Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Königin Luise

Voll Heller Sonne und dunkelster Schatten liegt ihr Leben vor uns. Von
Gläubigen als Leidensweg gedeutet, an dessen Ziel die himmlische Palme dem
Kämpfer winkt; für freier Denkende ein Menschenleben, das seinen Lohn in sich
und seinen Taten trägt.

Die Königin hat ihres Wirkens Spur mit den Worten überschaut: "Wenn
gleich die Nachwelt meinen Namen nicht unter den Namen der berühmten
Frauen nennen wird, so wird sie doch sagen: >sie duldete viel und harrte aus
im Dulden!'"

Und wirklich! Die kleine mecklenburgische Prinzessin hat des Lebens Ernst
früh erfahren: an der knospenden Rose schon zauste der Wind. Mutter und
Stiefmutter starben ihr, als sie noch jung war. Da brachte der Vater, Prinz
Karl von Mecklenburg-Strelitz, sie nach Darmstadt zur Prinzessin Georg.
Hier, bei der "Großmämme", verlebte Luise die Jahre 1786 bis 1793. Über
dieser Zeit liegt der Hauch einer tiefen Religiosität, frischer Fröhlichkeit
und warmer Liebe. Von der Erinnerung an die sonnige Kindheit sollte sie noch
zehren, als längst unter grauen Wolken und eisigen Nordstürmen das Leben die
inzwischen gekrönte Fran besonders hart anfaßte.

Große Gelehrsamkeit hat die Prinzessin bei ihrem Darmstädter Lehrer, dem
Pfarrer Lichthammer, weder gesucht noch erworben; sie hat ihr ganzes Leben
klaffende Lücken in ihrer Bildung bekannt und als Mangel beklagt. Sie hieß
in der Familie der Großmutter nicht umsonst "Jungfer Husch", war ein toller,
übermütiger Wildfang und kein Musterkind. Ihre Schreibhefte verraten ihre
Veranlagung: Flüchtigkeit, Gekritzel neben Äußerungen eines herzigen Gemütes.
Mit der Rechtschreibung stand sie all ihr Lebtag auf dem Kriegsfuß.

Das beweisen u. a. die Briefe an ihren Bräutigam, den Kronprinzen
Friedrich Wilhelm von Preußen. Die hübsche siebzehnjährige Prinzessin hatte
1793 in der alten Reichsstadt Frankfurt a. M. den Preußenkönig und seinen
Sohn bezaubert. Friedrich Wilhelm der Dritte nannte sie einen "Engel";
auch Goethe, der sie im Lager zu Bodenheim sah, verglich sie mit einer "himmlischen
Erscheinung". Die Fahrt zur Hochzeit nach Berlin ward zum Siegeszug
ihrer Schönheit und Güte. Die Herzensgemeinschaft zwischen ihr und dem
Kronprinzen ist psychologisch unendlich reizvoll. Keine himmelstürmende Leiden¬
schaft verband beider Herzen. Aber ihr Ahnen des füreinander Bestimmtseins
war auch kein versliegender Rausch. Es erfüllte sich, als das Leben von der
Liebe und Treue des ungleichen Paares Proben verlangte. Ihre Lebenslust,
Fröhlichkeit und süddeutsche Warmherzigkeit sollte sich fügen in die seltsame
Schrullenhastigkeit des Gatten. Der plagte sie mit seinen Launen, "numeui'8",
war pedantisch, starrsinnig, unentschlossen. Aber er war doch im Grunde ein
echter, wahrer Mensch und ihr in seiner Art von Herzen zugetan.

Viel Tränen der Entsagung rannen über der Kronprinzessin und Königin
Gesicht, aber sie ging ihren Weg und lebte in unbedingter Hingabe und Unter¬
ordnung unter den Gatten ein Leben der Pflicht.


