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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Gedanken zum neuen Hecrcsetat

schwarze Truppen aus Westafrika nach Algier zu schaffen, um die weißen
Besatzungstruppen abzulösen und sie zur Verwendung im Mutterlande verfügbar
zu machen. Trotz allen diesen Maßregeln ist es bisher nicht gelungen, dem
Rückgange der Rekrutenzahlen in entsprechender Weise abzuhelfen. Die Jnfanterie-
kompagnien im Innern des Landes haben eine derartig geringe Friedensstärke,
daß sich ein ordnungsmäßiger Dienstbetrieb nur noch mit Mühe aufrecht erhalten
läßt. Ist doch auch in dem neuen Cadregesetz, das dem französischen Parlamente
zurzeit vorliegt, vorgesehen, eine Anzahl Kompagnien im Innern des Landes
aufzulösen und deren Mannschaften auf die übrigen Kompagnien zu verteilen.
Die angesehene französische Militärzeitung "La France Militaire" vertritt sogar
den Standpunkt, daß es zweckmäßiger sei, die Zahl der Friedenseinheiten über¬
haupt zu verringern, um die übrigbleibenden auf einer angemessenen Höhe zu
erhalten. Es wird direkt vorgeschlagen, ein bis zwei Armeekorps aufzulösen.
Diese Zeitung weist darauf hin, daß Frankreich infolge seiner geringen Bevölkerung
und der immer mehr zurückgehenden Geburtenzahlen endlich den Gedanken auf¬
geben müßte, ein den Deutschen gleich starkes Heer im Frieden zu unterhalten.
Wenn dagegen auf einzelne Neuorganisationen hingewiesen wird, die im Laufe
der letzten Jahre in Frankreich eingeführt sind, so darf dabei nicht unerwähnt
bleiben, daß jede Vermehrung einer Waffengattung eine Verminderung bei
anderen Truppen zur Folge hätte. So ist die in diesem Jahre erfolgte Neu¬
organisation der Artillerie nur auf Kosten der Infanterie durchgeführt worden.

Ist also Frankreich zurzeit kaum imstande, seine bisherige Heeresstärke
aufrecht zu erhalten, und denkt es allen Ernstes daran, sie zu vermindern, so liegt
für uus kein schwerwiegender Grund vor, unsere Infanterie über das jetzige
Maß zu vermehren.

Nun wird mit Recht aber immer auf den Krieg nach zwei Fronten hin¬
gemiesen. Dies ist gewiß eine sehr unerwünschte Lage, mit der wir zu
rechnen gezwungen sind. Es ist aber nicht denkbar, das wir allein unser Heer
auf eine solche Stärke bringen könnten, daß es numerisch zur selben Zeit beiden
Gegnern allein gewachsen sein würde. Wir müssen in diesem Falle unsere
gauzen Kräfte zunächst auf einer Seite versammeln, um hier einen entscheidenden,
erfolgreichen Schlag zu führen, und uns dann nach der anderen Seite wenden.
Hier dürfen im Anfang nur so viele Kräfte zurückgelassen werden, als zur
Deckung der Grenzen und zur Sicherung des eigenen Landes notwendig ist.
Das Beispiel Friedrichs des Großen und das Studium seiner Kriege wird uns
der beste Lehrmeister in dieser Hinsicht sein. Es gilt der Ausnutzung der
inneren Linie in: großen Maßstabe unter Benutzung aller modernen Transport¬
mittel. Die großen durchgehenden Eisenbahnlinien, die wir in bewußter Weise
seit Jahrzehnten von Westen nach Osten ausbauen, geben die Möglichkeit, große
Heeresmassen von einer Front nach der anderen zu werfen.

Zudem kommt, daß alle die Nachrichten, die über die Reorganisation
des russischen Heeres und über dessen innere Verhältnisse in den letzten


Gedanken zum neuen Hecrcsetat

schwarze Truppen aus Westafrika nach Algier zu schaffen, um die weißen
Besatzungstruppen abzulösen und sie zur Verwendung im Mutterlande verfügbar
zu machen. Trotz allen diesen Maßregeln ist es bisher nicht gelungen, dem
Rückgange der Rekrutenzahlen in entsprechender Weise abzuhelfen. Die Jnfanterie-
kompagnien im Innern des Landes haben eine derartig geringe Friedensstärke,
daß sich ein ordnungsmäßiger Dienstbetrieb nur noch mit Mühe aufrecht erhalten
läßt. Ist doch auch in dem neuen Cadregesetz, das dem französischen Parlamente
zurzeit vorliegt, vorgesehen, eine Anzahl Kompagnien im Innern des Landes
aufzulösen und deren Mannschaften auf die übrigen Kompagnien zu verteilen.
Die angesehene französische Militärzeitung „La France Militaire" vertritt sogar
den Standpunkt, daß es zweckmäßiger sei, die Zahl der Friedenseinheiten über¬
haupt zu verringern, um die übrigbleibenden auf einer angemessenen Höhe zu
erhalten. Es wird direkt vorgeschlagen, ein bis zwei Armeekorps aufzulösen.
Diese Zeitung weist darauf hin, daß Frankreich infolge seiner geringen Bevölkerung
und der immer mehr zurückgehenden Geburtenzahlen endlich den Gedanken auf¬
geben müßte, ein den Deutschen gleich starkes Heer im Frieden zu unterhalten.
Wenn dagegen auf einzelne Neuorganisationen hingewiesen wird, die im Laufe
der letzten Jahre in Frankreich eingeführt sind, so darf dabei nicht unerwähnt
bleiben, daß jede Vermehrung einer Waffengattung eine Verminderung bei
anderen Truppen zur Folge hätte. So ist die in diesem Jahre erfolgte Neu¬
organisation der Artillerie nur auf Kosten der Infanterie durchgeführt worden.

