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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schiller und yebbcl

eigene elementare Persönlichkeit immer der oberste Gesetzgeber bleibt. Schillers
lyrische Bilder sind gedankliche Umschreibungen und haben mit poetischer Anschau¬
lichkeit eigentlich nicht viel zu tun, Hebbel gebraucht auch Bilder, aber sie wachsen
immer aus seiner schon oft gedeuteten Persönlichkeit heraus. Goethe -- um auch
ihn noch einmal zu erwähnen -- sagt alles wirklich und findet auch für alles
den konformen Ausdruck.

Schon aus dieser kurzen Charakterisierung kann man auf Hebbels große
Befähigung für das hohe Drama schließen. Denn bei ihm wuchs auch die Idee,
unter die er das Drama gestellt sehen will, aus seiner elementaren Persönlichkeit
heraus. Bei Schiller könnte man von vornherein, auch wenn man sein eigenes
Wort nicht kennen würde, schließen, daß er eben nur das ihm kongruente
Ideendrama schaffen mußte, das durch des Dichters große sittliche Persönlichkeit
die mächtige Wirkung auszuüben imstande ist. Goethes Stücke -- wir kommen
doch auch hier wieder nicht an ihm vorbei -- mußten "vollendete Dichtungen"
werden, wie ein moderner Literarhistoriker sie sehr treffend bezeichnet hat.

Über den Unterschied zwischen sich und Goethe sagt Hebbel einmal: er
bestände darin, daß Goethe die Schönheit vor der Dissonanz, er aber die
Schönheit, die die Dissonanz in sich aufgenommen hat. gestaltet habe. Wenn
es nun Aufgabe des hohen Dramas ist, den tiefliegenden Lebensprozeß blo߬
zulegen und den Kampf aufzuzeigen, der aus der Disharmonie wieder zur
Harmonie zurückführt, so wäre zuletzt nur noch im einzelnen zu zeigen, daß es
Hebbel auch gelungen ist. diesen Prozeß poetisch zu gestalten, seine diesen Kampf
darstellenden Gestalten in die Sphäre der poetischen Wahrhaftigkeit zu erheben,
um ihn auch von hier aus als großen dramatischen Dichter neben Schiller stellen
zu dürfen.

Man hat es Hebbel in der neueren Zeit wieder zum Vorwurf gemacht,
daß es bei ihm einzig auf die psychologische Seite ankäme. Und gewiß gibt es
eine höhere Gestaltung als eine nur psychologische, nämlich die, die wirklich das
Unbewußte im Menschen zur Veranschaulichung bringt; aber ebenso gewiß ist es
auch, daß das Verlassen der psychologischen Darstellung bei vielen Talenten zur
Artistenkunst führen muß. Und grade im bürgerlichen Drama wird eine natu¬
ralistisch-psychologische Gestaltung immer die sichere Gewähr dafür sein, daß in
ihm wirkliches Leben dargestellt wird. Eine andere Gestaltung der Judith ist
eigentlich gar nicht denkbar, als eben die. die das stärkste Gewicht auf die
Psychologische Seite legt. Der Anstoß zur Sendung ist natürlich ins Wunderbare
getaucht, das wiederum. Hebbels Natur entsprechend, elementar-metaphysisch
gewendet ist. Aber immerhin bleibt auch dies Wunderbare ini Rahmen des
menschlich Interessanten, so tief es auch unter die Erscheinungen des lichten
Tages hinabtaucht, um das Heraustreten der Heldin aus dem gewohnten Kreise
verständlich zu machen.

Selbstverständlich hat auch die mehr gradlinige übernatürliche Berufung
der romantisch angelegten Jungfrau von Orleans ihre poetische Berechtigung,


Schiller und yebbcl

eigene elementare Persönlichkeit immer der oberste Gesetzgeber bleibt. Schillers
lyrische Bilder sind gedankliche Umschreibungen und haben mit poetischer Anschau¬
lichkeit eigentlich nicht viel zu tun, Hebbel gebraucht auch Bilder, aber sie wachsen
immer aus seiner schon oft gedeuteten Persönlichkeit heraus. Goethe — um auch
ihn noch einmal zu erwähnen — sagt alles wirklich und findet auch für alles
den konformen Ausdruck.

Schon aus dieser kurzen Charakterisierung kann man auf Hebbels große
Befähigung für das hohe Drama schließen. Denn bei ihm wuchs auch die Idee,
unter die er das Drama gestellt sehen will, aus seiner elementaren Persönlichkeit
heraus. Bei Schiller könnte man von vornherein, auch wenn man sein eigenes
Wort nicht kennen würde, schließen, daß er eben nur das ihm kongruente
Ideendrama schaffen mußte, das durch des Dichters große sittliche Persönlichkeit
die mächtige Wirkung auszuüben imstande ist. Goethes Stücke — wir kommen
doch auch hier wieder nicht an ihm vorbei — mußten „vollendete Dichtungen"
werden, wie ein moderner Literarhistoriker sie sehr treffend bezeichnet hat.

Über den Unterschied zwischen sich und Goethe sagt Hebbel einmal: er
bestände darin, daß Goethe die Schönheit vor der Dissonanz, er aber die
Schönheit, die die Dissonanz in sich aufgenommen hat. gestaltet habe. Wenn
es nun Aufgabe des hohen Dramas ist, den tiefliegenden Lebensprozeß blo߬
zulegen und den Kampf aufzuzeigen, der aus der Disharmonie wieder zur
Harmonie zurückführt, so wäre zuletzt nur noch im einzelnen zu zeigen, daß es
Hebbel auch gelungen ist. diesen Prozeß poetisch zu gestalten, seine diesen Kampf
darstellenden Gestalten in die Sphäre der poetischen Wahrhaftigkeit zu erheben,
um ihn auch von hier aus als großen dramatischen Dichter neben Schiller stellen
zu dürfen.

