Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lavour

erbaut von den kaiserlichen Plänen, die die guten Beziehungen zu Österreich
zerstörten und an der Südwestgrenze eine neue politische Wesenheit schufen, die
über kurz oder lang zumindest sehr unbequem werden konnte. Sodann fiel in
diese Zeit Englands gewichtige diplomatische Einsprache zugunsten des Friedens,
den auch die anderen Mächte gewahrt wissen wollten. Offenes Zurückweichen
Napoleons. Plan eines Kongresses der Großmächte, wegen der "italienischen
Frage", nnter Ausschluß Sardiniens. Reise Cavours nach Paris und Cavours
wiederholte, dramatische Konferenzen mit Walemski und dein Kaiser. Cavonrs
und Viktor Emanuels Drohungen, des Kaisers vertrauliche Zusicherungen und
die Besprechung von Plombieres zu veröffentlichen, um zwar nicht ihre Per¬
sonen und Interessen, aber ihre Ehre und das Schicksal Piemonts und Italiens
zu saldieren. Trotz anderer gewichtiger und der piemontesischen Sache abgeneigter
Berater steigender Einfluß Cavours auf den Kaiser, der wiederum schwankend
wurde. Cavours entschiedene Weigerung, im Vertrauen auf den Kongreß ab¬
zurüsten. Cavours Rückreise uach Turin, wo man ihm begeisterten Empfang
bereitete. Steigen der Erwartungen in Piemont, daß der Zusammenstoß mit
Österreich erfolge. Cavours militärische Vereinbarungen mit Garibaldi im Ver¬
trauen darauf, daß die Geduld des Grafen von Buol bald reißen würde.
Darauf aber die telegraphische Aufforderung von feiten Frankreichs, Sardinien
solle zugleich mit Österreich abrüsten. Es war in der Nacht vom 18. zum
l9. April, als der Sekretär der französischen Gesandtschaft in Turin, Baron
d'Aquin, Cavour das bezügliche, güuzlich unerwartete Telegramm, das seine
Berechnungen über den Haufen warf, überbrachte. Cavour machte in dieser
Nacht einen durch seinen Diener vereitelten Selbstmordversuch und gab am
folgenden Tage seine Demission als Ministerpräsident, die natürlich nicht an¬
genommen wurde. An seinen Verwalter in Leri schrieb er, daß er sich um den
sofortigen Verkauf der fetten Ochsen nicht mehr zu bemühen brauche, "denn es
scheint, daß aus dem Kriege nichts mehr wird. Wir werden die Kühe retten,
aber die italienische Sache verlieren, die einer günstigen Lösung sehr nahe schien.
"Der Kaiser ist betrogen worden oder ist Verräter. Er hat uns einen nicht gut
zu machenden Schaden zugefügt, indem er uus zur Abrüstung zwang. Ich
glaube, binnen kurzem das Ministerium, das mir widerwärtig ist, verlassen zu
können, um mich endgültig in Leri festzusetzen." Endlich, schon wenige Tage
später, am 22. April, Karfreitag, wandte sich das Blatt. Am 23. April empfing
Cavour die Gesandten des Kaisers von Österreich, die dem König von Sardinien
das Ultimatum überbrachten, die Freiwilligen, von denen ein großer, den
besten Familien angehörender Teil aus der Lombardei gekommen war, zu ent¬
lassen und sein Heer auf deu Friedeusstand zu reduzieren. Was Sardinien
auf eine französische, als europäisch erscheinende Aufforderung hin hätte tun können,
das durfte es uicht, ohne sich sittlich aufzugeben, ans eine österreichische Auf¬
forderung, die noch dazu in die Form eines Ultimatums gekleidet war. Der
Krieg war unvermeidlich, trotz einem noch jetzt unternommenen Verinittelungs-


Lavour

erbaut von den kaiserlichen Plänen, die die guten Beziehungen zu Österreich
