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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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schon einer recht schweren Tat entsprechen. Und solche Individuen sollen dann
noch die Chance der Strafaussetzung haben? Dem sucht freilich H 39 V.E. mit
der Bestimmung vorzubeugen:


"Die Strafaussetzung ist nur zulässig, wenn der Täter nach den
Umständen der Tat und nach seinem Vorleben einer besonderen Berück¬
sichtigung würdig erscheint und zu der Erwartung berechtigt, daß er auch
ohne den Vollzug der Strafe sich künftig mohlverhaltcn werde. Bei der
Entscheidung ist auch auf die Beweggründe zur Tat, auf die seitdem ver¬
flossene Zeit, sowie auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat zu
achten, insbesondere darauf, ob er sich nach Kräften bemüht hat, den
Schaden wieder gut zu machen."

Mögen diese Kautelen die Strafaussetzung für Vorbestrafte in der Regel
verhindern, so scheinen sie mir keinen Schutz gegen eine Begünstigung der wohl¬
habenderen Klassen der Bevölkerung zu gewähren. Auf diese wird nämlich sehr
oft alles das zutreffen, was der H 39 an entlastenden Momenten verlangt. Der
Automobilbesitzer, welcher durch rücksichtsloses Automobilfahren den Tod eines
Menschen fahrlässig verschuldet, der Bürger der wohlhabenden Klassen, der in
der Angetruiikenheit eine gefährliche Körperverletzung verübt, der Akademiker,
welcher einen Zweikampf mit tödlichen Waffen ausficht, der Kaufmann, welcher
einen strafbaren Bankerott macht, sie alle sind der Regel nach unbestraft, nach
ihrem Vorleben der besonderen Berücksichtigung würdig und werden sich voraus¬
sichtlich künftig auch wohlverhalten, ohne daß die Strafe an ihnen vollstreckt
wird. Man hat nämlich normalerweise nicht wieder das Pech, einen Menschen
zu überfahren, man kommt als friedlicher Staatsbürger nicht so leicht in die
Lage, sich zweimal schlagen zu müssen, und der zweite und dritte Bankerott sind
Ausnahmeerscheinungen der Großstadt. Der Fall der neuen Verurteilung, von
welcher Z 40 V.E. den Wegfall der Strafaussetzung abhängig macht, wird also
bei den Verurteilten der wohlhabenderen Klassen, unabhängig davon, ob die
Einrichtung der Strafaussetzung existiert oder nicht, voraussichtlich in den
meisten Fällen nie eintreffen. Die Strafaussetzung des Vorentwurfs kann also fast
auf eine Straffreiheit gewisser Kategorien von Verurteilten hinauslaufen. Die
Verfasser des Vorentwurfs haben sich hier von dein Gedanken der modernen
Strafrechtsschule, daß die Strafe vor allem Präventivmittel sei, zu weit treiben
lassen. Der gesunde und tief im Volke wurzelnde Gedanke, daß die Strafe vor
allem Vergeltungs- und Sühnezweck habe, tritt hier völlig zurück. Wollen wir
aber ein gerechtes Gleichgewicht zwischen jenem und diesem Strafzwecke herstellen,
so müssen wir sagen, bei Erwachsenen kann auf den Sühnezweck nur bei Ver¬
fehlungen leichtester Art verzichtet werden. (Hier ist aber durch die Einrichtung
der Geldstrafe kein Bedürfnis eines Verzichts vorhanden.) Erwachsene aber, die
eine so schwere Tat begangen haben, daß das Gericht auf Gefängnisstrafe gegen
sie erkannt hat, die sollen diese Strafe auch verbüßen. Es spricht nicht zuletzt
für diese Forderung auch die Rücksichtnahme auf den Verletzten, welcher eine


Kritische Beiträge

schon einer recht schweren Tat entsprechen. Und solche Individuen sollen dann
noch die Chance der Strafaussetzung haben? Dem sucht freilich H 39 V.E. mit
der Bestimmung vorzubeugen:


„Die Strafaussetzung ist nur zulässig, wenn der Täter nach den
Umständen der Tat und nach seinem Vorleben einer besonderen Berück¬
sichtigung würdig erscheint und zu der Erwartung berechtigt, daß er auch
ohne den Vollzug der Strafe sich künftig mohlverhaltcn werde. Bei der
Entscheidung ist auch auf die Beweggründe zur Tat, auf die seitdem ver¬
flossene Zeit, sowie auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat zu
achten, insbesondere darauf, ob er sich nach Kräften bemüht hat, den
Schaden wieder gut zu machen."

