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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Das neue versicherungsrecht

Rauch leidet oder bloß ansengt, ist für die Entschädigungsfrage unerheblich.
Diese sogenannten Sengschäden sowie die sonstigen Bagatellschäden beginnen in
neuester Zeit vielfach die Öffentlichkeit zu beschäftigen; der wöchentliche Sprech¬
saal des "Tages" z. B. bringt fast jedesmal darüber eine Einsendung unter dem
bereits typisch gewordenen Titel: Vorsicht beim Abschluß von Versicherungs¬
verträgen. Dies hängt damit zusammen, daß zurzeit bei den Versicherungs¬
gesellschaften eine lebhafte Strömung im Gange ist, hinsichtlich der Bagatellschäden
eine schärfere Praxis durchzudrücken. Soweit dies dahin zielt, wirkliche Über¬
vorteilungen, also z. B. vorsätzliche Beschädigungen eines ohnehin abgebrauchter
Gegenstandes von den Gesellschaften fern zu halten, läßt sich dagegen natürlich
nichts sagen. Wenn aber darüber hinaus behauptet wird, die Bagatellschäden
seien überhaupt nicht entschädigungspflichtig, so geht dies zu weit. Das Kaiserliche
Aufsichtsamt für Privatversicherung hat sich in einem vor einiger Zeit ver¬
öffentlichten Bescheide mit bemerkenswerter Schroffheit in dieser Frage gleichfalls
auf den Standpunkt der Gesellschaften gestellt; es ist aber wenig wahrscheinlich,
daß die Zivilgerichte, die über derartige Ansprüche zu entscheiden haben, dieser
Auffassung folgen werden.

Der größte Fortschritt der neuen Bedingungen zugunsten der Versicherungs¬
nehmer liegt in der Bestimmung der sogenannten Versicherungslokalität. Die
bisherige Übung beschränkte jede Feuerversicherung streng auf diejenigen Räume,
für die sie abgeschlossen war; im Falle eines Anzuges des Versicherungsnehmers
mußte eine besondere Genehmigung des Versicherers eingeholt werden und bis
zum Eintreffen dieser Genehmigung wurden Brandschäden, die sich inzwischen
ereignet hatten, nicht vergütet. Dies hängt zusammen mit der oben berührten
sorgsamen Prüfung des Risikos, also der Feuergeführlichkeit und damit der ver¬
schiedenen Schadenwahrscheinlichkeit jeder einzelnen Räumlichkeit, sei es Wohnung,
Geschäftslokal oder Fabrik, und hat auch seinen guten Grund, wo es sich um
Geschäfts- oder Fabrikräume handelt, also um individuell zu beurteilende und
besonders gefährliche Risiken. Bei den gewöhnlichen Privatwohnungen dagegen,
namentlich innerhalb derselben Stadt, wird man eine erhebliche Verschiedenheit
der Feuergefährlichkeit kaum feststellen können; insoweit wirkte die gedachte
Beschränkung der Feuerversicherung als unbegründete und unbillige Verfallklausel.
Dem haben die neuen Bedingungen Rechnung getragen; sie setzen fest, daß in
Ansehung häuslichen Mobiliars die Versicherung die versicherten Sachen im Falle
eines Wohnungswechsels in die neue Wohnung begleitet und daß auch der
Brandschade während des Anzuges vergütet werdeu soll. Dies gilt nicht nur
für Umzug innerhalb derselben Stadt, sondern auch für einen Umzug in eine
andere Stadt innerhalb des Deutschen Reichs und ist, wie man leicht ermessen
kann, eine ganz beträchtliche Konzession an die Versicherungsnehmer. Der Ver¬
sicherte muß aber nach wie vor den Umzug binnen zwei Wochen seiner Ver¬
sicherungsgesellschaft anzeigen und diese ist dann berechtigt, das Versicherungs¬
verhältnis mit einmonatiger Frist zu kündigen. Wird die Anzeige schuldhaft


