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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Charakter

Noch an demselben Tage schickte ich das Halsband an den Major und legte
einen Brief bei. Ich entschuldigte mich nicht -- denn dazu hatte ich ja durchaus
keinen Grund --, ich drückte nur mein Bedauern aus, seiner Tochter und wahr¬
scheinlich auch ihm einen Kummer zugefügt zu haben.

Schon am nächsten Tage erhielt ich die sehr höfliche, nur ein wenig förmliche
Antwort des Alten. Einer Entschuldigung -- er mutzte es also doch so aufgefatzt
haben -- hätte es durchaus nicht bedurft, er selbst stehe als leidenschaftlicher Jäger
vollständig auf meinem Standpunkte, und im übrigen seien ja an vielen Stellen
meines Reviers Warnungstafeln angebracht, die das freie Umherlaufe" von Hunden
verböten. Wenn seine Tochter nicht darauf geachtet habe, so sei dies nur ihre
eigene Schuld, und ich könne in keiner Weise für das Geschehene verantwortlich
gemacht werden.

Somit schien nach autzen hin alles erledigt zu sein, aber innerlich konnte ich
mit der leidigen Geschichte nicht fertig werden. Ich mutzte immer daran denken,
datz die Verhältnisse im Hause dieses pensionierten Majors jedenfalls keine besonders
glänzenden waren und datz ich dem Mädchen wahrscheinlich sein einziges,
bescheidenes Vergnügen geraubt hatte. Ich konnte die Erinnerung an ihr blasses,
entstelltes Gesicht nicht loswerden, dabei plagte mich aber unausgesetzt das Ver¬
langen, dieses Gesicht auch dann kennen zu lernen, wenn es froh und ungeauälr
in die Welt blickte.

Der Zufall wollte es, datz meine Dachshündin Scuta vor etwa fünf Wochen
Junge geworfen hatte. Mit einem raschen Entschlüsse suchte ich den schönsten
Rüden aus der kleinen Gesellschaft heraus und wanderte mit ihm den Schlotzberg
hinunter ins Dorf.

Der alte Major Satz gerade im Vorgarten des Häuschens, wo er sich ein¬
gemietet hatte, und las irgendein sehr konservatives Blatt. Als er mich eintreten
sah, wutzte er sogleich, wen er vor sich hatte, und empfing mich sehr höflich, aber
doch mit stark merkbarer Zurückhaltung. Wie man eben einen Menschen empfängt,
den man im Recht weisz, der einem aber eben dadurch, datz er sein Recht behauptete,
irgendeinen Schmerz zugefügt hat. Erst als ich ihn ersuchte, seiner Tochter den
jungen Dachshund als Ersatz anbieten zu dürfen, wurde er etwas wärmer und
nef das Mädchen aus dem Hause. Auf seinen Ruf erschien Susanne -- so hietz
seine Tochter -- in der Tür. Sobald sie mich erblickt hatte, blieb sie stehen, und
ich fühlte ganz deutlich, datz sie nicht gleich wutzte, wie sie sich mir gegenüber
benehmen solle. Aber bevor sie sich noch in irgendeiner Weise entschließen konnte,
trat ich auf sie zu und hielt ihr den Hund entgegen.

..... Vielleicht kann er Ihnen für den Verlust einen kleinen Ersatz
gewähren ..."

Sie schüttelte wieder den Kopf, genau so wie damals auf dem Schlag, als
ich ihr meine Hilfe angeboten hatte. Dabei blickte sie aber freundlich auf den
Hund und ich fühlte, wie froh sie war, für ihre Augen einen Anhaltspunkt
gefunden zu haben.

"Es ist sehr freundlich von Ihnen," sagte sie dann ganz langsam, "aber ich
kann den Hund nicht annehmen."

"Warum?"


Charakter

Noch an demselben Tage schickte ich das Halsband an den Major und legte
einen Brief bei. Ich entschuldigte mich nicht — denn dazu hatte ich ja durchaus
keinen Grund —, ich drückte nur mein Bedauern aus, seiner Tochter und wahr¬
scheinlich auch ihm einen Kummer zugefügt zu haben.

Schon am nächsten Tage erhielt ich die sehr höfliche, nur ein wenig förmliche
Antwort des Alten. Einer Entschuldigung — er mutzte es also doch so aufgefatzt
haben — hätte es durchaus nicht bedurft, er selbst stehe als leidenschaftlicher Jäger
vollständig auf meinem Standpunkte, und im übrigen seien ja an vielen Stellen
meines Reviers Warnungstafeln angebracht, die das freie Umherlaufe» von Hunden
verböten. Wenn seine Tochter nicht darauf geachtet habe, so sei dies nur ihre
eigene Schuld, und ich könne in keiner Weise für das Geschehene verantwortlich
gemacht werden.

Somit schien nach autzen hin alles erledigt zu sein, aber innerlich konnte ich
mit der leidigen Geschichte nicht fertig werden. Ich mutzte immer daran denken,
datz die Verhältnisse im Hause dieses pensionierten Majors jedenfalls keine besonders
glänzenden waren und datz ich dem Mädchen wahrscheinlich sein einziges,
bescheidenes Vergnügen geraubt hatte. Ich konnte die Erinnerung an ihr blasses,
entstelltes Gesicht nicht loswerden, dabei plagte mich aber unausgesetzt das Ver¬
langen, dieses Gesicht auch dann kennen zu lernen, wenn es froh und ungeauälr
in die Welt blickte.

