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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Srcpß

gegen dankbare Bezahlung die nötigen Anstalten getroffen werden können. Indessen
möge er mit einem Matin und warmen Strümpfen versehen werden. Darum
bitten seine äußerst bekümmerten Eltern." Nicht ohne Interesse ist auch das
beigegebene Signalement: "Unser Sohn ist 17^ Jahre alt und mißt etwa
72 Zoll. Er hat ein angenehmes volles rotes Gesicht mit einer etivaS hohen
Unterlippe, sein Haar ist schwarzbraun mit einem sogenannten Hahnenkamm;
sein Auge schwarzbraun, seine Stimme stets frischer, aber er redet das Deutsche
rein, nur daß er sich "an" statt "auch" angewöhnt hat. Seine Miene ist ernst¬
haft, aber im Sprechen freundlich und gefüllig. Er spricht englisch und französisch.
Er soll in einem gelben geflochtenen zweirädrigen Kariol mit einem Fuchs seine
Flucht angestellt haben, was aber vielleicht nun verkauft ist. Er tragt einen
braunen Überrock mit gelben Knöpfen und vermutlich einem Ramaun-Jäckchen
darunter, eine Ramaun-Mütze, neue aschgrau melierte Beinkleider und vermutlich
Zugsticfel. In einer Hand hat er eine zugesellte Schmarre von esner alten
Wunde." Diese Annonce ist tatsächlich im "Allgemeinen Anzeiger der Deutschen"
in Nummer 275 vom Donnerstag, den 12. Oktober 1809, also an dem Tage,
wo Friedrich verhaftet wurde, zu lesen.

Die Anzeige blieb ohne Erfolg. Es dauerte ziemlich lange, ehe der
Vater durch einen Brief aus Hamburg deutliche Kunde von: Tode seines Sohnes
erhielt. Die Verhöre, denen der alte Stepß unterzogen wurde, sind uns nicht
erhalten; Rothstein und Lentin erklärten am 23. Oktober: Bis zum
Augenblick der Abreise ihres Lehrlings hatten sie nie etwas bemerkt, was auf
seine Unzurechnungsfähigkeit schließen ließ; aber die Einfalt seines Charakters
habe ihnen einige Male zu denken gegeben, daß seine Organe schwach seien und
unfähig, starke Eindrücke zu verarbeiten. "Erst als Rothstein bei seiner Rückkehr
von Leipzig in Naumburg den Brief an seine Eltern las, haben sich Zweifel
geregt, und man war von seiner Unzurechnungsfähigkeit überzeugt. Die von
seinem Vater an Rothstein gerichteten Briefe bestätigten die Unruhe seiner
Familie über den Zustand seines Kopfes."

Der Intendant von Erfurt, Derismes, der die Protokolle über die ver¬
schiedenen Verhöre und die Briefe, die man zu dieser Angelegenheit gefunden
hatte, dein Herzog von Friaul übersandte, bemerkte dazu, alles, was bisher
deponiert worden sei, scheint mehr geeignet, Mitleid zu erwecken als die Vor¬
stellung eines strafbaren Gedankens hervorzurufen. Heute wird man Stepß kaum
die volle Verantwortlichkeit für seine Tat zutrauen dürfen; aber man muß trotz¬
dem in ihm den Repräsentanten des geknebelten Deutschland sehen, der in einer
Zeit des Gäreus maßloser Kräfte der allgemeinen Spannung Ausdruck verlieh.




Friedrich Srcpß

gegen dankbare Bezahlung die nötigen Anstalten getroffen werden können. Indessen
möge er mit einem Matin und warmen Strümpfen versehen werden. Darum
bitten seine äußerst bekümmerten Eltern." Nicht ohne Interesse ist auch das
beigegebene Signalement: „Unser Sohn ist 17^ Jahre alt und mißt etwa
72 Zoll. Er hat ein angenehmes volles rotes Gesicht mit einer etivaS hohen
Unterlippe, sein Haar ist schwarzbraun mit einem sogenannten Hahnenkamm;
sein Auge schwarzbraun, seine Stimme stets frischer, aber er redet das Deutsche
rein, nur daß er sich „an" statt „auch" angewöhnt hat. Seine Miene ist ernst¬
haft, aber im Sprechen freundlich und gefüllig. Er spricht englisch und französisch.
Er soll in einem gelben geflochtenen zweirädrigen Kariol mit einem Fuchs seine
Flucht angestellt haben, was aber vielleicht nun verkauft ist. Er tragt einen
braunen Überrock mit gelben Knöpfen und vermutlich einem Ramaun-Jäckchen
darunter, eine Ramaun-Mütze, neue aschgrau melierte Beinkleider und vermutlich
Zugsticfel. In einer Hand hat er eine zugesellte Schmarre von esner alten
Wunde." Diese Annonce ist tatsächlich im „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen"
in Nummer 275 vom Donnerstag, den 12. Oktober 1809, also an dem Tage,
wo Friedrich verhaftet wurde, zu lesen.

