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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Lcivour

versuch Englands, der Krieg nach dem Rezept von Plombieres. Der ganz
unmusikalische Cavour soll das Eintreffen des Ultimatums mit der Arie aus
dem "Trovatore": "öl quslla pira I' on'Loclcz wLo" begrüßt haben, --
wäre es wahr, so wäre es ein gutes Stimmungsbild.

Vom gleichen Tage datiert ein soeben als Manuskript-Druck des Senators
Faldella ans Licht gekommener Brief Cavours an seinen Verwalter in Leri.
"Die Deutschen", heißt es darin, "werden Dienstag abend oder Mittwoch
morgen einmarschieren. Schicken Sie Montag nach Vercelli sechs oder sieben
Pferde oder Maultiere, die der Regierung zu überlassen sind! Lassen Sie alles
Viehfutter verkaufen! Es ist die Überschwemmung des Kreises Vercelli und der
Bruch der Straßen angeordnet worden. . . Die nicht verkauften Pferde schicken
Sie nach Santena zurück mit Wagen voll Reis! Seien Sie ruhig und unbesorgt,
und schicken Sie sich darein, für das Wohl Italiens zu leiden!"

Die Vollmacht zum Kriege hatte Cavour dem Könige vom Parlament
schon vor der Zurückweisung des Ultimatums geben lassen. Die Piemontesen
waren guten Mutes, die Turiner sahen die Regierung vertrauensvoll abziehen,
die sich nach Alessandria und Casale begab. Die Österreicher überschritten zwar
den Tessin, blieben aber lange genug untätig, sodaß die Franzosen unter Napoleon
herbeikommen konnten. Wie der Krieg von 16S9 verlief, ist in aller Erinnerung.
Auch an der glänzenden Folge der Siege bei Montebello, Magenta, Mailand
und Solferino hatte Cavour einen beträchtlichen Anteil, da er außer dein
Portefeuille des Inneren und des Äußeren auch das des Verkehrswesens und
des Krieges versah. Doch in letzter Stunde sollte ihm der Siegespreis streitig
gemacht werden. Napoleon schloß, ohne sich darüber mit seinem italienischen
Verbündeten zu verständigen, am 6. Juli zunächst einen Waffenstillstand und
am 11. Juli zu Villa Frcmca den Frieden mit Franz Joseph. Durch diesen
Friedensschluß kam nur die Lombardei ohne Mantua und Geschiera an Napoleon
und erst durch dessen Hand an Sardinien; dagegen wurden die Herzöge von
Modena und Toskana wieder eingesetzt und die Legationen an den Papst
zurückgegeben. Venedig blieb österreichisch, sollte aber einem unter dem Ehren¬
vorsitze des Papstes gebildeten Staatenbunde angegliedert werden.

Cavour war empört. Moralisch und praktisch hatte er aufs eifrigste und sorg¬
fältigste gewirkt, um in den Legationen eine "nicht revolutionäre" und "nur von
Österreich beziehentlich seinen Schützlingen provozierte" Annexionsbewegung aus¬
zulösen, deren Stärke sich am besten nach Villa Franca offenbarte. Cavour war schon
befremdet, als Napoleon seinen Vetter mit einem Teile des französischen Heeres
nach Toskana geschickt hatte, wo alles ruhig war; er hatte sich beeilt, diesen Versuch
einer bonapartistischen Restauration durch eine persönliche Auseinandersetzung mit
dem Kaiser zu vereiteln. Er hatte Napoleons Proklamation nach Magenta "An
die Italiener!", die einen Schatten auf Cavours Wirken zu werfen trachtete und die
Italiener, -- wahrlich nicht Napoleons Untertanen, -- aufforderte, durch ihr Ver¬
halten die Zerreißung der Verträge von 1815 vor den Augen Europas zu


Lcivour

versuch Englands, der Krieg nach dem Rezept von Plombieres. Der ganz
unmusikalische Cavour soll das Eintreffen des Ultimatums mit der Arie aus
dem „Trovatore": „öl quslla pira I' on'Loclcz wLo" begrüßt haben, —
wäre es wahr, so wäre es ein gutes Stimmungsbild.

Vom gleichen Tage datiert ein soeben als Manuskript-Druck des Senators
Faldella ans Licht gekommener Brief Cavours an seinen Verwalter in Leri.
„Die Deutschen", heißt es darin, „werden Dienstag abend oder Mittwoch
morgen einmarschieren. Schicken Sie Montag nach Vercelli sechs oder sieben
Pferde oder Maultiere, die der Regierung zu überlassen sind! Lassen Sie alles
Viehfutter verkaufen! Es ist die Überschwemmung des Kreises Vercelli und der
Bruch der Straßen angeordnet worden. . . Die nicht verkauften Pferde schicken
Sie nach Santena zurück mit Wagen voll Reis! Seien Sie ruhig und unbesorgt,
und schicken Sie sich darein, für das Wohl Italiens zu leiden!"

