Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Asiatische Arbeit

Sieht man von ganz vereinzelten chinesischen Händlern im europäischen
Rußland ab und erwähnt, daß in langsam von Westen nach Osten steigender
Zahl sich chinesische Kleinhändler zwischen Kmßnojarsk und Jrkutsk zeigen, so
kann man im ganzen sür die Gegenwart den Baikalsee als Westgrenze chinesischer
Arbeit in Sibirien bezeichnen.

In der ersten Kreisstadt östlich des Baikalsees, in Werchnc-Udinsk, sieht
man schon eine ganze Reihe chinesischer Händler und Handwerker, z. B. Wäscher;
unweit östlich der genannten Stadt begegnete ich in einer Zementfabrik und
in einer Kohlengrube zum erstenmal Chinesen in nennenswerter Zahl als Fabrik -
und Bergwerksarbeiter. In der Zementfabrik arbeiteten zweihundert Mann,
die Hälfte davon waren Chinesen. Sie wurden mir als nüchtern,
willig, aber sehr empfindlich gegen wirkliche oder vermeintliche Ungerechtigkeit
bezeichnet. Man hatte ihnen alle Posten gegeben, bei denen es auf ununter-
brochene Arbeit ankam, da sie nur drei Neujahrstage im Jahr feierten; an
komplizierten Maschinen dagegen verwendete man Russen. Die Löhne von Chinesen
und Russen beliefen sich hier für gewöhnliche Arbeit gleichmäßig auf einen Rubel
für den Tag. Außer den angestellten Chinesen betätigten sich in der Nähe
einige auf eigene Rechnung als Ziegelbrcnner. Auf der Kohlengrube waren
Zwei Schächte in Betrieb; in dem einen arbeitete,: ausschließlich Russen, im anderen
Chinesen. Die letzteren waren fleißig und willig, zeigten sich aber oft ängstlich,
wenn z. B. in der Grube die Luft schlecht war, was bei bestimmten Wind¬
richtungen vorkam, was die Russen dagegen nicht störte.

In Tschita, der Hauptstadt Transbaikaliens. erscheinen die Chinesen schon
in größerer Anzahl, und zwar uicht nur wenn sie angeworben sind, sondern auch nur
selbst Arbeit zu suchen. Man findet sie hier als Lastträger, als Hilfsarbeiter bei
Bauten, als Wäscher. Gemüsegärtner, Hausierer, Krämer, in einzelnen Fällen
auch schon als Bediente und Köche. In einer Möbeltischlerei hatte ein Deutscher
mehrere Chinesen angestellt und zeigte mir an Mustern die Fortschritte eines
Chinesen in der Schnitzerei neben den relativen Rückschritten eines russischen
Schnitzers. Der Chinese arbeitete nach dem ihm gegebenen Muster mit
solch peinlicher Sorgfalt, daß man an die Anekdote vom chinesischen Schneider
erinnert wurde. Einem bezopften Schneider übertrug ein Europäer die
Anfertigung einer Hose aus mitgegebenen Stoff. Da der Chinese noch keine
Europäerhose gemacht hatte, erhielt er eine ehemals elegante als Muster, die er
w Schnitt genau nachahmen sollte. Die neue Hose paßte denn auch tadellos,
als aber der Besitzer sie auf der Kehrseite betrachtete, thronte dort ein Flicken
genau auf der Stelle und in der Form und Farbe, in der die alte einen auf¬
gewiesen hatte. Dieses peinliche Arbeiten nach einem bestimmten Vorbild scheint
charakteristisch sür den Chinesen zu sein; viel schwerer fällt es ihm, nach Angaben
"der gar nach Zeichnung zu arbeiten. Wenig verwöhnt ist der Chinese in
Beziehung auf Länge der Arbeitszeit. Eine Weigerung, nach Feierabend zu
arbeiten, wird man von ihn: nicht zu befürchten haben, dagegen hat er den


Grenzboten III 1910 30
Asiatische Arbeit

Sieht man von ganz vereinzelten chinesischen Händlern im europäischen
Rußland ab und erwähnt, daß in langsam von Westen nach Osten steigender
Zahl sich chinesische Kleinhändler zwischen Kmßnojarsk und Jrkutsk zeigen, so
kann man im ganzen sür die Gegenwart den Baikalsee als Westgrenze chinesischer
Arbeit in Sibirien bezeichnen.

