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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Agnes Uliegel

Griseldis, Anna Boleyn, Maria Stuart, Madeleine Bothwell treten auf, und
wir vernehmen Klänge, die Fontanes schottischen und englischen Balladen ver¬
wandt sind, Fontanes, von dem Agnes Miegel, gleichwie von Storm, manches
gelernt hat. Und wie von diesen beiden Dichtern der eine französisches, der
andre wohl dänisches Blut in den Adern hatte, so hat auch sie einen Einschlag
hugenottischen Bluts in ihre ostpreußische Natur hineinempfangen. Ihr Tanz¬
rhythmus erscheint so ganz natürlich, wenn er als Tanzlied der Margarete
von Valois emporklingt, gewinnt aber freilich die letzte Feinheit erst, wenn er
das junge Mädchen begleitet, das im von den Gästen verlassenen Hause noch
einmal für sich den Walzertakt nachschleift.

Die Jüngste aber zog aus ihrem Strauß
Langsam der roten Nelke Glut heraus
Und steckte sie in ihre Gürtelspange,
Und raffte schweigend, wie im tiefen Traum,
Ihr Weißes Kleid und schien's zu merken kaum,
Das; sie schon tanzte nach der Schwestern Sänge;
Mit großen Augen schwebte sie dahin,
Langsam und feierlich, als ob sie lauschte,
Wie schwer und starr die Weiße Seide rauschte
Bei jedem Schritt der blassen Tänzerin.
Sie gab nicht acht, daß allgemach berhallten
Der Schwestern Stimmen, und sie sah eS nicht,
Wie leise qualmend auslosch Licht um Licht;
Bor ihren Ohren tausend Geigen hallten,
Auf ihrem Scheitel lag der Schönheit Glanz
Strahlend und heiß, bis rot wie APfelblüteu
Die weichen runden Mädchenwangen glühten.
Und immer schneller ward der stille Tanz
Und immer wilder. -- Ihre Arme hoben
In Seligkeit und Sehnsucht sich nach oben,
, Um ihre heiße Kinderstirne flog
Das langgelöste Haar in blonden Strähnen,
In ihren Augen brannten heiße Träne",
Und tief ihr Haupt sich in den Nacken bog.
Laut knisternd loses die letzte Kerze aus,
Die Schwestern riefen fern aus ihrem Zimmer --
Hoch atmend aber stand das Kind noch immer
Und horchte, wie der Nordsturm fuhr ums Haus.

Es ist der Nordsturm, der die engen Straßen des alten Königsberg durch¬
fährt, der in dieser Stadt nicht nur den Gedanken ihrer Kinder immer wieder
ihren besondern Charakter gibt, und der seit den Tagen E. T. A. Hoffmanns
die Dichtungen ostpreußischer Künstler stets aufs neue durchbebt. Die alten
Götterbilder der Pruzzen steigen Agnes Miegel aus der dunkeln Winter¬
atmosphäre dieser Heimat leibhaft wieder empor, sie schaut sie in den überhellen
Sommernächten des Samlandes zwischen Ostsee und Haff. Ihre hohen Bernstein¬
kronen sieht sie, wenn ferne Gewitter verrollt sind, im Blitzesschein über das


Agnes Uliegel

Griseldis, Anna Boleyn, Maria Stuart, Madeleine Bothwell treten auf, und
wir vernehmen Klänge, die Fontanes schottischen und englischen Balladen ver¬
wandt sind, Fontanes, von dem Agnes Miegel, gleichwie von Storm, manches
gelernt hat. Und wie von diesen beiden Dichtern der eine französisches, der
andre wohl dänisches Blut in den Adern hatte, so hat auch sie einen Einschlag
hugenottischen Bluts in ihre ostpreußische Natur hineinempfangen. Ihr Tanz¬
rhythmus erscheint so ganz natürlich, wenn er als Tanzlied der Margarete
von Valois emporklingt, gewinnt aber freilich die letzte Feinheit erst, wenn er
das junge Mädchen begleitet, das im von den Gästen verlassenen Hause noch
einmal für sich den Walzertakt nachschleift.

