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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Aufsäyc

Gesicht sagen lassen muß: "Ich bin nicht zufrieden, ich gehe weiter" oder "Ich
gehe nach X" (dem Sitze des Landgerichts)").

Die Kunst der Strafzumessung fordert nach einem treffenden Worte Kahls
"das Höchste an Beurteilungsfähigkeit der äußeren Vorgänge und Wirkungen
der Straftat, an Menschenkenntnis und Seelenkunde, an Beherrschung des positiv-
rechtlichen Stoffes, an Selbstzucht, Unbefangenheit und Gerechtigkeit". Der
Gesetzgeber wird, da Jdealrichter, die allen diesen Erfordernissen genügen,
in sämtlichen Instanzen nun einmal die Ausnahme bleiben werden, nicht umhin
können, künftig Maßstäbe für die Strafzumessung wenigstens bei den schwerer
zu bestrafenden Verbrechern zu geben. Bei leichten Delikten und niedrigen
Strafen kann die Differenz der einzelnen Urteile selten so schlimm werden, daß
sie die Kritik des allgemeinen Rechtsgefühls herausfordert. Anders bei schweren
Taten, wenn die eine Instanz womöglich auf zwei Jahre Gefängnis und die
andere auf 150 Mark Geldstrafe erkennen kann. Ich möchte sagen, wir knüpfen
mit einer allgemeinen Strafschärfung gegen Rückfällige, Gewohnheitsverbrecher
und Unverbesserliche gewissermaßen dort an, wo eine mittelalterliche Entwickelung
unterbrochen wurde. Das mittelalterliche Strafrecht kannte für alle schwereren
Verbrechen, spätestens aber für den zweiten oder dritten Rückfall. nur eine
Strafe, das war: die Todesstrafe**). Sie nuancierte bei dieser nur entsprechend
ihrem Grundsatze der spiegelnden Strafe (das ist, daß der Strafvollzug ein
möglichst getreues Abbild des Verbrechens sein sollte) dadurch, daß sie die Hin-
richtungsarten verschieden sein ließ. Die Todesstrafe aber hatte, mochte sie
um durch Rad, Schwert. Galgen, Pfählen oder Verbrennen vollstreckt werden,
jedenfalls die sichere Wirkung, jeden Rückfall des Verurteilten unmöglich ^zu
machen. So hatte also Strafgesetzgebung und Justiz bis zur Zeit der Auf¬
klärungsperiode mit dem Problem der Rückfälligen und Unverbesserlichen wenig
Sorge Als mit milderen Sitten die Todesstrafe nur auf ganz wenige Delikte
beschränkt wurde da stand man dem genannten Problem so fremd und unerfahren
gegenüber daß es eines Herumexperimentierens von fast einem Jahrhundert
bedurft hat. bis man endlich zu der zwingenden Einsicht kam. gewisse Ver¬
brecherkategorien müssen um jeden Preis und so lange wie möglich unschädlich
gemacht werden. Da ihre Ausrottung in größerem Umfange nach dem Rechts¬
empfinden unseres Zeitalters nicht mehr möglich ist. so haben bereits eme Reese
Staaten längere Jnternierangen eingeführt. Am weitesten sind hier einzelne
Staaten der Vereinigten Staaten von Nordamerika gegangen die den Habitual
(der etwa unserem Rückfälligen entspricht) bei Begehung des dritten Verbrechens:
Iowa zu mindestens fünfundzwanzig Jahren Mas achuse s zum S rafmaximum
Washington und Jndiana zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilen. Letzteres




"Deutsche Juristen-Zeitung" 1906. SP. S9ö.
Art, 162 der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls des Fünften sagt z. B.:
"solcher dreifaltiger diebstal . . . das ist eyn n.erer Verleumder d.eb , und verlangt für ihn
die Todesstrafe.
Kritische Aufsäyc

Gesicht sagen lassen muß: „Ich bin nicht zufrieden, ich gehe weiter" oder „Ich
gehe nach X" (dem Sitze des Landgerichts)").

Die Kunst der Strafzumessung fordert nach einem treffenden Worte Kahls
„das Höchste an Beurteilungsfähigkeit der äußeren Vorgänge und Wirkungen
der Straftat, an Menschenkenntnis und Seelenkunde, an Beherrschung des positiv-
rechtlichen Stoffes, an Selbstzucht, Unbefangenheit und Gerechtigkeit". Der
Gesetzgeber wird, da Jdealrichter, die allen diesen Erfordernissen genügen,
in sämtlichen Instanzen nun einmal die Ausnahme bleiben werden, nicht umhin
können, künftig Maßstäbe für die Strafzumessung wenigstens bei den schwerer
zu bestrafenden Verbrechern zu geben. Bei leichten Delikten und niedrigen
Strafen kann die Differenz der einzelnen Urteile selten so schlimm werden, daß
sie die Kritik des allgemeinen Rechtsgefühls herausfordert. Anders bei schweren
Taten, wenn die eine Instanz womöglich auf zwei Jahre Gefängnis und die
andere auf 150 Mark Geldstrafe erkennen kann. Ich möchte sagen, wir knüpfen
mit einer allgemeinen Strafschärfung gegen Rückfällige, Gewohnheitsverbrecher
und Unverbesserliche gewissermaßen dort an, wo eine mittelalterliche Entwickelung
unterbrochen wurde. Das mittelalterliche Strafrecht kannte für alle schwereren
Verbrechen, spätestens aber für den zweiten oder dritten Rückfall. nur eine
Strafe, das war: die Todesstrafe**). Sie nuancierte bei dieser nur entsprechend
ihrem Grundsatze der spiegelnden Strafe (das ist, daß der Strafvollzug ein
möglichst getreues Abbild des Verbrechens sein sollte) dadurch, daß sie die Hin-
richtungsarten verschieden sein ließ. Die Todesstrafe aber hatte, mochte sie
um durch Rad, Schwert. Galgen, Pfählen oder Verbrennen vollstreckt werden,
jedenfalls die sichere Wirkung, jeden Rückfall des Verurteilten unmöglich ^zu
machen. So hatte also Strafgesetzgebung und Justiz bis zur Zeit der Auf¬
klärungsperiode mit dem Problem der Rückfälligen und Unverbesserlichen wenig
Sorge Als mit milderen Sitten die Todesstrafe nur auf ganz wenige Delikte
beschränkt wurde da stand man dem genannten Problem so fremd und unerfahren
gegenüber daß es eines Herumexperimentierens von fast einem Jahrhundert
bedurft hat. bis man endlich zu der zwingenden Einsicht kam. gewisse Ver¬
brecherkategorien müssen um jeden Preis und so lange wie möglich unschädlich
gemacht werden. Da ihre Ausrottung in größerem Umfange nach dem Rechts¬
empfinden unseres Zeitalters nicht mehr möglich ist. so haben bereits eme Reese
Staaten längere Jnternierangen eingeführt. Am weitesten sind hier einzelne
Staaten der Vereinigten Staaten von Nordamerika gegangen die den Habitual
(der etwa unserem Rückfälligen entspricht) bei Begehung des dritten Verbrechens:
Iowa zu mindestens fünfundzwanzig Jahren Mas achuse s zum S rafmaximum
Washington und Jndiana zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilen. Letzteres




„Deutsche Juristen-Zeitung" 1906. SP. S9ö.
Art, 162 der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls des Fünften sagt z. B.:
"solcher dreifaltiger diebstal . . . das ist eyn n.erer Verleumder d.eb , und verlangt für ihn
die Todesstrafe.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/385>, abgerufen am 22.07.2024.