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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schiller und Ljcbbcl

macht sie uns sogar von vornherein weit sympathischer, aber die Fortführung
der Gestaltung entspricht nicht jenem Anfange. Vielmehr schwankt Johanna hier
hin und her zwischen nachtwandlerischem, naivem Mädchen und pathetischer
Heldenjungsrau. Dieser Dualismus erklärt auch den schon erwähnten
unbefriedigender Fortgang der Handlung. Seinen Grund hat aber dieser
Dualismus in der Person des Dichters, der wahrscheinlich überhaupt ungeeignet
war zur Gestaltung einer naiven, christlich-romantischen Jdealgestalt.

Jene realistisch-psychologische Gestaltung der Judith ist nun aber durchaus
nicht kennzeichnend für Hebbels Gestaltung überhaupt. Es sei da nur an Golo
und an Herodes und Marianne erinnert. Da ist wirkliche, starke Leidenschafts-
gestaltung, wie wir sie bei Schiller vergeblich suchen. Ein "aus sich und der
Vernunft schöpfender Idealist" ist deren eben nicht fähig. Zwar ist auch Hebbels
Leidenschaft hier nicht so selbstverständlich, so gradlinig und großzügig, wie sie
Shakespeare bildet, aber das wird bei Herodes aus der Zeit heraus verständlich.
Jeder Zug in diesem Manne mit seinem grüblerischen und doch auch wieder
elementaren, fast brutalen Empfinden ist von dem Dichter wirklich gestaltet, und
darauf kommt es an. In keiner Weise aber gebrochen erscheint die Gestalt der
Marianne, die nur Hebbels elementare Persönlichkeit in dem Maße als letzte
große Makkabäerin bilden konnte, wie es geschehen ist, daß sie zuletzt, wie
Herodes selbst, durch sich untergehen muß.

Goethe gestaltet rein naive Frauengestalten, die in ihrer Natürlichkeit immer
zuerst und hauptsächlich als Weib wirken, Schillers Frauengestalten haben stets
einen den Ausschlag gebenden ideeuhaften Wesenszug, und zwar zuweilen so
stark, daß dadurch sast alles weiblich natürliche Empfinden in ihnen verloren
geht, Hebbels Frauen kennzeichnet meist eine tief in: Elementaren wurzelnde
innere Gebundenheit, aus der dann ihre erdige Leidenschaft herauswächst.

Gelegentlich bekommen freilich Hebbels Gestalten dnrch die innere Not¬
wendigkeit, unter der sie handeln, einen Zug ins Ausgeklügelte, sie erscheinen
mathematisch berechnet; und das macht sie uns fremd, seltsam. Sicher aber ist
diese scheinbare Berechnung nicht ein Mangel an poetischer Kraft des Dichters,
sondern wieder nur eine Folge seiner elementaren Natur, die den Menschen
unter die Folgerichtigkeit des elementaren Triebes stellt. Denn der Mensch ist
im Grunde seines Wesens etwas Gegebenes und nichts Zufälliges, und wenn
er nun so handelt, wie es dies Gegebene fordert, so wird er in dieser Welt
des Kampfes zur tragischen Persönlichkeit. Wie Hebbel selbst, so handeln auch
seine poetischen Gestalten nur dem einen in ihnen lebenden Gesetze gehorchend.
Wo diese Gebundenheit von vornherein als gegeben erscheint, wie bei der in
engen Verhältnissen aufgewachsenen Klara, da hat auch das gewöhnliche Empfinden
nichts dagegen einzuwenden. Anders aber, wo jenes innere Gesetz dem modernen
Menschen fremd und unwahrscheinlich ist, wie z.B. in Rhodope. Da reicht denn auch
Hebbels bildkräftige Phantasie nicht aus, uns dies Fremde ganz lebendig zu machen,
und wir sehen ohne die letzte notwendige Teilnahme in eine uns wesensfremde Welt.


Schiller und Ljcbbcl

macht sie uns sogar von vornherein weit sympathischer, aber die Fortführung
der Gestaltung entspricht nicht jenem Anfange. Vielmehr schwankt Johanna hier
hin und her zwischen nachtwandlerischem, naivem Mädchen und pathetischer
Heldenjungsrau. Dieser Dualismus erklärt auch den schon erwähnten
unbefriedigender Fortgang der Handlung. Seinen Grund hat aber dieser
Dualismus in der Person des Dichters, der wahrscheinlich überhaupt ungeeignet
war zur Gestaltung einer naiven, christlich-romantischen Jdealgestalt.

Jene realistisch-psychologische Gestaltung der Judith ist nun aber durchaus
nicht kennzeichnend für Hebbels Gestaltung überhaupt. Es sei da nur an Golo
und an Herodes und Marianne erinnert. Da ist wirkliche, starke Leidenschafts-
gestaltung, wie wir sie bei Schiller vergeblich suchen. Ein „aus sich und der
Vernunft schöpfender Idealist" ist deren eben nicht fähig. Zwar ist auch Hebbels
Leidenschaft hier nicht so selbstverständlich, so gradlinig und großzügig, wie sie
Shakespeare bildet, aber das wird bei Herodes aus der Zeit heraus verständlich.
Jeder Zug in diesem Manne mit seinem grüblerischen und doch auch wieder
elementaren, fast brutalen Empfinden ist von dem Dichter wirklich gestaltet, und
darauf kommt es an. In keiner Weise aber gebrochen erscheint die Gestalt der
Marianne, die nur Hebbels elementare Persönlichkeit in dem Maße als letzte
große Makkabäerin bilden konnte, wie es geschehen ist, daß sie zuletzt, wie
Herodes selbst, durch sich untergehen muß.

