Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Tätigen weit auseinander und die verschiedenen Auffassungen über die Bedeutung Die heutige Regierung hat nun noch nicht die Mittel gefunden, um die Maßgebliches und Unmaßgebliches Tätigen weit auseinander und die verschiedenen Auffassungen über die Bedeutung Die heutige Regierung hat nun noch nicht die Mittel gefunden, um die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0559" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316844"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2358" prev="#ID_2357"> Tätigen weit auseinander und die verschiedenen Auffassungen über die Bedeutung<lb/> einer Betätigung bilden die innerste Ursache für die Zerrissenheit im Bürgertum.<lb/> Produzent, Händler und Konsument werden gegeneinander kämpfen so lange, bis<lb/> der Staat alle ihre Funktionen, also die Gütererzeugung, die Güterverteilung und<lb/> den Verbrauch auf sich genommen, also so lange, wie der bürgerliche Staat nicht<lb/> abgelöst ist durch den sozialistischen. Wer wollte da ernstlich den Versuch machen<lb/> wollen, den wirtschaftlichen Kampf zu beseitigen? — er müßte denn selbst Sozialist<lb/> sein. Wer aber die Berechtigung des Kampfes anerkennt, der sollte auch nicht<lb/> den Begriff positiv schaffender Stände" im Gegensatz zu etwa „nicht positiv<lb/> schaffenden" kennen. Bei der Möglichkeit weit anseinandergehender Bedürfnisse<lb/> sollte man nicht versuchen, eine Exkluvisivität von „positiv Schaffenden" zu kon¬<lb/> struieren, andernfalls stellt man sich auf die Höhe der Anschauungen der Transvaal-<lb/> Buren, die vor noch gar nicht langer Zeit den Johannisbnrger Bankiers dafür<lb/> Konnnissionen zahlten, daß diese ihr Bargeld in „Verwahrung" nahmen. Im<lb/> Sinne jener Buren waren die Bankiers natürlich kein „posttlv schaffender Stand",<lb/> wohl aber für das britische Weltreich. - Doch genug hiervon. Was wir sagen<lb/> wollen, ist folgendes: man soll nicht versuchen, wirtschaftliche und politische Fragen<lb/> miteinander zu verquicken, wo die Voraussetzungen dafür fehlen-<lb/> , man soll eine<lb/> Entwicklung wie die der Sozialdemokratie nicht künstlich aufhalten wollen, die<lb/> man nur durch intensive Bearbeitung an ihren Anfängen lenken kann; man soll<lb/> Gegensätze nicht verallgemeinern, die im Hinblick auf den Staat nur lokale<lb/> Erscheinungen am Wirtschaftskörper sind. Man soll vielmehr den fieberhaft<lb/> arbeitenden Erwerbsständen von Zeit zu Zeit zeigen, daß ste ihre Arbeit, wollen<lb/> sie deren Preis auch für eine fernere Zukunft sicher stellen, hin und wieder ein¬<lb/> mal nach den historischen Zielen des Staates oder des Volksganzen orientieren<lb/> müssen. Diese zeitweiligen großen Orientierungen können natürlich nicht, wie es<lb/> gegenwärtig angestrebt wird, von einem der Erwerbsstände ausgehn; dazu sind<lb/> berufen: die Wissenschaft, die Publizistik und die Staatsleiter. Diese drei allen:<lb/> sind, wollen wir vom Poeten und Künstler absehn, mit den Mitteln ausgerüstet,<lb/> um der Nation den Weg über den Alltag hinaus zu zeigen. Haben ste es getan?<lb/> Ja. alle drei haben es versucht, aber alle drei sind im vorigen Jahre unterlegen.<lb/> Ihre Kraft reichte noch grade dazu hin, an unserer Ostgrenze Bresche in eine<lb/> ruinöse Bodenpolitik zu legen, - zu einer Neugestaltung der Steuerpolitik<lb/> reichte sie nicht mehr hin. Der wirtschaftliche Egoismus der Machthaber<lb/> wach sich als stärker. Gegen diesen wirtschaftlichen Egoismus, der für<lb/> seine Träger die Bezeichnung „positiv schaffender Stände" in Anspruch<lb/> nimmt, ist die Reaktion eingetreten, die mit verstärkter Anstrengung den<lb/> alten, früher gewiesenen Zielen zustrebt und eben durch den verstärkten Kraft¬<lb/> aufwand anch in der Gefahr schwebt, über das Ziel hinauszuschießen. Die<lb/> eifrigsten Anhänger der Politik des Fürsten Bülow sind heute gezwungen, abseits<lb/> der „positiv schaffenden Stände" zu stehen oder aber ihre Überzeugung zu opfern.<lb/> Wer noch mit offenen Augen einhergeht, wird erkennen, daß es nicht die schlechtesten<lb/> Teile unserer Gelehrtenwelt und unserer Publizistik sind, die von dem heutigen<lb/> Kurse nichts wissen wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2359" next="#ID_2360"> Die heutige Regierung hat nun noch nicht die Mittel gefunden, um die<lb/> Fortsetzung der Politik des Fürsten Bülow gewährleisten zu tonnen. Als Grund<lb/> dafür wird die Zunahme der Sozialdemokratie angegeben. Die Sozialdemokratie<lb/> ist nach Auffassung vieler nicht nur eine ständige, sondern auch die größte Gefahr<lb/> für Staat und Nation. Auch wir teilen solchen Standpunkt, und um sie bekämpfen<lb/> SU können, sind wir den EMenzbedingnngen der Partei nachgegangen. Diese</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0559]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Tätigen weit auseinander und die verschiedenen Auffassungen über die Bedeutung
einer Betätigung bilden die innerste Ursache für die Zerrissenheit im Bürgertum.
