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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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vom Adel in der Armee und vom Adel überhaupt

zugute. Deren Beschirmung aber untergräbt dein ganzen Stande die Grund¬
lagen seiner Daseinsberechtigung, weil der Adel statt des allgemeinen Vertrauens
dadurch nur die gerechtfertigte Erbitterung der zurückgesetzten Kreise einerntet.
Weder der Staat noch ein Privatmann kann sich bei den heutigen Verhältnissen
den Luxus ungeeigneter Arbeitskräfte erlauben. Der erstere untersteht der
Kontrolle durch Parlament und Presse zu sehr, als daß ihn trübe Erfahrungen
mit adlichen Schützlingen nicht zu dem Gegenteil einer über das Ziel hinaus¬
schießenden Zurückhaltung bei der Verwendung des Adels veranlassen könnte.
Um wie viel mehr aber wird diesem die Geschäftswelt ihre Türen verschließen,
sobald sie den Nachteil übel angebrachter Empfehlungen am eigenen Leibe gespürt
hat. Nicht jeder Edelmann kann selbstverständlich ein Bismarck oder Moltke,
noch weniger eine industrielle oder finanzielle Kapazität sein. Auf die Größe
der Wirksamkeit kommt es nicht an, sondern auf die Art ihrer Erfüllung.
Selbst der Handwerker, der die gesamten ihm von der Natur auf den Lebensweg
mitgegebenen Kräfte mit eisernem Fleiß an die Erfüllung seiner Arbeit setzt
und der deu höchsten ihm möglichen Grad des Könnens erreicht, hat damit den
adlichen Berufstypus als Vorbild für die übrigen Volksklassen aufgestellt.

Neben der beruflichen Tätigkeit steht der Schauplatz des öffentlichen
Lebens. Ohne Zweifel weht auf ihm eine rauhe Luft, vor der weiche, häufig
als vornehm angesprochene Charaktere leicht zurückschrecken. Aber der Abschluß
von diesem Nordwind würde den deutschen Adel zu der Bedeutungslosigkeit des
für die Geschicke Frankreichs vollständig ausgeschalteten Faubourgs Se. Germain
herabdrücken. Ihm erwächst daher die weitere Aufgabe, daß er unter Über¬
windung der Scheu mit vollen Segeln sein Schiff auf das weite Meer des
öffentlichen Lebens hinaussteuert. Die Auswahl der Betätigung wird von
Naturanlage und Neigung, aber auch von materiellen Dingen abhängen.
Während der eine seine Kraft in den Dienst des Parlamentarismus oder der
Selbstverwaltung stellt, wird der andere sich den verschiedenen Zweigen der
Wohlfahrts- oder der Wohltätigkeitseinrichtungen zuwenden. Den Frauen des
deutschen Adels wird die Anerkennung nicht versagt werden können, daß sie
die ihnen auf letzterem Gebiet zufallenden Aufgaben bereits mit klarem Blick
erkannt und in ihrer Erfüllung eine achtbare Strecke zurückgelegt haben.

Das durch Nietzsche und seine Nachireter der Zeit ausgedrückte Kainzeichen
ist die Selbstsucht. "Erst das eigene Ich, dann die Partei und zum Schluß das
Vaterland" so lautet die Parole. Die allgemeine Aufgabe des Adels im
öffentlichen Leben ist deshalb die Wiederherstellung des richtigen Abmarsches
mit dem Leitsatz: "Zuoberst das Vaterland". Dann wird er dem deutschen
Volke die Binde von den Augen reißen, daß die Fürsorge für das Ganze nicht
im Gegensatz, sondern im engsten Zusammenhang mit dem eigenen Fortkommen
steht. Kann sich doch nur auf dein Boden eines von seinen Mitbürgern wohl¬
versorgten und darum blühenden Staatswesens die eigene Kraft in Ackerbau
und Gewerbe, in Kunst und Wissenschaft frei und ganz entfalten.


