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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Agnes Miegel

Meer hinschwinden. Und die historische Vorwelt dieses kargen Adlerlandes hat
Agnes Miegel balladenhaft bezwungen. Kynstudt. der Litauerherzog, lebt auf,
und Henning Schindekopf, sein Bezwinger, des Deutschen Ordens Schlachten-
sührer, spricht sein knappes "Oel sülvst". da er dem Lande den Frieden gegeben,
da er bei Ruban in der entscheidenden Schlacht die Todeswunde für das
Deutschtum empfangen hat. Heinrich von Planen, gefangen auf Burg Lochstädt,
ruft die Erinnerung alter Hochmeisterzeit in sich empor. Wie im lyrischen
Rhythmus, so auch in der Ballade wuchs Agnes Miegel mit der Reife der
Kreis, und sie bezwang so gut das Heimische wie die Ferne; sie wußte den
Rausch des ira und der Marseillaise in klingenden Versen zu beleben, die
doch nie hohl sind, nicht die von Fontane in einem klugen Brief gerügte zu
starke "Forschigkeit" besitzen, sondern wirklich aus dem Aufruhr heraus geboren
erscheinen.

Immer wieder aber wird nach dem Hauch der Leidenschaft das Herz von
der Stimme der Töne umsponnen, die eine Kindheit in der Heimat mit empor¬
bringt. Eben noch sehn wir, wie die Dichterin "die Kinder der Kleopatra"
plastisch vor uns hinstellt rin den: Hauch der überreifen Kultur eines in
Sinuenglut getauchten Fürstenhauses:

Wir sind die Kinder der Kleopatm,
Gezeugt in Nächten, wenn die Nllflut schwoll
Und segenspendcud flutete ins Land;
Zum Leben wach geküßt von heißen Lippen,
Noch blutend bon den Küssen Marc Autors.
Die Glut bon ihrer Rächte Raserei
Lag schwül wie Weihrauch in den Prunkgemächern,
Darin wir spielten.

Dann aber sind wir schon wieder mit Agnes Miegel am Bollwerk des Pregels
und nehmen Abschied von einen: langen, fleißigen Sein, das unter dem gleich¬
mäßigen Tritt eines ruhigen Tagewerks verlief, eines Tagewerks, dem eine
Dichterin den vollen Rhythmus des Lebens abzugewinnen vermag. Wir fühlen,
daß der alte Kaufmann zum letztenmal das alles, was sein Leben ausgemacht
hat, liebend umfängt..

Und da der nur halb Genesene den Abschiedsbesuch bei dem Freunde gemacht
hat, entläßt ihn dasselbe Bild:


Agnes Miegel

Meer hinschwinden. Und die historische Vorwelt dieses kargen Adlerlandes hat
Agnes Miegel balladenhaft bezwungen. Kynstudt. der Litauerherzog, lebt auf,
und Henning Schindekopf, sein Bezwinger, des Deutschen Ordens Schlachten-
sührer, spricht sein knappes „Oel sülvst". da er dem Lande den Frieden gegeben,
da er bei Ruban in der entscheidenden Schlacht die Todeswunde für das
Deutschtum empfangen hat. Heinrich von Planen, gefangen auf Burg Lochstädt,
ruft die Erinnerung alter Hochmeisterzeit in sich empor. Wie im lyrischen
Rhythmus, so auch in der Ballade wuchs Agnes Miegel mit der Reife der
Kreis, und sie bezwang so gut das Heimische wie die Ferne; sie wußte den
Rausch des ira und der Marseillaise in klingenden Versen zu beleben, die
doch nie hohl sind, nicht die von Fontane in einem klugen Brief gerügte zu
starke „Forschigkeit" besitzen, sondern wirklich aus dem Aufruhr heraus geboren
erscheinen.

