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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Peter Behrens und die A, L, G,

imponierende Fabrikbauteil aus Eisen, Glas und Belon, in denen wir zum
erstenmal wirklich schöne Möglichkeiten auch für diese scheinbar so durch und
durch profane bauliche Aufgabe der Gegenwart ahnen.

Wenn irgendwo, so beweist sich auch hier wiederum der alte Satz zu Recht,
daß der Mensch mit seinen größeren Zwecken wächst. Das Eisen als Baumaterial
ist uns heute, trotz aller Versuche der jüngsten Zeit, bei weiten: nicht halb so
geläufig wie etwa Stein oder Holz. Wir wissen um die außerordentliche Trag¬
fähigkeit und Elastizität des Metalls, wissen theoretisch darum, aber fühlen in
den meisten praktischen Fällen, wo uns das eiserne Baugerippe entgegentritt,
keine rechte ästhetische Befriedigung. Man ist nicht müde geworden, zu wieder¬
holen, daß hier die mangelnde Gewöhnung des Auges schuld sei, und daß eine
neue Generation die konstruktiven Leistungen unserer Techniker bei Brücken- und
Hallenbauten nicht nur als technische, sondern auch als tektonische Formensprache
werde besser zu würdigen wissen als wir. Sieht man die neuen Fabrikbauten
von Behrens an, so erscheint es gewiß, daß mit der technischen Umhüllung,
sozusagen der Abgrenzung eines Raumes von der umgebenden Welt, wie sie
die bisherigen Gerüstbauten in der Regel darstellen, noch keine architektonische
Lösung gegeben sei.

Über die jetzt fertiggestellte Berliner Turbinenfabrik sagt der Künstler selbst:
"Für den Aufbau der Haupthalle war die architektonische Idee maßgebend, die
Eisenmassen zusammenzuziehen, und nicht, wie es der üblichen Gitterkonstruktion
eigen ist, sie aufzulösen. Dadurch sollte dein Rauminnern ein allseitig geschlossener
ständiger Abschluß gegeben werden, um so die Übersichtlichkeit der architektonischen
Proportionen zu geben, die allein die domartige Weiträumigkeit begünstigen kann."

Wir sehen, wie auf niedrigem Ziegelfundament die schmalen eisernen Binder
pfeilerartig bis zu einer Höhe von achtzehn Metern unters Dachgesims empor¬
steigen. Die in schmale Rechtecke geteilten riesigen Feusterflächen aber folgen
den Pfeilern nicht streng vertikal, sondern neigen sich schräg ins Gebäude hinein.
Dadurch gewinnt die weite Wandfläche zunächst eine überaus kräftige Schatten¬
wirkung, die besonders gut durch den tiefen Gesimsschatten des Daches gesteigert
wird; dennoch wird der Flächencharakter einer abschließenden Wandung durch
die vortretenden eisernen Binder nicht zerrissen, sondern eher in gleichmäßigem
Rhythmus verstärkt. In betonten Gegensatz zu dieser Flächenteilung ist die
Giebelseite ohne jedes Hervortreten des eisernen Knocheniverkes durch ein riesiges,
in drei Teilen und schmalen Feldern aufsteigendes Glasfenster betont, zu dessen
beiden Seiten eine horizontal gegliederte Betonfülluug die Ecken des Gebäudes
wuchtig abrundet. Außerordentlich reizvoll erhebt sich über diesem Unterbau die
vollständig geschlossene Stirnseite des Daches, nicht etwa, wie es bisher bei
Eisenkonstruktionen üblich war, in rundem Bogen, sondern in flach gebogenem
Siebeneck. Und wie im Äußern alles mit großer Entschiedenheit in bündige
Ebenen zusammengezogen und durch deren Verschiebung kontrastiert ist, so zeigt
sich auch beim Blick in die überaus lichte und freie Wölbung des Innern, daß


Peter Behrens und die A, L, G,

imponierende Fabrikbauteil aus Eisen, Glas und Belon, in denen wir zum
erstenmal wirklich schöne Möglichkeiten auch für diese scheinbar so durch und
durch profane bauliche Aufgabe der Gegenwart ahnen.

Wenn irgendwo, so beweist sich auch hier wiederum der alte Satz zu Recht,
daß der Mensch mit seinen größeren Zwecken wächst. Das Eisen als Baumaterial
ist uns heute, trotz aller Versuche der jüngsten Zeit, bei weiten: nicht halb so
geläufig wie etwa Stein oder Holz. Wir wissen um die außerordentliche Trag¬
fähigkeit und Elastizität des Metalls, wissen theoretisch darum, aber fühlen in
den meisten praktischen Fällen, wo uns das eiserne Baugerippe entgegentritt,
keine rechte ästhetische Befriedigung. Man ist nicht müde geworden, zu wieder¬
holen, daß hier die mangelnde Gewöhnung des Auges schuld sei, und daß eine
neue Generation die konstruktiven Leistungen unserer Techniker bei Brücken- und
Hallenbauten nicht nur als technische, sondern auch als tektonische Formensprache
werde besser zu würdigen wissen als wir. Sieht man die neuen Fabrikbauten
von Behrens an, so erscheint es gewiß, daß mit der technischen Umhüllung,
sozusagen der Abgrenzung eines Raumes von der umgebenden Welt, wie sie
die bisherigen Gerüstbauten in der Regel darstellen, noch keine architektonische
Lösung gegeben sei.

Über die jetzt fertiggestellte Berliner Turbinenfabrik sagt der Künstler selbst:
„Für den Aufbau der Haupthalle war die architektonische Idee maßgebend, die
Eisenmassen zusammenzuziehen, und nicht, wie es der üblichen Gitterkonstruktion
eigen ist, sie aufzulösen. Dadurch sollte dein Rauminnern ein allseitig geschlossener
ständiger Abschluß gegeben werden, um so die Übersichtlichkeit der architektonischen
Proportionen zu geben, die allein die domartige Weiträumigkeit begünstigen kann."

Wir sehen, wie auf niedrigem Ziegelfundament die schmalen eisernen Binder
pfeilerartig bis zu einer Höhe von achtzehn Metern unters Dachgesims empor¬
steigen. Die in schmale Rechtecke geteilten riesigen Feusterflächen aber folgen
den Pfeilern nicht streng vertikal, sondern neigen sich schräg ins Gebäude hinein.
Dadurch gewinnt die weite Wandfläche zunächst eine überaus kräftige Schatten¬
wirkung, die besonders gut durch den tiefen Gesimsschatten des Daches gesteigert
wird; dennoch wird der Flächencharakter einer abschließenden Wandung durch
die vortretenden eisernen Binder nicht zerrissen, sondern eher in gleichmäßigem
Rhythmus verstärkt. In betonten Gegensatz zu dieser Flächenteilung ist die
Giebelseite ohne jedes Hervortreten des eisernen Knocheniverkes durch ein riesiges,
in drei Teilen und schmalen Feldern aufsteigendes Glasfenster betont, zu dessen
beiden Seiten eine horizontal gegliederte Betonfülluug die Ecken des Gebäudes
wuchtig abrundet. Außerordentlich reizvoll erhebt sich über diesem Unterbau die
vollständig geschlossene Stirnseite des Daches, nicht etwa, wie es bisher bei
Eisenkonstruktionen üblich war, in rundem Bogen, sondern in flach gebogenem
Siebeneck. Und wie im Äußern alles mit großer Entschiedenheit in bündige
Ebenen zusammengezogen und durch deren Verschiebung kontrastiert ist, so zeigt
sich auch beim Blick in die überaus lichte und freie Wölbung des Innern, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/40>, abgerufen am 29.09.2024.