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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Mittelschulen

wie es in den höheren Schulen nicht geschehen kann. Neben angewandter
Mathematik und Naturlehre, Geschichte, Geographie und Deutsch gehört eine
Fremdsprache zum eisernen Bestände des obligatorischen Lehrplans. Entsprechend
den höheren Lehraufgaben stellt man natürlich auch an die Fachbildung der
Lehrer erhöhte Anforderungen. Volksschullehrer, die an Mittelschulen unterrichten
wollen, müssen sich einer besonderen Mittelschullehrerprüfung unterziehen.

Die preußische Mittelschule füllt eine Lücke aus und entspricht einem
dringenden Bedürfnisse des Mittelstandes. Dieser Stand hat gar kein Interesse
daran, daß der Lehrplan für die Schule seiner Kinder sich an den Lehrplan
einer höheren Schule anlehnt oder ihn gar nachahmt. Wenn man unter
Berufsbildung die Bildung versteht, die sich zusammensetzt aus der allgemeinen
Bildung desjenigen Niveaus, auf dem der Berufsstand steht, und der Fach¬
bildung, die er zur Ausübung seines Berufs nötig hat, so könnte man die
Mittelschule schon eil:e Berufsschule des deutschen Mittelstandes nennen. Sie werde
Nachwuchs liefern für die bürgerlichen Berufe der selbständigen Handwerksmeister,
der Fabrikwerkmeister, der kleinen Geschäftsleute, der mittleren Beamten in den
Gemeindeverwaltungen oder in größeren industriellen Unternehmungen u. a.
Soweit die Mittelschule in ihrer reinen Form.

Die Platte Falls sind nicht entfernt in dem Umfange verwirklicht
ivorden, wie man berechtigt war zu hoffen. Dabei haben die verschiedensten
Ursachen mitgewirkt. Falk war als "Kulturkampfminister" den Ultramontanen
in der Seele verhaßt. Ultramontcme Stadtverwaltungen gründeten schon deshalb
keine Schulen, die von diesem Manne gefördert wurden. Sie behielten lieber
ihre alten Lateinschulen mit ihren geistlichen Rektoren und ließen unter Nicht¬
achtung der neuzeitlichen Forderungen die Knaben aus dem Kleinbürgerstande
weiter ihre lateinischen Deklinationen lernen, damit sie mit der "Bildung des
Quartaners" in das Berufsleben eines ehrsamen Handwerkers oder Bauern
eintreten können. Weitere Gegner aber erstanden der Mittelschule aus den
Reihen der Volksschullehrer, die ihre eigene Berufsarbeit durch die Mittelschule
degradiert wähnten. Diese Gegnerschaft aus reinen Standesinteressen besteht
noch heute in alter Heftigkeit. Als ausschlaggebende Ursache ist endlich der
Mangel an "Berechtigungen" anzusprechen, an dem die Mittelschule leidet. Die
Berechtigungen entscheiden nun einmal über das Schicksal einer deutschen Schule.
Keine deutsche Schule, die über das Ziel der Volksschule hinausgeht, kann ohne
"Berechtigungen" bestehen. Der Vater, dessen Entschlüsse über den Bildungs¬
gang seines Sohnes nicht durch Familientraditionen beeinflußt werden, ist mit
Recht Nützlichkeitsmensch. Als solcher fragt er nicht: Wo lernt dein Sohn das
für seinen Beruf Nützlichste? Er kann das ja in den meisten Fällen gar nicht
beurteilen. Deshalb fragt er in erster Linie: Welche "Berechtigung" hat dein
Sohn am Schlüsse des sechsten oder neunten Schuljahres? Die Antwort auf
diese Frage ist für ihn maßgebend, sie entscheidet also auch über den Besuch
und damit über die Existenz der Schulen. Sie hat die höheren Schulen über-


Mittelschulen

wie es in den höheren Schulen nicht geschehen kann. Neben angewandter
Mathematik und Naturlehre, Geschichte, Geographie und Deutsch gehört eine
Fremdsprache zum eisernen Bestände des obligatorischen Lehrplans. Entsprechend
den höheren Lehraufgaben stellt man natürlich auch an die Fachbildung der
Lehrer erhöhte Anforderungen. Volksschullehrer, die an Mittelschulen unterrichten
wollen, müssen sich einer besonderen Mittelschullehrerprüfung unterziehen.

Die preußische Mittelschule füllt eine Lücke aus und entspricht einem
dringenden Bedürfnisse des Mittelstandes. Dieser Stand hat gar kein Interesse
daran, daß der Lehrplan für die Schule seiner Kinder sich an den Lehrplan
einer höheren Schule anlehnt oder ihn gar nachahmt. Wenn man unter
Berufsbildung die Bildung versteht, die sich zusammensetzt aus der allgemeinen
Bildung desjenigen Niveaus, auf dem der Berufsstand steht, und der Fach¬
bildung, die er zur Ausübung seines Berufs nötig hat, so könnte man die
Mittelschule schon eil:e Berufsschule des deutschen Mittelstandes nennen. Sie werde
Nachwuchs liefern für die bürgerlichen Berufe der selbständigen Handwerksmeister,
der Fabrikwerkmeister, der kleinen Geschäftsleute, der mittleren Beamten in den
Gemeindeverwaltungen oder in größeren industriellen Unternehmungen u. a.
Soweit die Mittelschule in ihrer reinen Form.

