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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Patronat und Schulbehörde

dürfe, wenn dadurch die Schulgeldeinnahme einer städtischen Schule vermindert
werden könnte. Diese Begründung ist geeignet, umgekehrt zu wirken, als sie
gemeint war. Sie läßt erkennen, wie bedenklich es wäre, wenn in Fragen
dieser Art der Stadt ein "Vetorecht" zustünde; unter dem Gesichtspunkte der
Konkurrenz sollen sie doch nicht entschieden werden. Viele unterrichtliche Ver¬
anstaltungen siud auf nebenamtliche Helfer naturgemäß angewiesen; diese aus¬
schließen heißt das Interesse der Allgemeinheit schädigen. Und noch in andern:
Sinne wird dieses berührt. Wir freuen uns doch, wenn Angehörige des
Lehrerstandes im Heere weiter dienen, wenn sie als Schöffen, als Geschworene
einberufen werden. Die Vertretung mag manchmal recht unbequem sein;
aber das Opfer belohnt sich durch den erweiterten Gesichtskreis, den Zuwachs
an Weltkenntnis, den jede solche Tätigkeit in öffentlichem Dienste dem einzelnen
bringt, und der mittelbar auch wieder seiner Wirksamkeit im Hauptamte zugute
kommt. So erwächst auch aus wissenschaftlicher Nebenbeschäftigung, aus
akademischen Vorlesungen, aus der Mitarbeit in der Verwaltung von Bibliotheken
und Museen eine Menge wertvoller Anregungen, die der Schule und ihrem
Kreise entzogen werden würden, wenn der Grundsatz zu gelten hätte, daß das
Amt die Beamten mit all ihrer Kraft und all ihrer Zeit in Beschlag nehmen
solle. Im Vordergrunde schulpolitischer Sorgen steht heute die weibliche
Erziehung. Der Entschluß, sie der männlichen anzugleichen, ist gefaßt; wie
das aber im einzelnen zu gestalten, wie das Neue mit dein Alten, wissenschaft¬
liche Bildung mit der Vorbereitung auf das Leben der Frau zu vereinigen
sei, bleibt die Frage, ja ein Vielfältiges von Fragen. Je mehr Männer
Gelegenheit haben auf beiden Gebieten, im Unterrichte der Mädchen wie der
Knaben, Erfahrungen zu sammeln, desto eher ist zu hoffen, daß die Fragen
gelöst und zu gesunder Entwickelung geführt werden.

Daß Beziehungen wie die hier angedeuteten von städtischen Behörden
weniger gewürdigt werden als von königlichen, ist an sich nicht notwendig;
gerade die Essener Bestrebungen zeigen aber, daß, zurzeit wenigstens, nicht
überall das volle Verständnis dafür besteht. Wenn dabei die Forderung
größerer Befugnisse für die städtischen Patronate im Namen einer liberalen
Politik aufgestellt wurde, so war das nur durch Anwendung des Fremdwortes
möglich; denn Freiheit ist es wahrlich nicht, was hier begehrt wird, man
müßte denn meinen, Freiheit sei das Recht, andern die Freiheit zu beschränken.
Indem die staatlichen Aufsichtsbehörden überall in erster Linie das Wohl der
Gesamtheit im Auge haben, werden sie es nicht bedauern, damit zugleich das
Interesse der einzelnen zu wahren. Denn die ernste Pflicht, nach der man sie
nennt, können sie nur dann mit innerer Vollmacht und also mit gutem Erfolg
ausüben, wenn sie sich bewußt bleiben, daß sie den Lehrern nicht bloß zur
Überwachung, sondern vor allem auch zum Schutze gesetzt sind.

Auch den Direktoren. Deren Wirksamkeit würde aufs schwerste gefährdet
werden, wenn es dahin käme, daß den: Kuratorium das Recht zustünde, in


Patronat und Schulbehörde

dürfe, wenn dadurch die Schulgeldeinnahme einer städtischen Schule vermindert
werden könnte. Diese Begründung ist geeignet, umgekehrt zu wirken, als sie
gemeint war. Sie läßt erkennen, wie bedenklich es wäre, wenn in Fragen
dieser Art der Stadt ein „Vetorecht" zustünde; unter dem Gesichtspunkte der
Konkurrenz sollen sie doch nicht entschieden werden. Viele unterrichtliche Ver¬
anstaltungen siud auf nebenamtliche Helfer naturgemäß angewiesen; diese aus¬
schließen heißt das Interesse der Allgemeinheit schädigen. Und noch in andern:
Sinne wird dieses berührt. Wir freuen uns doch, wenn Angehörige des
Lehrerstandes im Heere weiter dienen, wenn sie als Schöffen, als Geschworene
einberufen werden. Die Vertretung mag manchmal recht unbequem sein;
aber das Opfer belohnt sich durch den erweiterten Gesichtskreis, den Zuwachs
an Weltkenntnis, den jede solche Tätigkeit in öffentlichem Dienste dem einzelnen
bringt, und der mittelbar auch wieder seiner Wirksamkeit im Hauptamte zugute
kommt. So erwächst auch aus wissenschaftlicher Nebenbeschäftigung, aus
akademischen Vorlesungen, aus der Mitarbeit in der Verwaltung von Bibliotheken
und Museen eine Menge wertvoller Anregungen, die der Schule und ihrem
Kreise entzogen werden würden, wenn der Grundsatz zu gelten hätte, daß das
Amt die Beamten mit all ihrer Kraft und all ihrer Zeit in Beschlag nehmen
solle. Im Vordergrunde schulpolitischer Sorgen steht heute die weibliche
Erziehung. Der Entschluß, sie der männlichen anzugleichen, ist gefaßt; wie
das aber im einzelnen zu gestalten, wie das Neue mit dein Alten, wissenschaft¬
liche Bildung mit der Vorbereitung auf das Leben der Frau zu vereinigen
sei, bleibt die Frage, ja ein Vielfältiges von Fragen. Je mehr Männer
Gelegenheit haben auf beiden Gebieten, im Unterrichte der Mädchen wie der
Knaben, Erfahrungen zu sammeln, desto eher ist zu hoffen, daß die Fragen
gelöst und zu gesunder Entwickelung geführt werden.

