Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.Line schweizerische Nationalliteratnr? liebte". G. Keller polterte mit alemannischer Beredsamkeit, als R. Weber die [Beginn Spaltensatz]
Wohl mir, daß ich dich endlich fand, Du stiller Ort an alten Rhein, [Spaltenumbruch] Wo ungestört und ungekannt, Ich Schweizer darf und Deutscher sein! [Ende Spaltensatz] Regte sich in ihm ein literaturpatriotisches Gefühl, so war es die Freude, ") G.Keller bemerkte: "Kein schweizerischer Dichter kommt in seiner Heimat zu Namen
und Ansehen, bevor sie ihn ans Deutschland mit der großen Trompete über die Grenzen hereinführen." Line schweizerische Nationalliteratnr? liebte". G. Keller polterte mit alemannischer Beredsamkeit, als R. Weber die [Beginn Spaltensatz]
Wohl mir, daß ich dich endlich fand, Du stiller Ort an alten Rhein, [Spaltenumbruch] Wo ungestört und ungekannt, Ich Schweizer darf und Deutscher sein! [Ende Spaltensatz] Regte sich in ihm ein literaturpatriotisches Gefühl, so war es die Freude, ") G.Keller bemerkte: „Kein schweizerischer Dichter kommt in seiner Heimat zu Namen
und Ansehen, bevor sie ihn ans Deutschland mit der großen Trompete über die Grenzen hereinführen." <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0417" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316706"/> <fw type="header" place="top"> Line schweizerische Nationalliteratnr?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1828" prev="#ID_1827"> liebte". G. Keller polterte mit alemannischer Beredsamkeit, als R. Weber die<lb/> Schweizer mit einer „Poetischen Nationalliteratur der Schweiz" beschenkte. C.F.Meyer<lb/> sekundierte ihm mit dein schroffen, bei ihm verwunderlichen Urteil „vom baren<lb/> Unsinn" einer solchen Meinung. Als ein englischer Aufsatz Keller nur „als<lb/> schweizerische Literatursache" behandelte, schrieb er Freiligraths Gattin: „Gegen die<lb/> Auffassung, als ob es eine schweizerische Nationalliteratur gäbe, habe ich mich<lb/> immer aufgelehnt. Denn bei allem Patriotismus verstehe ich hierin keinen Spaß<lb/> und bin der Meinung, wenn etwas herauskommen soll, so habe sich jeder an das<lb/> große Sprachgebiet zu halten, dem er angehört. . , ." Als reifer Dichter verhehlte<lb/> er seine Abneigung gegen die lyrisch-patriotische Trommelschlägerei nicht und fand<lb/> sogar sein eigenes silbenkeusches Vaterlandslied „O mein Heimatland" noch zu<lb/> laut. Wenn man nicht aus seinem Prologgedicht zur Schillerfeier 1859 und dem<lb/> Aufsatz „Am Mythensteiu" wüßte, wie er gleich C. F. Meyer vor den Großen<lb/> von Weimar seine huldigende dankbare Reverenz bezeugte, hörte man den innigen<lb/> Dank aus seinem „Grünen Heinrich". Im Anblick des deutschen Rheins, der unweit<lb/> seiner Henne Glattfelden vorbeirauscht, hat er an der Schweizergrenze gesungen:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_17" type="poem"> <l><cb type="start"/> Wohl mir, daß ich dich endlich fand,<lb/> Du stiller Ort an alten Rhein,<lb/><cb/> Wo ungestört und ungekannt,<lb/> Ich Schweizer darf und Deutscher sein!<lb/><cb type="end"/> </l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1829" next="#ID_1830"> Regte sich in ihm ein literaturpatriotisches Gefühl, so war es die Freude,<lb/> mit unter jenen ansässigen Poeten aus dem Süden gewesen zu sein, die an<lb/> der großen deutschen Horizonterweiterung der Poesie Anteil hatten, die die<lb/> norddeutsche Literaturhegemouie brach. C. F. Meyer ist die Poesie gewordene<lb/> Verneinung dieses unnötig engherzigen Literaturbegriffes. Hatte Leuthold keinen<lb/> Grund, über ein undankbares Vaterland zu klagen, so werden wir Meyer kaum<lb/> zu tadeln wagen, wenn er es tut. Keller drückt ein ähnliches Gefühl scherzend<lb/> aus, indem er die Schweiz einen literarischen „Holzboden" nennt. In einer<lb/> Darstellung der Literatur in der Schweiz des neunzehnten Jahrhunderts müßte<lb/> im Gegenteil ein Kapitel „Deutschlands Mitarbeit an dem Aufschwung des<lb/> literarischen Lebens in der Schweiz" überschrieben werden. Die Schweiz war<lb/> gebend, aber auch empfangend. Ein Deutscher, Fr. Mathisen, war es. der den<lb/> GraubündnerLyrikerGaudenz von Salis auf dem deutschen Parnaß vorstellte. Deutsche<lb/> waren es, die G. Keller zum poetischen Tagewerk riefen. An Herweghs dichterischer<lb/> Eloquenz entzündeten sich Kellers dichterische Erstlinge, die ihm wieder ein Deutscher,<lb/> A. L. Follen, mit trefflichem Rat glätten half, und denen er auch für einen<lb/> Verleger Umschau hielt"). Deutsche griffen auch dem jungen Meyer unter die<lb/> Arme. Als die Schweiz, mit Ausnahme Widmanns und Freys, noch sehr reserviert<lb/> über Carl Spitteler zu urteilen liebte, schrieb Felix Weingärtner seiner kosmischen<lb/> Poesie eine huldigende Studie mit tönender Wortinstrumentation, die das Jubilieren<lb/> von den „Amen" eines „Gloria" aus einer alten Barockmesse gelernt haben<lb/> könnte. Brahm war meines Wissens der erste, der G. Keller eine größere Studie<lb/> weihte. Freilich, die Schweizer haben ihren Dank auch reichlich zurückerstattet</p><lb/> <note xml:id="FID_48" place="foot"> ") G.Keller bemerkte: „Kein schweizerischer Dichter kommt in seiner Heimat zu Namen<lb/> und Ansehen, bevor sie ihn ans Deutschland mit der großen Trompete über die Grenzen<lb/> hereinführen."</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0417]
Line schweizerische Nationalliteratnr?
