Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
preußische Ansiedler in Österreich

(bis zum August 1763) waren etwa fünfzehnhundert solcher Ansiedler nach
Siebenbürgen gekommen. Da aber viele von ihnen nur zwangsweise ins Land
gezogen worden waren, entflohen sie bei der nächsten Gelegenheit in ihre Heimat.
Andere zogen aus Arbeitsscheu davon. Schließlich gestattete die Regierung
vielen die freie Heimkehr nach dem Friedensschlüsse. So blieben von den
Kolonisten der 1760er Jahre nur etwa hundert in Siebenbürgen zurück.
Mancher von ihnen hat es zu bedeutendem Ansehen gebracht. So stammte der
bekannte siebenbürgische Dichter und Geschichtsforscher Joachim Heinrich Wittstock
von dem in Berlin geborenen Leinwebergesellen Joachim Wittstock, der mit
anderen preußischen Kriegsgefangenen nach Bistritz gekommen war.

Der Wettbewerb mit Preußen veranlaßte die österreichische Regierung,
dieser Einwanderung auch nach dem Friedensschluß eine erhöhte Aufmerksamkeit
zuzuwenden. Im Wiener Staatsarchiv lagernde Berichte deuten an, daß die
gesamte Ansiedlungstätigkeit Friedrichs des Großen einer peinlichen Kontrolle
durch den österreichischen Geschäftsträger unterworfen ist und daß mau sich von
österreichischer Seite bemühte, die durch diese Tätigkeit hervorgerufene Bewegung
in der preußischen Bevölkerung auch für Österreich auszunutzen. Diese Bemühungen
werden auch von Erfolg begleitet. So bittet 1776 Joh. Karl Hoffer, bürger¬
licher Glasmacher aus Oppeln in Oberschlesien und ehemaliger preußischer Soldat,
um Reisegeld nach Galizien, "wo er seine Nahrung suchen wolle". Seit 177!)
finden wir in österreichischen Staatsschriften Nachrichten, daß Preußen öster¬
reichische Auswanderer auflebte, und daneben wird gleichzeitig berichtet, daß
preußische Deserteure und Emigranten um "allerhöchsten Schutz und Gelegenheit
zur Ansiedlung in den Habsburgischen Landen bitten".

Damals und vielleicht auch schon früher wurden bereits Preußen in
Böhmen, besonders in Pardubitz angesiedelt. Später (1781) fanden sich
preußische Emigranten im Chrudimer und Bunzlauer Kreise ein. Die Fried¬
länder Herrschaft zeigte sich bereit, solche Einwanderer aufzunehmen, wenn ihr
die von der Regierung in Aussicht gestellten fünfzig Gulden als Aushilfe für
jede Familie bezahlt würden; einzelnen Emigranten, die keine Handwerker waren,
sollte eine "größere Aushilfe" von einhundertundzwanzig Gulden gereicht werden.
Im folgenden Jahre hören wir von preußischen Ansiedlern in Theresienstadt
und Königgrcitz. Manche von diesen Kolonisten kehrten, nachdem sie die Aus-
hilfsgelder erhalten hatten, wieder in die Heimat zurück. Infolgedessen strebte
man danach, preußische Auswanderer in von der preußischen Grenze entfernt
gelegenen Gegenden anzusiedeln und zahlte auch die Beihilfen nicht direkt an
die Kolonisten, sondern an die Gutsherrschasten, auf denen sie sich niederließen.
Später (1787) galt für die preußischen Einwanderer wie für alle anderen die
Bestimmung, daß jeder nach Rückzahlung der Unterstützungen in die Heimat
zurückkehren durfte. War er aber in Österreich schon zehn Jahre ansässig, so
wurde er wie ein Inländer behandelt. Nach einem Berichte von 1782 waren
damals in Böhmen siebenunddreißig Familien oder einhundertundfünfzig Seelen