Daß Beziehungen wie die hier angedeuteten von städtischen Behörden
weniger gewürdigt werden als von königlichen, ist an sich nicht notwendig;
gerade die Essener Bestrebungen zeigen aber, daß, zurzeit wenigstens, nicht
überall das volle Verständnis dafür besteht. Wenn dabei die Forderung
größerer Befugnisse für die städtischen Patronate im Namen einer liberalen
Politik aufgestellt wurde, so war das nur durch Anwendung des Fremdwortes
möglich; denn Freiheit ist es wahrlich nicht, was hier begehrt wird, man
müßte denn meinen, Freiheit sei das Recht, andern die Freiheit zu beschränken.
Indem die staatlichen Aufsichtsbehörden überall in erster Linie das Wohl der
Gesamtheit im Auge haben, werden sie es nicht bedauern, damit zugleich das
Interesse der einzelnen zu wahren. Denn die ernste Pflicht, nach der man sie
nennt, können sie nur dann mit innerer Vollmacht und also mit gutem Erfolg
ausüben, wenn sie sich bewußt bleiben, daß sie den Lehrern nicht bloß zur
Überwachung, sondern vor allem auch zum Schutze gesetzt sind.

Auch den Direktoren. Deren Wirksamkeit würde aufs schwerste gefährdet
werden, wenn es dahin käme, daß den: Kuratorium das Recht zustünde, in


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[0170] Patronat und Schulbehörde dürfe, wenn dadurch die Schulgeldeinnahme einer städtischen Schule vermindert werden könnte. Diese Begründung ist geeignet, umgekehrt zu wirken, als sie gemeint war. Sie läßt erkennen, wie bedenklich es wäre, wenn in Fragen dieser Art der Stadt ein „Vetorecht" zustünde; unter dem Gesichtspunkte der Konkurrenz sollen sie doch nicht entschieden werden. Viele unterrichtliche Ver¬ anstaltungen siud auf nebenamtliche Helfer naturgemäß angewiesen; diese aus¬ schließen heißt das Interesse der Allgemeinheit schädigen. Und noch in andern: Sinne wird dieses berührt. Wir freuen uns doch, wenn Angehörige des Lehrerstandes im Heere weiter dienen, wenn sie als Schöffen, als Geschworene einberufen werden. Die Vertretung mag manchmal recht unbequem sein; aber das Opfer belohnt sich durch den erweiterten Gesichtskreis, den Zuwachs an Weltkenntnis, den jede solche Tätigkeit in öffentlichem Dienste dem einzelnen bringt, und der mittelbar auch wieder seiner Wirksamkeit im Hauptamte zugute kommt. So erwächst auch aus wissenschaftlicher Nebenbeschäftigung, aus akademischen Vorlesungen, aus der Mitarbeit in der Verwaltung von Bibliotheken und Museen eine Menge wertvoller Anregungen, die der Schule und ihrem Kreise entzogen werden würden, wenn der Grundsatz zu gelten hätte, daß das Amt die Beamten mit all ihrer Kraft und all ihrer Zeit in Beschlag nehmen solle. Im Vordergrunde schulpolitischer Sorgen steht heute die weibliche Erziehung. Der Entschluß, sie der männlichen anzugleichen, ist gefaßt; wie das aber im einzelnen zu gestalten, wie das Neue mit dein Alten, wissenschaft¬ liche Bildung mit der Vorbereitung auf das Leben der Frau zu vereinigen sei, bleibt die Frage, ja ein Vielfältiges von Fragen. Je mehr Männer Gelegenheit haben auf beiden Gebieten, im Unterrichte der Mädchen wie der Knaben, Erfahrungen zu sammeln, desto eher ist zu hoffen, daß die Fragen gelöst und zu gesunder Entwickelung geführt werden. Daß Beziehungen wie die hier angedeuteten von städtischen Behörden weniger gewürdigt werden als von königlichen, ist an sich nicht notwendig; gerade die Essener Bestrebungen zeigen aber, daß, zurzeit wenigstens, nicht überall das volle Verständnis dafür besteht. Wenn dabei die Forderung größerer Befugnisse für die städtischen Patronate im Namen einer liberalen Politik aufgestellt wurde, so war das nur durch Anwendung des Fremdwortes möglich; denn Freiheit ist es wahrlich nicht, was hier begehrt wird, man müßte denn meinen, Freiheit sei das Recht, andern die Freiheit zu beschränken. Indem die staatlichen Aufsichtsbehörden überall in erster Linie das Wohl der Gesamtheit im Auge haben, werden sie es nicht bedauern, damit zugleich das Interesse der einzelnen zu wahren. Denn die ernste Pflicht, nach der man sie nennt, können sie nur dann mit innerer Vollmacht und also mit gutem Erfolg ausüben, wenn sie sich bewußt bleiben, daß sie den Lehrern nicht bloß zur Überwachung, sondern vor allem auch zum Schutze gesetzt sind. Auch den Direktoren. Deren Wirksamkeit würde aufs schwerste gefährdet werden, wenn es dahin käme, daß den: Kuratorium das Recht zustünde, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/170>, abgerufen am 25.08.2024.