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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Zur Reform der preußischen Areisverfassnng

es weder den Städten noch der Industrie noch auch den Landgemeinden im
entferntesten möglich ist, gegenüber dem größeren ländlichen Grundbesitz eine
ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechende Geltung sich zu verschaffen. Ins¬
besondere sei hier erinnert an unsere Betrachtung der Verteilung der Kreistags¬
mandate und der Kreissteuern auf die einzelnen Wahlverbände. Dieses Bild
bezieht sich allerdings nur auf 83 Kreise von der großen Gesamtzahl der
preußischen Landkreise. So hat es die Negierung ihrerseits in der Hand, durch
die Veröffentlichung des ihr zur Verfügung stehenden Materials für sämtliche
Landkreise Preußens gegebenenfalls nachzuweisen, daß unserem Bild keine
typische Bedeutung innewohnt. Solange das nicht geschieht, wird man für die
weiteren parlamentarischen Verhandlungen das durch den Deutschen Handelstag
produzierte Material als beweiskräftig zugrunde legen müssen.

Nun zu der Tragweite der Vorschläge des Deutschen Handelstags. Der
Vertreter des Ministers des Innern betonte, mit der Zugrundelegung der
Steuerleistung werde die Hauptgrundlage der Kreisordnung zerstört, und es
werde ihr ein plutokratisches Gepräge gegeben; und in der Gemeindekommission
des Abgeordnetenhauses fügte er hinzu, die Kritik, die vom Deutschen Handelstag
ausgehe, zeige, wie gefährlich es sein würde, auf Veranlassung vou Interessenten-
Vertretungen kommunale Verfassungsgesetze zu ändern^). Darin bekundet sich
eine so starke Verkennung der Intentionen des Deutschen Handelstags, daß sie
nicht nachdrücklich genug berichtigt werden kann. Der Deutsche Handelstag hat
sich gerade für die Erhaltung der Hauptgrundlage der Kreisverfassung aus¬
gesprochen. Als diese Hauptgrundlage sieht er allerdings die drei Wahlverbände
der Städte, der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden an, also die Zusammen¬
setzung der Kreisvertretung nach den wirtschaftlichen Gruppen, die unmittelbar
auf die alte rein ständische Verfassung zurückgehen. Im Rahmen dieser historisch
gewordenen Grundlage will der Deutsche Handelstag den von den Wähl¬
verbänden umschlossenen Erwerbskreisen eine ihrer allgemeinen wirtschaftlichen,
kulturellen und politischen Bedeutung entsprechende Geltung verschaffen. Keines¬
wegs will er nur Industrie und Handel mehr berücksichtigt wissen, sondern auch
die Städte und die Landgemeinden, von denen namentlich die letzteren seit dem
Erlaß der Kreisordnung eine ganz andere Bedeutung erlangt haben. Wie
wenig man den: Deutschen Handelstag Einseitigkeit bei seinen Vorschlägen vor¬
werfen kann, beweist klar und deutlich, daß er die Bestimmung des § 89 Ur. 2
erhalten wissen will, wonach von der nach Dotierung des Wahlverbandes der
Städte übrig bleibenden Zahl der Abgeordneten die Verbände der größeren
Grundbesitzer und der Landgemeinden ein jeder die Hälfte erhält. Der
Abgeordnete Richter brachte im Jahre 1394 im Abgeordnetenhaus eine Resolution
ein, die die Beseitigung der Scheidung des Wahlverbandes der Großgrund¬
besitzer und der Landgemeinden forderte. Danach sollte also für die Wahlen



Ugt, Saminlunq der Drucksachen des Preußischen AbqeordnetenhmiseS 1908/09,
9. Band S, 6233,
Zur Reform der preußischen Areisverfassnng

es weder den Städten noch der Industrie noch auch den Landgemeinden im
entferntesten möglich ist, gegenüber dem größeren ländlichen Grundbesitz eine
ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechende Geltung sich zu verschaffen. Ins¬
besondere sei hier erinnert an unsere Betrachtung der Verteilung der Kreistags¬
mandate und der Kreissteuern auf die einzelnen Wahlverbände. Dieses Bild
bezieht sich allerdings nur auf 83 Kreise von der großen Gesamtzahl der
preußischen Landkreise. So hat es die Negierung ihrerseits in der Hand, durch
die Veröffentlichung des ihr zur Verfügung stehenden Materials für sämtliche
Landkreise Preußens gegebenenfalls nachzuweisen, daß unserem Bild keine
typische Bedeutung innewohnt. Solange das nicht geschieht, wird man für die
weiteren parlamentarischen Verhandlungen das durch den Deutschen Handelstag
produzierte Material als beweiskräftig zugrunde legen müssen.