preußische Ansiedler in Österreich

(bis zum August 1763) waren etwa fünfzehnhundert solcher Ansiedler nach
Siebenbürgen gekommen. Da aber viele von ihnen nur zwangsweise ins Land
gezogen worden waren, entflohen sie bei der nächsten Gelegenheit in ihre Heimat.
Andere zogen aus Arbeitsscheu davon. Schließlich gestattete die Regierung
vielen die freie Heimkehr nach dem Friedensschlüsse. So blieben von den
Kolonisten der 1760er Jahre nur etwa hundert in Siebenbürgen zurück.
Mancher von ihnen hat es zu bedeutendem Ansehen gebracht. So stammte der
bekannte siebenbürgische Dichter und Geschichtsforscher Joachim Heinrich Wittstock
von dem in Berlin geborenen Leinwebergesellen Joachim Wittstock, der mit
anderen preußischen Kriegsgefangenen nach Bistritz gekommen war.

Der Wettbewerb mit Preußen veranlaßte die österreichische Regierung,
dieser Einwanderung auch nach dem Friedensschluß eine erhöhte Aufmerksamkeit
zuzuwenden. Im Wiener Staatsarchiv lagernde Berichte deuten an, daß die
gesamte Ansiedlungstätigkeit Friedrichs des Großen einer peinlichen Kontrolle
durch den österreichischen Geschäftsträger unterworfen ist und daß mau sich von
österreichischer Seite bemühte, die durch diese Tätigkeit hervorgerufene Bewegung
in der preußischen Bevölkerung auch für Österreich auszunutzen. Diese Bemühungen
werden auch von Erfolg begleitet. So bittet 1776 Joh. Karl Hoffer, bürger¬
licher Glasmacher aus Oppeln in Oberschlesien und ehemaliger preußischer Soldat,
um Reisegeld nach Galizien, „wo er seine Nahrung suchen wolle". Seit 177!)
finden wir in österreichischen Staatsschriften Nachrichten, daß Preußen öster¬
reichische Auswanderer auflebte, und daneben wird gleichzeitig berichtet, daß
preußische Deserteure und Emigranten um „allerhöchsten Schutz und Gelegenheit
zur Ansiedlung in den Habsburgischen Landen bitten".