Die Jüngste aber zog aus ihrem Strauß
Langsam der roten Nelke Glut heraus
Und steckte sie in ihre Gürtelspange,
Und raffte schweigend, wie im tiefen Traum,
Ihr Weißes Kleid und schien's zu merken kaum,
Das; sie schon tanzte nach der Schwestern Sänge;
Mit großen Augen schwebte sie dahin,
Langsam und feierlich, als ob sie lauschte,
Wie schwer und starr die Weiße Seide rauschte
Bei jedem Schritt der blassen Tänzerin.
Sie gab nicht acht, daß allgemach berhallten
Der Schwestern Stimmen, und sie sah eS nicht,
Wie leise qualmend auslosch Licht um Licht;
Bor ihren Ohren tausend Geigen hallten,
Auf ihrem Scheitel lag der Schönheit Glanz
Strahlend und heiß, bis rot wie APfelblüteu
Die weichen runden Mädchenwangen glühten.
Und immer schneller ward der stille Tanz
Und immer wilder. — Ihre Arme hoben
In Seligkeit und Sehnsucht sich nach oben,
, Um ihre heiße Kinderstirne flog
Das langgelöste Haar in blonden Strähnen,
In ihren Augen brannten heiße Träne»,
Und tief ihr Haupt sich in den Nacken bog.
Laut knisternd loses die letzte Kerze aus,
Die Schwestern riefen fern aus ihrem Zimmer —
Hoch atmend aber stand das Kind noch immer
Und horchte, wie der Nordsturm fuhr ums Haus.

Es ist der Nordsturm, der die engen Straßen des alten Königsberg durch¬
fährt, der in dieser Stadt nicht nur den Gedanken ihrer Kinder immer wieder
ihren besondern Charakter gibt, und der seit den Tagen E. T. A. Hoffmanns
die Dichtungen ostpreußischer Künstler stets aufs neue durchbebt. Die alten
Götterbilder der Pruzzen steigen Agnes Miegel aus der dunkeln Winter¬
atmosphäre dieser Heimat leibhaft wieder empor, sie schaut sie in den überhellen
Sommernächten des Samlandes zwischen Ostsee und Haff. Ihre hohen Bernstein¬
kronen sieht sie, wenn ferne Gewitter verrollt sind, im Blitzesschein über das


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[0454] Agnes Uliegel Griseldis, Anna Boleyn, Maria Stuart, Madeleine Bothwell treten auf, und wir vernehmen Klänge, die Fontanes schottischen und englischen Balladen ver¬ wandt sind, Fontanes, von dem Agnes Miegel, gleichwie von Storm, manches gelernt hat. Und wie von diesen beiden Dichtern der eine französisches, der andre wohl dänisches Blut in den Adern hatte, so hat auch sie einen Einschlag hugenottischen Bluts in ihre ostpreußische Natur hineinempfangen. Ihr Tanz¬ rhythmus erscheint so ganz natürlich, wenn er als Tanzlied der Margarete von Valois emporklingt, gewinnt aber freilich die letzte Feinheit erst, wenn er das junge Mädchen begleitet, das im von den Gästen verlassenen Hause noch einmal für sich den Walzertakt nachschleift. Die Jüngste aber zog aus ihrem Strauß Langsam der roten Nelke Glut heraus Und steckte sie in ihre Gürtelspange, Und raffte schweigend, wie im tiefen Traum, Ihr Weißes Kleid und schien's zu merken kaum, Das; sie schon tanzte nach der Schwestern Sänge; Mit großen Augen schwebte sie dahin, Langsam und feierlich, als ob sie lauschte, Wie schwer und starr die Weiße Seide rauschte Bei jedem Schritt der blassen Tänzerin. Sie gab nicht acht, daß allgemach berhallten Der Schwestern Stimmen, und sie sah eS nicht, Wie leise qualmend auslosch Licht um Licht; Bor ihren Ohren tausend Geigen hallten, Auf ihrem Scheitel lag der Schönheit Glanz Strahlend und heiß, bis rot wie APfelblüteu Die weichen runden Mädchenwangen glühten. Und immer schneller ward der stille Tanz Und immer wilder. — Ihre Arme hoben In Seligkeit und Sehnsucht sich nach oben, , Um ihre heiße Kinderstirne flog Das langgelöste Haar in blonden Strähnen, In ihren Augen brannten heiße Träne», Und tief ihr Haupt sich in den Nacken bog. Laut knisternd loses die letzte Kerze aus, Die Schwestern riefen fern aus ihrem Zimmer — Hoch atmend aber stand das Kind noch immer Und horchte, wie der Nordsturm fuhr ums Haus. Es ist der Nordsturm, der die engen Straßen des alten Königsberg durch¬ fährt, der in dieser Stadt nicht nur den Gedanken ihrer Kinder immer wieder ihren besondern Charakter gibt, und der seit den Tagen E. T. A. Hoffmanns die Dichtungen ostpreußischer Künstler stets aufs neue durchbebt. Die alten Götterbilder der Pruzzen steigen Agnes Miegel aus der dunkeln Winter¬ atmosphäre dieser Heimat leibhaft wieder empor, sie schaut sie in den überhellen Sommernächten des Samlandes zwischen Ostsee und Haff. Ihre hohen Bernstein¬ kronen sieht sie, wenn ferne Gewitter verrollt sind, im Blitzesschein über das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/454>, abgerufen am 23.07.2024.