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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Lage des Deutschtums in Galizien

stehen zumeist, wie dies auch anderwärts unter ähnlichen Verhältnissen zutrifft,
unter dem Einfluß des herrschenden Volkes und schwimmen mit dem Strom.
Es ist allgemein bekannt, daß das Deutschtum in den Städten große Verluste
erlitten hat; es gibt eine Menge polonisierter deutscher Familien. Der Kauf¬
mann und Handwerker spricht seiner Kundschaft zulieb polnisch und wird
polonisiert; die gebildeten Deutschen, Beamte u.tgi., geraten leicht unter
polnischen Einfluß. Doch ist auch in einzelnen Städten, z.B. in Stryj, ein
merklicher Schritt zur Besserung der Verhältnisse geschehen, und Männer der
bürgerlichen Berufe zählen zu den besten Führern der galizischen Deutschen.
Vor allem lebt in den geschlossenen deutschen Ansiedlungsdörfern deutscher Geist
und deutscher Mut. Viele von den Männern beherrschen die polnische
und ruthenische Sprache, weil sie mit den Ämtern verkehren und sich im
Geschäftsleben der landesüblichen Sprachen bedienen müssen. Die Frauen
benötigen dieseKenntnisse nicht, sie erhalten daher deutsche Sprache und Sitte in Haus
und Dorf. Gut deutscher Geist macht sich allgemein bemerkbar. Ein deutscher
Landmann in Brigidau sang, als der christlich-deutsche Bund in Galizien
entstand (1907), sein "Mer wolle more deutsch sein", in dem es treffend heißt:

Und ein anderes Gedicht desselben Jakob Kopf beginnt mit den
Worten:

Und schließt mit den Worten:

Von welch regem deutschen Gefühl zeugt jener Brief eines schlichten
deutschen Arbeiters aus Boryslaw an den Deutschen Schulverein, in dem die
Sehnsucht nach einem deutschen Lehrer zum Ausdruck kommt. Überall macht
sich ein verheißungsvoller Aufschwung des deutschen Lebens bemerkbar. Unter
katholischen und evangelischen Deutschen findet man gleich tüchtige völkische
Gesinnung; eine Spannung zwischen beiden Bekenntnissen ist nicht vorhanden,
eine Trübung dieses Verhältnisses ist unter jeder Bedingung zu vermeiden. Der
l907 begründete "Bund der christlichen Deutschen in Galizien" ist eine starke


Die Lage des Deutschtums in Galizien

stehen zumeist, wie dies auch anderwärts unter ähnlichen Verhältnissen zutrifft,
unter dem Einfluß des herrschenden Volkes und schwimmen mit dem Strom.
Es ist allgemein bekannt, daß das Deutschtum in den Städten große Verluste
erlitten hat; es gibt eine Menge polonisierter deutscher Familien. Der Kauf¬
mann und Handwerker spricht seiner Kundschaft zulieb polnisch und wird
polonisiert; die gebildeten Deutschen, Beamte u.tgi., geraten leicht unter
polnischen Einfluß. Doch ist auch in einzelnen Städten, z.B. in Stryj, ein
merklicher Schritt zur Besserung der Verhältnisse geschehen, und Männer der
bürgerlichen Berufe zählen zu den besten Führern der galizischen Deutschen.
Vor allem lebt in den geschlossenen deutschen Ansiedlungsdörfern deutscher Geist
und deutscher Mut. Viele von den Männern beherrschen die polnische
und ruthenische Sprache, weil sie mit den Ämtern verkehren und sich im
Geschäftsleben der landesüblichen Sprachen bedienen müssen. Die Frauen
benötigen dieseKenntnisse nicht, sie erhalten daher deutsche Sprache und Sitte in Haus
und Dorf. Gut deutscher Geist macht sich allgemein bemerkbar. Ein deutscher
Landmann in Brigidau sang, als der christlich-deutsche Bund in Galizien
entstand (1907), sein „Mer wolle more deutsch sein", in dem es treffend heißt:

Und ein anderes Gedicht desselben Jakob Kopf beginnt mit den
Worten:

Und schließt mit den Worten:

Von welch regem deutschen Gefühl zeugt jener Brief eines schlichten
deutschen Arbeiters aus Boryslaw an den Deutschen Schulverein, in dem die
Sehnsucht nach einem deutschen Lehrer zum Ausdruck kommt. Überall macht
sich ein verheißungsvoller Aufschwung des deutschen Lebens bemerkbar. Unter
katholischen und evangelischen Deutschen findet man gleich tüchtige völkische
Gesinnung; eine Spannung zwischen beiden Bekenntnissen ist nicht vorhanden,
eine Trübung dieses Verhältnisses ist unter jeder Bedingung zu vermeiden. Der
l907 begründete „Bund der christlichen Deutschen in Galizien" ist eine starke


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[0587] Die Lage des Deutschtums in Galizien stehen zumeist, wie dies auch anderwärts unter ähnlichen Verhältnissen zutrifft, unter dem Einfluß des herrschenden Volkes und schwimmen mit dem Strom. Es ist allgemein bekannt, daß das Deutschtum in den Städten große Verluste erlitten hat; es gibt eine Menge polonisierter deutscher Familien. Der Kauf¬ mann und Handwerker spricht seiner Kundschaft zulieb polnisch und wird polonisiert; die gebildeten Deutschen, Beamte u.tgi., geraten leicht unter polnischen Einfluß. Doch ist auch in einzelnen Städten, z.B. in Stryj, ein merklicher Schritt zur Besserung der Verhältnisse geschehen, und Männer der bürgerlichen Berufe zählen zu den besten Führern der galizischen Deutschen. Vor allem lebt in den geschlossenen deutschen Ansiedlungsdörfern deutscher Geist und deutscher Mut. Viele von den Männern beherrschen die polnische und ruthenische Sprache, weil sie mit den Ämtern verkehren und sich im Geschäftsleben der landesüblichen Sprachen bedienen müssen. Die Frauen benötigen dieseKenntnisse nicht, sie erhalten daher deutsche Sprache und Sitte in Haus und Dorf. Gut deutscher Geist macht sich allgemein bemerkbar. Ein deutscher Landmann in Brigidau sang, als der christlich-deutsche Bund in Galizien entstand (1907), sein „Mer wolle more deutsch sein", in dem es treffend heißt: Und ein anderes Gedicht desselben Jakob Kopf beginnt mit den Worten: Und schließt mit den Worten: Von welch regem deutschen Gefühl zeugt jener Brief eines schlichten deutschen Arbeiters aus Boryslaw an den Deutschen Schulverein, in dem die Sehnsucht nach einem deutschen Lehrer zum Ausdruck kommt. Überall macht sich ein verheißungsvoller Aufschwung des deutschen Lebens bemerkbar. Unter katholischen und evangelischen Deutschen findet man gleich tüchtige völkische Gesinnung; eine Spannung zwischen beiden Bekenntnissen ist nicht vorhanden, eine Trübung dieses Verhältnisses ist unter jeder Bedingung zu vermeiden. Der l907 begründete „Bund der christlichen Deutschen in Galizien" ist eine starke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/587>, abgerufen am 23.07.2024.