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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Vom Adel in der Armee und vom Adel überhaupt

Das Familienleben wird den breitesten Raum für die Betätigung des
Adels beanspruchen. Die allgemeine Gleichheit ist für die Überwindung der
Kinderkrankheiten noch zu jungen Lebensalters. Ein freier Schweizer. Ernst
Zahn im "Firnwind" (S. 104). hat die innere Unausgeglichenheit der verschiedenen
Bevölkerungskreise richtig gekennzeichnet: "Wir sind nicht unfehlbar, wir andern,
ebensowenig wie ihr. So seid ihr ihr und wir wir. Zwischen uns ist ein
Raum wie ein Wasser oder eine Kluft. Weil keine Brücke da war, seid ihr
nicht zusammengekommen, mein Sohn und du." So spricht die Mutter eines
aus dem alten Stadtpatriziat stammenden Pfarrers zu dessen einer neu heraus¬
gekommenen Familie angehörigen Witwe, in deren Ehe trotz besten Willens von
beiden Seiten kein gegenseitiges Verständnis zu erzielen war. Vor dem Grundsatz
"Mein Haus ist meine Burg" wird auch der fanatischste Gleichhcitsapostel Halt
machen und sich seinen häuslichen Verkehr völlig frei aus seinen Gesinnungs¬
genossen auswählen. Sollst hört das Haus auf der Gesundbrunnen zur Kräftigung
und Erholung zu sein. So kernfest auch der Stamm des Privatlebens an sich
im Adel ist. so ist er unleugbar von manchen Auswüchsen überwuchert worden.

Das deutsche Volk zieht die Wurzel seiner Kraft aus der Familie und diese
die ihrige nun und nimmermehr aus etwas anderem als aus treuer ehelicher
Liebe. Wie oft vergeht sich der Adel gegen dieses Grundgesetz heimischer
Wohlfahrt. Dem leichtfertigen Abschluß einer sogenannten Liebesheirat soll
damit nicht das Wort geredet werden. Frau Sorge würde sehr bald ihren
Einzug halten und die Flügel lähmen, wo der materielle Hintergrund für die
Stellung fehlt. Wie erniedrigend ist aber auf der andern Seite das schon
sprichwörtlich gewordene "Vergolden der Krone". Hinter der Helmzier des
Wappens sind meist nicht die gediegensten Bestandteile der Ermerbsstünde her.
sondern diejenigen, die für ihren Reichtum eines Aushängeschildes oder Mäntelchens
bedürfen. Renegaten sind nicht die besten Bestandteile ihrer Rasse. Wer die
Ehe eines Offiziers mit einer getauften Jüdin für standesgemäß
erachtet, sollte folgerichtig den Juden den Zutritt zu dieser Lauf¬
bahn nicht erschweren. Mit dem aus allen andern Gründen eher als aus
religiöser Überzeugung vorgenommenen Übertritt werden die Charaktereigenschaften
nicht abgestreift, deren Eindringen in unser Dasein wir befürchten. Bei der
semitischen Vererbungszähigkeit kommen also durch die getauften Jüdinnen grade
die den Antisemitismus züchtenden Eigenschaften in den Adel. Welche Begriffs¬
verwirrungen haben schließlich die Geldheiraten nicht schon angerichtet? Ist jener
Fall, der in allen Zeitungen stand, vielleicht ein Zeichen adlicher Gesinnung,
daß der Bräutigam, ein adlicher Offizier, sich von der Familie der Braut nach
aufgelöstem Verlöbnis ein Jahrgeld aussetzen ließ?!