Der Zufall wollte es, datz meine Dachshündin Scuta vor etwa fünf Wochen
Junge geworfen hatte. Mit einem raschen Entschlüsse suchte ich den schönsten
Rüden aus der kleinen Gesellschaft heraus und wanderte mit ihm den Schlotzberg
hinunter ins Dorf.

Der alte Major Satz gerade im Vorgarten des Häuschens, wo er sich ein¬
gemietet hatte, und las irgendein sehr konservatives Blatt. Als er mich eintreten
sah, wutzte er sogleich, wen er vor sich hatte, und empfing mich sehr höflich, aber
doch mit stark merkbarer Zurückhaltung. Wie man eben einen Menschen empfängt,
den man im Recht weisz, der einem aber eben dadurch, datz er sein Recht behauptete,
irgendeinen Schmerz zugefügt hat. Erst als ich ihn ersuchte, seiner Tochter den
jungen Dachshund als Ersatz anbieten zu dürfen, wurde er etwas wärmer und
nef das Mädchen aus dem Hause. Auf seinen Ruf erschien Susanne — so hietz
seine Tochter — in der Tür. Sobald sie mich erblickt hatte, blieb sie stehen, und
ich fühlte ganz deutlich, datz sie nicht gleich wutzte, wie sie sich mir gegenüber
benehmen solle. Aber bevor sie sich noch in irgendeiner Weise entschließen konnte,
trat ich auf sie zu und hielt ihr den Hund entgegen.

..... Vielleicht kann er Ihnen für den Verlust einen kleinen Ersatz
gewähren ..."

Sie schüttelte wieder den Kopf, genau so wie damals auf dem Schlag, als
ich ihr meine Hilfe angeboten hatte. Dabei blickte sie aber freundlich auf den
Hund und ich fühlte, wie froh sie war, für ihre Augen einen Anhaltspunkt
gefunden zu haben.

„Es ist sehr freundlich von Ihnen," sagte sie dann ganz langsam, „aber ich
kann den Hund nicht annehmen."

„Warum?"


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[0507] Charakter Noch an demselben Tage schickte ich das Halsband an den Major und legte einen Brief bei. Ich entschuldigte mich nicht — denn dazu hatte ich ja durchaus keinen Grund —, ich drückte nur mein Bedauern aus, seiner Tochter und wahr¬ scheinlich auch ihm einen Kummer zugefügt zu haben. Schon am nächsten Tage erhielt ich die sehr höfliche, nur ein wenig förmliche Antwort des Alten. Einer Entschuldigung — er mutzte es also doch so aufgefatzt haben — hätte es durchaus nicht bedurft, er selbst stehe als leidenschaftlicher Jäger vollständig auf meinem Standpunkte, und im übrigen seien ja an vielen Stellen meines Reviers Warnungstafeln angebracht, die das freie Umherlaufe» von Hunden verböten. Wenn seine Tochter nicht darauf geachtet habe, so sei dies nur ihre eigene Schuld, und ich könne in keiner Weise für das Geschehene verantwortlich gemacht werden. Somit schien nach autzen hin alles erledigt zu sein, aber innerlich konnte ich mit der leidigen Geschichte nicht fertig werden. Ich mutzte immer daran denken, datz die Verhältnisse im Hause dieses pensionierten Majors jedenfalls keine besonders glänzenden waren und datz ich dem Mädchen wahrscheinlich sein einziges, bescheidenes Vergnügen geraubt hatte. Ich konnte die Erinnerung an ihr blasses, entstelltes Gesicht nicht loswerden, dabei plagte mich aber unausgesetzt das Ver¬ langen, dieses Gesicht auch dann kennen zu lernen, wenn es froh und ungeauälr in die Welt blickte. Der Zufall wollte es, datz meine Dachshündin Scuta vor etwa fünf Wochen Junge geworfen hatte. Mit einem raschen Entschlüsse suchte ich den schönsten Rüden aus der kleinen Gesellschaft heraus und wanderte mit ihm den Schlotzberg hinunter ins Dorf. Der alte Major Satz gerade im Vorgarten des Häuschens, wo er sich ein¬ gemietet hatte, und las irgendein sehr konservatives Blatt. Als er mich eintreten sah, wutzte er sogleich, wen er vor sich hatte, und empfing mich sehr höflich, aber doch mit stark merkbarer Zurückhaltung. Wie man eben einen Menschen empfängt, den man im Recht weisz, der einem aber eben dadurch, datz er sein Recht behauptete, irgendeinen Schmerz zugefügt hat. Erst als ich ihn ersuchte, seiner Tochter den jungen Dachshund als Ersatz anbieten zu dürfen, wurde er etwas wärmer und nef das Mädchen aus dem Hause. Auf seinen Ruf erschien Susanne — so hietz seine Tochter — in der Tür. Sobald sie mich erblickt hatte, blieb sie stehen, und ich fühlte ganz deutlich, datz sie nicht gleich wutzte, wie sie sich mir gegenüber benehmen solle. Aber bevor sie sich noch in irgendeiner Weise entschließen konnte, trat ich auf sie zu und hielt ihr den Hund entgegen. ..... Vielleicht kann er Ihnen für den Verlust einen kleinen Ersatz gewähren ..." Sie schüttelte wieder den Kopf, genau so wie damals auf dem Schlag, als ich ihr meine Hilfe angeboten hatte. Dabei blickte sie aber freundlich auf den Hund und ich fühlte, wie froh sie war, für ihre Augen einen Anhaltspunkt gefunden zu haben. „Es ist sehr freundlich von Ihnen," sagte sie dann ganz langsam, „aber ich kann den Hund nicht annehmen." „Warum?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/507>, abgerufen am 23.07.2024.