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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Lage des Deutschtums in Galizien

und hätte nicht die klägliche Entwicklung genommen, die dort infolge der
slawischen Hochflut und der magyarischen Gewaltherrschaft leider um sich greift.
Unabsehbar wären aber die Folgen, wenn die durch Kaiser Joseph den Zweiten
nach Galizien, nach Oberungarn und in die Bukowina verpflanzten Deutschen
hier eine stärkere deutsche Kulturschicht bereits gefunden hätten. . . .

Als diese deutschen Bauern, Handwerker, Beamten und Soldaten ins Land
kamen, war der alte Haß nicht erstorben. Der damals ins Land gekommene
französische Gelehrte Hacquet stellt fest, daß das polnische Sprichwort: "solange
die Welt bestehen wird, werden Deutsche und Polen nicht Freunde sein" noch
seine volle Geltung hatte. "Aber der Polack", fügt er hinzu, "hat sehr unrecht,
den Teutschen von allen Seiten zu hassen. Wem hat er seine ganze Belehrung
zu danken als dem Teutschen." Ein anderer Schriftsteller (S. Bredetzky)
bemerkt schou vor hundert Jahren: "Die deutscheu Kolonisten kamen mit der
deutschen Regierung ins Land, was wunder, daß sie unwillkommen waren."
Wenn dagegen S. Rohrer damals bemerkt, daß der "Nationalhaß in Lemberg
schon merklich vertilgt sei", und als Beweis dafür den Umstand anführt, daß
Deutsche polnisch und Polen deutsch sprechen, so war dies ein falscher Schluß.
Die Erinnerung des Dichters Kazimierz Brodzinski an seine Krakauer Schulzeit
Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gipfelt in der Bemerkung: "Ich weiß
bloß, daß wir die deutschen Mitschüler prügelten und sie Deutsche schimpften."
Die Schimpfwörter "s^ahsla an82a", "bestia s?xvab", "niemiecka
psiakrev" und dergleichen gehören seit jeher zum polnischen Rüstzeug gegen
die Deutschen. Natürlich schwiegen auch die Deutschen nicht; nur haben sie vor
allein die polnische Wirtschaft und deu törichten Adelsstolz der Polen zur Ziel¬
scheibe ihres Spottes gemacht.

Aber auch historisch bezeugte Tatsachen lassen deu nie vergessenen Deutschenhaß
erkennen. Als 1809 das Glück der Waffen auch in Polen gegen Österreich
entschied, versuchten die Polen in der Umgebung von Stanislau (Ostgalizien)
eine Aktion zugunsten der polnischen Sache. Die deutschen Beamten sollten
abgeschafft werden; ein weiutrunkener Advokat forderte sogar, daß man sie köpfe,
und einer seiner Kollegen lief in die Apotheke und kratzte dort alle an Flaschen
und Tiegeln angebrachten kaiserlichen Adler herab. In einer Flugschrift, welche
die Revolution von 1846 hervorrief, war zu lesen: "Es gibt keinen Gott, keine
Religion, keine Seligkeit. Nur die Ermordung aller Deutschen und Fremden
zur Wiederherstellung des polnischen Staates ist Recht, Religion, ewige Seligkeit."
Ju den ruthenischen Wahlaufrufen von 1848 wurde vor den fremden (deutschen)
Beamten gewarnt, die nur große Steuern veranlassen, um selbst große Gehälter
zu beziehen. Die polnischen Agitatoren, die damals das Volk zum Aufstand
zu reizen suchten, dichteten auch ruthenische Lieder, in denen in schändlicher Weise
gegen den "Schwaben" und "Deutschen" gehetzt wurde. Er wird als der Feind
hingestellt, gegen den Polen und Ruthenen gemeinsam losgehen sollen, als der



") "Schwäbische Seele", "Die Bestie Schwnb", "Deutsche Hundeseele".
Die Lage des Deutschtums in Galizien

und hätte nicht die klägliche Entwicklung genommen, die dort infolge der
slawischen Hochflut und der magyarischen Gewaltherrschaft leider um sich greift.
Unabsehbar wären aber die Folgen, wenn die durch Kaiser Joseph den Zweiten
nach Galizien, nach Oberungarn und in die Bukowina verpflanzten Deutschen
hier eine stärkere deutsche Kulturschicht bereits gefunden hätten. . . .