liebte". G. Keller polterte mit alemannischer Beredsamkeit, als R. Weber die
Schweizer mit einer „Poetischen Nationalliteratur der Schweiz" beschenkte. C.F.Meyer
sekundierte ihm mit dein schroffen, bei ihm verwunderlichen Urteil „vom baren
Unsinn" einer solchen Meinung. Als ein englischer Aufsatz Keller nur „als
schweizerische Literatursache" behandelte, schrieb er Freiligraths Gattin: „Gegen die
Auffassung, als ob es eine schweizerische Nationalliteratur gäbe, habe ich mich
immer aufgelehnt. Denn bei allem Patriotismus verstehe ich hierin keinen Spaß
und bin der Meinung, wenn etwas herauskommen soll, so habe sich jeder an das
große Sprachgebiet zu halten, dem er angehört. . , ." Als reifer Dichter verhehlte
er seine Abneigung gegen die lyrisch-patriotische Trommelschlägerei nicht und fand
sogar sein eigenes silbenkeusches Vaterlandslied „O mein Heimatland" noch zu
laut. Wenn man nicht aus seinem Prologgedicht zur Schillerfeier 1859 und dem
Aufsatz „Am Mythensteiu" wüßte, wie er gleich C. F. Meyer vor den Großen
von Weimar seine huldigende dankbare Reverenz bezeugte, hörte man den innigen
Dank aus seinem „Grünen Heinrich". Im Anblick des deutschen Rheins, der unweit
seiner Henne Glattfelden vorbeirauscht, hat er an der Schweizergrenze gesungen:
Wohl mir, daß ich dich endlich fand,
Du stiller Ort an alten Rhein,
Wo ungestört und ungekannt,
Ich Schweizer darf und Deutscher sein!
Regte sich in ihm ein literaturpatriotisches Gefühl, so war es die Freude,
mit unter jenen ansässigen Poeten aus dem Süden gewesen zu sein, die an
der großen deutschen Horizonterweiterung der Poesie Anteil hatten, die die
norddeutsche Literaturhegemouie brach. C. F. Meyer ist die Poesie gewordene
Verneinung dieses unnötig engherzigen Literaturbegriffes. Hatte Leuthold keinen
Grund, über ein undankbares Vaterland zu klagen, so werden wir Meyer kaum
zu tadeln wagen, wenn er es tut. Keller drückt ein ähnliches Gefühl scherzend
aus, indem er die Schweiz einen literarischen „Holzboden" nennt. In einer
Darstellung der Literatur in der Schweiz des neunzehnten Jahrhunderts müßte
im Gegenteil ein Kapitel „Deutschlands Mitarbeit an dem Aufschwung des
literarischen Lebens in der Schweiz" überschrieben werden. Die Schweiz war
gebend, aber auch empfangend. Ein Deutscher, Fr. Mathisen, war es. der den
GraubündnerLyrikerGaudenz von Salis auf dem deutschen Parnaß vorstellte. Deutsche
waren es, die G. Keller zum poetischen Tagewerk riefen. An Herweghs dichterischer
Eloquenz entzündeten sich Kellers dichterische Erstlinge, die ihm wieder ein Deutscher,
A. L. Follen, mit trefflichem Rat glätten half, und denen er auch für einen
Verleger Umschau hielt"). Deutsche griffen auch dem jungen Meyer unter die
Arme. Als die Schweiz, mit Ausnahme Widmanns und Freys, noch sehr reserviert
über Carl Spitteler zu urteilen liebte, schrieb Felix Weingärtner seiner kosmischen
Poesie eine huldigende Studie mit tönender Wortinstrumentation, die das Jubilieren
von den „Amen" eines „Gloria" aus einer alten Barockmesse gelernt haben
könnte. Brahm war meines Wissens der erste, der G. Keller eine größere Studie
weihte. Freilich, die Schweizer haben ihren Dank auch reichlich zurückerstattet
") G.Keller bemerkte: „Kein schweizerischer Dichter kommt in seiner Heimat zu Namen
und Ansehen, bevor sie ihn ans Deutschland mit der großen Trompete über die Grenzen
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