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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Patronat und Achulbehördc

es nicht ausbleiben, daß die Anstellung an städtischen Schulen künftig viel
weniger erstrebt werden wird als bis jetzt. Etwas wie Stadtflucht wird eintreten,
und damit würde den Provinzial-Schulkollegien freiere Verfügung über die vor¬
handenen Lehrkräfte gegeben und die Versorgung der Staatsanstalten wesentlich
erleichtert sein. Sollte gar die Erwartung, daß es so kommen werde, an¬
gesprochen haben bei der Aufstellung eines Entwurfes, der auf die Wünsche der
großen Industriestädte eingeht und ihnen scheinbar wertvolle Rechte zugesteht?
Eine so macchiavellistische Denkweise wird niemand unserer Unterrichtsverwaltung
zutrauen. Aber auf die Absicht kommt es nicht an, sondern auf die Wirkung.
Die Geschichte des höheren Schulwesens in Preußen während des neunzehnten
Jahrhunderts ist eine Geschichte ungewollter Wirkungen. Sollen wir diesmal
das, was kommen müßte, nicht willkommen heißen, da es uns sozusagen
angeboten, ja aufgedrängt wird?

Doch nicht. Daß der große Vorzug, den die städtischen Anstalten vor den
Königlichen haben, einigermaßen ausgeglichen, die Möglichkeit eines Wettbewerbes
zwischen beiden wieder hergestellt werde, ist allerdings zurzeit" eine der drin¬
gendsten Aufgaben. Aber es darf nicht dadurch geschehen, daß man die eine
Seite herabdrückt, sondern so, daß man die Lebenskraft der anderen hebt. Wie
das zu erreichen sei, ist eine Frage für sich, deren Lösung nicht eher erfolgreich
wird angegriffen werden können, als bis sich in den eignen Kreisen der Lehrer
die Überzeugung verbreitet und befestigt hat, der jetzt auch Münch sich zuneigt,
daß die Herrschaft des Dienstalters in unsern: Anstellungs- und Beförderungs¬
wesen eine gefährliche Herrschaft ist. Schon in den wenigen Jahren ihres
Bestehens hat sie wohl ebensoviel geschadet wie genützt; und sie wird auf die
Dauer eines starken Gegengewichtes bedürfen, wenn vorhandene und entwickelungs¬
fähige Kräfte nicht erstickt werden sollen. Dazu schütteln heute noch die meisten
den Kopf. Die Hoffnung, daß allmählich ein Umschwung sich vollziehen werde,
beruht auf dem Glauben an die innere Notwendigkeit; verstärkt aber und
belebt wird sie durch die Erfahrung, wie mit zunehmender Sicherheit und
Klarheit der höhere Lehrerstand selber erkennt, was ihm not tut.

In der brennenden Frage, der die hier dargelegten Erwägungen gewidmet
waren, hat er einmütig Stellung genommen und sich zu dem Wunsche bekannt,
nicht in zwei nach ihren amtlichen Rechten und Pflichten verschiedene Klassen
gespalten zu werden. Man kann sagen, an den: Wunsche habe das Gefühl
ebenso viel Anteil wie der Verstand: das tut nichts. Stimmungen wie diese,
wenn sie entschieden und maßvoll sich kundgeben, verklingen nicht ungehört und
wirken mitbestimmend auch auf die letzte Entscheidung ein. Der weiteren Ent¬
wickelung des Verhältnisses zwischen Schulbehörde und Patronat dürfen wir
deshalb -- und nicht bloß deshalb -- doch getrost entgegensehen. Mit erfreulicher
Deutlichkeit haben die Vertreter des preußischen Volkes, und zwar Abgeordnete
der verschiedensten Parteien, den Gedanken abgelehnt, daß der Staat auf dem
Gebiete des höheren Schulwesens etwas von seinen Hoheitsrechten opfern könnte.


Grenzboten III 1910 21
Patronat und Achulbehördc

es nicht ausbleiben, daß die Anstellung an städtischen Schulen künftig viel
weniger erstrebt werden wird als bis jetzt. Etwas wie Stadtflucht wird eintreten,
und damit würde den Provinzial-Schulkollegien freiere Verfügung über die vor¬
handenen Lehrkräfte gegeben und die Versorgung der Staatsanstalten wesentlich
erleichtert sein. Sollte gar die Erwartung, daß es so kommen werde, an¬
gesprochen haben bei der Aufstellung eines Entwurfes, der auf die Wünsche der
großen Industriestädte eingeht und ihnen scheinbar wertvolle Rechte zugesteht?
Eine so macchiavellistische Denkweise wird niemand unserer Unterrichtsverwaltung
zutrauen. Aber auf die Absicht kommt es nicht an, sondern auf die Wirkung.
Die Geschichte des höheren Schulwesens in Preußen während des neunzehnten
Jahrhunderts ist eine Geschichte ungewollter Wirkungen. Sollen wir diesmal
das, was kommen müßte, nicht willkommen heißen, da es uns sozusagen
angeboten, ja aufgedrängt wird?