Produzent, Händler und Konsument werden gegeneinander kämpfen so lange, bis
der Staat alle ihre Funktionen, also die Gütererzeugung, die Güterverteilung und
den Verbrauch auf sich genommen, also so lange, wie der bürgerliche Staat nicht
abgelöst ist durch den sozialistischen. Wer wollte da ernstlich den Versuch machen
wollen, den wirtschaftlichen Kampf zu beseitigen? — er müßte denn selbst Sozialist
sein. Wer aber die Berechtigung des Kampfes anerkennt, der sollte auch nicht
den Begriff positiv schaffender Stände" im Gegensatz zu etwa „nicht positiv
schaffenden" kennen. Bei der Möglichkeit weit anseinandergehender Bedürfnisse
sollte man nicht versuchen, eine Exkluvisivität von „positiv Schaffenden" zu kon¬
struieren, andernfalls stellt man sich auf die Höhe der Anschauungen der Transvaal-
Buren, die vor noch gar nicht langer Zeit den Johannisbnrger Bankiers dafür
Konnnissionen zahlten, daß diese ihr Bargeld in „Verwahrung" nahmen. Im
Sinne jener Buren waren die Bankiers natürlich kein „posttlv schaffender Stand",
wohl aber für das britische Weltreich. - Doch genug hiervon. Was wir sagen
wollen, ist folgendes: man soll nicht versuchen, wirtschaftliche und politische Fragen
miteinander zu verquicken, wo die Voraussetzungen dafür fehlen-
, man soll eine
Entwicklung wie die der Sozialdemokratie nicht künstlich aufhalten wollen, die
man nur durch intensive Bearbeitung an ihren Anfängen lenken kann; man soll
Gegensätze nicht verallgemeinern, die im Hinblick auf den Staat nur lokale
Erscheinungen am Wirtschaftskörper sind. Man soll vielmehr den fieberhaft
arbeitenden Erwerbsständen von Zeit zu Zeit zeigen, daß ste ihre Arbeit, wollen
sie deren Preis auch für eine fernere Zukunft sicher stellen, hin und wieder ein¬
mal nach den historischen Zielen des Staates oder des Volksganzen orientieren
müssen. Diese zeitweiligen großen Orientierungen können natürlich nicht, wie es
gegenwärtig angestrebt wird, von einem der Erwerbsstände ausgehn; dazu sind
berufen: die Wissenschaft, die Publizistik und die Staatsleiter. Diese drei allen:
sind, wollen wir vom Poeten und Künstler absehn, mit den Mitteln ausgerüstet,
um der Nation den Weg über den Alltag hinaus zu zeigen. Haben ste es getan?
Ja. alle drei haben es versucht, aber alle drei sind im vorigen Jahre unterlegen.
Ihre Kraft reichte noch grade dazu hin, an unserer Ostgrenze Bresche in eine
ruinöse Bodenpolitik zu legen, - zu einer Neugestaltung der Steuerpolitik
reichte sie nicht mehr hin. Der wirtschaftliche Egoismus der Machthaber
wach sich als stärker. Gegen diesen wirtschaftlichen Egoismus, der für
seine Träger die Bezeichnung „positiv schaffender Stände" in Anspruch
nimmt, ist die Reaktion eingetreten, die mit verstärkter Anstrengung den
alten, früher gewiesenen Zielen zustrebt und eben durch den verstärkten Kraft¬
aufwand anch in der Gefahr schwebt, über das Ziel hinauszuschießen. Die
eifrigsten Anhänger der Politik des Fürsten Bülow sind heute gezwungen, abseits
der „positiv schaffenden Stände" zu stehen oder aber ihre Überzeugung zu opfern.
Wer noch mit offenen Augen einhergeht, wird erkennen, daß es nicht die schlechtesten
Teile unserer Gelehrtenwelt und unserer Publizistik sind, die von dem heutigen
Kurse nichts wissen wollen.
Die heutige Regierung hat nun noch nicht die Mittel gefunden, um die
Fortsetzung der Politik des Fürsten Bülow gewährleisten zu tonnen. Als Grund
dafür wird die Zunahme der Sozialdemokratie angegeben. Die Sozialdemokratie
ist nach Auffassung vieler nicht nur eine ständige, sondern auch die größte Gefahr
für Staat und Nation. Auch wir teilen solchen Standpunkt, und um sie bekämpfen
SU können, sind wir den EMenzbedingnngen der Partei nachgegangen. Diese
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