Goethe gestaltet rein naive Frauengestalten, die in ihrer Natürlichkeit immer
zuerst und hauptsächlich als Weib wirken, Schillers Frauengestalten haben stets
einen den Ausschlag gebenden ideeuhaften Wesenszug, und zwar zuweilen so
stark, daß dadurch sast alles weiblich natürliche Empfinden in ihnen verloren
geht, Hebbels Frauen kennzeichnet meist eine tief in: Elementaren wurzelnde
innere Gebundenheit, aus der dann ihre erdige Leidenschaft herauswächst.

Gelegentlich bekommen freilich Hebbels Gestalten dnrch die innere Not¬
wendigkeit, unter der sie handeln, einen Zug ins Ausgeklügelte, sie erscheinen
mathematisch berechnet; und das macht sie uns fremd, seltsam. Sicher aber ist
diese scheinbare Berechnung nicht ein Mangel an poetischer Kraft des Dichters,
sondern wieder nur eine Folge seiner elementaren Natur, die den Menschen
unter die Folgerichtigkeit des elementaren Triebes stellt. Denn der Mensch ist
im Grunde seines Wesens etwas Gegebenes und nichts Zufälliges, und wenn
er nun so handelt, wie es dies Gegebene fordert, so wird er in dieser Welt
des Kampfes zur tragischen Persönlichkeit. Wie Hebbel selbst, so handeln auch
seine poetischen Gestalten nur dem einen in ihnen lebenden Gesetze gehorchend.
Wo diese Gebundenheit von vornherein als gegeben erscheint, wie bei der in
engen Verhältnissen aufgewachsenen Klara, da hat auch das gewöhnliche Empfinden
nichts dagegen einzuwenden. Anders aber, wo jenes innere Gesetz dem modernen
Menschen fremd und unwahrscheinlich ist, wie z.B. in Rhodope. Da reicht denn auch
Hebbels bildkräftige Phantasie nicht aus, uns dies Fremde ganz lebendig zu machen,
und wir sehen ohne die letzte notwendige Teilnahme in eine uns wesensfremde Welt.


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[0436] Schiller und Ljcbbcl macht sie uns sogar von vornherein weit sympathischer, aber die Fortführung der Gestaltung entspricht nicht jenem Anfange. Vielmehr schwankt Johanna hier hin und her zwischen nachtwandlerischem, naivem Mädchen und pathetischer Heldenjungsrau. Dieser Dualismus erklärt auch den schon erwähnten unbefriedigender Fortgang der Handlung. Seinen Grund hat aber dieser Dualismus in der Person des Dichters, der wahrscheinlich überhaupt ungeeignet war zur Gestaltung einer naiven, christlich-romantischen Jdealgestalt. Jene realistisch-psychologische Gestaltung der Judith ist nun aber durchaus nicht kennzeichnend für Hebbels Gestaltung überhaupt. Es sei da nur an Golo und an Herodes und Marianne erinnert. Da ist wirkliche, starke Leidenschafts- gestaltung, wie wir sie bei Schiller vergeblich suchen. Ein „aus sich und der Vernunft schöpfender Idealist" ist deren eben nicht fähig. Zwar ist auch Hebbels Leidenschaft hier nicht so selbstverständlich, so gradlinig und großzügig, wie sie Shakespeare bildet, aber das wird bei Herodes aus der Zeit heraus verständlich. Jeder Zug in diesem Manne mit seinem grüblerischen und doch auch wieder elementaren, fast brutalen Empfinden ist von dem Dichter wirklich gestaltet, und darauf kommt es an. In keiner Weise aber gebrochen erscheint die Gestalt der Marianne, die nur Hebbels elementare Persönlichkeit in dem Maße als letzte große Makkabäerin bilden konnte, wie es geschehen ist, daß sie zuletzt, wie Herodes selbst, durch sich untergehen muß. Goethe gestaltet rein naive Frauengestalten, die in ihrer Natürlichkeit immer zuerst und hauptsächlich als Weib wirken, Schillers Frauengestalten haben stets einen den Ausschlag gebenden ideeuhaften Wesenszug, und zwar zuweilen so stark, daß dadurch sast alles weiblich natürliche Empfinden in ihnen verloren geht, Hebbels Frauen kennzeichnet meist eine tief in: Elementaren wurzelnde innere Gebundenheit, aus der dann ihre erdige Leidenschaft herauswächst. Gelegentlich bekommen freilich Hebbels Gestalten dnrch die innere Not¬ wendigkeit, unter der sie handeln, einen Zug ins Ausgeklügelte, sie erscheinen mathematisch berechnet; und das macht sie uns fremd, seltsam. Sicher aber ist diese scheinbare Berechnung nicht ein Mangel an poetischer Kraft des Dichters, sondern wieder nur eine Folge seiner elementaren Natur, die den Menschen unter die Folgerichtigkeit des elementaren Triebes stellt. Denn der Mensch ist im Grunde seines Wesens etwas Gegebenes und nichts Zufälliges, und wenn er nun so handelt, wie es dies Gegebene fordert, so wird er in dieser Welt des Kampfes zur tragischen Persönlichkeit. Wie Hebbel selbst, so handeln auch seine poetischen Gestalten nur dem einen in ihnen lebenden Gesetze gehorchend. Wo diese Gebundenheit von vornherein als gegeben erscheint, wie bei der in engen Verhältnissen aufgewachsenen Klara, da hat auch das gewöhnliche Empfinden nichts dagegen einzuwenden. Anders aber, wo jenes innere Gesetz dem modernen Menschen fremd und unwahrscheinlich ist, wie z.B. in Rhodope. Da reicht denn auch Hebbels bildkräftige Phantasie nicht aus, uns dies Fremde ganz lebendig zu machen, und wir sehen ohne die letzte notwendige Teilnahme in eine uns wesensfremde Welt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/436>, abgerufen am 22.07.2024.