Man hat es Hebbel in der neueren Zeit wieder zum Vorwurf gemacht,
daß es bei ihm einzig auf die psychologische Seite ankäme. Und gewiß gibt es
eine höhere Gestaltung als eine nur psychologische, nämlich die, die wirklich das
Unbewußte im Menschen zur Veranschaulichung bringt; aber ebenso gewiß ist es
auch, daß das Verlassen der psychologischen Darstellung bei vielen Talenten zur
Artistenkunst führen muß. Und grade im bürgerlichen Drama wird eine natu¬
ralistisch-psychologische Gestaltung immer die sichere Gewähr dafür sein, daß in
ihm wirkliches Leben dargestellt wird. Eine andere Gestaltung der Judith ist
eigentlich gar nicht denkbar, als eben die. die das stärkste Gewicht auf die
Psychologische Seite legt. Der Anstoß zur Sendung ist natürlich ins Wunderbare
getaucht, das wiederum. Hebbels Natur entsprechend, elementar-metaphysisch
gewendet ist. Aber immerhin bleibt auch dies Wunderbare ini Rahmen des
menschlich Interessanten, so tief es auch unter die Erscheinungen des lichten
Tages hinabtaucht, um das Heraustreten der Heldin aus dem gewohnten Kreise
verständlich zu machen.

Selbstverständlich hat auch die mehr gradlinige übernatürliche Berufung
der romantisch angelegten Jungfrau von Orleans ihre poetische Berechtigung,


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[0435] Schiller und yebbcl eigene elementare Persönlichkeit immer der oberste Gesetzgeber bleibt. Schillers lyrische Bilder sind gedankliche Umschreibungen und haben mit poetischer Anschau¬ lichkeit eigentlich nicht viel zu tun, Hebbel gebraucht auch Bilder, aber sie wachsen immer aus seiner schon oft gedeuteten Persönlichkeit heraus. Goethe — um auch ihn noch einmal zu erwähnen — sagt alles wirklich und findet auch für alles den konformen Ausdruck. Schon aus dieser kurzen Charakterisierung kann man auf Hebbels große Befähigung für das hohe Drama schließen. Denn bei ihm wuchs auch die Idee, unter die er das Drama gestellt sehen will, aus seiner elementaren Persönlichkeit heraus. Bei Schiller könnte man von vornherein, auch wenn man sein eigenes Wort nicht kennen würde, schließen, daß er eben nur das ihm kongruente Ideendrama schaffen mußte, das durch des Dichters große sittliche Persönlichkeit die mächtige Wirkung auszuüben imstande ist. Goethes Stücke — wir kommen doch auch hier wieder nicht an ihm vorbei — mußten „vollendete Dichtungen" werden, wie ein moderner Literarhistoriker sie sehr treffend bezeichnet hat. Über den Unterschied zwischen sich und Goethe sagt Hebbel einmal: er bestände darin, daß Goethe die Schönheit vor der Dissonanz, er aber die Schönheit, die die Dissonanz in sich aufgenommen hat. gestaltet habe. Wenn es nun Aufgabe des hohen Dramas ist, den tiefliegenden Lebensprozeß blo߬ zulegen und den Kampf aufzuzeigen, der aus der Disharmonie wieder zur Harmonie zurückführt, so wäre zuletzt nur noch im einzelnen zu zeigen, daß es Hebbel auch gelungen ist. diesen Prozeß poetisch zu gestalten, seine diesen Kampf darstellenden Gestalten in die Sphäre der poetischen Wahrhaftigkeit zu erheben, um ihn auch von hier aus als großen dramatischen Dichter neben Schiller stellen zu dürfen. Man hat es Hebbel in der neueren Zeit wieder zum Vorwurf gemacht, daß es bei ihm einzig auf die psychologische Seite ankäme. Und gewiß gibt es eine höhere Gestaltung als eine nur psychologische, nämlich die, die wirklich das Unbewußte im Menschen zur Veranschaulichung bringt; aber ebenso gewiß ist es auch, daß das Verlassen der psychologischen Darstellung bei vielen Talenten zur Artistenkunst führen muß. Und grade im bürgerlichen Drama wird eine natu¬ ralistisch-psychologische Gestaltung immer die sichere Gewähr dafür sein, daß in ihm wirkliches Leben dargestellt wird. Eine andere Gestaltung der Judith ist eigentlich gar nicht denkbar, als eben die. die das stärkste Gewicht auf die Psychologische Seite legt. Der Anstoß zur Sendung ist natürlich ins Wunderbare getaucht, das wiederum. Hebbels Natur entsprechend, elementar-metaphysisch gewendet ist. Aber immerhin bleibt auch dies Wunderbare ini Rahmen des menschlich Interessanten, so tief es auch unter die Erscheinungen des lichten Tages hinabtaucht, um das Heraustreten der Heldin aus dem gewohnten Kreise verständlich zu machen. Selbstverständlich hat auch die mehr gradlinige übernatürliche Berufung der romantisch angelegten Jungfrau von Orleans ihre poetische Berechtigung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/435>, abgerufen am 23.07.2024.