Königin Luise

Voll Heller Sonne und dunkelster Schatten liegt ihr Leben vor uns. Von
Gläubigen als Leidensweg gedeutet, an dessen Ziel die himmlische Palme dem
Kämpfer winkt; für freier Denkende ein Menschenleben, das seinen Lohn in sich
und seinen Taten trägt.

Die Königin hat ihres Wirkens Spur mit den Worten überschaut: „Wenn
gleich die Nachwelt meinen Namen nicht unter den Namen der berühmten
Frauen nennen wird, so wird sie doch sagen: >sie duldete viel und harrte aus
im Dulden!'"

Und wirklich! Die kleine mecklenburgische Prinzessin hat des Lebens Ernst
früh erfahren: an der knospenden Rose schon zauste der Wind. Mutter und
Stiefmutter starben ihr, als sie noch jung war. Da brachte der Vater, Prinz
Karl von Mecklenburg-Strelitz, sie nach Darmstadt zur Prinzessin Georg.
Hier, bei der „Großmämme", verlebte Luise die Jahre 1786 bis 1793. Über
dieser Zeit liegt der Hauch einer tiefen Religiosität, frischer Fröhlichkeit
und warmer Liebe. Von der Erinnerung an die sonnige Kindheit sollte sie noch
zehren, als längst unter grauen Wolken und eisigen Nordstürmen das Leben die
inzwischen gekrönte Fran besonders hart anfaßte.

Große Gelehrsamkeit hat die Prinzessin bei ihrem Darmstädter Lehrer, dem
Pfarrer Lichthammer, weder gesucht noch erworben; sie hat ihr ganzes Leben
klaffende Lücken in ihrer Bildung bekannt und als Mangel beklagt. Sie hieß
in der Familie der Großmutter nicht umsonst „Jungfer Husch", war ein toller,
übermütiger Wildfang und kein Musterkind. Ihre Schreibhefte verraten ihre
Veranlagung: Flüchtigkeit, Gekritzel neben Äußerungen eines herzigen Gemütes.
Mit der Rechtschreibung stand sie all ihr Lebtag auf dem Kriegsfuß.

Das beweisen u. a. die Briefe an ihren Bräutigam, den Kronprinzen
Friedrich Wilhelm von Preußen. Die hübsche siebzehnjährige Prinzessin hatte
1793 in der alten Reichsstadt Frankfurt a. M. den Preußenkönig und seinen
Sohn bezaubert. Friedrich Wilhelm der Dritte nannte sie einen „Engel";
auch Goethe, der sie im Lager zu Bodenheim sah, verglich sie mit einer „himmlischen
Erscheinung". Die Fahrt zur Hochzeit nach Berlin ward zum Siegeszug
ihrer Schönheit und Güte. Die Herzensgemeinschaft zwischen ihr und dem
Kronprinzen ist psychologisch unendlich reizvoll. Keine himmelstürmende Leiden¬
schaft verband beider Herzen. Aber ihr Ahnen des füreinander Bestimmtseins
war auch kein versliegender Rausch. Es erfüllte sich, als das Leben von der
Liebe und Treue des ungleichen Paares Proben verlangte. Ihre Lebenslust,
Fröhlichkeit und süddeutsche Warmherzigkeit sollte sich fügen in die seltsame
Schrullenhastigkeit des Gatten. Der plagte sie mit seinen Launen, „numeui'8",
war pedantisch, starrsinnig, unentschlossen. Aber er war doch im Grunde ein
echter, wahrer Mensch und ihr in seiner Art von Herzen zugetan.