vom Adel in der Armee und vom Adel überhaupt

zugute. Deren Beschirmung aber untergräbt dein ganzen Stande die Grund¬
lagen seiner Daseinsberechtigung, weil der Adel statt des allgemeinen Vertrauens
dadurch nur die gerechtfertigte Erbitterung der zurückgesetzten Kreise einerntet.
Weder der Staat noch ein Privatmann kann sich bei den heutigen Verhältnissen
den Luxus ungeeigneter Arbeitskräfte erlauben. Der erstere untersteht der
Kontrolle durch Parlament und Presse zu sehr, als daß ihn trübe Erfahrungen
mit adlichen Schützlingen nicht zu dem Gegenteil einer über das Ziel hinaus¬
schießenden Zurückhaltung bei der Verwendung des Adels veranlassen könnte.
Um wie viel mehr aber wird diesem die Geschäftswelt ihre Türen verschließen,
sobald sie den Nachteil übel angebrachter Empfehlungen am eigenen Leibe gespürt
hat. Nicht jeder Edelmann kann selbstverständlich ein Bismarck oder Moltke,
noch weniger eine industrielle oder finanzielle Kapazität sein. Auf die Größe
der Wirksamkeit kommt es nicht an, sondern auf die Art ihrer Erfüllung.
Selbst der Handwerker, der die gesamten ihm von der Natur auf den Lebensweg
mitgegebenen Kräfte mit eisernem Fleiß an die Erfüllung seiner Arbeit setzt
und der deu höchsten ihm möglichen Grad des Könnens erreicht, hat damit den
adlichen Berufstypus als Vorbild für die übrigen Volksklassen aufgestellt.

Neben der beruflichen Tätigkeit steht der Schauplatz des öffentlichen
Lebens. Ohne Zweifel weht auf ihm eine rauhe Luft, vor der weiche, häufig
als vornehm angesprochene Charaktere leicht zurückschrecken. Aber der Abschluß
von diesem Nordwind würde den deutschen Adel zu der Bedeutungslosigkeit des
für die Geschicke Frankreichs vollständig ausgeschalteten Faubourgs Se. Germain
herabdrücken. Ihm erwächst daher die weitere Aufgabe, daß er unter Über¬
windung der Scheu mit vollen Segeln sein Schiff auf das weite Meer des
öffentlichen Lebens hinaussteuert. Die Auswahl der Betätigung wird von
Naturanlage und Neigung, aber auch von materiellen Dingen abhängen.
Während der eine seine Kraft in den Dienst des Parlamentarismus oder der
Selbstverwaltung stellt, wird der andere sich den verschiedenen Zweigen der
Wohlfahrts- oder der Wohltätigkeitseinrichtungen zuwenden. Den Frauen des
deutschen Adels wird die Anerkennung nicht versagt werden können, daß sie
die ihnen auf letzterem Gebiet zufallenden Aufgaben bereits mit klarem Blick
erkannt und in ihrer Erfüllung eine achtbare Strecke zurückgelegt haben.

Das durch Nietzsche und seine Nachireter der Zeit ausgedrückte Kainzeichen
ist die Selbstsucht. „Erst das eigene Ich, dann die Partei und zum Schluß das
Vaterland" so lautet die Parole. Die allgemeine Aufgabe des Adels im
öffentlichen Leben ist deshalb die Wiederherstellung des richtigen Abmarsches
mit dem Leitsatz: „Zuoberst das Vaterland". Dann wird er dem deutschen
Volke die Binde von den Augen reißen, daß die Fürsorge für das Ganze nicht
im Gegensatz, sondern im engsten Zusammenhang mit dem eigenen Fortkommen
steht. Kann sich doch nur auf dein Boden eines von seinen Mitbürgern wohl¬
versorgten und darum blühenden Staatswesens die eigene Kraft in Ackerbau
und Gewerbe, in Kunst und Wissenschaft frei und ganz entfalten.


