Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Unsere militärische Hochschule großen Umfang ein, sondern mußten auch von allen Offizieren besucht werden. Im Laufe der Jahrzehnte ist hierin aber eine große Änderung eingetreten. So hat die Akademie allmählich den Charakter einer allgemeinen wissen¬ Unsere militärische Hochschule großen Umfang ein, sondern mußten auch von allen Offizieren besucht werden. Im Laufe der Jahrzehnte ist hierin aber eine große Änderung eingetreten. So hat die Akademie allmählich den Charakter einer allgemeinen wissen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317222"/> <fw type="header" place="top"> Unsere militärische Hochschule</fw><lb/> <p xml:id="ID_1178" prev="#ID_1177"> großen Umfang ein, sondern mußten auch von allen Offizieren besucht werden.<lb/> Daneben wurden Physik und Chemie gelehrt; neben der allgemeinen Geschichte<lb/> wurde Literaturgeschichte behandelt, Geographie und Militärgeographie vor¬<lb/> getragen. Auch der Philosophie und Logik war ein verhältnismäßig weiter<lb/> Raum eingeräumt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1179"> Im Laufe der Jahrzehnte ist hierin aber eine große Änderung eingetreten.<lb/> Die meisten dieser Lehrgegenstände sind verschwunden und durch rein militärische<lb/> Fächer ersetzt worden. Nach dem neuesten Lehrplane scheiden auch Geographie,<lb/> Physik und Chemie endgültig aus. Von den Unterrichtsgegenständen formaler<lb/> Bildung sind außer den Sprachen nur noch Mathematik, Geschichte und Staats¬<lb/> recht übrig geblieben. Dabei ist aber die Mathematik nicht obligatorisch für<lb/> alle Offiziere, sondern nur für diejenigen, die sich später der trigonometrischen<lb/> Landesvermessung widmen wollen. Beeinflußt wurde diese Änderung durch die<lb/> Erweiterung, die die Kriegswissenschaften, namentlich unter dem Einfluß unsrer<lb/> in: Frieden so hoch entwickelten Technik, genommen hatten. Die modernen<lb/> Verkehrs- und Nachrichtenmittel mußten eingehend behandelt werden, da ihre<lb/> Kenntnis für jeden höheren Führer von hohem Werte ist; die Beschäftigung<lb/> mit dem Festungskrieg durfte nicht mehr die Domäne einzelner Persönlichkeiten<lb/> bleiben, die sich aus Neigung oder Beruf dem Studium dieses Spezialgebietes<lb/> widmeten, sondern mußte zum Allgemeingut der Armee werden. Mit der<lb/> Entwickelung unsrer Flotte war bei den künftigen kriegerischen Ereignissen ein<lb/> Zusammenwirken von Heer und Marine notwendig, das nur dann gewährleistet<lb/> erschien, wenn auch der Armeeoffizier über die Grundzüge des Seekriegswesens<lb/> unterrichtet war. Alle diese neuen Erscheinungen des modernen Krieges führten<lb/> von selbst zu eiuer Erweiterung des militärischen Lehrstoffes, die sich nur auf<lb/> Kosten der formalen Lehrfächer durchführen ließ, wenn man nicht die Stunden¬<lb/> zahl über Gebühr erhöhen wollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1180" next="#ID_1181"> So hat die Akademie allmählich den Charakter einer allgemeinen wissen¬<lb/> schaftlichen Bildungsanstalt, den sie im Anfange des vorigen Jahrhunderts<lb/> besaß, immer mehr und mehr eingebüßt und ist eine militärische Fachschule<lb/> geworden mit der Tendenz, eine Vorschule für den Generalstab zu sein. Wenn<lb/> neuere Veröffentlichungen dies bestreiten und bestrebt sind, den allgemein wissen¬<lb/> schaftlichen Charakter mehr in den Vordergrund zu stellen und zu betonen, so<lb/> entspricht das nicht ganz den tatsächlichen Verhältnissen. Beurteile man die<lb/> Akademie lediglich vom Standpunkte des Generalstabes aus, dem sie ja auch<lb/> unterstellt ist, so hat die geschilderte Entwickelung gewiß ihre großen Vorzüge.<lb/> Die nach Besuch der Akademie in den Generalstab kommandierten Offiziere haben<lb/> eine sür diesen Zweck außerordentlich gute Vorbildung erhalten, so daß sie sich<lb/> sofort mit Vorteil in den verschiedenen Abteilungen des Generalstabes verwenden<lb/> lassen. Es muß aber zweifelhaft sein, ob damit den Interessen der Armee im<lb/> allgemeinen gedient ist. Von den vielen Offizieren, die die Akademie besuchen,<lb/> kann nur ein verhältnismäßig kleiner Teil in den Generalstab kommen, der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0271]
Unsere militärische Hochschule
großen Umfang ein, sondern mußten auch von allen Offizieren besucht werden.
