Wetter grade in meinen Lebensfrühling
hereinbrechen mußte." Waren aber die Jahre schwer, so waren die Folgen
dieser Jahre wenn möglich noch schwerer. In einer dunklen Käsematte hatte
sein Augenlicht Schaden genommen; man braucht nur daran zu denken, daß
Reuter sich mit Malerhoffnungen trug, um das Gewicht dieser Tatsache abschätzen
zu können. Als dann mit der Amnestie bei der Thronbesteigung Friedrich
Wilhelms des Vierten die Entlassung kam, kam auch die schicksalsschwere Frage:
„Was nun?", die ihn zu dem wilden, tragischen Ausbruch am Schluß der
Festungstid veranlaßt. Er war dem Leben fremd geworden und er schreibt
das bittere Wort, daß auch sein Vater sich gewöhnt hatte, ihn als eine Art
von Unglück zu betrachten. Und doch ließ die Entlassung immer noch eine
Hoffnung zu, während sich in den darauffolgenden Jahren alles in Hoffnungs¬
losigkeit verlor. Ich weiß nicht, ob Wilbrandt medizinisch recht hat, wenn er
Reuters gelegentliche krankhafte Neigung zum Alkohol auf ein körperliches
Leiden zurückführt, das er sich in der Festungszeit holte; ich weiß aber, daß
der Alkohol, wenn er in dieser Form auftritt, ein dämonisches Verhängnis ist —
so bei Reuter, so bei Grabbe, so bei Hartleben, wo auch Schmerz und Ver¬
zweiflung hinter den Kulissen lauerten, wie lustig die Außenseite sich unter
Umständen auch ausnehmen mochte. Im Herbst 1840 wurde Reuter nach Heidel¬
berg gesandt, um seine Studien fortzusetzen; aber die kranken Nachwehen von
der Festung waren zu stark, oder der Wein war zu gut, und sein Vater mußte
ihn wieder zurückrufen. Als dreißigjähriger Mensch mußte er sich nun als
Lehrling auf die Landwirtschaft werfen, und immer wieder wurde sein Leben
von der Festungskrankheit überschattet, für die die biederen mecklenburgischen
Philister vermutlich andere und derbere Bezeichnungen hatten.

In diesen Jahren hielt er um Louise Kunze an; er hatte aber keine
Gegenwart, und da er lebensunfähig schien, auch keine Zukunft: sie schlug es
ihm darum ab. Als im Jahr 1845 der Vater starb, hinterließ er einen Sohn,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317227"/>
          <fw type="header" place="top"> Zum hundertjährige» Geburtstag Fritz Reuters</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1191" prev="#ID_1190"> Jahren seine schönste Jugend zermalmt. In der &#x201E;Festungszeit" ist ihm diese<lb/>
Episode zum ergreifenden Kunstwerk geworden und sein tapferes Herz vermag<lb/>
es immer noch, selbst über diese düsteren Tage die Lichter eines wehmütigen<lb/>
Humors spielen zu lassen. Nichtsdestoweniger bricht das große schicksalsschwere<lb/>
Weh doch immer wieder durch. &#x201E;Wenn draußen die Sonne scheint und die<lb/>
Vögel singen und die Blumen blühen," sagt er an einer Stelle, &#x201E;wenn alle<lb/>
Welt sich freut und die Herzen lustiger schlagen, dann ist für den Gefangenen<lb/>
die schlimmste Zeit. Seine beste Zeit ist, wenn der Regen gießt und der Sturm¬<lb/>
wind rast und den Schnee in wilden Wirbeln zusammenjagt. Es sind seitdem<lb/>
viele Jahre vergangen, aber dieses Gefühl ist nur von jener Zeit her noch<lb/>
geblieben. Ich kann stundenlang in so ein wildes Wetter hinaussehen und die<lb/>
Seele wird mir dann so still und ruhig. Mir ist es dann, als wenn das<lb/>
schaurige Wetter draußen meine schlimmen Jahre wären, die nicht mehr an<lb/>
mich heran können und vergebens um mich herumrasen, und die Traurigkeit<lb/>
kommt über mich, daß dieses wilde Wetter grade in meinen Lebensfrühling<lb/>
hereinbrechen mußte." Waren aber die Jahre schwer, so waren die Folgen<lb/>
dieser Jahre wenn möglich noch schwerer. In einer dunklen Käsematte hatte<lb/>
sein Augenlicht Schaden genommen; man braucht nur daran zu denken, daß<lb/>
Reuter sich mit Malerhoffnungen trug, um das Gewicht dieser Tatsache abschätzen<lb/>
zu können. Als dann mit der Amnestie bei der Thronbesteigung Friedrich<lb/>
Wilhelms des Vierten die Entlassung kam, kam auch die schicksalsschwere Frage:<lb/>
&#x201E;Was nun?", die ihn zu dem wilden, tragischen Ausbruch am Schluß der<lb/>
Festungstid veranlaßt. Er war dem Leben fremd geworden und er schreibt<lb/>
das bittere Wort, daß auch sein Vater sich gewöhnt hatte, ihn als eine Art<lb/>
von Unglück zu betrachten. Und doch ließ die Entlassung immer noch eine<lb/>
Hoffnung zu, während sich in den darauffolgenden Jahren alles in Hoffnungs¬<lb/>
losigkeit verlor. Ich weiß nicht, ob Wilbrandt medizinisch recht hat, wenn er<lb/>
Reuters gelegentliche krankhafte Neigung zum Alkohol auf ein körperliches<lb/>