Die Platte Falls sind nicht entfernt in dem Umfange verwirklicht
ivorden, wie man berechtigt war zu hoffen. Dabei haben die verschiedensten
Ursachen mitgewirkt. Falk war als „Kulturkampfminister" den Ultramontanen
in der Seele verhaßt. Ultramontcme Stadtverwaltungen gründeten schon deshalb
keine Schulen, die von diesem Manne gefördert wurden. Sie behielten lieber
ihre alten Lateinschulen mit ihren geistlichen Rektoren und ließen unter Nicht¬
achtung der neuzeitlichen Forderungen die Knaben aus dem Kleinbürgerstande
weiter ihre lateinischen Deklinationen lernen, damit sie mit der „Bildung des
Quartaners" in das Berufsleben eines ehrsamen Handwerkers oder Bauern
eintreten können. Weitere Gegner aber erstanden der Mittelschule aus den
Reihen der Volksschullehrer, die ihre eigene Berufsarbeit durch die Mittelschule
degradiert wähnten. Diese Gegnerschaft aus reinen Standesinteressen besteht
noch heute in alter Heftigkeit. Als ausschlaggebende Ursache ist endlich der
Mangel an „Berechtigungen" anzusprechen, an dem die Mittelschule leidet. Die
Berechtigungen entscheiden nun einmal über das Schicksal einer deutschen Schule.
Keine deutsche Schule, die über das Ziel der Volksschule hinausgeht, kann ohne
»Berechtigungen" bestehen. Der Vater, dessen Entschlüsse über den Bildungs¬
gang seines Sohnes nicht durch Familientraditionen beeinflußt werden, ist mit
Recht Nützlichkeitsmensch. Als solcher fragt er nicht: Wo lernt dein Sohn das
für seinen Beruf Nützlichste? Er kann das ja in den meisten Fällen gar nicht
beurteilen. Deshalb fragt er in erster Linie: Welche „Berechtigung" hat dein
Sohn am Schlüsse des sechsten oder neunten Schuljahres? Die Antwort auf
diese Frage ist für ihn maßgebend, sie entscheidet also auch über den Besuch
und damit über die Existenz der Schulen. Sie hat die höheren Schulen über-


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[0207] Mittelschulen wie es in den höheren Schulen nicht geschehen kann. Neben angewandter Mathematik und Naturlehre, Geschichte, Geographie und Deutsch gehört eine Fremdsprache zum eisernen Bestände des obligatorischen Lehrplans. Entsprechend den höheren Lehraufgaben stellt man natürlich auch an die Fachbildung der Lehrer erhöhte Anforderungen. Volksschullehrer, die an Mittelschulen unterrichten wollen, müssen sich einer besonderen Mittelschullehrerprüfung unterziehen. Die preußische Mittelschule füllt eine Lücke aus und entspricht einem dringenden Bedürfnisse des Mittelstandes. Dieser Stand hat gar kein Interesse daran, daß der Lehrplan für die Schule seiner Kinder sich an den Lehrplan einer höheren Schule anlehnt oder ihn gar nachahmt. Wenn man unter Berufsbildung die Bildung versteht, die sich zusammensetzt aus der allgemeinen Bildung desjenigen Niveaus, auf dem der Berufsstand steht, und der Fach¬ bildung, die er zur Ausübung seines Berufs nötig hat, so könnte man die Mittelschule schon eil:e Berufsschule des deutschen Mittelstandes nennen. Sie werde Nachwuchs liefern für die bürgerlichen Berufe der selbständigen Handwerksmeister, der Fabrikwerkmeister, der kleinen Geschäftsleute, der mittleren Beamten in den Gemeindeverwaltungen oder in größeren industriellen Unternehmungen u. a. Soweit die Mittelschule in ihrer reinen Form. Die Platte Falls sind nicht entfernt in dem Umfange verwirklicht ivorden, wie man berechtigt war zu hoffen. Dabei haben die verschiedensten Ursachen mitgewirkt. Falk war als „Kulturkampfminister" den Ultramontanen in der Seele verhaßt. Ultramontcme Stadtverwaltungen gründeten schon deshalb keine Schulen, die von diesem Manne gefördert wurden. Sie behielten lieber ihre alten Lateinschulen mit ihren geistlichen Rektoren und ließen unter Nicht¬ achtung der neuzeitlichen Forderungen die Knaben aus dem Kleinbürgerstande weiter ihre lateinischen Deklinationen lernen, damit sie mit der „Bildung des Quartaners" in das Berufsleben eines ehrsamen Handwerkers oder Bauern eintreten können. Weitere Gegner aber erstanden der Mittelschule aus den Reihen der Volksschullehrer, die ihre eigene Berufsarbeit durch die Mittelschule degradiert wähnten. Diese Gegnerschaft aus reinen Standesinteressen besteht noch heute in alter Heftigkeit. Als ausschlaggebende Ursache ist endlich der Mangel an „Berechtigungen" anzusprechen, an dem die Mittelschule leidet. Die Berechtigungen entscheiden nun einmal über das Schicksal einer deutschen Schule. Keine deutsche Schule, die über das Ziel der Volksschule hinausgeht, kann ohne »Berechtigungen" bestehen. Der Vater, dessen Entschlüsse über den Bildungs¬ gang seines Sohnes nicht durch Familientraditionen beeinflußt werden, ist mit Recht Nützlichkeitsmensch. Als solcher fragt er nicht: Wo lernt dein Sohn das für seinen Beruf Nützlichste? Er kann das ja in den meisten Fällen gar nicht beurteilen. Deshalb fragt er in erster Linie: Welche „Berechtigung" hat dein Sohn am Schlüsse des sechsten oder neunten Schuljahres? Die Antwort auf diese Frage ist für ihn maßgebend, sie entscheidet also auch über den Besuch und damit über die Existenz der Schulen. Sie hat die höheren Schulen über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/207>, abgerufen am 22.07.2024.