Viel Tränen der Entsagung rannen über der Kronprinzessin und Königin
Gesicht, aber sie ging ihren Weg und lebte in unbedingter Hingabe und Unter¬
ordnung unter den Gatten ein Leben der Pflicht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316367"/>
          <fw type="header" place="top"> Königin Luise</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_242"> Voll Heller Sonne und dunkelster Schatten liegt ihr Leben vor uns. Von<lb/>
Gläubigen als Leidensweg gedeutet, an dessen Ziel die himmlische Palme dem<lb/>
Kämpfer winkt; für freier Denkende ein Menschenleben, das seinen Lohn in sich<lb/>
und seinen Taten trägt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_243"> Die Königin hat ihres Wirkens Spur mit den Worten überschaut: &#x201E;Wenn<lb/>
gleich die Nachwelt meinen Namen nicht unter den Namen der berühmten<lb/>
Frauen nennen wird, so wird sie doch sagen: &gt;sie duldete viel und harrte aus<lb/>
im Dulden!'"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_244"> Und wirklich! Die kleine mecklenburgische Prinzessin hat des Lebens Ernst<lb/>
früh erfahren: an der knospenden Rose schon zauste der Wind. Mutter und<lb/>
Stiefmutter starben ihr, als sie noch jung war. Da brachte der Vater, Prinz<lb/>
Karl von Mecklenburg-Strelitz, sie nach Darmstadt zur Prinzessin Georg.<lb/>
Hier, bei der &#x201E;Großmämme", verlebte Luise die Jahre 1786 bis 1793. Über<lb/>
dieser Zeit liegt der Hauch einer tiefen Religiosität, frischer Fröhlichkeit<lb/>
und warmer Liebe. Von der Erinnerung an die sonnige Kindheit sollte sie noch<lb/>
zehren, als längst unter grauen Wolken und eisigen Nordstürmen das Leben die<lb/>
inzwischen gekrönte Fran besonders hart anfaßte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_245"> Große Gelehrsamkeit hat die Prinzessin bei ihrem Darmstädter Lehrer, dem<lb/>
Pfarrer Lichthammer, weder gesucht noch erworben; sie hat ihr ganzes Leben<lb/>
klaffende Lücken in ihrer Bildung bekannt und als Mangel beklagt. Sie hieß<lb/>
in der Familie der Großmutter nicht umsonst &#x201E;Jungfer Husch", war ein toller,<lb/>
übermütiger Wildfang und kein Musterkind. Ihre Schreibhefte verraten ihre<lb/>
Veranlagung: Flüchtigkeit, Gekritzel neben Äußerungen eines herzigen Gemütes.<lb/>
Mit der Rechtschreibung stand sie all ihr Lebtag auf dem Kriegsfuß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_246"> Das beweisen u. a. die Briefe an ihren Bräutigam, den Kronprinzen<lb/>
Friedrich Wilhelm von Preußen. Die hübsche siebzehnjährige Prinzessin hatte<lb/>
1793 in der alten Reichsstadt Frankfurt a. M. den Preußenkönig und seinen<lb/>
Sohn bezaubert. Friedrich Wilhelm der Dritte nannte sie einen &#x201E;Engel";<lb/>
auch Goethe, der sie im Lager zu Bodenheim sah, verglich sie mit einer &#x201E;himmlischen<lb/>
Erscheinung". Die Fahrt zur Hochzeit nach Berlin ward zum Siegeszug<lb/>
ihrer Schönheit und Güte. Die Herzensgemeinschaft zwischen ihr und dem<lb/>
Kronprinzen ist psychologisch unendlich reizvoll. Keine himmelstürmende Leiden¬<lb/>
schaft verband beider Herzen. Aber ihr Ahnen des füreinander Bestimmtseins<lb/>
war auch kein versliegender Rausch. Es erfüllte sich, als das Leben von der<lb/>
Liebe und Treue des ungleichen Paares Proben verlangte. Ihre Lebenslust,<lb/>
Fröhlichkeit und süddeutsche Warmherzigkeit sollte sich fügen in die seltsame<lb/>
Schrullenhastigkeit des Gatten. Der plagte sie mit seinen Launen, &#x201E;numeui'8",<lb/>
war pedantisch, starrsinnig, unentschlossen. Aber er war doch im Grunde ein<lb/>
