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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Faust" in Frankreich

Franzosen, die sich doch im allgemeinen ivenig oder gar nicht um ausländische
Geisteserzeugnisse kümmern, -- wogegen die Teutschen alles aufschnappen und
übersetzen, was von dem Tische der französischen Literatur abfällt, -- die
Franzosen haben sich weit mehr Mühe mit dem deutscheu Meisterwerk gegeben
als die Deutschen mit den Meistermerken der französischen Bühne.

Der erste französische "Faust" wurde schon im Jahre 1827 im Theater
der Nouveautss gegeben; er hatte drei Akte, war die Kompaniearbeit zweier
Schriftsteller, und der Komponist Böaucourt hatte eine Musik dazu geschrieben.
Mit Goethes "Faust" hatte die Sache nur entfernte Ähnlichkeit, obgleich sie
offenbar durch ihn veranlaßt war. Man sah darin einen verliebten Faust, der
den Teufel zitierte, um von ihm das zur Verbindung mit der Geliebten nötige
Geld zu erhalten. Schon im nächsten Jahre wurde ein neuer "Faust" gegeben,
wiederum von zwei Autoren und wiederum in drei Akten. Diesmal hätte
Boieldieu die begleitende Musik besorgen sollen; da er sich aber weigerte, wurde
die Sache als reich ausgestattete Feerie ohne Musik gegeben. Der berühmte
Schauspieler Fredörick Lemaitre gab den Mephistopheles. der in diesem wie in
den meisten anderen französischen Bühnenbearbeitungen des "Faust" die Haupt¬
rolle war, und der auch bei dem "Faust", womit Sarah Bernhardt und Edmond
Rostand uns beglücken wollen, so weit in den Vordergrund tritt, daß die Gött¬
liche nicht die Titelrolle, sondern den Mephistopheles geben will. Während der
"Globe" und die Bewunderer Goethes diese Adaptationen als wahre Sakrilege
verdammten, fand das Publikum großen Gefallen an dem "Faust" der Porte
Se. Martin wie in: Jahre vorher an dem "Faust" der Nouveautös, und beide
Stücke brachten ihren Verfertiger: und den Direktoren große Einnahmen, Ein
drittes Stück, dessen Verfasser logisch genug gewesen war, auch den Titel
Mephistopheles" zu wählen, wurde von der Zensur verboten und konnte erst
uach dein Sturze Karls des Zehnten aufgeführt werden.

In den Jahren 1830 und 1831 wurden zwei Faustopern in Paris gegeben,
die eine von Spohr, die andere von Fräulein Bertin, und in der letzteren trat
die Malibran als Gretchen auf. Gretchen und Mephistopheles, das sind ohne
Zweifel die Hauptpersonen des Dramas für das französische Publikum, das in
den dreißiger Jahren ohne Ermüdung immer wieder neue Bühnen-Fauste, immer
neue bildliche Darstellungen mit den nämlichen Charakteren über sich ergehen
Ueß. In jeder Pariser Kunstausstellung jener Zeit gab es ein Dutzend Gretchen
und ebenso viele Mephistopheles. Was in unsern Tagen Jeanne d'Arc und
die trauernde Elsässerin für die französische Plastik und Malerei ist. das waren
damals Gretchen und Mephistopheles. Faust selbst wurde darüber etwas in
den Hintergrund gedrängt, und man kann sagen, daß weder damals noch
später das eigentliche Publikum -- und selbstverständlich denken wir nur an
das sogenannte gebildete Publikum -- auch uur eine Ahnung von dem erhalten
hat, was der Goethesche Faust eigentlich ist und bedeutet. Denn aus dem
erfolgreichsten französischen Faustwerke, aus Gounods Oper, erfährt man das


Faust" in Frankreich

Franzosen, die sich doch im allgemeinen ivenig oder gar nicht um ausländische
Geisteserzeugnisse kümmern, — wogegen die Teutschen alles aufschnappen und
übersetzen, was von dem Tische der französischen Literatur abfällt, — die
Franzosen haben sich weit mehr Mühe mit dem deutscheu Meisterwerk gegeben
als die Deutschen mit den Meistermerken der französischen Bühne.

Der erste französische „Faust" wurde schon im Jahre 1827 im Theater
der Nouveautss gegeben; er hatte drei Akte, war die Kompaniearbeit zweier
Schriftsteller, und der Komponist Böaucourt hatte eine Musik dazu geschrieben.
Mit Goethes „Faust" hatte die Sache nur entfernte Ähnlichkeit, obgleich sie
offenbar durch ihn veranlaßt war. Man sah darin einen verliebten Faust, der
den Teufel zitierte, um von ihm das zur Verbindung mit der Geliebten nötige
Geld zu erhalten. Schon im nächsten Jahre wurde ein neuer „Faust" gegeben,
wiederum von zwei Autoren und wiederum in drei Akten. Diesmal hätte
Boieldieu die begleitende Musik besorgen sollen; da er sich aber weigerte, wurde
die Sache als reich ausgestattete Feerie ohne Musik gegeben. Der berühmte
Schauspieler Fredörick Lemaitre gab den Mephistopheles. der in diesem wie in
den meisten anderen französischen Bühnenbearbeitungen des „Faust" die Haupt¬
rolle war, und der auch bei dem „Faust", womit Sarah Bernhardt und Edmond
Rostand uns beglücken wollen, so weit in den Vordergrund tritt, daß die Gött¬
liche nicht die Titelrolle, sondern den Mephistopheles geben will. Während der
„Globe" und die Bewunderer Goethes diese Adaptationen als wahre Sakrilege
verdammten, fand das Publikum großen Gefallen an dem „Faust" der Porte
Se. Martin wie in: Jahre vorher an dem „Faust" der Nouveautös, und beide
Stücke brachten ihren Verfertiger: und den Direktoren große Einnahmen, Ein
drittes Stück, dessen Verfasser logisch genug gewesen war, auch den Titel
Mephistopheles" zu wählen, wurde von der Zensur verboten und konnte erst
uach dein Sturze Karls des Zehnten aufgeführt werden.

