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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flecken

"Das versteht sich von selbst," setzte der Postmeister hinzu,

"Nun gut,"

Wolski setzte sich. Er hatte diesmal so glänzende Karten, und das Spiel
verlief so glatt und glücklich, daß er mit seinem Partner Schlemm machte. Als
sich nun noch gar herausstellte, daß die Gegenkompagnie den Robber verspielt
hatte, begann es ihm leidzutun, daß er nicht bleiben sollte. Dennoch machte er
Anstalten zum Gehen. Da erschien aber die junge, hübsche Frau des Gefängnis¬
aufsehers, für welche der Polizeiaufseher eine kleine Schwäche zu fühlen glaubte
und gab ihre Einwilligung nicht.

"Kein Wort davon!" sagte sie. "Sie wissen, wo Sie sind. Hier ist das
Gefängnis. Wer hier drin ist, darf nicht ohne Erlaubnis hinaus."

"Ich kann bei Gott nicht," beteuerte Wolski. "Der Dienst verlangt nach mir."

"Ihre Rede ist ganz umsonst, Wladimir Jwanowitsch. Solange Sie im
Gefängnisse sind, hat der Dienst keinen Anspruch an Sie. Setzen Sie sich. Ich
habe vor dem Tee eine halbe Stunde Zeit. Ich werde neben Ihnen sitzen und
Whist spielen lernen."

"Wenn sie neben Ihnen sitzen will, dann gehen Sie lieber," sprach mit
komischem Ernst der Gefängnisaufseher. "Sonst könnte es gefährlich werden. Ich
bin eifersüchtig wie ein Türke."

"Da ist dann nichts zu machen," seufzte Wolski. "Unter solchen Umständen
muß ich schon bleiben. Dem Barbaren von Manne darf ich den Gefallen nicht tun."

"Bravo!" riefen die anderen. "Das ist vernünftig."

"Es scheint wirklich manchmal, als ob aus ihm noch etwas Brauchbares
werden könnte," fügte der Arzt schmunzelnd hinzu.

Das Spiel wurde fortgesetzt. Etwa eine halbe Stunde verging. Die junge
Frau saß neben Wolski und hatte sich mehrmals die Unzufriedenheit des Mannes
und der beiden alten Herren durch ihr Schwatzen zugezogen. Da trat die Magd
zum zweitenmal ein.

"Herr Polizeiaufseher, da ist wieder..."

Das junge Kaufmannssöhnchen schob sich an ihr vorüber.

"Wladimir Jwanowitsch, schnell, schnell! Ein Unglück ist passiert, ein Ver¬
brechen."

"Was für ein Unglück? Was für ein Verbrechen?"

"Ein Mord. Kommen Sie schnell."

Die Kartenspieler erhoben sich.

"Dann muß ich wohl auch mit," meinte der Arzt. "Ich muß die Be¬
sichtigung des Ermordeten..."

"Nein, das heißt, der Mord ist noch nicht verübt. Er wird beabsichtigt
Kommen Sie schnell, Wladimir Jwanowitsch."

Er zog den Polizeiaufseher zur Tür. Er ließ dem Aufseher kaum die Zeit,
den Zurückbleibenden die Hand zu reichen, und hielt ihn fest am Ärmel, bis er
ihn zur Tür hinaus hatte.

Die drei Spieler sahen einander an.

"Ich fange an zu glauben, daß das ein Betrug war," meinte der Arzt.

"So? Fangen Sie an?" lächelte der Postmeister.


Im Flecken

„Das versteht sich von selbst," setzte der Postmeister hinzu,

„Nun gut,"

Wolski setzte sich. Er hatte diesmal so glänzende Karten, und das Spiel
verlief so glatt und glücklich, daß er mit seinem Partner Schlemm machte. Als
sich nun noch gar herausstellte, daß die Gegenkompagnie den Robber verspielt
hatte, begann es ihm leidzutun, daß er nicht bleiben sollte. Dennoch machte er
Anstalten zum Gehen. Da erschien aber die junge, hübsche Frau des Gefängnis¬
aufsehers, für welche der Polizeiaufseher eine kleine Schwäche zu fühlen glaubte
und gab ihre Einwilligung nicht.

„Kein Wort davon!" sagte sie. „Sie wissen, wo Sie sind. Hier ist das
Gefängnis. Wer hier drin ist, darf nicht ohne Erlaubnis hinaus."

„Ich kann bei Gott nicht," beteuerte Wolski. „Der Dienst verlangt nach mir."

„Ihre Rede ist ganz umsonst, Wladimir Jwanowitsch. Solange Sie im
Gefängnisse sind, hat der Dienst keinen Anspruch an Sie. Setzen Sie sich. Ich
habe vor dem Tee eine halbe Stunde Zeit. Ich werde neben Ihnen sitzen und
Whist spielen lernen."

„Wenn sie neben Ihnen sitzen will, dann gehen Sie lieber," sprach mit
komischem Ernst der Gefängnisaufseher. „Sonst könnte es gefährlich werden. Ich
bin eifersüchtig wie ein Türke."

„Da ist dann nichts zu machen," seufzte Wolski. „Unter solchen Umständen
muß ich schon bleiben. Dem Barbaren von Manne darf ich den Gefallen nicht tun."

