Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.Aus dem Lande der Freiheit Aber wie nun, wenn diese Kerle schon betrunken auf den Zug kommen? Was für eil? Kunststück es ist, ahnungslosen Fremden, beispielsweise eben Dabei fehlt dem Ungko-Amerikaner, so wenig man ihm auch sonst den Sonst wäre doch beispielsweise ein Gesetz, wie das im Staate Jndiana, Man hat in letzter Zeit viel über das in England angenommene Gesetz Einem Fremden, der nichtsahnend mit der Bahn von New York kommt, In der texanischen Staatslegislatur ist es in einer der letzten Sessions- Derartiger Ulk wird in den Gesetzgebungen der etwa vier Dutzend ameri¬ Aus dem Lande der Freiheit Aber wie nun, wenn diese Kerle schon betrunken auf den Zug kommen? Was für eil? Kunststück es ist, ahnungslosen Fremden, beispielsweise eben Dabei fehlt dem Ungko-Amerikaner, so wenig man ihm auch sonst den Sonst wäre doch beispielsweise ein Gesetz, wie das im Staate Jndiana, Man hat in letzter Zeit viel über das in England angenommene Gesetz Einem Fremden, der nichtsahnend mit der Bahn von New York kommt, In der texanischen Staatslegislatur ist es in einer der letzten Sessions- Derartiger Ulk wird in den Gesetzgebungen der etwa vier Dutzend ameri¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316648"/> <fw type="header" place="top"> Aus dem Lande der Freiheit</fw><lb/> <p xml:id="ID_1575"> Aber wie nun, wenn diese Kerle schon betrunken auf den Zug kommen?<lb/> Überhaupt: Weil ein paar zügellose Burschen sich betrinken könnten,<lb/> sollen alle verständigen und mäßigen Leute gezwungenwerden, sich einer<lb/> gewohnten Stärkung zu enthalten, oder sie sollen im „Übertretungsfalle" in<lb/> Strafe genommen werden?</p><lb/> <p xml:id="ID_1576"> Was für eil? Kunststück es ist, ahnungslosen Fremden, beispielsweise eben<lb/> erst direkt über Galveston Eingewanderten, dies Gesetz und seine Bedeutung<lb/> klar zu machen, habe ich einmal vor zwei Jahren erlebt. Es dauerte sehr lange,<lb/> bevor der Betreffende überzeugt war, daß man sich nicht bloß über ihn lustig<lb/> machen und daß man ihm keinen Bären aufbinden wollte. Selbst die sehr ernst<lb/> gemeinten Warnungen des Zugführers verfehlte» ihre Wirkung, um so mehr<lb/> noch, als dieser bei den tapferen Versuchen des jungen Einwanderers, Englisch<lb/> zu sprechen, nicht lange ernst zu bleiben vermochte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1577"> Dabei fehlt dem Ungko-Amerikaner, so wenig man ihm auch sonst den<lb/> Sinn für Humor abstreiten kann, jegliches Verständnis dafür, daß man sich<lb/> durch derartige Gesetze vor der gesamten übrigen zivilisierten Welt unsterblich<lb/> blamiert!</p><lb/> <p xml:id="ID_1578"> Sonst wäre doch beispielsweise ein Gesetz, wie das im Staate Jndiana,<lb/> — noch dazu einem der ältesten und in der Entwicklung am weitesten vor¬<lb/> geschrittenen Staaten der Union, seit einer Reihe von Jahren bestehende<lb/> Amel-Zigarettengesetz, gar nicht möglich gewesen.<lb/> '</p><lb/> <p xml:id="ID_1579"> Man hat in letzter Zeit viel über das in England angenommene Gesetz<lb/> gespottet, das der Polizei die Erlaubnis erteilt, alle minderjährigen Personen<lb/> zu verhaften, die öffentlich Zigaretten rauchen. Aber im Vergleich mit dem<lb/> Amel-Zigarettengesetz von Jndiana ist das neue britische Gesetz uoch geradezu<lb/> liberal zu nennen. Denn in dem genannten amerikanischen Bundesstaat darf<lb/> überhaupt niemand öffentlich Zigaretten rauchen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1580"> Einem Fremden, der nichtsahnend mit der Bahn von New York kommt,<lb/> kann es passieren, daß, wenn er mit einer Zigarette im Munde in Indianapolis<lb/> aus den: Zuge steigt, ihm auf dem Bahnsteige ein Scheriffsgehilfe die Hand auf<lb/> die Schulter legt und ihn im Namen des Gesetzes für verhaftet erklärt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1581"> In der texanischen Staatslegislatur ist es in einer der letzten Sessions-<lb/> perioden vorgekommen, daß ein als Witzbold bekanntes Mitglied ^Repräsentanten¬<lb/> hauses diese geradezu krankhafte gesetzgeberische Topfguckerei verspotten wollte und<lb/> zu diesem Zweck eine Bill einbrachte, durch die genau festgesetzt werden sollte,<lb/> wie oft in den Hotels die Betten frisch überzogen werden müßten und wie lang<lb/> und breit die Bettlaken zu sein hätten. Er hielt dann auch eine gravitätische<lb/> Rede zur Begründung seines Antrags, die zu seinem eigenen Erstaunen sehr<lb/> beifällig und ohne jede kritische Unterbrechung aufgenommen wurde. Dann kam<lb/> es zur Debatte. Da er aber fürchtete, nicht ernst bleiben zu können, verließ<lb/> er auf einige Zeit den Sitzungssaal. Wie erstaunt war er aber, als er nach<lb/> einer halben Stunde zurückkam und man ihm gratulierte — zur einstimmigen<lb/> Annahme seiner Bill gratulierte!</p><lb/> <p xml:id="ID_1582" next="#ID_1583"> Derartiger Ulk wird in den Gesetzgebungen der etwa vier Dutzend ameri¬<lb/> kanischen Bundesstaaten überhaupt sehr häufig getrieben. Übrigens verführt<lb/> schließlich auch die landesübliche legislative Massenproduktion hierzu. Nicht nur<lb/> im Kongresse zu Washington, sondern auch in den Legislaturen der Einzel¬<lb/> staaten kann jeder Repräsentant und auch jeder Senator auf eigene Faust so<lb/> viele Bills und Resolutionen einbringen, wie es ihm Spaß macht. Eine gesetz¬<lb/> liche oder verfassungsmäßige Beschränkung in den: Sinne, daß ein Antrag nur</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0359]
Aus dem Lande der Freiheit
Aber wie nun, wenn diese Kerle schon betrunken auf den Zug kommen?