Das neue versicherungsrecht

Rauch leidet oder bloß ansengt, ist für die Entschädigungsfrage unerheblich.
Diese sogenannten Sengschäden sowie die sonstigen Bagatellschäden beginnen in
neuester Zeit vielfach die Öffentlichkeit zu beschäftigen; der wöchentliche Sprech¬
saal des „Tages" z. B. bringt fast jedesmal darüber eine Einsendung unter dem
bereits typisch gewordenen Titel: Vorsicht beim Abschluß von Versicherungs¬
verträgen. Dies hängt damit zusammen, daß zurzeit bei den Versicherungs¬
gesellschaften eine lebhafte Strömung im Gange ist, hinsichtlich der Bagatellschäden
eine schärfere Praxis durchzudrücken. Soweit dies dahin zielt, wirkliche Über¬
vorteilungen, also z. B. vorsätzliche Beschädigungen eines ohnehin abgebrauchter
Gegenstandes von den Gesellschaften fern zu halten, läßt sich dagegen natürlich
nichts sagen. Wenn aber darüber hinaus behauptet wird, die Bagatellschäden
seien überhaupt nicht entschädigungspflichtig, so geht dies zu weit. Das Kaiserliche
Aufsichtsamt für Privatversicherung hat sich in einem vor einiger Zeit ver¬
öffentlichten Bescheide mit bemerkenswerter Schroffheit in dieser Frage gleichfalls
auf den Standpunkt der Gesellschaften gestellt; es ist aber wenig wahrscheinlich,
daß die Zivilgerichte, die über derartige Ansprüche zu entscheiden haben, dieser
Auffassung folgen werden.

Der größte Fortschritt der neuen Bedingungen zugunsten der Versicherungs¬
nehmer liegt in der Bestimmung der sogenannten Versicherungslokalität. Die
bisherige Übung beschränkte jede Feuerversicherung streng auf diejenigen Räume,
für die sie abgeschlossen war; im Falle eines Anzuges des Versicherungsnehmers
mußte eine besondere Genehmigung des Versicherers eingeholt werden und bis
zum Eintreffen dieser Genehmigung wurden Brandschäden, die sich inzwischen
ereignet hatten, nicht vergütet. Dies hängt zusammen mit der oben berührten
sorgsamen Prüfung des Risikos, also der Feuergeführlichkeit und damit der ver¬
schiedenen Schadenwahrscheinlichkeit jeder einzelnen Räumlichkeit, sei es Wohnung,
Geschäftslokal oder Fabrik, und hat auch seinen guten Grund, wo es sich um
Geschäfts- oder Fabrikräume handelt, also um individuell zu beurteilende und
besonders gefährliche Risiken. Bei den gewöhnlichen Privatwohnungen dagegen,
namentlich innerhalb derselben Stadt, wird man eine erhebliche Verschiedenheit
der Feuergefährlichkeit kaum feststellen können; insoweit wirkte die gedachte
Beschränkung der Feuerversicherung als unbegründete und unbillige Verfallklausel.
Dem haben die neuen Bedingungen Rechnung getragen; sie setzen fest, daß in
Ansehung häuslichen Mobiliars die Versicherung die versicherten Sachen im Falle
eines Wohnungswechsels in die neue Wohnung begleitet und daß auch der
Brandschade während des Anzuges vergütet werdeu soll. Dies gilt nicht nur
für Umzug innerhalb derselben Stadt, sondern auch für einen Umzug in eine
andere Stadt innerhalb des Deutschen Reichs und ist, wie man leicht ermessen
kann, eine ganz beträchtliche Konzession an die Versicherungsnehmer. Der Ver¬
sicherte muß aber nach wie vor den Umzug binnen zwei Wochen seiner Ver¬
sicherungsgesellschaft anzeigen und diese ist dann berechtigt, das Versicherungs¬
verhältnis mit einmonatiger Frist zu kündigen. Wird die Anzeige schuldhaft


