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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Recht und Macht

berechtigten Personen, ob durch seine gesetz- und verfassunggebenden Faktoren,
das ist ganz gleichgültig für die Frage, ob seine Handlungen das Völkerrecht,
insbesondere einen völkerrechtlichen Vertrag, verletzen.

Manche Völkerrechtslehrer, darunter Liszt"), wollen nun das Gebiet des
Völkerrechts beschränken auf Berechtigungen und Verpflichtungen, deren Inhalt
die Ausübung von Hoheitsrechten betrifft. Es ist aber nicht einzusehen,
weshalb für die unter zwei Staaten ausgemachte Zahlung einer Geldsumme andre
Grundsätze gelten sollen, je nachdem sie für die Überlassung der Landeshoheit
über ein Stück Staatsgebiet versprochen ist oder für die Überlassung eines
Grundeigentums. Soll ferner etwa ein Vertrag über die Stundung einer
Geldschuld nach Völkerrecht beurteilt werden, wenn diese Schuld aus einem
Friedensverträge herrührt, nicht aber wenn aus einem Schiffszusammenstoße
auf See? Oder soll sich die Verpflichtung zur Gebietsabtretung nach Völker¬
recht richten, die dafür übernommene Geldschuld aber nicht? Da sich alle
solchen Rechtsverhältnisse nicht voneinander trennen lassen, so zählen wir- auch
die privatrechtsähnlichen Verträge der Staaten zu den völkerrechtlichen. Nehmen
wir ein Beispiel. Kurz vor Ausbruch des japanisch-russischen Krieges hat
Argentinien eines seiner Kriegsschiffe für zehn Millionen Rubel an Rußland
verkauft. Dieser Vertrag richtet sich nicht nach Privatrecht, weder nach
argentinischen noch nach russischem, denn keinem der beiden Staaten sällt es
ein, sich dem Rechte des andern zu unterwerfen. Er richtet sich vielmehr
nach Völkerrecht, dessen erster Grundsatz lautet: Verträge sind zu halten, und
kein Teil kann sich einseitig davon lossagen. Daß letzteres auch nicht in Form
eines Gesetzes geschehen kann, das die eigenen Untertanen verbindet, haben
wir gesehen. Nun hat aber das Völkerrecht bisher nur ganz wenige allgemeine
Sätze, die auf Verträge, wie den erwähnten, Anwendung finden können. So¬
weit also zur Auslegung des Vertrages dessen Inhalt nicht ausreicht, muß
zur Ergänzung irgend ein Rechtssystem herangezogen werden. Aber nicht,
weil der Vertrag unter dessen Herrschaft fällt, sondern weil und soweit dies
dem wirklichen oder nach Völkerrecht vorauszusetzenden Willen der Beteiligten
entspricht. Nur hiernach ist zu ermitteln, ob ergänzend russisches oder
argentinisches oder ein drittes Recht zur Anwendung kommt, oder etwa für
die Verpflichtungen des Käufers russisches, für die des Verkäufers argentinisches
Recht. Da das betreffende Rechtssystem aber nur zur Ergänzung der Willens¬
erklärungen dient, so bekommt dadurch kein Teil das Recht, durch Abänderung
seiner Gesetzgebung mit rückwirkeuder Kraft den Inhalt seiner Verpflichtungen
zu beeinflussen. So kann in unserem Beispiel Argentinien nicht wirksam rück¬
wirkend bestimmen, daß bei Verkäufen von Kriegsschiffen der Verkäufer gegen
ein Reugeld von fünf Prozent des Kaufpreises zurücktreten darf, und Rußland
kaun nicht bestimmen, daß in solchen Fällen statt der vereinbarten Barzahlung



*) Völkerrecht, 3. Aufl., S, 168.
Recht und Macht

berechtigten Personen, ob durch seine gesetz- und verfassunggebenden Faktoren,
das ist ganz gleichgültig für die Frage, ob seine Handlungen das Völkerrecht,
insbesondere einen völkerrechtlichen Vertrag, verletzen.