Daneben wurden Physik und Chemie gelehrt; neben der allgemeinen Geschichte
wurde Literaturgeschichte behandelt, Geographie und Militärgeographie vor¬
getragen. Auch der Philosophie und Logik war ein verhältnismäßig weiter
Raum eingeräumt.
Im Laufe der Jahrzehnte ist hierin aber eine große Änderung eingetreten.
Die meisten dieser Lehrgegenstände sind verschwunden und durch rein militärische
Fächer ersetzt worden. Nach dem neuesten Lehrplane scheiden auch Geographie,
Physik und Chemie endgültig aus. Von den Unterrichtsgegenständen formaler
Bildung sind außer den Sprachen nur noch Mathematik, Geschichte und Staats¬
recht übrig geblieben. Dabei ist aber die Mathematik nicht obligatorisch für
alle Offiziere, sondern nur für diejenigen, die sich später der trigonometrischen
Landesvermessung widmen wollen. Beeinflußt wurde diese Änderung durch die
Erweiterung, die die Kriegswissenschaften, namentlich unter dem Einfluß unsrer
in: Frieden so hoch entwickelten Technik, genommen hatten. Die modernen
Verkehrs- und Nachrichtenmittel mußten eingehend behandelt werden, da ihre
Kenntnis für jeden höheren Führer von hohem Werte ist; die Beschäftigung
mit dem Festungskrieg durfte nicht mehr die Domäne einzelner Persönlichkeiten
bleiben, die sich aus Neigung oder Beruf dem Studium dieses Spezialgebietes
widmeten, sondern mußte zum Allgemeingut der Armee werden. Mit der
Entwickelung unsrer Flotte war bei den künftigen kriegerischen Ereignissen ein
Zusammenwirken von Heer und Marine notwendig, das nur dann gewährleistet
erschien, wenn auch der Armeeoffizier über die Grundzüge des Seekriegswesens
unterrichtet war. Alle diese neuen Erscheinungen des modernen Krieges führten
von selbst zu eiuer Erweiterung des militärischen Lehrstoffes, die sich nur auf
Kosten der formalen Lehrfächer durchführen ließ, wenn man nicht die Stunden¬
zahl über Gebühr erhöhen wollte.
So hat die Akademie allmählich den Charakter einer allgemeinen wissen¬
schaftlichen Bildungsanstalt, den sie im Anfange des vorigen Jahrhunderts
besaß, immer mehr und mehr eingebüßt und ist eine militärische Fachschule
geworden mit der Tendenz, eine Vorschule für den Generalstab zu sein. Wenn
neuere Veröffentlichungen dies bestreiten und bestrebt sind, den allgemein wissen¬
schaftlichen Charakter mehr in den Vordergrund zu stellen und zu betonen, so
entspricht das nicht ganz den tatsächlichen Verhältnissen. Beurteile man die
Akademie lediglich vom Standpunkte des Generalstabes aus, dem sie ja auch
unterstellt ist, so hat die geschilderte Entwickelung gewiß ihre großen Vorzüge.
Die nach Besuch der Akademie in den Generalstab kommandierten Offiziere haben
eine sür diesen Zweck außerordentlich gute Vorbildung erhalten, so daß sie sich
sofort mit Vorteil in den verschiedenen Abteilungen des Generalstabes verwenden
lassen. Es muß aber zweifelhaft sein, ob damit den Interessen der Armee im
allgemeinen gedient ist. Von den vielen Offizieren, die die Akademie besuchen,
kann nur ein verhältnismäßig kleiner Teil in den Generalstab kommen, der
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