Doch nicht. Daß der große Vorzug, den die städtischen Anstalten vor den
Königlichen haben, einigermaßen ausgeglichen, die Möglichkeit eines Wettbewerbes
zwischen beiden wieder hergestellt werde, ist allerdings zurzeit„ eine der drin¬
gendsten Aufgaben. Aber es darf nicht dadurch geschehen, daß man die eine
Seite herabdrückt, sondern so, daß man die Lebenskraft der anderen hebt. Wie
das zu erreichen sei, ist eine Frage für sich, deren Lösung nicht eher erfolgreich
wird angegriffen werden können, als bis sich in den eignen Kreisen der Lehrer
die Überzeugung verbreitet und befestigt hat, der jetzt auch Münch sich zuneigt,
daß die Herrschaft des Dienstalters in unsern: Anstellungs- und Beförderungs¬
wesen eine gefährliche Herrschaft ist. Schon in den wenigen Jahren ihres
Bestehens hat sie wohl ebensoviel geschadet wie genützt; und sie wird auf die
Dauer eines starken Gegengewichtes bedürfen, wenn vorhandene und entwickelungs¬
fähige Kräfte nicht erstickt werden sollen. Dazu schütteln heute noch die meisten
den Kopf. Die Hoffnung, daß allmählich ein Umschwung sich vollziehen werde,
beruht auf dem Glauben an die innere Notwendigkeit; verstärkt aber und
belebt wird sie durch die Erfahrung, wie mit zunehmender Sicherheit und
Klarheit der höhere Lehrerstand selber erkennt, was ihm not tut.

In der brennenden Frage, der die hier dargelegten Erwägungen gewidmet
waren, hat er einmütig Stellung genommen und sich zu dem Wunsche bekannt,
nicht in zwei nach ihren amtlichen Rechten und Pflichten verschiedene Klassen
gespalten zu werden. Man kann sagen, an den: Wunsche habe das Gefühl
ebenso viel Anteil wie der Verstand: das tut nichts. Stimmungen wie diese,
wenn sie entschieden und maßvoll sich kundgeben, verklingen nicht ungehört und
wirken mitbestimmend auch auf die letzte Entscheidung ein. Der weiteren Ent¬
wickelung des Verhältnisses zwischen Schulbehörde und Patronat dürfen wir
deshalb — und nicht bloß deshalb — doch getrost entgegensehen. Mit erfreulicher
Deutlichkeit haben die Vertreter des preußischen Volkes, und zwar Abgeordnete
der verschiedensten Parteien, den Gedanken abgelehnt, daß der Staat auf dem
Gebiete des höheren Schulwesens etwas von seinen Hoheitsrechten opfern könnte.


Grenzboten III 1910 21
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[0173] Patronat und Achulbehördc es nicht ausbleiben, daß die Anstellung an städtischen Schulen künftig viel weniger erstrebt werden wird als bis jetzt. Etwas wie Stadtflucht wird eintreten, und damit würde den Provinzial-Schulkollegien freiere Verfügung über die vor¬ handenen Lehrkräfte gegeben und die Versorgung der Staatsanstalten wesentlich erleichtert sein. Sollte gar die Erwartung, daß es so kommen werde, an¬ gesprochen haben bei der Aufstellung eines Entwurfes, der auf die Wünsche der großen Industriestädte eingeht und ihnen scheinbar wertvolle Rechte zugesteht? Eine so macchiavellistische Denkweise wird niemand unserer Unterrichtsverwaltung zutrauen. Aber auf die Absicht kommt es nicht an, sondern auf die Wirkung. Die Geschichte des höheren Schulwesens in Preußen während des neunzehnten Jahrhunderts ist eine Geschichte ungewollter Wirkungen. Sollen wir diesmal das, was kommen müßte, nicht willkommen heißen, da es uns sozusagen angeboten, ja aufgedrängt wird? Doch nicht. Daß der große Vorzug, den die städtischen Anstalten vor den Königlichen haben, einigermaßen ausgeglichen, die Möglichkeit eines Wettbewerbes zwischen beiden wieder hergestellt werde, ist allerdings zurzeit„ eine der drin¬ gendsten Aufgaben. Aber es darf nicht dadurch geschehen, daß man die eine Seite herabdrückt, sondern so, daß man die Lebenskraft der anderen hebt. Wie das zu erreichen sei, ist eine Frage für sich, deren Lösung nicht eher erfolgreich wird angegriffen werden können, als bis sich in den eignen Kreisen der Lehrer die Überzeugung verbreitet und befestigt hat, der jetzt auch Münch sich zuneigt, daß die Herrschaft des Dienstalters in unsern: Anstellungs- und Beförderungs¬ wesen eine gefährliche Herrschaft ist. Schon in den wenigen Jahren ihres Bestehens hat sie wohl ebensoviel geschadet wie genützt; und sie wird auf die Dauer eines starken Gegengewichtes bedürfen, wenn vorhandene und entwickelungs¬ fähige Kräfte nicht erstickt werden sollen. Dazu schütteln heute noch die meisten den Kopf. Die Hoffnung, daß allmählich ein Umschwung sich vollziehen werde, beruht auf dem Glauben an die innere Notwendigkeit; verstärkt aber und belebt wird sie durch die Erfahrung, wie mit zunehmender Sicherheit und Klarheit der höhere Lehrerstand selber erkennt, was ihm not tut. In der brennenden Frage, der die hier dargelegten Erwägungen gewidmet waren, hat er einmütig Stellung genommen und sich zu dem Wunsche bekannt, nicht in zwei nach ihren amtlichen Rechten und Pflichten verschiedene Klassen gespalten zu werden. Man kann sagen, an den: Wunsche habe das Gefühl ebenso viel Anteil wie der Verstand: das tut nichts. Stimmungen wie diese, wenn sie entschieden und maßvoll sich kundgeben, verklingen nicht ungehört und wirken mitbestimmend auch auf die letzte Entscheidung ein. Der weiteren Ent¬ wickelung des Verhältnisses zwischen Schulbehörde und Patronat dürfen wir deshalb — und nicht bloß deshalb — doch getrost entgegensehen. Mit erfreulicher Deutlichkeit haben die Vertreter des preußischen Volkes, und zwar Abgeordnete der verschiedensten Parteien, den Gedanken abgelehnt, daß der Staat auf dem Gebiete des höheren Schulwesens etwas von seinen Hoheitsrechten opfern könnte. Grenzboten III 1910 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/173>, abgerufen am 01.07.2024.