In der ersten Kreisstadt östlich des Baikalsees, in Werchnc-Udinsk, sieht
man schon eine ganze Reihe chinesischer Händler und Handwerker, z. B. Wäscher;
unweit östlich der genannten Stadt begegnete ich in einer Zementfabrik und
in einer Kohlengrube zum erstenmal Chinesen in nennenswerter Zahl als Fabrik -
und Bergwerksarbeiter. In der Zementfabrik arbeiteten zweihundert Mann,
die Hälfte davon waren Chinesen. Sie wurden mir als nüchtern,
willig, aber sehr empfindlich gegen wirkliche oder vermeintliche Ungerechtigkeit
bezeichnet. Man hatte ihnen alle Posten gegeben, bei denen es auf ununter-
brochene Arbeit ankam, da sie nur drei Neujahrstage im Jahr feierten; an
komplizierten Maschinen dagegen verwendete man Russen. Die Löhne von Chinesen
und Russen beliefen sich hier für gewöhnliche Arbeit gleichmäßig auf einen Rubel
für den Tag. Außer den angestellten Chinesen betätigten sich in der Nähe
einige auf eigene Rechnung als Ziegelbrcnner. Auf der Kohlengrube waren
Zwei Schächte in Betrieb; in dem einen arbeitete,: ausschließlich Russen, im anderen
Chinesen. Die letzteren waren fleißig und willig, zeigten sich aber oft ängstlich,
wenn z. B. in der Grube die Luft schlecht war, was bei bestimmten Wind¬
richtungen vorkam, was die Russen dagegen nicht störte.

In Tschita, der Hauptstadt Transbaikaliens. erscheinen die Chinesen schon
in größerer Anzahl, und zwar uicht nur wenn sie angeworben sind, sondern auch nur
selbst Arbeit zu suchen. Man findet sie hier als Lastträger, als Hilfsarbeiter bei
Bauten, als Wäscher. Gemüsegärtner, Hausierer, Krämer, in einzelnen Fällen
auch schon als Bediente und Köche. In einer Möbeltischlerei hatte ein Deutscher
mehrere Chinesen angestellt und zeigte mir an Mustern die Fortschritte eines
Chinesen in der Schnitzerei neben den relativen Rückschritten eines russischen
Schnitzers. Der Chinese arbeitete nach dem ihm gegebenen Muster mit
solch peinlicher Sorgfalt, daß man an die Anekdote vom chinesischen Schneider
erinnert wurde. Einem bezopften Schneider übertrug ein Europäer die
Anfertigung einer Hose aus mitgegebenen Stoff. Da der Chinese noch keine
Europäerhose gemacht hatte, erhielt er eine ehemals elegante als Muster, die er
w Schnitt genau nachahmen sollte. Die neue Hose paßte denn auch tadellos,
als aber der Besitzer sie auf der Kehrseite betrachtete, thronte dort ein Flicken
genau auf der Stelle und in der Form und Farbe, in der die alte einen auf¬
gewiesen hatte. Dieses peinliche Arbeiten nach einem bestimmten Vorbild scheint
charakteristisch sür den Chinesen zu sein; viel schwerer fällt es ihm, nach Angaben
»der gar nach Zeichnung zu arbeiten. Wenig verwöhnt ist der Chinese in
Beziehung auf Länge der Arbeitszeit. Eine Weigerung, nach Feierabend zu
arbeiten, wird man von ihn: nicht zu befürchten haben, dagegen hat er den