Überhaupt: Weil ein paar zügellose Burschen sich betrinken könnten,
sollen alle verständigen und mäßigen Leute gezwungenwerden, sich einer
gewohnten Stärkung zu enthalten, oder sie sollen im „Übertretungsfalle" in
Strafe genommen werden?
Was für eil? Kunststück es ist, ahnungslosen Fremden, beispielsweise eben
erst direkt über Galveston Eingewanderten, dies Gesetz und seine Bedeutung
klar zu machen, habe ich einmal vor zwei Jahren erlebt. Es dauerte sehr lange,
bevor der Betreffende überzeugt war, daß man sich nicht bloß über ihn lustig
machen und daß man ihm keinen Bären aufbinden wollte. Selbst die sehr ernst
gemeinten Warnungen des Zugführers verfehlte» ihre Wirkung, um so mehr
noch, als dieser bei den tapferen Versuchen des jungen Einwanderers, Englisch
zu sprechen, nicht lange ernst zu bleiben vermochte.
Dabei fehlt dem Ungko-Amerikaner, so wenig man ihm auch sonst den
Sinn für Humor abstreiten kann, jegliches Verständnis dafür, daß man sich
durch derartige Gesetze vor der gesamten übrigen zivilisierten Welt unsterblich
blamiert!
Sonst wäre doch beispielsweise ein Gesetz, wie das im Staate Jndiana,
— noch dazu einem der ältesten und in der Entwicklung am weitesten vor¬
geschrittenen Staaten der Union, seit einer Reihe von Jahren bestehende
Amel-Zigarettengesetz, gar nicht möglich gewesen.
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Man hat in letzter Zeit viel über das in England angenommene Gesetz
gespottet, das der Polizei die Erlaubnis erteilt, alle minderjährigen Personen
zu verhaften, die öffentlich Zigaretten rauchen. Aber im Vergleich mit dem
Amel-Zigarettengesetz von Jndiana ist das neue britische Gesetz uoch geradezu
liberal zu nennen. Denn in dem genannten amerikanischen Bundesstaat darf
überhaupt niemand öffentlich Zigaretten rauchen!
Einem Fremden, der nichtsahnend mit der Bahn von New York kommt,
kann es passieren, daß, wenn er mit einer Zigarette im Munde in Indianapolis
aus den: Zuge steigt, ihm auf dem Bahnsteige ein Scheriffsgehilfe die Hand auf
die Schulter legt und ihn im Namen des Gesetzes für verhaftet erklärt.
In der texanischen Staatslegislatur ist es in einer der letzten Sessions-
perioden vorgekommen, daß ein als Witzbold bekanntes Mitglied ^Repräsentanten¬
hauses diese geradezu krankhafte gesetzgeberische Topfguckerei verspotten wollte und
zu diesem Zweck eine Bill einbrachte, durch die genau festgesetzt werden sollte,
wie oft in den Hotels die Betten frisch überzogen werden müßten und wie lang
und breit die Bettlaken zu sein hätten. Er hielt dann auch eine gravitätische
Rede zur Begründung seines Antrags, die zu seinem eigenen Erstaunen sehr
beifällig und ohne jede kritische Unterbrechung aufgenommen wurde. Dann kam
es zur Debatte. Da er aber fürchtete, nicht ernst bleiben zu können, verließ
er auf einige Zeit den Sitzungssaal. Wie erstaunt war er aber, als er nach
einer halben Stunde zurückkam und man ihm gratulierte — zur einstimmigen
Annahme seiner Bill gratulierte!
Derartiger Ulk wird in den Gesetzgebungen der etwa vier Dutzend ameri¬
kanischen Bundesstaaten überhaupt sehr häufig getrieben. Übrigens verführt
schließlich auch die landesübliche legislative Massenproduktion hierzu. Nicht nur
im Kongresse zu Washington, sondern auch in den Legislaturen der Einzel¬
staaten kann jeder Repräsentant und auch jeder Senator auf eigene Faust so
viele Bills und Resolutionen einbringen, wie es ihm Spaß macht. Eine gesetz¬
liche oder verfassungsmäßige Beschränkung in den: Sinne, daß ein Antrag nur
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