Eine weitere Schwäche des Standeslebens ist die Nachsicht gegen auf Abwege
geratene Stalldesgenossell. Der schlichteste Handwerker von Adel, der sich ehrenwert
durchs Leben durchschlägt, sollte mit offenen Armen aufgenommen werden. Aber
leider werden solche Helden der Arbeit viel eher beiseite geschoben, als die eleganten


Vom Adel in der Armee und vom Adel überhaupt

Das Familienleben wird den breitesten Raum für die Betätigung des
Adels beanspruchen. Die allgemeine Gleichheit ist für die Überwindung der
Kinderkrankheiten noch zu jungen Lebensalters. Ein freier Schweizer. Ernst
Zahn im „Firnwind" (S. 104). hat die innere Unausgeglichenheit der verschiedenen
Bevölkerungskreise richtig gekennzeichnet: „Wir sind nicht unfehlbar, wir andern,
ebensowenig wie ihr. So seid ihr ihr und wir wir. Zwischen uns ist ein
Raum wie ein Wasser oder eine Kluft. Weil keine Brücke da war, seid ihr
nicht zusammengekommen, mein Sohn und du." So spricht die Mutter eines
aus dem alten Stadtpatriziat stammenden Pfarrers zu dessen einer neu heraus¬
gekommenen Familie angehörigen Witwe, in deren Ehe trotz besten Willens von
beiden Seiten kein gegenseitiges Verständnis zu erzielen war. Vor dem Grundsatz
»Mein Haus ist meine Burg" wird auch der fanatischste Gleichhcitsapostel Halt
machen und sich seinen häuslichen Verkehr völlig frei aus seinen Gesinnungs¬
genossen auswählen. Sollst hört das Haus auf der Gesundbrunnen zur Kräftigung
und Erholung zu sein. So kernfest auch der Stamm des Privatlebens an sich
im Adel ist. so ist er unleugbar von manchen Auswüchsen überwuchert worden.

Das deutsche Volk zieht die Wurzel seiner Kraft aus der Familie und diese
die ihrige nun und nimmermehr aus etwas anderem als aus treuer ehelicher
Liebe. Wie oft vergeht sich der Adel gegen dieses Grundgesetz heimischer
Wohlfahrt. Dem leichtfertigen Abschluß einer sogenannten Liebesheirat soll
damit nicht das Wort geredet werden. Frau Sorge würde sehr bald ihren
Einzug halten und die Flügel lähmen, wo der materielle Hintergrund für die
Stellung fehlt. Wie erniedrigend ist aber auf der andern Seite das schon
sprichwörtlich gewordene „Vergolden der Krone". Hinter der Helmzier des
Wappens sind meist nicht die gediegensten Bestandteile der Ermerbsstünde her.
sondern diejenigen, die für ihren Reichtum eines Aushängeschildes oder Mäntelchens
bedürfen. Renegaten sind nicht die besten Bestandteile ihrer Rasse. Wer die
Ehe eines Offiziers mit einer getauften Jüdin für standesgemäß
erachtet, sollte folgerichtig den Juden den Zutritt zu dieser Lauf¬
bahn nicht erschweren. Mit dem aus allen andern Gründen eher als aus
religiöser Überzeugung vorgenommenen Übertritt werden die Charaktereigenschaften
nicht abgestreift, deren Eindringen in unser Dasein wir befürchten. Bei der
semitischen Vererbungszähigkeit kommen also durch die getauften Jüdinnen grade
die den Antisemitismus züchtenden Eigenschaften in den Adel. Welche Begriffs¬
verwirrungen haben schließlich die Geldheiraten nicht schon angerichtet? Ist jener
Fall, der in allen Zeitungen stand, vielleicht ein Zeichen adlicher Gesinnung,
daß der Bräutigam, ein adlicher Offizier, sich von der Familie der Braut nach
aufgelöstem Verlöbnis ein Jahrgeld aussetzen ließ?!

Eine weitere Schwäche des Standeslebens ist die Nachsicht gegen auf Abwege
geratene Stalldesgenossell. Der schlichteste Handwerker von Adel, der sich ehrenwert
durchs Leben durchschlägt, sollte mit offenen Armen aufgenommen werden. Aber
leider werden solche Helden der Arbeit viel eher beiseite geschoben, als die eleganten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/425>, abgerufen am 23.07.2024.