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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Trennung von Staat und Kirche in Spanien

auch wenn sie dem bürgerlichen Vereinsrecht unterstellt werden sollten, eine noch
größere Wirksamkeit als früher entfalten könnten, eine Stärkung der kirchlichen
Macht bedeuten. Im übrigen würde sich in den beiderseitigen politischen Macht¬
beziehungen wohl kaum etwas ändern. Es würde insbesondere bei dem
staatlichen Gerichtsstand des Klerus zu verbleiben haben, der -- gleichfalls eine
Frucht der Revolution von 1868 -- in der Unterwerfung der gesamten Geist¬
lichkeit unter das Gericht des Staates in Zivil- und Strafsachen besteht.
Dagegen wird die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte, die zurzeit noch über
Ehescheidungen und die Nichtigkeit der Ehen zu befinden haben*), wohl mit
dem Erscheinen der alsdann zu erwartenden allgemeinen obligatorischen Zivilehe
(zurzeit müssen alle Angehörigen des katholischen Bekenntnisses noch die
kanonische Eheschließungsform beobachten) eine wesentliche Einschränkung er¬
fahren. Obwohl die katholische Religion die einzige "Staatsreligion" in
Spanien ist und das Bekenntnis der weitaus überwiegenden Mehrzahl der
Bürger Spaniens darstellt (es leben dort nur neun- bis zehntausend Protestanten
unter etwa achtzehn Millionen Katholiken), herrscht in Spanien Glaubens- und
Gewissensfreiheit -- wenigstens von Gesetzes wegen. Das ist nicht immer so
gewesen; denn Spanien ist das Großland der seit Papst Innocenz dem Dritten
zur dauernden kirchlichen Verwaltungsinstitution gewordenen Inquisition, wenn
diese auch die Vollendung ihrer Technik dem 1215 gegründeten Dominikaner¬
orden verdankt, dem sie 1233 unter dem Schutz der Könige von Frankreich
aufgetragen wurde. Ihre Organisation in Spanien (1478 bis 1484 -- in
Aragonien und Katalonien war sie schon im dreizehnten Jahrhundert tätige
gewesen --) ist mit dem Namen des Großinquisitors Thomas de Torquemada
verknüpft, der auf Vorschlag des Königs vom Papste ernannt dem obersten
Gerichtshof, dem berüchtigten, vom König teils präsidierten, teils stark beein¬
flußten L0N8LA0 ac la LupröMÄ, das Material zur Juden-, Mauren- und
Protestantenverfolgung zutrug. 1492 wurden über 800000 Juden aus
Spanien vertrieben, 1542 der erste protestantische Ketzer verbrannt^). Von etwa
1670 an beleuchteten Autodafes das Dunkel des religiösen Fanatismus und
Aberglaubens. Eng verbunden mit dieser geistigen Knechtschaft ist die unheil¬
volle Tätigkeit der Jesuiten, deren Vertreibung durch die Minister Aranda und
Manuel de Roda (1767), ja deren vorübergehende Aufhebung durch den Papst
Clemens den Vierzehnten (Gangenelli) selber (in der Bulle I)vminu8 as
reciemptor no8ter 1773) nur eine Episode in der Geschichte ihres kurialem
Denunziantentums bezeichnet. -- Das neunzehnte Jahrhundert war mit seinem
fortwährenden Verfassungswechsel der Entwicklung der Toleranz zunächst nicht
günstig. In ihm kam der stürmische Nationalcharakter, neben den: aber keine
ausdauernde, ruhig und zielbewußt vorgehende Energie einhergeht, zum deutlichsten




") Nach dem Zivilgesetzbuch vom 24. Juli 1889. 1870 hatte man der Kirche die Ehe-
genchtsbarteit entzogen.
Von 2100 inquirierten Protestanten wurden 220 lebendig verbrannt.
Die Trennung von Staat und Kirche in Spanien

auch wenn sie dem bürgerlichen Vereinsrecht unterstellt werden sollten, eine noch
größere Wirksamkeit als früher entfalten könnten, eine Stärkung der kirchlichen
Macht bedeuten. Im übrigen würde sich in den beiderseitigen politischen Macht¬
beziehungen wohl kaum etwas ändern. Es würde insbesondere bei dem
staatlichen Gerichtsstand des Klerus zu verbleiben haben, der — gleichfalls eine
Frucht der Revolution von 1868 — in der Unterwerfung der gesamten Geist¬
lichkeit unter das Gericht des Staates in Zivil- und Strafsachen besteht.
Dagegen wird die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte, die zurzeit noch über
Ehescheidungen und die Nichtigkeit der Ehen zu befinden haben*), wohl mit
dem Erscheinen der alsdann zu erwartenden allgemeinen obligatorischen Zivilehe
(zurzeit müssen alle Angehörigen des katholischen Bekenntnisses noch die
kanonische Eheschließungsform beobachten) eine wesentliche Einschränkung er¬
fahren. Obwohl die katholische Religion die einzige „Staatsreligion" in
Spanien ist und das Bekenntnis der weitaus überwiegenden Mehrzahl der
Bürger Spaniens darstellt (es leben dort nur neun- bis zehntausend Protestanten
unter etwa achtzehn Millionen Katholiken), herrscht in Spanien Glaubens- und
Gewissensfreiheit — wenigstens von Gesetzes wegen. Das ist nicht immer so
gewesen; denn Spanien ist das Großland der seit Papst Innocenz dem Dritten
zur dauernden kirchlichen Verwaltungsinstitution gewordenen Inquisition, wenn
diese auch die Vollendung ihrer Technik dem 1215 gegründeten Dominikaner¬
orden verdankt, dem sie 1233 unter dem Schutz der Könige von Frankreich
aufgetragen wurde. Ihre Organisation in Spanien (1478 bis 1484 — in
Aragonien und Katalonien war sie schon im dreizehnten Jahrhundert tätige
gewesen —) ist mit dem Namen des Großinquisitors Thomas de Torquemada
verknüpft, der auf Vorschlag des Königs vom Papste ernannt dem obersten
Gerichtshof, dem berüchtigten, vom König teils präsidierten, teils stark beein¬
flußten L0N8LA0 ac la LupröMÄ, das Material zur Juden-, Mauren- und
Protestantenverfolgung zutrug. 1492 wurden über 800000 Juden aus
Spanien vertrieben, 1542 der erste protestantische Ketzer verbrannt^). Von etwa
1670 an beleuchteten Autodafes das Dunkel des religiösen Fanatismus und
Aberglaubens. Eng verbunden mit dieser geistigen Knechtschaft ist die unheil¬
volle Tätigkeit der Jesuiten, deren Vertreibung durch die Minister Aranda und
Manuel de Roda (1767), ja deren vorübergehende Aufhebung durch den Papst
Clemens den Vierzehnten (Gangenelli) selber (in der Bulle I)vminu8 as
reciemptor no8ter 1773) nur eine Episode in der Geschichte ihres kurialem
Denunziantentums bezeichnet. — Das neunzehnte Jahrhundert war mit seinem
fortwährenden Verfassungswechsel der Entwicklung der Toleranz zunächst nicht
günstig. In ihm kam der stürmische Nationalcharakter, neben den: aber keine
ausdauernde, ruhig und zielbewußt vorgehende Energie einhergeht, zum deutlichsten




") Nach dem Zivilgesetzbuch vom 24. Juli 1889. 1870 hatte man der Kirche die Ehe-
genchtsbarteit entzogen.
Von 2100 inquirierten Protestanten wurden 220 lebendig verbrannt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/631>, abgerufen am 23.07.2024.