In den Jahren 1830 und 1831 wurden zwei Faustopern in Paris gegeben,
die eine von Spohr, die andere von Fräulein Bertin, und in der letzteren trat
die Malibran als Gretchen auf. Gretchen und Mephistopheles, das sind ohne
Zweifel die Hauptpersonen des Dramas für das französische Publikum, das in
den dreißiger Jahren ohne Ermüdung immer wieder neue Bühnen-Fauste, immer
neue bildliche Darstellungen mit den nämlichen Charakteren über sich ergehen
Ueß. In jeder Pariser Kunstausstellung jener Zeit gab es ein Dutzend Gretchen
und ebenso viele Mephistopheles. Was in unsern Tagen Jeanne d'Arc und
die trauernde Elsässerin für die französische Plastik und Malerei ist. das waren
damals Gretchen und Mephistopheles. Faust selbst wurde darüber etwas in
den Hintergrund gedrängt, und man kann sagen, daß weder damals noch
später das eigentliche Publikum — und selbstverständlich denken wir nur an
das sogenannte gebildete Publikum — auch uur eine Ahnung von dem erhalten
hat, was der Goethesche Faust eigentlich ist und bedeutet. Denn aus dem
erfolgreichsten französischen Faustwerke, aus Gounods Oper, erfährt man das


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[0087] Faust" in Frankreich Franzosen, die sich doch im allgemeinen ivenig oder gar nicht um ausländische Geisteserzeugnisse kümmern, — wogegen die Teutschen alles aufschnappen und übersetzen, was von dem Tische der französischen Literatur abfällt, — die Franzosen haben sich weit mehr Mühe mit dem deutscheu Meisterwerk gegeben als die Deutschen mit den Meistermerken der französischen Bühne. Der erste französische „Faust" wurde schon im Jahre 1827 im Theater der Nouveautss gegeben; er hatte drei Akte, war die Kompaniearbeit zweier Schriftsteller, und der Komponist Böaucourt hatte eine Musik dazu geschrieben. Mit Goethes „Faust" hatte die Sache nur entfernte Ähnlichkeit, obgleich sie offenbar durch ihn veranlaßt war. Man sah darin einen verliebten Faust, der den Teufel zitierte, um von ihm das zur Verbindung mit der Geliebten nötige Geld zu erhalten. Schon im nächsten Jahre wurde ein neuer „Faust" gegeben, wiederum von zwei Autoren und wiederum in drei Akten. Diesmal hätte Boieldieu die begleitende Musik besorgen sollen; da er sich aber weigerte, wurde die Sache als reich ausgestattete Feerie ohne Musik gegeben. Der berühmte Schauspieler Fredörick Lemaitre gab den Mephistopheles. der in diesem wie in den meisten anderen französischen Bühnenbearbeitungen des „Faust" die Haupt¬ rolle war, und der auch bei dem „Faust", womit Sarah Bernhardt und Edmond Rostand uns beglücken wollen, so weit in den Vordergrund tritt, daß die Gött¬ liche nicht die Titelrolle, sondern den Mephistopheles geben will. Während der „Globe" und die Bewunderer Goethes diese Adaptationen als wahre Sakrilege verdammten, fand das Publikum großen Gefallen an dem „Faust" der Porte Se. Martin wie in: Jahre vorher an dem „Faust" der Nouveautös, und beide Stücke brachten ihren Verfertiger: und den Direktoren große Einnahmen, Ein drittes Stück, dessen Verfasser logisch genug gewesen war, auch den Titel Mephistopheles" zu wählen, wurde von der Zensur verboten und konnte erst uach dein Sturze Karls des Zehnten aufgeführt werden. In den Jahren 1830 und 1831 wurden zwei Faustopern in Paris gegeben, die eine von Spohr, die andere von Fräulein Bertin, und in der letzteren trat die Malibran als Gretchen auf. Gretchen und Mephistopheles, das sind ohne Zweifel die Hauptpersonen des Dramas für das französische Publikum, das in den dreißiger Jahren ohne Ermüdung immer wieder neue Bühnen-Fauste, immer neue bildliche Darstellungen mit den nämlichen Charakteren über sich ergehen Ueß. In jeder Pariser Kunstausstellung jener Zeit gab es ein Dutzend Gretchen und ebenso viele Mephistopheles. Was in unsern Tagen Jeanne d'Arc und die trauernde Elsässerin für die französische Plastik und Malerei ist. das waren damals Gretchen und Mephistopheles. Faust selbst wurde darüber etwas in den Hintergrund gedrängt, und man kann sagen, daß weder damals noch später das eigentliche Publikum — und selbstverständlich denken wir nur an das sogenannte gebildete Publikum — auch uur eine Ahnung von dem erhalten hat, was der Goethesche Faust eigentlich ist und bedeutet. Denn aus dem erfolgreichsten französischen Faustwerke, aus Gounods Oper, erfährt man das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/87>, abgerufen am 25.08.2024.