Die Anzeige blieb ohne Erfolg. Es dauerte ziemlich lange, ehe der
Vater durch einen Brief aus Hamburg deutliche Kunde von: Tode seines Sohnes
erhielt. Die Verhöre, denen der alte Stepß unterzogen wurde, sind uns nicht
erhalten; Rothstein und Lentin erklärten am 23. Oktober: Bis zum
Augenblick der Abreise ihres Lehrlings hatten sie nie etwas bemerkt, was auf
seine Unzurechnungsfähigkeit schließen ließ; aber die Einfalt seines Charakters
habe ihnen einige Male zu denken gegeben, daß seine Organe schwach seien und
unfähig, starke Eindrücke zu verarbeiten. „Erst als Rothstein bei seiner Rückkehr
von Leipzig in Naumburg den Brief an seine Eltern las, haben sich Zweifel
geregt, und man war von seiner Unzurechnungsfähigkeit überzeugt. Die von
seinem Vater an Rothstein gerichteten Briefe bestätigten die Unruhe seiner
Familie über den Zustand seines Kopfes."

Der Intendant von Erfurt, Derismes, der die Protokolle über die ver¬
schiedenen Verhöre und die Briefe, die man zu dieser Angelegenheit gefunden
hatte, dein Herzog von Friaul übersandte, bemerkte dazu, alles, was bisher
deponiert worden sei, scheint mehr geeignet, Mitleid zu erwecken als die Vor¬
stellung eines strafbaren Gedankens hervorzurufen. Heute wird man Stepß kaum
die volle Verantwortlichkeit für seine Tat zutrauen dürfen; aber man muß trotz¬
dem in ihm den Repräsentanten des geknebelten Deutschland sehen, der in einer
Zeit des Gäreus maßloser Kräfte der allgemeinen Spannung Ausdruck verlieh.




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[0232] Friedrich Srcpß gegen dankbare Bezahlung die nötigen Anstalten getroffen werden können. Indessen möge er mit einem Matin und warmen Strümpfen versehen werden. Darum bitten seine äußerst bekümmerten Eltern." Nicht ohne Interesse ist auch das beigegebene Signalement: „Unser Sohn ist 17^ Jahre alt und mißt etwa 72 Zoll. Er hat ein angenehmes volles rotes Gesicht mit einer etivaS hohen Unterlippe, sein Haar ist schwarzbraun mit einem sogenannten Hahnenkamm; sein Auge schwarzbraun, seine Stimme stets frischer, aber er redet das Deutsche rein, nur daß er sich „an" statt „auch" angewöhnt hat. Seine Miene ist ernst¬ haft, aber im Sprechen freundlich und gefüllig. Er spricht englisch und französisch. Er soll in einem gelben geflochtenen zweirädrigen Kariol mit einem Fuchs seine Flucht angestellt haben, was aber vielleicht nun verkauft ist. Er tragt einen braunen Überrock mit gelben Knöpfen und vermutlich einem Ramaun-Jäckchen darunter, eine Ramaun-Mütze, neue aschgrau melierte Beinkleider und vermutlich Zugsticfel. In einer Hand hat er eine zugesellte Schmarre von esner alten Wunde." Diese Annonce ist tatsächlich im „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen" in Nummer 275 vom Donnerstag, den 12. Oktober 1809, also an dem Tage, wo Friedrich verhaftet wurde, zu lesen. Die Anzeige blieb ohne Erfolg. Es dauerte ziemlich lange, ehe der Vater durch einen Brief aus Hamburg deutliche Kunde von: Tode seines Sohnes erhielt. Die Verhöre, denen der alte Stepß unterzogen wurde, sind uns nicht erhalten; Rothstein und Lentin erklärten am 23. Oktober: Bis zum Augenblick der Abreise ihres Lehrlings hatten sie nie etwas bemerkt, was auf seine Unzurechnungsfähigkeit schließen ließ; aber die Einfalt seines Charakters habe ihnen einige Male zu denken gegeben, daß seine Organe schwach seien und unfähig, starke Eindrücke zu verarbeiten. „Erst als Rothstein bei seiner Rückkehr von Leipzig in Naumburg den Brief an seine Eltern las, haben sich Zweifel geregt, und man war von seiner Unzurechnungsfähigkeit überzeugt. Die von seinem Vater an Rothstein gerichteten Briefe bestätigten die Unruhe seiner Familie über den Zustand seines Kopfes." Der Intendant von Erfurt, Derismes, der die Protokolle über die ver¬ schiedenen Verhöre und die Briefe, die man zu dieser Angelegenheit gefunden hatte, dein Herzog von Friaul übersandte, bemerkte dazu, alles, was bisher deponiert worden sei, scheint mehr geeignet, Mitleid zu erwecken als die Vor¬ stellung eines strafbaren Gedankens hervorzurufen. Heute wird man Stepß kaum die volle Verantwortlichkeit für seine Tat zutrauen dürfen; aber man muß trotz¬ dem in ihm den Repräsentanten des geknebelten Deutschland sehen, der in einer Zeit des Gäreus maßloser Kräfte der allgemeinen Spannung Ausdruck verlieh.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/232>, abgerufen am 01.07.2024.