Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.Payer und Naumami als Historiker praktischen Menschenverstand eines nicht vom Junkertum verdorbenen Landesteils". Payer und Naumami als Historiker praktischen Menschenverstand eines nicht vom Junkertum verdorbenen Landesteils". <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316364"/> <fw type="header" place="top"> Payer und Naumami als Historiker</fw><lb/> <p xml:id="ID_234" prev="#ID_233" next="#ID_235"> praktischen Menschenverstand eines nicht vom Junkertum verdorbenen Landesteils".<lb/> „Es lebte dort eine ältere Kulturgesinnung, die sich nicht militärisch wollte<lb/> kommandieren lassen." „Durch die „Frankfurter Zeitung" wurde diesem Teile<lb/> Deutschlands sein geistiges Eigenleben bewahrt, und wir hoffen, daß auch in<lb/> Zukunft dieses Bollwerk gegen die allgemeine Verscherlisierung des National¬<lb/> geistes bestehen bleibt, so wie Sonnemann es aufgerichtet hat." Ani zunächst<lb/> über diese Gegenüberstellung von Sonnemann und schert ein Wort zu sagen,<lb/> so scheint nur eher eine starke Ähnlichkeit zwischen beiden zu bestehen. Beide<lb/> üben eine starke Wirkung auf die Presse durch ihr Kapital. Die „Frankfurter<lb/> Zeitung" ist 1856 von den Bankiers Rosenthal und Sonnemann gegründet<lb/> worden; die finanzielle Leistungsfähigkeit der Unternehmer ermöglichte eine<lb/> umfassende kostspielige Organisation. Anfangs war sie nur Handelsblatt;<lb/> zugleich politische Zeitung wurde sie 1853. Als kapitalkräftiges Organ konnte<lb/> sie einen vorzüglichen Nachrichtendienst einrichten, für politische wie Börsen¬<lb/> neuigkeiten; was zur Folge gehabt hat, daß sie einen großen Leserkreis auch<lb/> außerhalb der politischen Gesinnungsgenossen findet. Und als kapitalkräftiges<lb/> Organ weiß sie ferner durch hohe Honorare auch Mitarbeiter aus anderen<lb/> politischen Kreisen heranzuziehen. Aber alles wird in den Dienst einer bestimmten<lb/> politischen Tendenz gestellt. Die Scherlschen Unternehmungen haben ihren Aus¬<lb/> gangspunkt ebenfalls im Kapital. Die Parteipresse steht in ihnen eine große<lb/> Gefahr, und es würde in der Tat aufs höchste zu bedauern sein, wenn jene<lb/> beiseite geschoben würde. Allein eine solche Gefahr kommt von der „Frank¬<lb/> furter Zeitung" gleichfalls, insofern bei ihr das Kapital unabhängig von den<lb/> sachlichen Argumenten stark zur Verbreitung des Blattes beiträgt. Und bei<lb/> dem Frankfurter Blatt wird das mächtige Kapital in den Dienst einer bestimmten<lb/> Partei gestellt, während die Scherischen Organe Sprachrohr für alle Parteien<lb/> sein wollen. Speziell auch in Süddeutschland hat das Kapital der „Frankfurter<lb/> Zeitung" ihr unverhältnismäßige Verbreitung verschafft. Unbedingt verkehrt ist<lb/> es jedoch, mit Naumann sie als die normale süddeutsche Zeitung auszugeben<lb/> und in ihr die Verkörperung des „praktischen Menschenverstandes" dieses Landes¬<lb/> teiles zu sehen. Württemberg z. B. hat „sein geistiges Eigenleben" zweifellos<lb/> mehr durch den „Schwäbischen Merkur" als durch die Frankfurterin bewahrt,<lb/> und zwar in der Bismarckschen Zeit, von der Naumann spricht, noch mehr als<lb/> heute. Man denke ferner an die lange Zeit so angesehene „Münchener Allgemeine<lb/> Zeitung", die „Münchener Neuesten Nachrichten", die nationalliberalcn Zeitungen<lb/> Badens, die „Straßburger Post". Es stände auch sehr schlimm um den Ruhm<lb/> Südwestdeutschlands, wenn es keinen anderen „praktischen Menschenverstand"<lb/> hervorgebracht hätte als den der „Frankfurter Zeitung". In Wahrheit entsprang<lb/> deren Haltung keineswegs einem wahren „praktischen Menschenverstand", sondern,<lb/> um mit Payer zu reden, einer unrichtigen Einschätzung der Machtfaktoren und<lb/> einer gewissen Schwärmerei oder, wie wir sagen, einer recht engherzigen Auf¬<lb/> fassung der Dinge. Naumann tut so, als ob im Zeitalter Bismarcks ganz Süd-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0075]
Payer und Naumami als Historiker
praktischen Menschenverstand eines nicht vom Junkertum verdorbenen Landesteils".
