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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Vaganten

Türhüter des Papstes, denn die Hand der Armut hat mich getroffen. Ich bin
dürftig und arm, darum bitte ich euch, daß ihr mir helfet in meinem Elende.
Jene aber, da sie ihn gehöret hatten, ergrimmten sie und sprachen: Freund,
verflucht mögest du sein mit deiner Armut, weiche von hier, Satanas, denn
du vermagst nicht, was das Geld vermag. Wahrlich, wahrlich, ich sage dir,
du wirst nicht eingehen zu deines Herrn Freude, bis du nicht den letzten Heller
gegeben hast. Der Arme aber ging und und verkaufte Rock und Mantel und
alles, was er hatte, und gabs den Kardinälen und Türhütern und Kämmerern.
Jene aber sprachen: Was ist das unter so viele? Und sie warfen ihn aus
aus dem Hause, und er ging und weinte bitterlich und mochte sich nicht
trösten. Danach kam zu Hofe ein reicher Pfaffe, der war dick und
fett und aufgeblasen und hatte im Aufruhr einen Mord begangen. Derselbige
gab zuerst dem Türhüter, dann dem Kämmerer, zuletzt den Kardinälen.
Die aber vermeinten unter sich, daß sie mehr bekämen. Als nun der Papst
hörte, daß seine Kardinäle und Diener sehr viele Geschenke von dem Pfaffen
erhalten hätten, ward er krank bis auf den Tod. Der Reiche aber schickte ihm
ein golden und silbern Trinkgefäß, und alsbald ward er gesund. Da rief der
Papst seine Kardinäle und Diener zu sich und sprach zu ihnen: Liebe Brüder,
sehet zu, daß euch niemand verführe mit leeren Worten. Denn ich gebe euch
ein Beispiel, daß, gleichwie ich nehme, also auch ihr nehmet." -- "Ich sah die
Hauptstadt der Welt," erzählt ein anderer, "sie ist gleich dem tiefen sizilischen
Schlunde. Dort bellt Szylla räuberisch und Charubdis schlingt Gold, die
Piraten sind die Kardinäle, Sirenen Hausen daselbst, denen ein mißgestaltetes
Ungeheuer im Busen wohnt. Sie singen: Wir vergeben die Sünden und
führen die Sündlosen zur himmlischen Wohnung, wir haben des Petrus Gewalt,
alle Herrscher mit Eisenketten zu fesseln! Solche lenken das Schiff der Kirche,
solche führen die Himmelsschlüssel."

Aber auch andere Sünden des Klerus werden scharf gegeißelt, und so
sah dreihundert Jahre später der streitbare Matthias Flacius Illyriens in diesen
satirischen Dichtungen willkommenes Material für sein "Verzeichnis von Zeugen
der Wahrheit".

Es versteht sich, daß der Klerus über die fortwährenden, zum Teil auch
maßlosen Angriffe der Vaganten erbittert wurde und ihnen nichts mehr geben
wollte. Auch verscherzte sich dies Gelehrtenproletariat durch seine immer zügel¬
loser gewordene Lebensführung die Gunst des Publikums mit der Zeit völlig.
Ein Vagant, der sich Surianus und "durch die unheilbare Borniertheit der
Dummen Oberpriester und Archiprimas aller fahrenden Scholaren in Österreich,
Steiermark und Mähren" nennt, vergleicht in einen: scherzhaften Edikte die
Vaganten mit den Fledermäusen, für die weder unter den Vierfüßlern noch
unter den Vögeln Raum ist. So ständen die wandernden Scholaren
zwischen Laien und Klerikern, von jenen vertrieben und auch von diesen
zurückgestoßen.


Die Vaganten

Türhüter des Papstes, denn die Hand der Armut hat mich getroffen. Ich bin
dürftig und arm, darum bitte ich euch, daß ihr mir helfet in meinem Elende.
Jene aber, da sie ihn gehöret hatten, ergrimmten sie und sprachen: Freund,
verflucht mögest du sein mit deiner Armut, weiche von hier, Satanas, denn
du vermagst nicht, was das Geld vermag. Wahrlich, wahrlich, ich sage dir,
du wirst nicht eingehen zu deines Herrn Freude, bis du nicht den letzten Heller
gegeben hast. Der Arme aber ging und und verkaufte Rock und Mantel und
alles, was er hatte, und gabs den Kardinälen und Türhütern und Kämmerern.
Jene aber sprachen: Was ist das unter so viele? Und sie warfen ihn aus
aus dem Hause, und er ging und weinte bitterlich und mochte sich nicht
trösten. Danach kam zu Hofe ein reicher Pfaffe, der war dick und
fett und aufgeblasen und hatte im Aufruhr einen Mord begangen. Derselbige
gab zuerst dem Türhüter, dann dem Kämmerer, zuletzt den Kardinälen.
Die aber vermeinten unter sich, daß sie mehr bekämen. Als nun der Papst
hörte, daß seine Kardinäle und Diener sehr viele Geschenke von dem Pfaffen
erhalten hätten, ward er krank bis auf den Tod. Der Reiche aber schickte ihm
ein golden und silbern Trinkgefäß, und alsbald ward er gesund. Da rief der
Papst seine Kardinäle und Diener zu sich und sprach zu ihnen: Liebe Brüder,
sehet zu, daß euch niemand verführe mit leeren Worten. Denn ich gebe euch
ein Beispiel, daß, gleichwie ich nehme, also auch ihr nehmet." — „Ich sah die
Hauptstadt der Welt," erzählt ein anderer, „sie ist gleich dem tiefen sizilischen
Schlunde. Dort bellt Szylla räuberisch und Charubdis schlingt Gold, die
Piraten sind die Kardinäle, Sirenen Hausen daselbst, denen ein mißgestaltetes
Ungeheuer im Busen wohnt. Sie singen: Wir vergeben die Sünden und
führen die Sündlosen zur himmlischen Wohnung, wir haben des Petrus Gewalt,
alle Herrscher mit Eisenketten zu fesseln! Solche lenken das Schiff der Kirche,
solche führen die Himmelsschlüssel."

Aber auch andere Sünden des Klerus werden scharf gegeißelt, und so
sah dreihundert Jahre später der streitbare Matthias Flacius Illyriens in diesen
satirischen Dichtungen willkommenes Material für sein „Verzeichnis von Zeugen
der Wahrheit".

Es versteht sich, daß der Klerus über die fortwährenden, zum Teil auch
maßlosen Angriffe der Vaganten erbittert wurde und ihnen nichts mehr geben
wollte. Auch verscherzte sich dies Gelehrtenproletariat durch seine immer zügel¬
loser gewordene Lebensführung die Gunst des Publikums mit der Zeit völlig.
Ein Vagant, der sich Surianus und „durch die unheilbare Borniertheit der
Dummen Oberpriester und Archiprimas aller fahrenden Scholaren in Österreich,
Steiermark und Mähren" nennt, vergleicht in einen: scherzhaften Edikte die
Vaganten mit den Fledermäusen, für die weder unter den Vierfüßlern noch
unter den Vögeln Raum ist. So ständen die wandernden Scholaren
zwischen Laien und Klerikern, von jenen vertrieben und auch von diesen
zurückgestoßen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/184>, abgerufen am 23.07.2024.