Immer wieder aber wird nach dem Hauch der Leidenschaft das Herz von
der Stimme der Töne umsponnen, die eine Kindheit in der Heimat mit empor¬
bringt. Eben noch sehn wir, wie die Dichterin „die Kinder der Kleopatra"
plastisch vor uns hinstellt rin den: Hauch der überreifen Kultur eines in
Sinuenglut getauchten Fürstenhauses:

Wir sind die Kinder der Kleopatm,
Gezeugt in Nächten, wenn die Nllflut schwoll
Und segenspendcud flutete ins Land;
Zum Leben wach geküßt von heißen Lippen,
Noch blutend bon den Küssen Marc Autors.
Die Glut bon ihrer Rächte Raserei
Lag schwül wie Weihrauch in den Prunkgemächern,
Darin wir spielten.

Dann aber sind wir schon wieder mit Agnes Miegel am Bollwerk des Pregels
und nehmen Abschied von einen: langen, fleißigen Sein, das unter dem gleich¬
mäßigen Tritt eines ruhigen Tagewerks verlief, eines Tagewerks, dem eine
Dichterin den vollen Rhythmus des Lebens abzugewinnen vermag. Wir fühlen,
daß der alte Kaufmann zum letztenmal das alles, was sein Leben ausgemacht
hat, liebend umfängt..

Und da der nur halb Genesene den Abschiedsbesuch bei dem Freunde gemacht
hat, entläßt ihn dasselbe Bild:


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[0455] Agnes Miegel Meer hinschwinden. Und die historische Vorwelt dieses kargen Adlerlandes hat Agnes Miegel balladenhaft bezwungen. Kynstudt. der Litauerherzog, lebt auf, und Henning Schindekopf, sein Bezwinger, des Deutschen Ordens Schlachten- sührer, spricht sein knappes „Oel sülvst". da er dem Lande den Frieden gegeben, da er bei Ruban in der entscheidenden Schlacht die Todeswunde für das Deutschtum empfangen hat. Heinrich von Planen, gefangen auf Burg Lochstädt, ruft die Erinnerung alter Hochmeisterzeit in sich empor. Wie im lyrischen Rhythmus, so auch in der Ballade wuchs Agnes Miegel mit der Reife der Kreis, und sie bezwang so gut das Heimische wie die Ferne; sie wußte den Rausch des ira und der Marseillaise in klingenden Versen zu beleben, die doch nie hohl sind, nicht die von Fontane in einem klugen Brief gerügte zu starke „Forschigkeit" besitzen, sondern wirklich aus dem Aufruhr heraus geboren erscheinen. Immer wieder aber wird nach dem Hauch der Leidenschaft das Herz von der Stimme der Töne umsponnen, die eine Kindheit in der Heimat mit empor¬ bringt. Eben noch sehn wir, wie die Dichterin „die Kinder der Kleopatra" plastisch vor uns hinstellt rin den: Hauch der überreifen Kultur eines in Sinuenglut getauchten Fürstenhauses: Wir sind die Kinder der Kleopatm, Gezeugt in Nächten, wenn die Nllflut schwoll Und segenspendcud flutete ins Land; Zum Leben wach geküßt von heißen Lippen, Noch blutend bon den Küssen Marc Autors. Die Glut bon ihrer Rächte Raserei Lag schwül wie Weihrauch in den Prunkgemächern, Darin wir spielten. Dann aber sind wir schon wieder mit Agnes Miegel am Bollwerk des Pregels und nehmen Abschied von einen: langen, fleißigen Sein, das unter dem gleich¬ mäßigen Tritt eines ruhigen Tagewerks verlief, eines Tagewerks, dem eine Dichterin den vollen Rhythmus des Lebens abzugewinnen vermag. Wir fühlen, daß der alte Kaufmann zum letztenmal das alles, was sein Leben ausgemacht hat, liebend umfängt.. Und da der nur halb Genesene den Abschiedsbesuch bei dem Freunde gemacht hat, entläßt ihn dasselbe Bild:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/455>, abgerufen am 23.07.2024.