Die Vollmacht zum Kriege hatte Cavour dem Könige vom Parlament
schon vor der Zurückweisung des Ultimatums geben lassen. Die Piemontesen
waren guten Mutes, die Turiner sahen die Regierung vertrauensvoll abziehen,
die sich nach Alessandria und Casale begab. Die Österreicher überschritten zwar
den Tessin, blieben aber lange genug untätig, sodaß die Franzosen unter Napoleon
herbeikommen konnten. Wie der Krieg von 16S9 verlief, ist in aller Erinnerung.
Auch an der glänzenden Folge der Siege bei Montebello, Magenta, Mailand
und Solferino hatte Cavour einen beträchtlichen Anteil, da er außer dein
Portefeuille des Inneren und des Äußeren auch das des Verkehrswesens und
des Krieges versah. Doch in letzter Stunde sollte ihm der Siegespreis streitig
gemacht werden. Napoleon schloß, ohne sich darüber mit seinem italienischen
Verbündeten zu verständigen, am 6. Juli zunächst einen Waffenstillstand und
am 11. Juli zu Villa Frcmca den Frieden mit Franz Joseph. Durch diesen
Friedensschluß kam nur die Lombardei ohne Mantua und Geschiera an Napoleon
und erst durch dessen Hand an Sardinien; dagegen wurden die Herzöge von
Modena und Toskana wieder eingesetzt und die Legationen an den Papst
zurückgegeben. Venedig blieb österreichisch, sollte aber einem unter dem Ehren¬
vorsitze des Papstes gebildeten Staatenbunde angegliedert werden.

Cavour war empört. Moralisch und praktisch hatte er aufs eifrigste und sorg¬
fältigste gewirkt, um in den Legationen eine „nicht revolutionäre" und „nur von
Österreich beziehentlich seinen Schützlingen provozierte" Annexionsbewegung aus¬
zulösen, deren Stärke sich am besten nach Villa Franca offenbarte. Cavour war schon
befremdet, als Napoleon seinen Vetter mit einem Teile des französischen Heeres
nach Toskana geschickt hatte, wo alles ruhig war; er hatte sich beeilt, diesen Versuch
einer bonapartistischen Restauration durch eine persönliche Auseinandersetzung mit
dem Kaiser zu vereiteln. Er hatte Napoleons Proklamation nach Magenta „An
die Italiener!", die einen Schatten auf Cavours Wirken zu werfen trachtete und die
Italiener, — wahrlich nicht Napoleons Untertanen, — aufforderte, durch ihr Ver¬
halten die Zerreißung der Verträge von 1815 vor den Augen Europas zu


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[0271] Lcivour versuch Englands, der Krieg nach dem Rezept von Plombieres. Der ganz unmusikalische Cavour soll das Eintreffen des Ultimatums mit der Arie aus dem „Trovatore": „öl quslla pira I' on'Loclcz wLo" begrüßt haben, — wäre es wahr, so wäre es ein gutes Stimmungsbild. Vom gleichen Tage datiert ein soeben als Manuskript-Druck des Senators Faldella ans Licht gekommener Brief Cavours an seinen Verwalter in Leri. „Die Deutschen", heißt es darin, „werden Dienstag abend oder Mittwoch morgen einmarschieren. Schicken Sie Montag nach Vercelli sechs oder sieben Pferde oder Maultiere, die der Regierung zu überlassen sind! Lassen Sie alles Viehfutter verkaufen! Es ist die Überschwemmung des Kreises Vercelli und der Bruch der Straßen angeordnet worden. . . Die nicht verkauften Pferde schicken Sie nach Santena zurück mit Wagen voll Reis! Seien Sie ruhig und unbesorgt, und schicken Sie sich darein, für das Wohl Italiens zu leiden!" Die Vollmacht zum Kriege hatte Cavour dem Könige vom Parlament schon vor der Zurückweisung des Ultimatums geben lassen. Die Piemontesen waren guten Mutes, die Turiner sahen die Regierung vertrauensvoll abziehen, die sich nach Alessandria und Casale begab. Die Österreicher überschritten zwar den Tessin, blieben aber lange genug untätig, sodaß die Franzosen unter Napoleon herbeikommen konnten. Wie der Krieg von 16S9 verlief, ist in aller Erinnerung. Auch an der glänzenden Folge der Siege bei Montebello, Magenta, Mailand und Solferino hatte Cavour einen beträchtlichen Anteil, da er außer dein Portefeuille des Inneren und des Äußeren auch das des Verkehrswesens und des Krieges versah. Doch in letzter Stunde sollte ihm der Siegespreis streitig gemacht werden. Napoleon schloß, ohne sich darüber mit seinem italienischen Verbündeten zu verständigen, am 6. Juli zunächst einen Waffenstillstand und am 11. Juli zu Villa Frcmca den Frieden mit Franz Joseph. Durch diesen Friedensschluß kam nur die Lombardei ohne Mantua und Geschiera an Napoleon und erst durch dessen Hand an Sardinien; dagegen wurden die Herzöge von Modena und Toskana wieder eingesetzt und die Legationen an den Papst zurückgegeben. Venedig blieb österreichisch, sollte aber einem unter dem Ehren¬ vorsitze des Papstes gebildeten Staatenbunde angegliedert werden. Cavour war empört. Moralisch und praktisch hatte er aufs eifrigste und sorg¬ fältigste gewirkt, um in den Legationen eine „nicht revolutionäre" und „nur von Österreich beziehentlich seinen Schützlingen provozierte" Annexionsbewegung aus¬ zulösen, deren Stärke sich am besten nach Villa Franca offenbarte. Cavour war schon befremdet, als Napoleon seinen Vetter mit einem Teile des französischen Heeres nach Toskana geschickt hatte, wo alles ruhig war; er hatte sich beeilt, diesen Versuch einer bonapartistischen Restauration durch eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Kaiser zu vereiteln. Er hatte Napoleons Proklamation nach Magenta „An die Italiener!", die einen Schatten auf Cavours Wirken zu werfen trachtete und die Italiener, — wahrlich nicht Napoleons Untertanen, — aufforderte, durch ihr Ver¬ halten die Zerreißung der Verträge von 1815 vor den Augen Europas zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/271>, abgerufen am 23.07.2024.