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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Das Zinn

Linguistische Verhältnisse sprechen nun aber dafür, daß auch das Zinn als
Metall für sich schon sehr frühzeitig aus dem für seine Gewinnung technisch
allein in Betracht kommenden Erze, dein Zinnstein, dargestellt wurde -- und
zwar wohl im südlichen Asien. Im Altindischen, dem Sanskrit, trägt das
metallische Zinn den Namen Naga und in: Altpersischcn, dem Zend, den Namen
Uvula, während es bei den altsemitischen Völkern, den Juden und Chaldäern,
Arak und bei den Äthiopiern Naak hieß. Die in diesen Worten unverkennbar
gleiche Sprachwurzel mal bezw. mag weist auf die enorm reichen hinterindischen
Zinnwäschen, die heute wieder den weitaus größten Teil des Weltverbrauches
an Zinn decken, als Ausgangspunkt und Hanptzentrum einer schon sehr alten
Zinngewinnung hin. Früher glaubte man, daß das schon von Homer gebrauchte
Wort für Zinn, nämlich Kassiteros, dem sanskritischen Kastira, welches man
für sehr alt hielt, entlehnt sei und daß dieses Sprachverhältnis auf den sehr
alten Import des Zinns in Südeuropa aus Indien über Vorderasien hinweise.
Nun hat sich aber gezeigt, daß das Wort Kastira erst seit dem letzten Jahr¬
hundert v. Chr. in der Sanskrit-Literatur aufkommt, so daß eher anzunehmen
ist, daß dasselbe durch das alte Handelsvolk der Phöniker zuerst in den Mittel¬
meerländern in Gebrauch kam und später erst auf dem Handelswege auch bei
den Indern bekannt geworden ist -- vielleicht infolge anhaltender Nachfrage
nach dem so geschätzten Metall von Europa aus. Das Wort 8damnum, von
welchem sowohl die romanischen Worte etain, 8taAno> chors als auch das
deutsche Zinn, das englische den und die anderen germanischen Bezeichnungen
für das Metall abstammen, ist dem keltischen (Mischen) Worte istän bezw. 8team
entlehnt, was kulturhistorisch ebenfalls von Bedeutung ist. Lange Zeit deckten
nämlich die beiden Völker des klassischen Altertums ihren, wie z. B. die Haus¬
gerätfunde in Pompeji und Herkulanum verraten, schon sehr großen Bedarf an
Zinn aus den Bergwerken der Provinzen Gallicien und Lusitanien auf der
Pnrenäischen Halbinsel, von wo es ihnen die Phöniker, die das Zinn auf seinem
schon etwa tausend Jahre v. Chr. gegründeten Stapelplatze Gades (Cadix)
aufkauften, vordem schon zugeführt hatten. Bereits in Cäsars Zeit trat für
das alte Rom auch Britannien als Zinnproduzent hervor und später spielte
Marsilia (Marseille), wohin das englische Zinn von der Insel Iltis (Vcctis,
Wight) ehedem teils zu Wasser und teils zu Lande gebracht wurde, als Zinn¬
markt noch eine bedeutendere Rolle als früher Cadix. Als Zinninseln oder
Kassiteriden waren die britischen Eilande den Phönikern und Griechen übrigens
schon sehr früh bekannt. Auf der Pyrenäischcn Halbinsel ist bis zur Zeit der
Invasion der Mauren, also bis ins achte Jahrhundert n. Chr., ein lebhafter
Zinnbergbau umgegangen. Was Großbritannien angeht, so scheint hier der
Zinnhandel durch die Völkerwanderung nur auf kurze Zeit unterdrückt worden
zu sein. Der Markt für das englische Zinn verlegte sich dabei aber in: zwölften
und dreizehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung mehr nach dem Norden, nach
den Städten Cöln und besonders nach Brügge. Vor dem zwölften Jahrhundert


