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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset

Schützlingen hinter Schloß und Riegel die Zeit zu lang. Unter ihren Kerkern
rauschten die Bäume des Burgbergs im vollen Junischmuck. Da beschloß der
eine, Magister Steinbach, zu entfliehen. Mit dem Brodmesser schnitt er nachts
die Türe seiner Zelle entzwei, ein tüchtiges Stück Arbeit, denn Ehrwürden war
ein wohlbeleibter Herr, und das Loch mußte ziemlich gro^z werden, bis er sich
hindurchzwängen konnte. Aber dann half ihm sein Freund, der Teufel, weiter.
Durch drei verschlossene Türen schritt er durch, als ob sie Luft wären. Dann
band er oben im Schlosse in einem Wendelsteine zwei Ofengabeln kreuzweise
inwendig vor eine Fensteröffnung und befestigte daran das Rettungsseil, das
er sich aus einer "Handquele" und zerschnittenen Bettbezügen in der Eile
zusammengenäht hatte. So wollte er sich beinahe 30 Meter hoch hinablassen.
Aber der Teufel paßte nicht ordentlich auf. Die Leinwand riß, und der
bedauernswerte dicke Herr lag mit zerbrochenen Beine unten. Da hat er dann
unter großen Schmerzen den Calvinismus abgeschworen und sich so ohne teufliche
Beihilfe die Freiheit wieder verschafft. Sein Kollege desgleichen.

Der Dreißigjährige Krieg, "der Mörder vieler Städte", hat auch Stolper
schwer heimgesucht. Durch ihre beherrschende Lage wurde die Bergstadt zu einer
Art natürlicher Notwarte, zu einer Zeutralmeldestelle für das ganze umliegende
Land. Die Stolpener erfuhren alles, was weit im Umkreise vor sich ging, und
gaben ungesäumt Nachricht an die benachbarten Orte.

Die Kehrseite war, daß die exponierte Stadt die Begehrlichkeit aller durch¬
ziehenden Kriegshaufen auf sich zog. Bald berannten es die kaiserlichen Völker,
bald die Schweden. Wiederholt ging das Städtchen in Flammen auf, aber
niemals wurde, wie auch später im Nordischen Kriege, die Bergfeste selber ein¬
genommen. Von all den Schicksalsschlägen sei nur des schwersten gedacht, voll
dem sich ausführliche Kunde erhalten hat. Der 1. August 1632 war Stolpens
Schreckenstag.

In Zittau lagen kroatische Haufen unter dem kaiserlichen Obersten Goltz,
die beunruhigten das Land weit und breit. Besonders auf Stolper hatten sie
schon lange einen Groll. Das Schloß hatte zwar damals keine regelrechte
Besatzung, aber die Bürger waren selbst auf ihrer Hut. Dreißig Mann waren
stets unter Waffen. Die ganze Bürgerschaft war in Korporalschaften eingeteilt,
die abwechselnd des Nachts die beiden Stadttore stark besetzt hielten. Ringsum
auf den Bergen wurden fleißig Wachen ausgestellt, und sobald sich irgend etwas
Verdächtiges blicken ließ, flüchtete sich alles vom platten Lande mitsamt den:
Vieh hinein in die Stadt. Hier hinter der festen Ringmauer von Basalttrümmern,
unter den Falkonetten der Festung, fühlten sie sich geborgen. Man wurde kecker.
Die Stolpener Amtsuntertanen weigerten sich, die Kontributionen für den Feind
nach Bautzen zu liefern, und manchmal gelang es sogar, einem kroatischen
Streifkorps sein gestohlenes Gut abzujagen. Das alles erbitterte die Kaiserlichen,
und sie brannten auf die Gelegenheit, Stolper ihre ganze Macht fühlen zu lassen.
Patrouillen ritten rekognoszierend bis vor die Stadt. Am letzten Tage des


Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset

Schützlingen hinter Schloß und Riegel die Zeit zu lang. Unter ihren Kerkern
rauschten die Bäume des Burgbergs im vollen Junischmuck. Da beschloß der
eine, Magister Steinbach, zu entfliehen. Mit dem Brodmesser schnitt er nachts
die Türe seiner Zelle entzwei, ein tüchtiges Stück Arbeit, denn Ehrwürden war
ein wohlbeleibter Herr, und das Loch mußte ziemlich gro^z werden, bis er sich
hindurchzwängen konnte. Aber dann half ihm sein Freund, der Teufel, weiter.
Durch drei verschlossene Türen schritt er durch, als ob sie Luft wären. Dann
band er oben im Schlosse in einem Wendelsteine zwei Ofengabeln kreuzweise
inwendig vor eine Fensteröffnung und befestigte daran das Rettungsseil, das
er sich aus einer „Handquele" und zerschnittenen Bettbezügen in der Eile
zusammengenäht hatte. So wollte er sich beinahe 30 Meter hoch hinablassen.
Aber der Teufel paßte nicht ordentlich auf. Die Leinwand riß, und der
bedauernswerte dicke Herr lag mit zerbrochenen Beine unten. Da hat er dann
unter großen Schmerzen den Calvinismus abgeschworen und sich so ohne teufliche
Beihilfe die Freiheit wieder verschafft. Sein Kollege desgleichen.

Der Dreißigjährige Krieg, „der Mörder vieler Städte", hat auch Stolper
schwer heimgesucht. Durch ihre beherrschende Lage wurde die Bergstadt zu einer
Art natürlicher Notwarte, zu einer Zeutralmeldestelle für das ganze umliegende
Land. Die Stolpener erfuhren alles, was weit im Umkreise vor sich ging, und
gaben ungesäumt Nachricht an die benachbarten Orte.

Die Kehrseite war, daß die exponierte Stadt die Begehrlichkeit aller durch¬
ziehenden Kriegshaufen auf sich zog. Bald berannten es die kaiserlichen Völker,
bald die Schweden. Wiederholt ging das Städtchen in Flammen auf, aber
niemals wurde, wie auch später im Nordischen Kriege, die Bergfeste selber ein¬
genommen. Von all den Schicksalsschlägen sei nur des schwersten gedacht, voll
dem sich ausführliche Kunde erhalten hat. Der 1. August 1632 war Stolpens
Schreckenstag.

In Zittau lagen kroatische Haufen unter dem kaiserlichen Obersten Goltz,
die beunruhigten das Land weit und breit. Besonders auf Stolper hatten sie
schon lange einen Groll. Das Schloß hatte zwar damals keine regelrechte
Besatzung, aber die Bürger waren selbst auf ihrer Hut. Dreißig Mann waren
stets unter Waffen. Die ganze Bürgerschaft war in Korporalschaften eingeteilt,
die abwechselnd des Nachts die beiden Stadttore stark besetzt hielten. Ringsum
auf den Bergen wurden fleißig Wachen ausgestellt, und sobald sich irgend etwas
Verdächtiges blicken ließ, flüchtete sich alles vom platten Lande mitsamt den:
Vieh hinein in die Stadt. Hier hinter der festen Ringmauer von Basalttrümmern,
unter den Falkonetten der Festung, fühlten sie sich geborgen. Man wurde kecker.
Die Stolpener Amtsuntertanen weigerten sich, die Kontributionen für den Feind
nach Bautzen zu liefern, und manchmal gelang es sogar, einem kroatischen
Streifkorps sein gestohlenes Gut abzujagen. Das alles erbitterte die Kaiserlichen,
und sie brannten auf die Gelegenheit, Stolper ihre ganze Macht fühlen zu lassen.
Patrouillen ritten rekognoszierend bis vor die Stadt. Am letzten Tage des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/20>, abgerufen am 23.07.2024.