Grenzboten III 1910 30
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316582"/>
          <fw type="header" place="top"> Asiatische Arbeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1184"> Sieht man von ganz vereinzelten chinesischen Händlern im europäischen<lb/>
Rußland ab und erwähnt, daß in langsam von Westen nach Osten steigender<lb/>
Zahl sich chinesische Kleinhändler zwischen Kmßnojarsk und Jrkutsk zeigen, so<lb/>
kann man im ganzen sür die Gegenwart den Baikalsee als Westgrenze chinesischer<lb/>
Arbeit in Sibirien bezeichnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1185"> In der ersten Kreisstadt östlich des Baikalsees, in Werchnc-Udinsk, sieht<lb/>
man schon eine ganze Reihe chinesischer Händler und Handwerker, z. B. Wäscher;<lb/>
unweit östlich der genannten Stadt begegnete ich in einer Zementfabrik und<lb/>
in einer Kohlengrube zum erstenmal Chinesen in nennenswerter Zahl als Fabrik -<lb/>
und Bergwerksarbeiter. In der Zementfabrik arbeiteten zweihundert Mann,<lb/>
die Hälfte davon waren Chinesen. Sie wurden mir als nüchtern,<lb/>
willig, aber sehr empfindlich gegen wirkliche oder vermeintliche Ungerechtigkeit<lb/>
bezeichnet. Man hatte ihnen alle Posten gegeben, bei denen es auf ununter-<lb/>
brochene Arbeit ankam, da sie nur drei Neujahrstage im Jahr feierten; an<lb/>
komplizierten Maschinen dagegen verwendete man Russen. Die Löhne von Chinesen<lb/>
und Russen beliefen sich hier für gewöhnliche Arbeit gleichmäßig auf einen Rubel<lb/>
für den Tag. Außer den angestellten Chinesen betätigten sich in der Nähe<lb/>
einige auf eigene Rechnung als Ziegelbrcnner. Auf der Kohlengrube waren<lb/>
Zwei Schächte in Betrieb; in dem einen arbeitete,: ausschließlich Russen, im anderen<lb/>
Chinesen. Die letzteren waren fleißig und willig, zeigten sich aber oft ängstlich,<lb/>
wenn z. B. in der Grube die Luft schlecht war, was bei bestimmten Wind¬<lb/>
richtungen vorkam, was die Russen dagegen nicht störte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1186" next="#ID_1187"> In Tschita, der Hauptstadt Transbaikaliens. erscheinen die Chinesen schon<lb/>
in größerer Anzahl, und zwar uicht nur wenn sie angeworben sind, sondern auch nur<lb/>
selbst Arbeit zu suchen. Man findet sie hier als Lastträger, als Hilfsarbeiter bei<lb/>
Bauten, als Wäscher. Gemüsegärtner, Hausierer, Krämer, in einzelnen Fällen<lb/>
auch schon als Bediente und Köche. In einer Möbeltischlerei hatte ein Deutscher<lb/>
mehrere Chinesen angestellt und zeigte mir an Mustern die Fortschritte eines<lb/>
Chinesen in der Schnitzerei neben den relativen Rückschritten eines russischen<lb/>
Schnitzers. Der Chinese arbeitete nach dem ihm gegebenen Muster mit<lb/>
solch peinlicher Sorgfalt, daß man an die Anekdote vom chinesischen Schneider<lb/>
erinnert wurde. Einem bezopften Schneider übertrug ein Europäer die<lb/>
Anfertigung einer Hose aus mitgegebenen Stoff. Da der Chinese noch keine<lb/>
Europäerhose gemacht hatte, erhielt er eine ehemals elegante als Muster, die er<lb/>
w Schnitt genau nachahmen sollte. Die neue Hose paßte denn auch tadellos,<lb/>
als aber der Besitzer sie auf der Kehrseite betrachtete, thronte dort ein Flicken<lb/>
genau auf der Stelle und in der Form und Farbe, in der die alte einen auf¬<lb/>
gewiesen hatte. Dieses peinliche Arbeiten nach einem bestimmten Vorbild scheint<lb/>
charakteristisch sür den Chinesen zu sein; viel schwerer fällt es ihm, nach Angaben<lb/>
»der gar nach Zeichnung zu arbeiten. Wenig verwöhnt ist der Chinese in<lb/>