Als diese deutschen Bauern, Handwerker, Beamten und Soldaten ins Land
kamen, war der alte Haß nicht erstorben. Der damals ins Land gekommene
französische Gelehrte Hacquet stellt fest, daß das polnische Sprichwort: „solange
die Welt bestehen wird, werden Deutsche und Polen nicht Freunde sein" noch
seine volle Geltung hatte. „Aber der Polack", fügt er hinzu, „hat sehr unrecht,
den Teutschen von allen Seiten zu hassen. Wem hat er seine ganze Belehrung
zu danken als dem Teutschen." Ein anderer Schriftsteller (S. Bredetzky)
bemerkt schou vor hundert Jahren: „Die deutscheu Kolonisten kamen mit der
deutschen Regierung ins Land, was wunder, daß sie unwillkommen waren."
Wenn dagegen S. Rohrer damals bemerkt, daß der „Nationalhaß in Lemberg
schon merklich vertilgt sei", und als Beweis dafür den Umstand anführt, daß
Deutsche polnisch und Polen deutsch sprechen, so war dies ein falscher Schluß.
Die Erinnerung des Dichters Kazimierz Brodzinski an seine Krakauer Schulzeit
Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gipfelt in der Bemerkung: „Ich weiß
bloß, daß wir die deutschen Mitschüler prügelten und sie Deutsche schimpften."
Die Schimpfwörter „s^ahsla an82a", „bestia s?xvab", „niemiecka
psiakrev" und dergleichen gehören seit jeher zum polnischen Rüstzeug gegen
die Deutschen. Natürlich schwiegen auch die Deutschen nicht; nur haben sie vor
allein die polnische Wirtschaft und deu törichten Adelsstolz der Polen zur Ziel¬
scheibe ihres Spottes gemacht.

Aber auch historisch bezeugte Tatsachen lassen deu nie vergessenen Deutschenhaß
erkennen. Als 1809 das Glück der Waffen auch in Polen gegen Österreich
entschied, versuchten die Polen in der Umgebung von Stanislau (Ostgalizien)
eine Aktion zugunsten der polnischen Sache. Die deutschen Beamten sollten
abgeschafft werden; ein weiutrunkener Advokat forderte sogar, daß man sie köpfe,
und einer seiner Kollegen lief in die Apotheke und kratzte dort alle an Flaschen
und Tiegeln angebrachten kaiserlichen Adler herab. In einer Flugschrift, welche
die Revolution von 1846 hervorrief, war zu lesen: „Es gibt keinen Gott, keine
Religion, keine Seligkeit. Nur die Ermordung aller Deutschen und Fremden
zur Wiederherstellung des polnischen Staates ist Recht, Religion, ewige Seligkeit."
Ju den ruthenischen Wahlaufrufen von 1848 wurde vor den fremden (deutschen)
Beamten gewarnt, die nur große Steuern veranlassen, um selbst große Gehälter
zu beziehen. Die polnischen Agitatoren, die damals das Volk zum Aufstand
zu reizen suchten, dichteten auch ruthenische Lieder, in denen in schändlicher Weise
gegen den „Schwaben" und „Deutschen" gehetzt wurde. Er wird als der Feind
hingestellt, gegen den Polen und Ruthenen gemeinsam losgehen sollen, als der



") „Schwäbische Seele", „Die Bestie Schwnb", „Deutsche Hundeseele".
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/518>, abgerufen am 23.07.2024.