„Es lebte dort eine ältere Kulturgesinnung, die sich nicht militärisch wollte
kommandieren lassen." „Durch die „Frankfurter Zeitung" wurde diesem Teile
Deutschlands sein geistiges Eigenleben bewahrt, und wir hoffen, daß auch in
Zukunft dieses Bollwerk gegen die allgemeine Verscherlisierung des National¬
geistes bestehen bleibt, so wie Sonnemann es aufgerichtet hat." Ani zunächst
über diese Gegenüberstellung von Sonnemann und schert ein Wort zu sagen,
so scheint nur eher eine starke Ähnlichkeit zwischen beiden zu bestehen. Beide
üben eine starke Wirkung auf die Presse durch ihr Kapital. Die „Frankfurter
Zeitung" ist 1856 von den Bankiers Rosenthal und Sonnemann gegründet
worden; die finanzielle Leistungsfähigkeit der Unternehmer ermöglichte eine
umfassende kostspielige Organisation. Anfangs war sie nur Handelsblatt;
zugleich politische Zeitung wurde sie 1853. Als kapitalkräftiges Organ konnte
sie einen vorzüglichen Nachrichtendienst einrichten, für politische wie Börsen¬
neuigkeiten; was zur Folge gehabt hat, daß sie einen großen Leserkreis auch
außerhalb der politischen Gesinnungsgenossen findet. Und als kapitalkräftiges
Organ weiß sie ferner durch hohe Honorare auch Mitarbeiter aus anderen
politischen Kreisen heranzuziehen. Aber alles wird in den Dienst einer bestimmten
politischen Tendenz gestellt. Die Scherlschen Unternehmungen haben ihren Aus¬
gangspunkt ebenfalls im Kapital. Die Parteipresse steht in ihnen eine große
Gefahr, und es würde in der Tat aufs höchste zu bedauern sein, wenn jene
beiseite geschoben würde. Allein eine solche Gefahr kommt von der „Frank¬
furter Zeitung" gleichfalls, insofern bei ihr das Kapital unabhängig von den
sachlichen Argumenten stark zur Verbreitung des Blattes beiträgt. Und bei
dem Frankfurter Blatt wird das mächtige Kapital in den Dienst einer bestimmten
Partei gestellt, während die Scherischen Organe Sprachrohr für alle Parteien
sein wollen. Speziell auch in Süddeutschland hat das Kapital der „Frankfurter
Zeitung" ihr unverhältnismäßige Verbreitung verschafft. Unbedingt verkehrt ist
es jedoch, mit Naumann sie als die normale süddeutsche Zeitung auszugeben
und in ihr die Verkörperung des „praktischen Menschenverstandes" dieses Landes¬
teiles zu sehen. Württemberg z. B. hat „sein geistiges Eigenleben" zweifellos
mehr durch den „Schwäbischen Merkur" als durch die Frankfurterin bewahrt,
und zwar in der Bismarckschen Zeit, von der Naumann spricht, noch mehr als
heute. Man denke ferner an die lange Zeit so angesehene „Münchener Allgemeine
Zeitung", die „Münchener Neuesten Nachrichten", die nationalliberalcn Zeitungen
Badens, die „Straßburger Post". Es stände auch sehr schlimm um den Ruhm
Südwestdeutschlands, wenn es keinen anderen „praktischen Menschenverstand"
hervorgebracht hätte als den der „Frankfurter Zeitung". In Wahrheit entsprang
deren Haltung keineswegs einem wahren „praktischen Menschenverstand", sondern,
um mit Payer zu reden, einer unrichtigen Einschätzung der Machtfaktoren und
einer gewissen Schwärmerei oder, wie wir sagen, einer recht engherzigen Auf¬
fassung der Dinge. Naumann tut so, als ob im Zeitalter Bismarcks ganz Süd-
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