zerstörten und an der Südwestgrenze eine neue politische Wesenheit schufen, die
über kurz oder lang zumindest sehr unbequem werden konnte. Sodann fiel in
diese Zeit Englands gewichtige diplomatische Einsprache zugunsten des Friedens,
den auch die anderen Mächte gewahrt wissen wollten. Offenes Zurückweichen
Napoleons. Plan eines Kongresses der Großmächte, wegen der „italienischen
Frage", nnter Ausschluß Sardiniens. Reise Cavours nach Paris und Cavours
wiederholte, dramatische Konferenzen mit Walemski und dein Kaiser. Cavonrs
und Viktor Emanuels Drohungen, des Kaisers vertrauliche Zusicherungen und
die Besprechung von Plombieres zu veröffentlichen, um zwar nicht ihre Per¬
sonen und Interessen, aber ihre Ehre und das Schicksal Piemonts und Italiens
zu saldieren. Trotz anderer gewichtiger und der piemontesischen Sache abgeneigter
Berater steigender Einfluß Cavours auf den Kaiser, der wiederum schwankend
wurde. Cavours entschiedene Weigerung, im Vertrauen auf den Kongreß ab¬
zurüsten. Cavours Rückreise uach Turin, wo man ihm begeisterten Empfang
bereitete. Steigen der Erwartungen in Piemont, daß der Zusammenstoß mit
Österreich erfolge. Cavours militärische Vereinbarungen mit Garibaldi im Ver¬
trauen darauf, daß die Geduld des Grafen von Buol bald reißen würde.
Darauf aber die telegraphische Aufforderung von feiten Frankreichs, Sardinien
solle zugleich mit Österreich abrüsten. Es war in der Nacht vom 18. zum
l9. April, als der Sekretär der französischen Gesandtschaft in Turin, Baron
d'Aquin, Cavour das bezügliche, güuzlich unerwartete Telegramm, das seine
Berechnungen über den Haufen warf, überbrachte. Cavour machte in dieser
Nacht einen durch seinen Diener vereitelten Selbstmordversuch und gab am
folgenden Tage seine Demission als Ministerpräsident, die natürlich nicht an¬
genommen wurde. An seinen Verwalter in Leri schrieb er, daß er sich um den
sofortigen Verkauf der fetten Ochsen nicht mehr zu bemühen brauche, „denn es
scheint, daß aus dem Kriege nichts mehr wird. Wir werden die Kühe retten,
aber die italienische Sache verlieren, die einer günstigen Lösung sehr nahe schien.
„Der Kaiser ist betrogen worden oder ist Verräter. Er hat uns einen nicht gut
zu machenden Schaden zugefügt, indem er uus zur Abrüstung zwang. Ich
glaube, binnen kurzem das Ministerium, das mir widerwärtig ist, verlassen zu
können, um mich endgültig in Leri festzusetzen." Endlich, schon wenige Tage
später, am 22. April, Karfreitag, wandte sich das Blatt. Am 23. April empfing
Cavour die Gesandten des Kaisers von Österreich, die dem König von Sardinien
das Ultimatum überbrachten, die Freiwilligen, von denen ein großer, den
besten Familien angehörender Teil aus der Lombardei gekommen war, zu ent¬
lassen und sein Heer auf deu Friedeusstand zu reduzieren. Was Sardinien
auf eine französische, als europäisch erscheinende Aufforderung hin hätte tun können,
das durfte es uicht, ohne sich sittlich aufzugeben, ans eine österreichische Auf¬
forderung, die noch dazu in die Form eines Ultimatums gekleidet war. Der
Krieg war unvermeidlich, trotz einem noch jetzt unternommenen Verinittelungs-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316559"/>
          <fw type="header" place="top"> Lavour</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1108" prev="#ID_1107" next="#ID_1109"> erbaut von den kaiserlichen Plänen, die die guten Beziehungen zu Österreich<lb/>