Manche Völkerrechtslehrer, darunter Liszt"), wollen nun das Gebiet des
Völkerrechts beschränken auf Berechtigungen und Verpflichtungen, deren Inhalt
die Ausübung von Hoheitsrechten betrifft. Es ist aber nicht einzusehen,
weshalb für die unter zwei Staaten ausgemachte Zahlung einer Geldsumme andre
Grundsätze gelten sollen, je nachdem sie für die Überlassung der Landeshoheit
über ein Stück Staatsgebiet versprochen ist oder für die Überlassung eines
Grundeigentums. Soll ferner etwa ein Vertrag über die Stundung einer
Geldschuld nach Völkerrecht beurteilt werden, wenn diese Schuld aus einem
Friedensverträge herrührt, nicht aber wenn aus einem Schiffszusammenstoße
auf See? Oder soll sich die Verpflichtung zur Gebietsabtretung nach Völker¬
recht richten, die dafür übernommene Geldschuld aber nicht? Da sich alle
solchen Rechtsverhältnisse nicht voneinander trennen lassen, so zählen wir- auch
die privatrechtsähnlichen Verträge der Staaten zu den völkerrechtlichen. Nehmen
wir ein Beispiel. Kurz vor Ausbruch des japanisch-russischen Krieges hat
Argentinien eines seiner Kriegsschiffe für zehn Millionen Rubel an Rußland
verkauft. Dieser Vertrag richtet sich nicht nach Privatrecht, weder nach
argentinischen noch nach russischem, denn keinem der beiden Staaten sällt es
ein, sich dem Rechte des andern zu unterwerfen. Er richtet sich vielmehr
nach Völkerrecht, dessen erster Grundsatz lautet: Verträge sind zu halten, und
kein Teil kann sich einseitig davon lossagen. Daß letzteres auch nicht in Form
eines Gesetzes geschehen kann, das die eigenen Untertanen verbindet, haben
wir gesehen. Nun hat aber das Völkerrecht bisher nur ganz wenige allgemeine
Sätze, die auf Verträge, wie den erwähnten, Anwendung finden können. So¬
weit also zur Auslegung des Vertrages dessen Inhalt nicht ausreicht, muß
zur Ergänzung irgend ein Rechtssystem herangezogen werden. Aber nicht,
weil der Vertrag unter dessen Herrschaft fällt, sondern weil und soweit dies
dem wirklichen oder nach Völkerrecht vorauszusetzenden Willen der Beteiligten
entspricht. Nur hiernach ist zu ermitteln, ob ergänzend russisches oder
argentinisches oder ein drittes Recht zur Anwendung kommt, oder etwa für
die Verpflichtungen des Käufers russisches, für die des Verkäufers argentinisches
Recht. Da das betreffende Rechtssystem aber nur zur Ergänzung der Willens¬
erklärungen dient, so bekommt dadurch kein Teil das Recht, durch Abänderung
seiner Gesetzgebung mit rückwirkeuder Kraft den Inhalt seiner Verpflichtungen
zu beeinflussen. So kann in unserem Beispiel Argentinien nicht wirksam rück¬
wirkend bestimmen, daß bei Verkäufen von Kriegsschiffen der Verkäufer gegen
ein Reugeld von fünf Prozent des Kaufpreises zurücktreten darf, und Rußland
kaun nicht bestimmen, daß in solchen Fällen statt der vereinbarten Barzahlung



*) Völkerrecht, 3. Aufl., S, 168.
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[0239] Recht und Macht berechtigten Personen, ob durch seine gesetz- und verfassunggebenden Faktoren, das ist ganz gleichgültig für die Frage, ob seine Handlungen das Völkerrecht, insbesondere einen völkerrechtlichen Vertrag, verletzen. Manche Völkerrechtslehrer, darunter Liszt"), wollen nun das Gebiet des Völkerrechts beschränken auf Berechtigungen und Verpflichtungen, deren Inhalt die Ausübung von Hoheitsrechten betrifft. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb für die unter zwei Staaten ausgemachte Zahlung einer Geldsumme andre Grundsätze gelten sollen, je nachdem sie für die Überlassung der Landeshoheit über ein Stück Staatsgebiet versprochen ist oder für die Überlassung eines Grundeigentums. Soll ferner etwa ein Vertrag über die Stundung einer Geldschuld nach Völkerrecht beurteilt werden, wenn diese Schuld aus einem Friedensverträge herrührt, nicht aber wenn aus einem Schiffszusammenstoße auf See? Oder soll sich die Verpflichtung zur Gebietsabtretung nach Völker¬ recht richten, die dafür übernommene Geldschuld aber nicht? Da sich alle solchen Rechtsverhältnisse nicht voneinander trennen lassen, so zählen wir- auch die privatrechtsähnlichen Verträge der Staaten zu den völkerrechtlichen. Nehmen wir ein Beispiel. Kurz vor Ausbruch des japanisch-russischen Krieges hat Argentinien eines seiner Kriegsschiffe für zehn Millionen Rubel an Rußland verkauft. Dieser Vertrag richtet sich nicht nach Privatrecht, weder nach argentinischen noch nach russischem, denn keinem der beiden Staaten sällt es ein, sich dem Rechte des andern zu unterwerfen. Er richtet sich vielmehr nach Völkerrecht, dessen erster Grundsatz lautet: Verträge sind zu halten, und kein Teil kann sich einseitig davon lossagen. Daß letzteres auch nicht in Form eines Gesetzes geschehen kann, das die eigenen Untertanen verbindet, haben wir gesehen. Nun hat aber das Völkerrecht bisher nur ganz wenige allgemeine Sätze, die auf Verträge, wie den erwähnten, Anwendung finden können. So¬ weit also zur Auslegung des Vertrages dessen Inhalt nicht ausreicht, muß zur Ergänzung irgend ein Rechtssystem herangezogen werden. Aber nicht, weil der Vertrag unter dessen Herrschaft fällt, sondern weil und soweit dies dem wirklichen oder nach Völkerrecht vorauszusetzenden Willen der Beteiligten entspricht. Nur hiernach ist zu ermitteln, ob ergänzend russisches oder argentinisches oder ein drittes Recht zur Anwendung kommt, oder etwa für die Verpflichtungen des Käufers russisches, für die des Verkäufers argentinisches Recht. Da das betreffende Rechtssystem aber nur zur Ergänzung der Willens¬ erklärungen dient, so bekommt dadurch kein Teil das Recht, durch Abänderung seiner Gesetzgebung mit rückwirkeuder Kraft den Inhalt seiner Verpflichtungen zu beeinflussen. So kann in unserem Beispiel Argentinien nicht wirksam rück¬ wirkend bestimmen, daß bei Verkäufen von Kriegsschiffen der Verkäufer gegen ein Reugeld von fünf Prozent des Kaufpreises zurücktreten darf, und Rußland kaun nicht bestimmen, daß in solchen Fällen statt der vereinbarten Barzahlung *) Völkerrecht, 3. Aufl., S, 168.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/239>, abgerufen am 23.07.2024.