echter, wahrer Mensch und ihr in seiner Art von Herzen zugetan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_247"> Viel Tränen der Entsagung rannen über der Kronprinzessin und Königin<lb/>
Gesicht, aber sie ging ihren Weg und lebte in unbedingter Hingabe und Unter¬<lb/>
ordnung unter den Gatten ein Leben der Pflicht.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] Königin Luise Voll Heller Sonne und dunkelster Schatten liegt ihr Leben vor uns. Von Gläubigen als Leidensweg gedeutet, an dessen Ziel die himmlische Palme dem Kämpfer winkt; für freier Denkende ein Menschenleben, das seinen Lohn in sich und seinen Taten trägt. Die Königin hat ihres Wirkens Spur mit den Worten überschaut: „Wenn gleich die Nachwelt meinen Namen nicht unter den Namen der berühmten Frauen nennen wird, so wird sie doch sagen: >sie duldete viel und harrte aus im Dulden!'" Und wirklich! Die kleine mecklenburgische Prinzessin hat des Lebens Ernst früh erfahren: an der knospenden Rose schon zauste der Wind. Mutter und Stiefmutter starben ihr, als sie noch jung war. Da brachte der Vater, Prinz Karl von Mecklenburg-Strelitz, sie nach Darmstadt zur Prinzessin Georg. Hier, bei der „Großmämme", verlebte Luise die Jahre 1786 bis 1793. Über dieser Zeit liegt der Hauch einer tiefen Religiosität, frischer Fröhlichkeit und warmer Liebe. Von der Erinnerung an die sonnige Kindheit sollte sie noch zehren, als längst unter grauen Wolken und eisigen Nordstürmen das Leben die inzwischen gekrönte Fran besonders hart anfaßte. Große Gelehrsamkeit hat die Prinzessin bei ihrem Darmstädter Lehrer, dem Pfarrer Lichthammer, weder gesucht noch erworben; sie hat ihr ganzes Leben klaffende Lücken in ihrer Bildung bekannt und als Mangel beklagt. Sie hieß in der Familie der Großmutter nicht umsonst „Jungfer Husch", war ein toller, übermütiger Wildfang und kein Musterkind. Ihre Schreibhefte verraten ihre Veranlagung: Flüchtigkeit, Gekritzel neben Äußerungen eines herzigen Gemütes. Mit der Rechtschreibung stand sie all ihr Lebtag auf dem Kriegsfuß. Das beweisen u. a. die Briefe an ihren Bräutigam, den Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen. Die hübsche siebzehnjährige Prinzessin hatte 1793 in der alten Reichsstadt Frankfurt a. M. den Preußenkönig und seinen Sohn bezaubert. Friedrich Wilhelm der Dritte nannte sie einen „Engel"; auch Goethe, der sie im Lager zu Bodenheim sah, verglich sie mit einer „himmlischen Erscheinung". Die Fahrt zur Hochzeit nach Berlin ward zum Siegeszug ihrer Schönheit und Güte. Die Herzensgemeinschaft zwischen ihr und dem Kronprinzen ist psychologisch unendlich reizvoll. Keine himmelstürmende Leiden¬ schaft verband beider Herzen. Aber ihr Ahnen des füreinander Bestimmtseins war auch kein versliegender Rausch. Es erfüllte sich, als das Leben von der Liebe und Treue des ungleichen Paares Proben verlangte. Ihre Lebenslust, Fröhlichkeit und süddeutsche Warmherzigkeit sollte sich fügen in die seltsame Schrullenhastigkeit des Gatten. Der plagte sie mit seinen Launen, „numeui'8", war pedantisch, starrsinnig, unentschlossen. Aber er war doch im Grunde ein echter, wahrer Mensch und ihr in seiner Art von Herzen zugetan. Viel Tränen der Entsagung rannen über der Kronprinzessin und Königin Gesicht, aber sie ging ihren Weg und lebte in unbedingter Hingabe und Unter¬ ordnung unter den Gatten ein Leben der Pflicht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/78>, abgerufen am 23.07.2024.