zerstörten und an der Südwestgrenze eine neue politische Wesenheit schufen, die<lb/>
über kurz oder lang zumindest sehr unbequem werden konnte. Sodann fiel in<lb/>
diese Zeit Englands gewichtige diplomatische Einsprache zugunsten des Friedens,<lb/>
den auch die anderen Mächte gewahrt wissen wollten. Offenes Zurückweichen<lb/>
Napoleons. Plan eines Kongresses der Großmächte, wegen der &#x201E;italienischen<lb/>
Frage", nnter Ausschluß Sardiniens. Reise Cavours nach Paris und Cavours<lb/>
wiederholte, dramatische Konferenzen mit Walemski und dein Kaiser. Cavonrs<lb/>
und Viktor Emanuels Drohungen, des Kaisers vertrauliche Zusicherungen und<lb/>
die Besprechung von Plombieres zu veröffentlichen, um zwar nicht ihre Per¬<lb/>
sonen und Interessen, aber ihre Ehre und das Schicksal Piemonts und Italiens<lb/>
zu saldieren. Trotz anderer gewichtiger und der piemontesischen Sache abgeneigter<lb/>
Berater steigender Einfluß Cavours auf den Kaiser, der wiederum schwankend<lb/>
wurde. Cavours entschiedene Weigerung, im Vertrauen auf den Kongreß ab¬<lb/>
zurüsten. Cavours Rückreise uach Turin, wo man ihm begeisterten Empfang<lb/>
bereitete. Steigen der Erwartungen in Piemont, daß der Zusammenstoß mit<lb/>
Österreich erfolge. Cavours militärische Vereinbarungen mit Garibaldi im Ver¬<lb/>
trauen darauf, daß die Geduld des Grafen von Buol bald reißen würde.<lb/>
Darauf aber die telegraphische Aufforderung von feiten Frankreichs, Sardinien<lb/>
solle zugleich mit Österreich abrüsten. Es war in der Nacht vom 18. zum<lb/>
l9. April, als der Sekretär der französischen Gesandtschaft in Turin, Baron<lb/>
d'Aquin, Cavour das bezügliche, güuzlich unerwartete Telegramm, das seine<lb/>
Berechnungen über den Haufen warf, überbrachte. Cavour machte in dieser<lb/>
Nacht einen durch seinen Diener vereitelten Selbstmordversuch und gab am<lb/>
folgenden Tage seine Demission als Ministerpräsident, die natürlich nicht an¬<lb/>
genommen wurde. An seinen Verwalter in Leri schrieb er, daß er sich um den<lb/>
sofortigen Verkauf der fetten Ochsen nicht mehr zu bemühen brauche, &#x201E;denn es<lb/>
scheint, daß aus dem Kriege nichts mehr wird. Wir werden die Kühe retten,<lb/>
aber die italienische Sache verlieren, die einer günstigen Lösung sehr nahe schien.<lb/>
&#x201E;Der Kaiser ist betrogen worden oder ist Verräter. Er hat uns einen nicht gut<lb/>
zu machenden Schaden zugefügt, indem er uus zur Abrüstung zwang. Ich<lb/>
glaube, binnen kurzem das Ministerium, das mir widerwärtig ist, verlassen zu<lb/>
können, um mich endgültig in Leri festzusetzen." Endlich, schon wenige Tage<lb/>
später, am 22. April, Karfreitag, wandte sich das Blatt. Am 23. April empfing<lb/>
Cavour die Gesandten des Kaisers von Österreich, die dem König von Sardinien<lb/>
das Ultimatum überbrachten, die Freiwilligen, von denen ein großer, den<lb/>
besten Familien angehörender Teil aus der Lombardei gekommen war, zu ent¬<lb/>
lassen und sein Heer auf deu Friedeusstand zu reduzieren. Was Sardinien<lb/>
auf eine französische, als europäisch erscheinende Aufforderung hin hätte tun können,<lb/>
das durfte es uicht, ohne sich sittlich aufzugeben, ans eine österreichische Auf¬<lb/>
forderung, die noch dazu in die Form eines Ultimatums gekleidet war. Der<lb/>