„Bravo!" riefen die anderen. „Das ist vernünftig."

„Es scheint wirklich manchmal, als ob aus ihm noch etwas Brauchbares
werden könnte," fügte der Arzt schmunzelnd hinzu.

Das Spiel wurde fortgesetzt. Etwa eine halbe Stunde verging. Die junge
Frau saß neben Wolski und hatte sich mehrmals die Unzufriedenheit des Mannes
und der beiden alten Herren durch ihr Schwatzen zugezogen. Da trat die Magd
zum zweitenmal ein.

„Herr Polizeiaufseher, da ist wieder..."

Das junge Kaufmannssöhnchen schob sich an ihr vorüber.

„Wladimir Jwanowitsch, schnell, schnell! Ein Unglück ist passiert, ein Ver¬
brechen."

„Was für ein Unglück? Was für ein Verbrechen?"

„Ein Mord. Kommen Sie schnell."

Die Kartenspieler erhoben sich.

„Dann muß ich wohl auch mit," meinte der Arzt. „Ich muß die Be¬
sichtigung des Ermordeten..."

„Nein, das heißt, der Mord ist noch nicht verübt. Er wird beabsichtigt
Kommen Sie schnell, Wladimir Jwanowitsch."

Er zog den Polizeiaufseher zur Tür. Er ließ dem Aufseher kaum die Zeit,
den Zurückbleibenden die Hand zu reichen, und hielt ihn fest am Ärmel, bis er
ihn zur Tür hinaus hatte.

Die drei Spieler sahen einander an.

„Ich fange an zu glauben, daß das ein Betrug war," meinte der Arzt.

„So? Fangen Sie an?" lächelte der Postmeister.


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[0186] Im Flecken „Das versteht sich von selbst," setzte der Postmeister hinzu, „Nun gut," Wolski setzte sich. Er hatte diesmal so glänzende Karten, und das Spiel verlief so glatt und glücklich, daß er mit seinem Partner Schlemm machte. Als sich nun noch gar herausstellte, daß die Gegenkompagnie den Robber verspielt hatte, begann es ihm leidzutun, daß er nicht bleiben sollte. Dennoch machte er Anstalten zum Gehen. Da erschien aber die junge, hübsche Frau des Gefängnis¬ aufsehers, für welche der Polizeiaufseher eine kleine Schwäche zu fühlen glaubte und gab ihre Einwilligung nicht. „Kein Wort davon!" sagte sie. „Sie wissen, wo Sie sind. Hier ist das Gefängnis. Wer hier drin ist, darf nicht ohne Erlaubnis hinaus." „Ich kann bei Gott nicht," beteuerte Wolski. „Der Dienst verlangt nach mir." „Ihre Rede ist ganz umsonst, Wladimir Jwanowitsch. Solange Sie im Gefängnisse sind, hat der Dienst keinen Anspruch an Sie. Setzen Sie sich. Ich habe vor dem Tee eine halbe Stunde Zeit. Ich werde neben Ihnen sitzen und Whist spielen lernen." „Wenn sie neben Ihnen sitzen will, dann gehen Sie lieber," sprach mit komischem Ernst der Gefängnisaufseher. „Sonst könnte es gefährlich werden. Ich bin eifersüchtig wie ein Türke." „Da ist dann nichts zu machen," seufzte Wolski. „Unter solchen Umständen muß ich schon bleiben. Dem Barbaren von Manne darf ich den Gefallen nicht tun." „Bravo!" riefen die anderen. „Das ist vernünftig." „Es scheint wirklich manchmal, als ob aus ihm noch etwas Brauchbares werden könnte," fügte der Arzt schmunzelnd hinzu. Das Spiel wurde fortgesetzt. Etwa eine halbe Stunde verging. Die junge Frau saß neben Wolski und hatte sich mehrmals die Unzufriedenheit des Mannes und der beiden alten Herren durch ihr Schwatzen zugezogen. Da trat die Magd zum zweitenmal ein. „Herr Polizeiaufseher, da ist wieder..." Das junge Kaufmannssöhnchen schob sich an ihr vorüber. „Wladimir Jwanowitsch, schnell, schnell! Ein Unglück ist passiert, ein Ver¬ brechen." „Was für ein Unglück? Was für ein Verbrechen?" „Ein Mord. Kommen Sie schnell." Die Kartenspieler erhoben sich. „Dann muß ich wohl auch mit," meinte der Arzt. „Ich muß die Be¬ sichtigung des Ermordeten..." „Nein, das heißt, der Mord ist noch nicht verübt. Er wird beabsichtigt Kommen Sie schnell, Wladimir Jwanowitsch." Er zog den Polizeiaufseher zur Tür. Er ließ dem Aufseher kaum die Zeit, den Zurückbleibenden die Hand zu reichen, und hielt ihn fest am Ärmel, bis er ihn zur Tür hinaus hatte. Die drei Spieler sahen einander an. „Ich fange an zu glauben, daß das ein Betrug war," meinte der Arzt. „So? Fangen Sie an?" lächelte der Postmeister.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/186>, abgerufen am 22.07.2024.