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[0424] vom Adel in der Armee und vom Adel überhaupt zugute. Deren Beschirmung aber untergräbt dein ganzen Stande die Grund¬ lagen seiner Daseinsberechtigung, weil der Adel statt des allgemeinen Vertrauens dadurch nur die gerechtfertigte Erbitterung der zurückgesetzten Kreise einerntet. Weder der Staat noch ein Privatmann kann sich bei den heutigen Verhältnissen den Luxus ungeeigneter Arbeitskräfte erlauben. Der erstere untersteht der Kontrolle durch Parlament und Presse zu sehr, als daß ihn trübe Erfahrungen mit adlichen Schützlingen nicht zu dem Gegenteil einer über das Ziel hinaus¬ schießenden Zurückhaltung bei der Verwendung des Adels veranlassen könnte. Um wie viel mehr aber wird diesem die Geschäftswelt ihre Türen verschließen, sobald sie den Nachteil übel angebrachter Empfehlungen am eigenen Leibe gespürt hat. Nicht jeder Edelmann kann selbstverständlich ein Bismarck oder Moltke, noch weniger eine industrielle oder finanzielle Kapazität sein. Auf die Größe der Wirksamkeit kommt es nicht an, sondern auf die Art ihrer Erfüllung. Selbst der Handwerker, der die gesamten ihm von der Natur auf den Lebensweg mitgegebenen Kräfte mit eisernem Fleiß an die Erfüllung seiner Arbeit setzt und der deu höchsten ihm möglichen Grad des Könnens erreicht, hat damit den adlichen Berufstypus als Vorbild für die übrigen Volksklassen aufgestellt. Neben der beruflichen Tätigkeit steht der Schauplatz des öffentlichen Lebens. Ohne Zweifel weht auf ihm eine rauhe Luft, vor der weiche, häufig als vornehm angesprochene Charaktere leicht zurückschrecken. Aber der Abschluß von diesem Nordwind würde den deutschen Adel zu der Bedeutungslosigkeit des für die Geschicke Frankreichs vollständig ausgeschalteten Faubourgs Se. Germain herabdrücken. Ihm erwächst daher die weitere Aufgabe, daß er unter Über¬ windung der Scheu mit vollen Segeln sein Schiff auf das weite Meer des öffentlichen Lebens hinaussteuert. Die Auswahl der Betätigung wird von Naturanlage und Neigung, aber auch von materiellen Dingen abhängen. Während der eine seine Kraft in den Dienst des Parlamentarismus oder der Selbstverwaltung stellt, wird der andere sich den verschiedenen Zweigen der Wohlfahrts- oder der Wohltätigkeitseinrichtungen zuwenden. Den Frauen des deutschen Adels wird die Anerkennung nicht versagt werden können, daß sie die ihnen auf letzterem Gebiet zufallenden Aufgaben bereits mit klarem Blick erkannt und in ihrer Erfüllung eine achtbare Strecke zurückgelegt haben. Das durch Nietzsche und seine Nachireter der Zeit ausgedrückte Kainzeichen ist die Selbstsucht. „Erst das eigene Ich, dann die Partei und zum Schluß das Vaterland" so lautet die Parole. Die allgemeine Aufgabe des Adels im öffentlichen Leben ist deshalb die Wiederherstellung des richtigen Abmarsches mit dem Leitsatz: „Zuoberst das Vaterland". Dann wird er dem deutschen Volke die Binde von den Augen reißen, daß die Fürsorge für das Ganze nicht im Gegensatz, sondern im engsten Zusammenhang mit dem eigenen Fortkommen steht. Kann sich doch nur auf dein Boden eines von seinen Mitbürgern wohl¬ versorgten und darum blühenden Staatswesens die eigene Kraft in Ackerbau und Gewerbe, in Kunst und Wissenschaft frei und ganz entfalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/424>, abgerufen am 26.06.2024.