Leiden zurückführt, das er sich in der Festungszeit holte; ich weiß aber, daß<lb/>
der Alkohol, wenn er in dieser Form auftritt, ein dämonisches Verhängnis ist &#x2014;<lb/>
so bei Reuter, so bei Grabbe, so bei Hartleben, wo auch Schmerz und Ver¬<lb/>
zweiflung hinter den Kulissen lauerten, wie lustig die Außenseite sich unter<lb/>
Umständen auch ausnehmen mochte. Im Herbst 1840 wurde Reuter nach Heidel¬<lb/>
berg gesandt, um seine Studien fortzusetzen; aber die kranken Nachwehen von<lb/>
der Festung waren zu stark, oder der Wein war zu gut, und sein Vater mußte<lb/>
ihn wieder zurückrufen. Als dreißigjähriger Mensch mußte er sich nun als<lb/>
Lehrling auf die Landwirtschaft werfen, und immer wieder wurde sein Leben<lb/>
von der Festungskrankheit überschattet, für die die biederen mecklenburgischen<lb/>
Philister vermutlich andere und derbere Bezeichnungen hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1192" next="#ID_1193"> In diesen Jahren hielt er um Louise Kunze an; er hatte aber keine<lb/>
Gegenwart, und da er lebensunfähig schien, auch keine Zukunft: sie schlug es<lb/>
ihm darum ab. Als im Jahr 1845 der Vater starb, hinterließ er einen Sohn,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] Zum hundertjährige» Geburtstag Fritz Reuters Jahren seine schönste Jugend zermalmt. In der „Festungszeit" ist ihm diese Episode zum ergreifenden Kunstwerk geworden und sein tapferes Herz vermag es immer noch, selbst über diese düsteren Tage die Lichter eines wehmütigen Humors spielen zu lassen. Nichtsdestoweniger bricht das große schicksalsschwere Weh doch immer wieder durch. „Wenn draußen die Sonne scheint und die Vögel singen und die Blumen blühen," sagt er an einer Stelle, „wenn alle Welt sich freut und die Herzen lustiger schlagen, dann ist für den Gefangenen die schlimmste Zeit. Seine beste Zeit ist, wenn der Regen gießt und der Sturm¬ wind rast und den Schnee in wilden Wirbeln zusammenjagt. Es sind seitdem viele Jahre vergangen, aber dieses Gefühl ist nur von jener Zeit her noch geblieben. Ich kann stundenlang in so ein wildes Wetter hinaussehen und die Seele wird mir dann so still und ruhig. Mir ist es dann, als wenn das schaurige Wetter draußen meine schlimmen Jahre wären, die nicht mehr an mich heran können und vergebens um mich herumrasen, und die Traurigkeit kommt über mich, daß dieses wilde Wetter grade in meinen Lebensfrühling hereinbrechen mußte." Waren aber die Jahre schwer, so waren die Folgen dieser Jahre wenn möglich noch schwerer. In einer dunklen Käsematte hatte sein Augenlicht Schaden genommen; man braucht nur daran zu denken, daß Reuter sich mit Malerhoffnungen trug, um das Gewicht dieser Tatsache abschätzen zu können. Als dann mit der Amnestie bei der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms des Vierten die Entlassung kam, kam auch die schicksalsschwere Frage: „Was nun?", die ihn zu dem wilden, tragischen Ausbruch am Schluß der Festungstid veranlaßt. Er war dem Leben fremd geworden und er schreibt das bittere Wort, daß auch sein Vater sich gewöhnt hatte, ihn als eine Art von Unglück zu betrachten. Und doch ließ die Entlassung immer noch eine Hoffnung zu, während sich in den darauffolgenden Jahren alles in Hoffnungs¬ losigkeit verlor. Ich weiß nicht, ob Wilbrandt medizinisch recht hat, wenn er Reuters gelegentliche krankhafte Neigung zum Alkohol auf ein körperliches Leiden zurückführt, das er sich in der Festungszeit holte; ich weiß aber, daß der Alkohol, wenn er in dieser Form auftritt, ein dämonisches Verhängnis ist — so bei Reuter, so bei Grabbe, so bei Hartleben, wo auch Schmerz und Ver¬ zweiflung hinter den Kulissen lauerten, wie lustig die Außenseite sich unter Umständen auch ausnehmen mochte. Im Herbst 1840 wurde Reuter nach Heidel¬ berg gesandt, um seine Studien fortzusetzen; aber die kranken Nachwehen von der Festung waren zu stark, oder der Wein war zu gut, und sein Vater mußte ihn wieder zurückrufen. Als dreißigjähriger Mensch mußte er sich nun als Lehrling auf die Landwirtschaft werfen, und immer wieder wurde sein Leben von der Festungskrankheit überschattet, für die die biederen mecklenburgischen Philister vermutlich andere und derbere Bezeichnungen hatten. In diesen Jahren hielt er um Louise Kunze an; er hatte aber keine Gegenwart, und da er lebensunfähig schien, auch keine Zukunft: sie schlug es ihm darum ab. Als im Jahr 1845 der Vater starb, hinterließ er einen Sohn,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/276>, abgerufen am 22.07.2024.