Damals und vielleicht auch schon früher wurden bereits Preußen in
Böhmen, besonders in Pardubitz angesiedelt. Später (1781) fanden sich
preußische Emigranten im Chrudimer und Bunzlauer Kreise ein. Die Fried¬
länder Herrschaft zeigte sich bereit, solche Einwanderer aufzunehmen, wenn ihr
die von der Regierung in Aussicht gestellten fünfzig Gulden als Aushilfe für
jede Familie bezahlt würden; einzelnen Emigranten, die keine Handwerker waren,
sollte eine „größere Aushilfe" von einhundertundzwanzig Gulden gereicht werden.
Im folgenden Jahre hören wir von preußischen Ansiedlern in Theresienstadt
und Königgrcitz. Manche von diesen Kolonisten kehrten, nachdem sie die Aus-
hilfsgelder erhalten hatten, wieder in die Heimat zurück. Infolgedessen strebte
man danach, preußische Auswanderer in von der preußischen Grenze entfernt
gelegenen Gegenden anzusiedeln und zahlte auch die Beihilfen nicht direkt an
die Kolonisten, sondern an die Gutsherrschasten, auf denen sie sich niederließen.
Später (1787) galt für die preußischen Einwanderer wie für alle anderen die
Bestimmung, daß jeder nach Rückzahlung der Unterstützungen in die Heimat
zurückkehren durfte. War er aber in Österreich schon zehn Jahre ansässig, so
wurde er wie ein Inländer behandelt. Nach einem Berichte von 1782 waren
damals in Böhmen siebenunddreißig Familien oder einhundertundfünfzig Seelen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316477"/>
          <fw type="header" place="top"> preußische Ansiedler in Österreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_708" prev="#ID_707"> (bis zum August 1763) waren etwa fünfzehnhundert solcher Ansiedler nach<lb/>
Siebenbürgen gekommen. Da aber viele von ihnen nur zwangsweise ins Land<lb/>
gezogen worden waren, entflohen sie bei der nächsten Gelegenheit in ihre Heimat.<lb/>
Andere zogen aus Arbeitsscheu davon. Schließlich gestattete die Regierung<lb/>
vielen die freie Heimkehr nach dem Friedensschlüsse. So blieben von den<lb/>
Kolonisten der 1760er Jahre nur etwa hundert in Siebenbürgen zurück.<lb/>
Mancher von ihnen hat es zu bedeutendem Ansehen gebracht. So stammte der<lb/>
bekannte siebenbürgische Dichter und Geschichtsforscher Joachim Heinrich Wittstock<lb/>
von dem in Berlin geborenen Leinwebergesellen Joachim Wittstock, der mit<lb/>
anderen preußischen Kriegsgefangenen nach Bistritz gekommen war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_709"> Der Wettbewerb mit Preußen veranlaßte die österreichische Regierung,<lb/>
dieser Einwanderung auch nach dem Friedensschluß eine erhöhte Aufmerksamkeit<lb/>
zuzuwenden. Im Wiener Staatsarchiv lagernde Berichte deuten an, daß die<lb/>
gesamte Ansiedlungstätigkeit Friedrichs des Großen einer peinlichen Kontrolle<lb/>
durch den österreichischen Geschäftsträger unterworfen ist und daß mau sich von<lb/>
österreichischer Seite bemühte, die durch diese Tätigkeit hervorgerufene Bewegung<lb/>
in der preußischen Bevölkerung auch für Österreich auszunutzen. Diese Bemühungen<lb/>
werden auch von Erfolg begleitet. So bittet 1776 Joh. Karl Hoffer, bürger¬<lb/>
licher Glasmacher aus Oppeln in Oberschlesien und ehemaliger preußischer Soldat,<lb/>
um Reisegeld nach Galizien, &#x201E;wo er seine Nahrung suchen wolle". Seit 177!)<lb/>
finden wir in österreichischen Staatsschriften Nachrichten, daß Preußen öster¬<lb/>
reichische Auswanderer auflebte, und daneben wird gleichzeitig berichtet, daß<lb/>
preußische Deserteure und Emigranten um &#x201E;allerhöchsten Schutz und Gelegenheit<lb/>
zur Ansiedlung in den Habsburgischen Landen bitten".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_710" next="#ID_711"> Damals und vielleicht auch schon früher wurden bereits Preußen in<lb/>
Böhmen, besonders in Pardubitz angesiedelt. Später (1781) fanden sich<lb/>
preußische Emigranten im Chrudimer und Bunzlauer Kreise ein. Die Fried¬<lb/>
länder Herrschaft zeigte sich bereit, solche Einwanderer aufzunehmen, wenn ihr<lb/>
die von der Regierung in Aussicht gestellten fünfzig Gulden als Aushilfe für<lb/>
jede Familie bezahlt würden; einzelnen Emigranten, die keine Handwerker waren,<lb/>
sollte eine &#x201E;größere Aushilfe" von einhundertundzwanzig Gulden gereicht werden.<lb/>
Im folgenden Jahre hören wir von preußischen Ansiedlern in Theresienstadt<lb/>