Krieg war unvermeidlich, trotz einem noch jetzt unternommenen Verinittelungs-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0270] Lavour erbaut von den kaiserlichen Plänen, die die guten Beziehungen zu Österreich zerstörten und an der Südwestgrenze eine neue politische Wesenheit schufen, die über kurz oder lang zumindest sehr unbequem werden konnte. Sodann fiel in diese Zeit Englands gewichtige diplomatische Einsprache zugunsten des Friedens, den auch die anderen Mächte gewahrt wissen wollten. Offenes Zurückweichen Napoleons. Plan eines Kongresses der Großmächte, wegen der „italienischen Frage", nnter Ausschluß Sardiniens. Reise Cavours nach Paris und Cavours wiederholte, dramatische Konferenzen mit Walemski und dein Kaiser. Cavonrs und Viktor Emanuels Drohungen, des Kaisers vertrauliche Zusicherungen und die Besprechung von Plombieres zu veröffentlichen, um zwar nicht ihre Per¬ sonen und Interessen, aber ihre Ehre und das Schicksal Piemonts und Italiens zu saldieren. Trotz anderer gewichtiger und der piemontesischen Sache abgeneigter Berater steigender Einfluß Cavours auf den Kaiser, der wiederum schwankend wurde. Cavours entschiedene Weigerung, im Vertrauen auf den Kongreß ab¬ zurüsten. Cavours Rückreise uach Turin, wo man ihm begeisterten Empfang bereitete. Steigen der Erwartungen in Piemont, daß der Zusammenstoß mit Österreich erfolge. Cavours militärische Vereinbarungen mit Garibaldi im Ver¬ trauen darauf, daß die Geduld des Grafen von Buol bald reißen würde. Darauf aber die telegraphische Aufforderung von feiten Frankreichs, Sardinien solle zugleich mit Österreich abrüsten. Es war in der Nacht vom 18. zum l9. April, als der Sekretär der französischen Gesandtschaft in Turin, Baron d'Aquin, Cavour das bezügliche, güuzlich unerwartete Telegramm, das seine Berechnungen über den Haufen warf, überbrachte. Cavour machte in dieser Nacht einen durch seinen Diener vereitelten Selbstmordversuch und gab am folgenden Tage seine Demission als Ministerpräsident, die natürlich nicht an¬ genommen wurde. An seinen Verwalter in Leri schrieb er, daß er sich um den sofortigen Verkauf der fetten Ochsen nicht mehr zu bemühen brauche, „denn es scheint, daß aus dem Kriege nichts mehr wird. Wir werden die Kühe retten, aber die italienische Sache verlieren, die einer günstigen Lösung sehr nahe schien. „Der Kaiser ist betrogen worden oder ist Verräter. Er hat uns einen nicht gut zu machenden Schaden zugefügt, indem er uus zur Abrüstung zwang. Ich glaube, binnen kurzem das Ministerium, das mir widerwärtig ist, verlassen zu können, um mich endgültig in Leri festzusetzen." Endlich, schon wenige Tage später, am 22. April, Karfreitag, wandte sich das Blatt. Am 23. April empfing Cavour die Gesandten des Kaisers von Österreich, die dem König von Sardinien das Ultimatum überbrachten, die Freiwilligen, von denen ein großer, den besten Familien angehörender Teil aus der Lombardei gekommen war, zu ent¬ lassen und sein Heer auf deu Friedeusstand zu reduzieren. Was Sardinien auf eine französische, als europäisch erscheinende Aufforderung hin hätte tun können, das durfte es uicht, ohne sich sittlich aufzugeben, ans eine österreichische Auf¬ forderung, die noch dazu in die Form eines Ultimatums gekleidet war. Der Krieg war unvermeidlich, trotz einem noch jetzt unternommenen Verinittelungs-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/270
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/270>, abgerufen am 23.07.2024.