Ist also Frankreich zurzeit kaum imstande, seine bisherige Heeresstärke
aufrecht zu erhalten, und denkt es allen Ernstes daran, sie zu vermindern, so liegt
für uus kein schwerwiegender Grund vor, unsere Infanterie über das jetzige
Maß zu vermehren.

Nun wird mit Recht aber immer auf den Krieg nach zwei Fronten hin¬
gemiesen. Dies ist gewiß eine sehr unerwünschte Lage, mit der wir zu
rechnen gezwungen sind. Es ist aber nicht denkbar, das wir allein unser Heer
auf eine solche Stärke bringen könnten, daß es numerisch zur selben Zeit beiden
Gegnern allein gewachsen sein würde. Wir müssen in diesem Falle unsere
gauzen Kräfte zunächst auf einer Seite versammeln, um hier einen entscheidenden,
erfolgreichen Schlag zu führen, und uns dann nach der anderen Seite wenden.
Hier dürfen im Anfang nur so viele Kräfte zurückgelassen werden, als zur
Deckung der Grenzen und zur Sicherung des eigenen Landes notwendig ist.
Das Beispiel Friedrichs des Großen und das Studium seiner Kriege wird uns
der beste Lehrmeister in dieser Hinsicht sein. Es gilt der Ausnutzung der
inneren Linie in: großen Maßstabe unter Benutzung aller modernen Transport¬
mittel. Die großen durchgehenden Eisenbahnlinien, die wir in bewußter Weise
seit Jahrzehnten von Westen nach Osten ausbauen, geben die Möglichkeit, große
Heeresmassen von einer Front nach der anderen zu werfen.

Zudem kommt, daß alle die Nachrichten, die über die Reorganisation
des russischen Heeres und über dessen innere Verhältnisse in den letzten


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[0619] Gedanken zum neuen Hecrcsetat schwarze Truppen aus Westafrika nach Algier zu schaffen, um die weißen Besatzungstruppen abzulösen und sie zur Verwendung im Mutterlande verfügbar zu machen. Trotz allen diesen Maßregeln ist es bisher nicht gelungen, dem Rückgange der Rekrutenzahlen in entsprechender Weise abzuhelfen. Die Jnfanterie- kompagnien im Innern des Landes haben eine derartig geringe Friedensstärke, daß sich ein ordnungsmäßiger Dienstbetrieb nur noch mit Mühe aufrecht erhalten läßt. Ist doch auch in dem neuen Cadregesetz, das dem französischen Parlamente zurzeit vorliegt, vorgesehen, eine Anzahl Kompagnien im Innern des Landes aufzulösen und deren Mannschaften auf die übrigen Kompagnien zu verteilen. Die angesehene französische Militärzeitung „La France Militaire" vertritt sogar den Standpunkt, daß es zweckmäßiger sei, die Zahl der Friedenseinheiten über¬ haupt zu verringern, um die übrigbleibenden auf einer angemessenen Höhe zu erhalten. Es wird direkt vorgeschlagen, ein bis zwei Armeekorps aufzulösen. Diese Zeitung weist darauf hin, daß Frankreich infolge seiner geringen Bevölkerung und der immer mehr zurückgehenden Geburtenzahlen endlich den Gedanken auf¬ geben müßte, ein den Deutschen gleich starkes Heer im Frieden zu unterhalten. Wenn dagegen auf einzelne Neuorganisationen hingewiesen wird, die im Laufe der letzten Jahre in Frankreich eingeführt sind, so darf dabei nicht unerwähnt bleiben, daß jede Vermehrung einer Waffengattung eine Verminderung bei anderen Truppen zur Folge hätte. So ist die in diesem Jahre erfolgte Neu¬ organisation der Artillerie nur auf Kosten der Infanterie durchgeführt worden. Ist also Frankreich zurzeit kaum imstande, seine bisherige Heeresstärke aufrecht zu erhalten, und denkt es allen Ernstes daran, sie zu vermindern, so liegt für uus kein schwerwiegender Grund vor, unsere Infanterie über das jetzige Maß zu vermehren. Nun wird mit Recht aber immer auf den Krieg nach zwei Fronten hin¬ gemiesen. Dies ist gewiß eine sehr unerwünschte Lage, mit der wir zu rechnen gezwungen sind. Es ist aber nicht denkbar, das wir allein unser Heer auf eine solche Stärke bringen könnten, daß es numerisch zur selben Zeit beiden Gegnern allein gewachsen sein würde. Wir müssen in diesem Falle unsere gauzen Kräfte zunächst auf einer Seite versammeln, um hier einen entscheidenden, erfolgreichen Schlag zu führen, und uns dann nach der anderen Seite wenden. Hier dürfen im Anfang nur so viele Kräfte zurückgelassen werden, als zur Deckung der Grenzen und zur Sicherung des eigenen Landes notwendig ist. Das Beispiel Friedrichs des Großen und das Studium seiner Kriege wird uns der beste Lehrmeister in dieser Hinsicht sein. Es gilt der Ausnutzung der inneren Linie in: großen Maßstabe unter Benutzung aller modernen Transport¬ mittel. Die großen durchgehenden Eisenbahnlinien, die wir in bewußter Weise seit Jahrzehnten von Westen nach Osten ausbauen, geben die Möglichkeit, große Heeresmassen von einer Front nach der anderen zu werfen. Zudem kommt, daß alle die Nachrichten, die über die Reorganisation des russischen Heeres und über dessen innere Verhältnisse in den letzten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/619>, abgerufen am 23.07.2024.