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[0342] Das neue versicherungsrecht Rauch leidet oder bloß ansengt, ist für die Entschädigungsfrage unerheblich. Diese sogenannten Sengschäden sowie die sonstigen Bagatellschäden beginnen in neuester Zeit vielfach die Öffentlichkeit zu beschäftigen; der wöchentliche Sprech¬ saal des „Tages" z. B. bringt fast jedesmal darüber eine Einsendung unter dem bereits typisch gewordenen Titel: Vorsicht beim Abschluß von Versicherungs¬ verträgen. Dies hängt damit zusammen, daß zurzeit bei den Versicherungs¬ gesellschaften eine lebhafte Strömung im Gange ist, hinsichtlich der Bagatellschäden eine schärfere Praxis durchzudrücken. Soweit dies dahin zielt, wirkliche Über¬ vorteilungen, also z. B. vorsätzliche Beschädigungen eines ohnehin abgebrauchter Gegenstandes von den Gesellschaften fern zu halten, läßt sich dagegen natürlich nichts sagen. Wenn aber darüber hinaus behauptet wird, die Bagatellschäden seien überhaupt nicht entschädigungspflichtig, so geht dies zu weit. Das Kaiserliche Aufsichtsamt für Privatversicherung hat sich in einem vor einiger Zeit ver¬ öffentlichten Bescheide mit bemerkenswerter Schroffheit in dieser Frage gleichfalls auf den Standpunkt der Gesellschaften gestellt; es ist aber wenig wahrscheinlich, daß die Zivilgerichte, die über derartige Ansprüche zu entscheiden haben, dieser Auffassung folgen werden. Der größte Fortschritt der neuen Bedingungen zugunsten der Versicherungs¬ nehmer liegt in der Bestimmung der sogenannten Versicherungslokalität. Die bisherige Übung beschränkte jede Feuerversicherung streng auf diejenigen Räume, für die sie abgeschlossen war; im Falle eines Anzuges des Versicherungsnehmers mußte eine besondere Genehmigung des Versicherers eingeholt werden und bis zum Eintreffen dieser Genehmigung wurden Brandschäden, die sich inzwischen ereignet hatten, nicht vergütet. Dies hängt zusammen mit der oben berührten sorgsamen Prüfung des Risikos, also der Feuergeführlichkeit und damit der ver¬ schiedenen Schadenwahrscheinlichkeit jeder einzelnen Räumlichkeit, sei es Wohnung, Geschäftslokal oder Fabrik, und hat auch seinen guten Grund, wo es sich um Geschäfts- oder Fabrikräume handelt, also um individuell zu beurteilende und besonders gefährliche Risiken. Bei den gewöhnlichen Privatwohnungen dagegen, namentlich innerhalb derselben Stadt, wird man eine erhebliche Verschiedenheit der Feuergefährlichkeit kaum feststellen können; insoweit wirkte die gedachte Beschränkung der Feuerversicherung als unbegründete und unbillige Verfallklausel. Dem haben die neuen Bedingungen Rechnung getragen; sie setzen fest, daß in Ansehung häuslichen Mobiliars die Versicherung die versicherten Sachen im Falle eines Wohnungswechsels in die neue Wohnung begleitet und daß auch der Brandschade während des Anzuges vergütet werdeu soll. Dies gilt nicht nur für Umzug innerhalb derselben Stadt, sondern auch für einen Umzug in eine andere Stadt innerhalb des Deutschen Reichs und ist, wie man leicht ermessen kann, eine ganz beträchtliche Konzession an die Versicherungsnehmer. Der Ver¬ sicherte muß aber nach wie vor den Umzug binnen zwei Wochen seiner Ver¬ sicherungsgesellschaft anzeigen und diese ist dann berechtigt, das Versicherungs¬ verhältnis mit einmonatiger Frist zu kündigen. Wird die Anzeige schuldhaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/342>, abgerufen am 01.07.2024.