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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Hanotcmx, Geschichte des zeitgenössischen Frankreich

Darstellung dient ihm noch nachträglich, bei Rußland Propaganda für die
Freundschaft mit Frankreich zu machen. Es ist nicht unmöglich, daß er damit
in gewissen russischen Kreisen Erfolg hat. Bismarck, so sagt er, wollte Nu߬
land von der großen Höhe seiner Macht herunterbringen, ohne es sich zum
Feinde zu machen. Daher sah er gern, daß es sich in der orientalischen
Angelegenheit engagierte und verbiß. Er erkannte Österreich-Ungarn als den
schwächeren Teil und deckte diesen: den Rücken. So unedel erwiderte er die
Freundschaft, die Gortschakow ihm 1870/71 erwiesen hatte, indem dieser
Österreich-Ungarn bewog, jeden Gedanken an Revanche für Sa^wa, durch
Mitbeteiligung an der Verteidigung Frankreichs aufzugeben. Wie Deutschland
1870/71 jeden Manu an die Westgrenze schicken konnte, so Hütte Rußland
1877 seine ganze Kraft gegen die Türkei entfalten können, wenn Bismarck
den Russen den Dienst von 1870/71 erwidert hätte. Statt dessen versicherte
er die Österreicher seines Beistandes und die Folge war, daß diese mit einer
schlagfertigen Armee dastanden, als die Russen die Schwierigkeiten am Balkan
endlich überwunden hatten und im Frieden von S. Stepha.no die berechtigten
Früchte ihrer Anstrengungen pflücken wollten. Auch auf ein geheimes antirussisches
Einverständnis Bismarcks mit England deutet Hanotaux hin. Die Darstellung
ist das Musterstück des Tendenziösen. Geschickt sind aus Bismarcks Gedanken
und Erinnerungen manche Dinge hineinverwoben, während der leitende
Gedanke Bismarcks, für die russischen Forderungen so lange einzutreten, wie
Gortschakow selber es tat, unterdrückt ist. Verheimlicht ist auch, daß Rußland
durch den verhältnismäßig unbedeutenden Krieg so geschwächt wurde, daß so viel
innere Unfertigkeit enthüllt wurde, daß Nußland selber sich zum Kriege mit
Österreich-Ungarn und gar auch noch mit England das soeben seine Ent¬
schlossenheit durch Entsendung seiner Kriegsflotte ins Marmara-Meer bekundet
hatte -- außerstande fühlte.

Es ist hier natürlich nicht der Ort, uni diese außerordentlich gefälschte
Darstellung zu widerlegen. Hier genügt ein einfacher Protest, wie gegen so
manches Bild aus der französischen Geschichtsschreibung. Hanotaux ist in der
inneren französischen Politik ein viel besserer Führer als in der auswärtigen. In
der letzteren ist er, wie die meisten seiner Landsleute, den: Dünkel ausgesetzt,
daß die Sache Frankreichs stets die edle und heilige sei, die seiner Gegner
jedoch aus schlechtem Charakter hervorgehe und auf das Unrecht abziele.

Nach der Episode des orientalischen Krieges kommt der Versasser auf die
innere Politik zurück. Sein nächstes Kapitel, die Abdankung des Präsidenten
Mac Mahon und die Einsetzung der Präsidentschaft Grevys, ist wieder glänzend
geschrieben. Unter verhältnismüßiger Ruhe spielt sich das Ministerium
Waddington-Ferri), das erste Ministerium Freycinet, das erste Ministerium
Jules Ferru ab, worauf dann endlich Gambetta selber in das leitende Amt
kommt. Nicht einmal drei Monate, vom 14. November 1881 bis zum
26. Januar 1882, konnte der Vielgefeierte sich behaupten. Seine Gegner


Hanotcmx, Geschichte des zeitgenössischen Frankreich

Darstellung dient ihm noch nachträglich, bei Rußland Propaganda für die
Freundschaft mit Frankreich zu machen. Es ist nicht unmöglich, daß er damit
in gewissen russischen Kreisen Erfolg hat. Bismarck, so sagt er, wollte Nu߬
land von der großen Höhe seiner Macht herunterbringen, ohne es sich zum
Feinde zu machen. Daher sah er gern, daß es sich in der orientalischen
Angelegenheit engagierte und verbiß. Er erkannte Österreich-Ungarn als den
schwächeren Teil und deckte diesen: den Rücken. So unedel erwiderte er die
Freundschaft, die Gortschakow ihm 1870/71 erwiesen hatte, indem dieser
Österreich-Ungarn bewog, jeden Gedanken an Revanche für Sa^wa, durch
Mitbeteiligung an der Verteidigung Frankreichs aufzugeben. Wie Deutschland
1870/71 jeden Manu an die Westgrenze schicken konnte, so Hütte Rußland
1877 seine ganze Kraft gegen die Türkei entfalten können, wenn Bismarck
den Russen den Dienst von 1870/71 erwidert hätte. Statt dessen versicherte
er die Österreicher seines Beistandes und die Folge war, daß diese mit einer
schlagfertigen Armee dastanden, als die Russen die Schwierigkeiten am Balkan
endlich überwunden hatten und im Frieden von S. Stepha.no die berechtigten
Früchte ihrer Anstrengungen pflücken wollten. Auch auf ein geheimes antirussisches
Einverständnis Bismarcks mit England deutet Hanotaux hin. Die Darstellung
ist das Musterstück des Tendenziösen. Geschickt sind aus Bismarcks Gedanken
und Erinnerungen manche Dinge hineinverwoben, während der leitende
Gedanke Bismarcks, für die russischen Forderungen so lange einzutreten, wie
Gortschakow selber es tat, unterdrückt ist. Verheimlicht ist auch, daß Rußland
durch den verhältnismäßig unbedeutenden Krieg so geschwächt wurde, daß so viel
innere Unfertigkeit enthüllt wurde, daß Nußland selber sich zum Kriege mit
Österreich-Ungarn und gar auch noch mit England das soeben seine Ent¬
schlossenheit durch Entsendung seiner Kriegsflotte ins Marmara-Meer bekundet
hatte — außerstande fühlte.

Es ist hier natürlich nicht der Ort, uni diese außerordentlich gefälschte
Darstellung zu widerlegen. Hier genügt ein einfacher Protest, wie gegen so
manches Bild aus der französischen Geschichtsschreibung. Hanotaux ist in der
inneren französischen Politik ein viel besserer Führer als in der auswärtigen. In
der letzteren ist er, wie die meisten seiner Landsleute, den: Dünkel ausgesetzt,
daß die Sache Frankreichs stets die edle und heilige sei, die seiner Gegner
jedoch aus schlechtem Charakter hervorgehe und auf das Unrecht abziele.

Nach der Episode des orientalischen Krieges kommt der Versasser auf die
innere Politik zurück. Sein nächstes Kapitel, die Abdankung des Präsidenten
Mac Mahon und die Einsetzung der Präsidentschaft Grevys, ist wieder glänzend
geschrieben. Unter verhältnismüßiger Ruhe spielt sich das Ministerium
Waddington-Ferri), das erste Ministerium Freycinet, das erste Ministerium
Jules Ferru ab, worauf dann endlich Gambetta selber in das leitende Amt
kommt. Nicht einmal drei Monate, vom 14. November 1881 bis zum
26. Januar 1882, konnte der Vielgefeierte sich behaupten. Seine Gegner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/450>, abgerufen am 01.07.2024.