Nun zu der Tragweite der Vorschläge des Deutschen Handelstags. Der
Vertreter des Ministers des Innern betonte, mit der Zugrundelegung der
Steuerleistung werde die Hauptgrundlage der Kreisordnung zerstört, und es
werde ihr ein plutokratisches Gepräge gegeben; und in der Gemeindekommission
des Abgeordnetenhauses fügte er hinzu, die Kritik, die vom Deutschen Handelstag
ausgehe, zeige, wie gefährlich es sein würde, auf Veranlassung vou Interessenten-
Vertretungen kommunale Verfassungsgesetze zu ändern^). Darin bekundet sich
eine so starke Verkennung der Intentionen des Deutschen Handelstags, daß sie
nicht nachdrücklich genug berichtigt werden kann. Der Deutsche Handelstag hat
sich gerade für die Erhaltung der Hauptgrundlage der Kreisverfassung aus¬
gesprochen. Als diese Hauptgrundlage sieht er allerdings die drei Wahlverbände
der Städte, der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden an, also die Zusammen¬
setzung der Kreisvertretung nach den wirtschaftlichen Gruppen, die unmittelbar
auf die alte rein ständische Verfassung zurückgehen. Im Rahmen dieser historisch
gewordenen Grundlage will der Deutsche Handelstag den von den Wähl¬
verbänden umschlossenen Erwerbskreisen eine ihrer allgemeinen wirtschaftlichen,
kulturellen und politischen Bedeutung entsprechende Geltung verschaffen. Keines¬
wegs will er nur Industrie und Handel mehr berücksichtigt wissen, sondern auch
die Städte und die Landgemeinden, von denen namentlich die letzteren seit dem
Erlaß der Kreisordnung eine ganz andere Bedeutung erlangt haben. Wie
wenig man den: Deutschen Handelstag Einseitigkeit bei seinen Vorschlägen vor¬
werfen kann, beweist klar und deutlich, daß er die Bestimmung des § 89 Ur. 2
erhalten wissen will, wonach von der nach Dotierung des Wahlverbandes der
Städte übrig bleibenden Zahl der Abgeordneten die Verbände der größeren
Grundbesitzer und der Landgemeinden ein jeder die Hälfte erhält. Der
Abgeordnete Richter brachte im Jahre 1394 im Abgeordnetenhaus eine Resolution
ein, die die Beseitigung der Scheidung des Wahlverbandes der Großgrund¬
besitzer und der Landgemeinden forderte. Danach sollte also für die Wahlen



Ugt, Saminlunq der Drucksachen des Preußischen AbqeordnetenhmiseS 1908/09,
9. Band S, 6233,
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[0482] Zur Reform der preußischen Areisverfassnng es weder den Städten noch der Industrie noch auch den Landgemeinden im entferntesten möglich ist, gegenüber dem größeren ländlichen Grundbesitz eine ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechende Geltung sich zu verschaffen. Ins¬ besondere sei hier erinnert an unsere Betrachtung der Verteilung der Kreistags¬ mandate und der Kreissteuern auf die einzelnen Wahlverbände. Dieses Bild bezieht sich allerdings nur auf 83 Kreise von der großen Gesamtzahl der preußischen Landkreise. So hat es die Negierung ihrerseits in der Hand, durch die Veröffentlichung des ihr zur Verfügung stehenden Materials für sämtliche Landkreise Preußens gegebenenfalls nachzuweisen, daß unserem Bild keine typische Bedeutung innewohnt. Solange das nicht geschieht, wird man für die weiteren parlamentarischen Verhandlungen das durch den Deutschen Handelstag produzierte Material als beweiskräftig zugrunde legen müssen. Nun zu der Tragweite der Vorschläge des Deutschen Handelstags. Der Vertreter des Ministers des Innern betonte, mit der Zugrundelegung der Steuerleistung werde die Hauptgrundlage der Kreisordnung zerstört, und es werde ihr ein plutokratisches Gepräge gegeben; und in der Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses fügte er hinzu, die Kritik, die vom Deutschen Handelstag ausgehe, zeige, wie gefährlich es sein würde, auf Veranlassung vou Interessenten- Vertretungen kommunale Verfassungsgesetze zu ändern^). Darin bekundet sich eine so starke Verkennung der Intentionen des Deutschen Handelstags, daß sie nicht nachdrücklich genug berichtigt werden kann. Der Deutsche Handelstag hat sich gerade für die Erhaltung der Hauptgrundlage der Kreisverfassung aus¬ gesprochen. Als diese Hauptgrundlage sieht er allerdings die drei Wahlverbände der Städte, der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden an, also die Zusammen¬ setzung der Kreisvertretung nach den wirtschaftlichen Gruppen, die unmittelbar auf die alte rein ständische Verfassung zurückgehen. Im Rahmen dieser historisch gewordenen Grundlage will der Deutsche Handelstag den von den Wähl¬ verbänden umschlossenen Erwerbskreisen eine ihrer allgemeinen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Bedeutung entsprechende Geltung verschaffen. Keines¬ wegs will er nur Industrie und Handel mehr berücksichtigt wissen, sondern auch die Städte und die Landgemeinden, von denen namentlich die letzteren seit dem Erlaß der Kreisordnung eine ganz andere Bedeutung erlangt haben. Wie wenig man den: Deutschen Handelstag Einseitigkeit bei seinen Vorschlägen vor¬ werfen kann, beweist klar und deutlich, daß er die Bestimmung des § 89 Ur. 2 erhalten wissen will, wonach von der nach Dotierung des Wahlverbandes der Städte übrig bleibenden Zahl der Abgeordneten die Verbände der größeren Grundbesitzer und der Landgemeinden ein jeder die Hälfte erhält. Der Abgeordnete Richter brachte im Jahre 1394 im Abgeordnetenhaus eine Resolution ein, die die Beseitigung der Scheidung des Wahlverbandes der Großgrund¬ besitzer und der Landgemeinden forderte. Danach sollte also für die Wahlen Ugt, Saminlunq der Drucksachen des Preußischen AbqeordnetenhmiseS 1908/09, 9. Band S, 6233,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/482>, abgerufen am 23.07.2024.