Das Zinn

Linguistische Verhältnisse sprechen nun aber dafür, daß auch das Zinn als
Metall für sich schon sehr frühzeitig aus dem für seine Gewinnung technisch
allein in Betracht kommenden Erze, dein Zinnstein, dargestellt wurde — und
zwar wohl im südlichen Asien. Im Altindischen, dem Sanskrit, trägt das
metallische Zinn den Namen Naga und in: Altpersischcn, dem Zend, den Namen
Uvula, während es bei den altsemitischen Völkern, den Juden und Chaldäern,
Arak und bei den Äthiopiern Naak hieß. Die in diesen Worten unverkennbar
gleiche Sprachwurzel mal bezw. mag weist auf die enorm reichen hinterindischen
Zinnwäschen, die heute wieder den weitaus größten Teil des Weltverbrauches
an Zinn decken, als Ausgangspunkt und Hanptzentrum einer schon sehr alten
Zinngewinnung hin. Früher glaubte man, daß das schon von Homer gebrauchte
Wort für Zinn, nämlich Kassiteros, dem sanskritischen Kastira, welches man
für sehr alt hielt, entlehnt sei und daß dieses Sprachverhältnis auf den sehr
alten Import des Zinns in Südeuropa aus Indien über Vorderasien hinweise.
Nun hat sich aber gezeigt, daß das Wort Kastira erst seit dem letzten Jahr¬
hundert v. Chr. in der Sanskrit-Literatur aufkommt, so daß eher anzunehmen
ist, daß dasselbe durch das alte Handelsvolk der Phöniker zuerst in den Mittel¬
meerländern in Gebrauch kam und später erst auf dem Handelswege auch bei
den Indern bekannt geworden ist — vielleicht infolge anhaltender Nachfrage
nach dem so geschätzten Metall von Europa aus. Das Wort 8damnum, von
welchem sowohl die romanischen Worte etain, 8taAno> chors als auch das
deutsche Zinn, das englische den und die anderen germanischen Bezeichnungen
für das Metall abstammen, ist dem keltischen (Mischen) Worte istän bezw. 8team
entlehnt, was kulturhistorisch ebenfalls von Bedeutung ist. Lange Zeit deckten
nämlich die beiden Völker des klassischen Altertums ihren, wie z. B. die Haus¬
gerätfunde in Pompeji und Herkulanum verraten, schon sehr großen Bedarf an
Zinn aus den Bergwerken der Provinzen Gallicien und Lusitanien auf der
Pnrenäischen Halbinsel, von wo es ihnen die Phöniker, die das Zinn auf seinem
schon etwa tausend Jahre v. Chr. gegründeten Stapelplatze Gades (Cadix)
aufkauften, vordem schon zugeführt hatten. Bereits in Cäsars Zeit trat für
das alte Rom auch Britannien als Zinnproduzent hervor und später spielte
Marsilia (Marseille), wohin das englische Zinn von der Insel Iltis (Vcctis,
Wight) ehedem teils zu Wasser und teils zu Lande gebracht wurde, als Zinn¬
markt noch eine bedeutendere Rolle als früher Cadix. Als Zinninseln oder
Kassiteriden waren die britischen Eilande den Phönikern und Griechen übrigens
schon sehr früh bekannt. Auf der Pyrenäischcn Halbinsel ist bis zur Zeit der
Invasion der Mauren, also bis ins achte Jahrhundert n. Chr., ein lebhafter
Zinnbergbau umgegangen. Was Großbritannien angeht, so scheint hier der
Zinnhandel durch die Völkerwanderung nur auf kurze Zeit unterdrückt worden
zu sein. Der Markt für das englische Zinn verlegte sich dabei aber in: zwölften
und dreizehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung mehr nach dem Norden, nach
den Städten Cöln und besonders nach Brügge. Vor dem zwölften Jahrhundert


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[0526] Das Zinn Linguistische Verhältnisse sprechen nun aber dafür, daß auch das Zinn als Metall für sich schon sehr frühzeitig aus dem für seine Gewinnung technisch allein in Betracht kommenden Erze, dein Zinnstein, dargestellt wurde — und zwar wohl im südlichen Asien. Im Altindischen, dem Sanskrit, trägt das metallische Zinn den Namen Naga und in: Altpersischcn, dem Zend, den Namen Uvula, während es bei den altsemitischen Völkern, den Juden und Chaldäern, Arak und bei den Äthiopiern Naak hieß. Die in diesen Worten unverkennbar gleiche Sprachwurzel mal bezw. mag weist auf die enorm reichen hinterindischen Zinnwäschen, die heute wieder den weitaus größten Teil des Weltverbrauches an Zinn decken, als Ausgangspunkt und Hanptzentrum einer schon sehr alten Zinngewinnung hin. Früher glaubte man, daß das schon von Homer gebrauchte Wort für Zinn, nämlich Kassiteros, dem sanskritischen Kastira, welches man für sehr alt hielt, entlehnt sei und daß dieses Sprachverhältnis auf den sehr alten Import des Zinns in Südeuropa aus Indien über Vorderasien hinweise. Nun hat sich aber gezeigt, daß das Wort Kastira erst seit dem letzten Jahr¬ hundert v. Chr. in der Sanskrit-Literatur aufkommt, so daß eher anzunehmen ist, daß dasselbe durch das alte Handelsvolk der Phöniker zuerst in den Mittel¬ meerländern in Gebrauch kam und später erst auf dem Handelswege auch bei den Indern bekannt geworden ist — vielleicht infolge anhaltender Nachfrage nach dem so geschätzten Metall von Europa aus. Das Wort 8damnum, von welchem sowohl die romanischen Worte etain, 8taAno> chors als auch das deutsche Zinn, das englische den und die anderen germanischen Bezeichnungen für das Metall abstammen, ist dem keltischen (Mischen) Worte istän bezw. 8team entlehnt, was kulturhistorisch ebenfalls von Bedeutung ist. Lange Zeit deckten nämlich die beiden Völker des klassischen Altertums ihren, wie z. B. die Haus¬ gerätfunde in Pompeji und Herkulanum verraten, schon sehr großen Bedarf an Zinn aus den Bergwerken der Provinzen Gallicien und Lusitanien auf der Pnrenäischen Halbinsel, von wo es ihnen die Phöniker, die das Zinn auf seinem schon etwa tausend Jahre v. Chr. gegründeten Stapelplatze Gades (Cadix) aufkauften, vordem schon zugeführt hatten. Bereits in Cäsars Zeit trat für das alte Rom auch Britannien als Zinnproduzent hervor und später spielte Marsilia (Marseille), wohin das englische Zinn von der Insel Iltis (Vcctis, Wight) ehedem teils zu Wasser und teils zu Lande gebracht wurde, als Zinn¬ markt noch eine bedeutendere Rolle als früher Cadix. Als Zinninseln oder Kassiteriden waren die britischen Eilande den Phönikern und Griechen übrigens schon sehr früh bekannt. Auf der Pyrenäischcn Halbinsel ist bis zur Zeit der Invasion der Mauren, also bis ins achte Jahrhundert n. Chr., ein lebhafter Zinnbergbau umgegangen. Was Großbritannien angeht, so scheint hier der Zinnhandel durch die Völkerwanderung nur auf kurze Zeit unterdrückt worden zu sein. Der Markt für das englische Zinn verlegte sich dabei aber in: zwölften und dreizehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung mehr nach dem Norden, nach den Städten Cöln und besonders nach Brügge. Vor dem zwölften Jahrhundert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/526>, abgerufen am 23.07.2024.