und Königgrcitz. Manche von diesen Kolonisten kehrten, nachdem sie die Aus-<lb/>
hilfsgelder erhalten hatten, wieder in die Heimat zurück. Infolgedessen strebte<lb/>
man danach, preußische Auswanderer in von der preußischen Grenze entfernt<lb/>
gelegenen Gegenden anzusiedeln und zahlte auch die Beihilfen nicht direkt an<lb/>
die Kolonisten, sondern an die Gutsherrschasten, auf denen sie sich niederließen.<lb/>
Später (1787) galt für die preußischen Einwanderer wie für alle anderen die<lb/>
Bestimmung, daß jeder nach Rückzahlung der Unterstützungen in die Heimat<lb/>
zurückkehren durfte. War er aber in Österreich schon zehn Jahre ansässig, so<lb/>
wurde er wie ein Inländer behandelt. Nach einem Berichte von 1782 waren<lb/>
damals in Böhmen siebenunddreißig Familien oder einhundertundfünfzig Seelen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0188] preußische Ansiedler in Österreich (bis zum August 1763) waren etwa fünfzehnhundert solcher Ansiedler nach Siebenbürgen gekommen. Da aber viele von ihnen nur zwangsweise ins Land gezogen worden waren, entflohen sie bei der nächsten Gelegenheit in ihre Heimat. Andere zogen aus Arbeitsscheu davon. Schließlich gestattete die Regierung vielen die freie Heimkehr nach dem Friedensschlüsse. So blieben von den Kolonisten der 1760er Jahre nur etwa hundert in Siebenbürgen zurück. Mancher von ihnen hat es zu bedeutendem Ansehen gebracht. So stammte der bekannte siebenbürgische Dichter und Geschichtsforscher Joachim Heinrich Wittstock von dem in Berlin geborenen Leinwebergesellen Joachim Wittstock, der mit anderen preußischen Kriegsgefangenen nach Bistritz gekommen war. Der Wettbewerb mit Preußen veranlaßte die österreichische Regierung, dieser Einwanderung auch nach dem Friedensschluß eine erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Im Wiener Staatsarchiv lagernde Berichte deuten an, daß die gesamte Ansiedlungstätigkeit Friedrichs des Großen einer peinlichen Kontrolle durch den österreichischen Geschäftsträger unterworfen ist und daß mau sich von österreichischer Seite bemühte, die durch diese Tätigkeit hervorgerufene Bewegung in der preußischen Bevölkerung auch für Österreich auszunutzen. Diese Bemühungen werden auch von Erfolg begleitet. So bittet 1776 Joh. Karl Hoffer, bürger¬ licher Glasmacher aus Oppeln in Oberschlesien und ehemaliger preußischer Soldat, um Reisegeld nach Galizien, „wo er seine Nahrung suchen wolle". Seit 177!) finden wir in österreichischen Staatsschriften Nachrichten, daß Preußen öster¬ reichische Auswanderer auflebte, und daneben wird gleichzeitig berichtet, daß preußische Deserteure und Emigranten um „allerhöchsten Schutz und Gelegenheit zur Ansiedlung in den Habsburgischen Landen bitten". Damals und vielleicht auch schon früher wurden bereits Preußen in Böhmen, besonders in Pardubitz angesiedelt. Später (1781) fanden sich preußische Emigranten im Chrudimer und Bunzlauer Kreise ein. Die Fried¬ länder Herrschaft zeigte sich bereit, solche Einwanderer aufzunehmen, wenn ihr die von der Regierung in Aussicht gestellten fünfzig Gulden als Aushilfe für jede Familie bezahlt würden; einzelnen Emigranten, die keine Handwerker waren, sollte eine „größere Aushilfe" von einhundertundzwanzig Gulden gereicht werden. Im folgenden Jahre hören wir von preußischen Ansiedlern in Theresienstadt und Königgrcitz. Manche von diesen Kolonisten kehrten, nachdem sie die Aus- hilfsgelder erhalten hatten, wieder in die Heimat zurück. Infolgedessen strebte man danach, preußische Auswanderer in von der preußischen Grenze entfernt gelegenen Gegenden anzusiedeln und zahlte auch die Beihilfen nicht direkt an die Kolonisten, sondern an die Gutsherrschasten, auf denen sie sich niederließen. Später (1787) galt für die preußischen Einwanderer wie für alle anderen die Bestimmung, daß jeder nach Rückzahlung der Unterstützungen in die Heimat zurückkehren durfte. War er aber in Österreich schon zehn Jahre ansässig, so wurde er wie ein Inländer behandelt. Nach einem Berichte von 1782 waren damals in Böhmen siebenunddreißig Familien oder einhundertundfünfzig Seelen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/188
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/188>, abgerufen am 23.07.2024.