Beziehung auf Länge der Arbeitszeit. Eine Weigerung, nach Feierabend zu<lb/>
arbeiten, wird man von ihn: nicht zu befürchten haben, dagegen hat er den</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1910 30</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] Asiatische Arbeit Sieht man von ganz vereinzelten chinesischen Händlern im europäischen Rußland ab und erwähnt, daß in langsam von Westen nach Osten steigender Zahl sich chinesische Kleinhändler zwischen Kmßnojarsk und Jrkutsk zeigen, so kann man im ganzen sür die Gegenwart den Baikalsee als Westgrenze chinesischer Arbeit in Sibirien bezeichnen. In der ersten Kreisstadt östlich des Baikalsees, in Werchnc-Udinsk, sieht man schon eine ganze Reihe chinesischer Händler und Handwerker, z. B. Wäscher; unweit östlich der genannten Stadt begegnete ich in einer Zementfabrik und in einer Kohlengrube zum erstenmal Chinesen in nennenswerter Zahl als Fabrik - und Bergwerksarbeiter. In der Zementfabrik arbeiteten zweihundert Mann, die Hälfte davon waren Chinesen. Sie wurden mir als nüchtern, willig, aber sehr empfindlich gegen wirkliche oder vermeintliche Ungerechtigkeit bezeichnet. Man hatte ihnen alle Posten gegeben, bei denen es auf ununter- brochene Arbeit ankam, da sie nur drei Neujahrstage im Jahr feierten; an komplizierten Maschinen dagegen verwendete man Russen. Die Löhne von Chinesen und Russen beliefen sich hier für gewöhnliche Arbeit gleichmäßig auf einen Rubel für den Tag. Außer den angestellten Chinesen betätigten sich in der Nähe einige auf eigene Rechnung als Ziegelbrcnner. Auf der Kohlengrube waren Zwei Schächte in Betrieb; in dem einen arbeitete,: ausschließlich Russen, im anderen Chinesen. Die letzteren waren fleißig und willig, zeigten sich aber oft ängstlich, wenn z. B. in der Grube die Luft schlecht war, was bei bestimmten Wind¬ richtungen vorkam, was die Russen dagegen nicht störte. In Tschita, der Hauptstadt Transbaikaliens. erscheinen die Chinesen schon in größerer Anzahl, und zwar uicht nur wenn sie angeworben sind, sondern auch nur selbst Arbeit zu suchen. Man findet sie hier als Lastträger, als Hilfsarbeiter bei Bauten, als Wäscher. Gemüsegärtner, Hausierer, Krämer, in einzelnen Fällen auch schon als Bediente und Köche. In einer Möbeltischlerei hatte ein Deutscher mehrere Chinesen angestellt und zeigte mir an Mustern die Fortschritte eines Chinesen in der Schnitzerei neben den relativen Rückschritten eines russischen Schnitzers. Der Chinese arbeitete nach dem ihm gegebenen Muster mit solch peinlicher Sorgfalt, daß man an die Anekdote vom chinesischen Schneider erinnert wurde. Einem bezopften Schneider übertrug ein Europäer die Anfertigung einer Hose aus mitgegebenen Stoff. Da der Chinese noch keine Europäerhose gemacht hatte, erhielt er eine ehemals elegante als Muster, die er w Schnitt genau nachahmen sollte. Die neue Hose paßte denn auch tadellos, als aber der Besitzer sie auf der Kehrseite betrachtete, thronte dort ein Flicken genau auf der Stelle und in der Form und Farbe, in der die alte einen auf¬ gewiesen hatte. Dieses peinliche Arbeiten nach einem bestimmten Vorbild scheint charakteristisch sür den Chinesen zu sein; viel schwerer fällt es ihm, nach Angaben »der gar nach Zeichnung zu arbeiten. Wenig verwöhnt ist der Chinese in Beziehung auf Länge der Arbeitszeit. Eine Weigerung, nach Feierabend zu arbeiten, wird man von ihn: nicht zu befürchten haben, dagegen hat er den Grenzboten III 1910 30

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/293>, abgerufen am 01.07.2024.