Mögen diese Kautelen die Strafaussetzung für Vorbestrafte in der Regel
verhindern, so scheinen sie mir keinen Schutz gegen eine Begünstigung der wohl¬
habenderen Klassen der Bevölkerung zu gewähren. Auf diese wird nämlich sehr
oft alles das zutreffen, was der H 39 an entlastenden Momenten verlangt. Der
Automobilbesitzer, welcher durch rücksichtsloses Automobilfahren den Tod eines
Menschen fahrlässig verschuldet, der Bürger der wohlhabenden Klassen, der in
der Angetruiikenheit eine gefährliche Körperverletzung verübt, der Akademiker,
welcher einen Zweikampf mit tödlichen Waffen ausficht, der Kaufmann, welcher
einen strafbaren Bankerott macht, sie alle sind der Regel nach unbestraft, nach
ihrem Vorleben der besonderen Berücksichtigung würdig und werden sich voraus¬
sichtlich künftig auch wohlverhalten, ohne daß die Strafe an ihnen vollstreckt
wird. Man hat nämlich normalerweise nicht wieder das Pech, einen Menschen
zu überfahren, man kommt als friedlicher Staatsbürger nicht so leicht in die
Lage, sich zweimal schlagen zu müssen, und der zweite und dritte Bankerott sind
Ausnahmeerscheinungen der Großstadt. Der Fall der neuen Verurteilung, von
welcher Z 40 V.E. den Wegfall der Strafaussetzung abhängig macht, wird also
bei den Verurteilten der wohlhabenderen Klassen, unabhängig davon, ob die
Einrichtung der Strafaussetzung existiert oder nicht, voraussichtlich in den
meisten Fällen nie eintreffen. Die Strafaussetzung des Vorentwurfs kann also fast
auf eine Straffreiheit gewisser Kategorien von Verurteilten hinauslaufen. Die
Verfasser des Vorentwurfs haben sich hier von dein Gedanken der modernen
Strafrechtsschule, daß die Strafe vor allem Präventivmittel sei, zu weit treiben
lassen. Der gesunde und tief im Volke wurzelnde Gedanke, daß die Strafe vor
allem Vergeltungs- und Sühnezweck habe, tritt hier völlig zurück. Wollen wir
aber ein gerechtes Gleichgewicht zwischen jenem und diesem Strafzwecke herstellen,
so müssen wir sagen, bei Erwachsenen kann auf den Sühnezweck nur bei Ver¬
fehlungen leichtester Art verzichtet werden. (Hier ist aber durch die Einrichtung
der Geldstrafe kein Bedürfnis eines Verzichts vorhanden.) Erwachsene aber, die
eine so schwere Tat begangen haben, daß das Gericht auf Gefängnisstrafe gegen
sie erkannt hat, die sollen diese Strafe auch verbüßen. Es spricht nicht zuletzt
für diese Forderung auch die Rücksichtnahme auf den Verletzten, welcher eine


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[0032] Kritische Beiträge schon einer recht schweren Tat entsprechen. Und solche Individuen sollen dann noch die Chance der Strafaussetzung haben? Dem sucht freilich H 39 V.E. mit der Bestimmung vorzubeugen: „Die Strafaussetzung ist nur zulässig, wenn der Täter nach den Umständen der Tat und nach seinem Vorleben einer besonderen Berück¬ sichtigung würdig erscheint und zu der Erwartung berechtigt, daß er auch ohne den Vollzug der Strafe sich künftig mohlverhaltcn werde. Bei der Entscheidung ist auch auf die Beweggründe zur Tat, auf die seitdem ver¬ flossene Zeit, sowie auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat zu achten, insbesondere darauf, ob er sich nach Kräften bemüht hat, den Schaden wieder gut zu machen." Mögen diese Kautelen die Strafaussetzung für Vorbestrafte in der Regel verhindern, so scheinen sie mir keinen Schutz gegen eine Begünstigung der wohl¬ habenderen Klassen der Bevölkerung zu gewähren. Auf diese wird nämlich sehr oft alles das zutreffen, was der H 39 an entlastenden Momenten verlangt. Der Automobilbesitzer, welcher durch rücksichtsloses Automobilfahren den Tod eines Menschen fahrlässig verschuldet, der Bürger der wohlhabenden Klassen, der in der Angetruiikenheit eine gefährliche Körperverletzung verübt, der Akademiker, welcher einen Zweikampf mit tödlichen Waffen ausficht, der Kaufmann, welcher einen strafbaren Bankerott macht, sie alle sind der Regel nach unbestraft, nach ihrem Vorleben der besonderen Berücksichtigung würdig und werden sich voraus¬ sichtlich künftig auch wohlverhalten, ohne daß die Strafe an ihnen vollstreckt wird. Man hat nämlich normalerweise nicht wieder das Pech, einen Menschen zu überfahren, man kommt als friedlicher Staatsbürger nicht so leicht in die Lage, sich zweimal schlagen zu müssen, und der zweite und dritte Bankerott sind Ausnahmeerscheinungen der Großstadt. Der Fall der neuen Verurteilung, von welcher Z 40 V.E. den Wegfall der Strafaussetzung abhängig macht, wird also bei den Verurteilten der wohlhabenderen Klassen, unabhängig davon, ob die Einrichtung der Strafaussetzung existiert oder nicht, voraussichtlich in den meisten Fällen nie eintreffen. Die Strafaussetzung des Vorentwurfs kann also fast auf eine Straffreiheit gewisser Kategorien von Verurteilten hinauslaufen. Die Verfasser des Vorentwurfs haben sich hier von dein Gedanken der modernen Strafrechtsschule, daß die Strafe vor allem Präventivmittel sei, zu weit treiben lassen. Der gesunde und tief im Volke wurzelnde Gedanke, daß die Strafe vor allem Vergeltungs- und Sühnezweck habe, tritt hier völlig zurück. Wollen wir aber ein gerechtes Gleichgewicht zwischen jenem und diesem Strafzwecke herstellen, so müssen wir sagen, bei Erwachsenen kann auf den Sühnezweck nur bei Ver¬ fehlungen leichtester Art verzichtet werden. (Hier ist aber durch die Einrichtung der Geldstrafe kein Bedürfnis eines Verzichts vorhanden.) Erwachsene aber, die eine so schwere Tat begangen haben, daß das Gericht auf Gefängnisstrafe gegen sie erkannt hat, die sollen diese Strafe auch verbüßen. Es spricht nicht zuletzt für diese Forderung auch die Rücksichtnahme auf den Verletzten, welcher eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/32>, abgerufen am 01.07.2024.