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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Sozialstudentische Bewegung

behandelt würden; es handelt sich hier selbstverständlich um die katholische
Weltanschauung, oder richtiger um die vom Volksverein gebilligte und betriebene
"katholische Weltanschauung", daß es gilt, neben sozialpolitischer Arbeit den
jungen Studenten schon möglichst früh in die Gedankenwelt des Ultramontanismus
einzuführen, daß Sonnenschein selbst als eine der Hauptaufgaben dieser Ver¬
einigungen ansieht, ihre Mitglieder in einen besonders innigen Kontakt mit
dem sozialen Vereinswesen des katholischen Deutschlands zu bringen, in dem
bekanntlich der Klerus dominiert. (Siehe Sonnenschein: "Die sozialstudentische
Bewegung." Paderborn 1909. S. 10.)

Man wird es deshalb aufs lebhafteste bedauern müssen, daß selbst auf
einem Gebiete, das schon seiner Natur nach eigentlich konfessionelle Gegensätze
ausschließen sollte, konfessioneller Hader nicht ruhen kann. Die Geschlossenheit
und die Wucht der deutschen sozialstudentischen Bewegung muß aufs schwerste
leiden, wenn sich, was nach dem bisherigen Verlauf der Dinge mit Sicherheit
zu erwarten steht, zwei große feindliche Gruppen bilden; auf der einen Seite
stehe,! die konfessionellen, d. h. die katholischen Verbindungen, auf der andern
die übrigen nichtkonfessionellen studentischen Verbände.

Denn auch hier hat es sich in den letzten Jahren kräftig geregt. Sozial¬
wissenschaftliche Vereine, Freistudentenschaft, Burschenschaft, alle diese Verbände
haben sich seither mit immer steigendem Interesse der sozialen Probleme
angenommen.

Um ein Bild der Arbeitstätigkeit eines Sozialwissenschaftlichen Vereins zu
geben, seien hier die Themata der Vorträge wiedergegeben, die im Sommer¬
semester 1909 im "Münchener Sozialwissenschaftlichen Verein", einem sehr rührigen
Verein, gehalten wurden. Es sind dies: "Die Arbeiterwohnungsfrage in den
Städten" (Prof. Brentano), "Wohlfahrts- und Betriebseinrichtungen" (Dr. Günther),
"Bleivergiftungen" (Prof. Hahn), "Arbeitslohn und Lebenshaltung" (Or.Kuczynski),
"Die Aufgaben der Soziologie und der soziologischen Gesellschaft" (Prof. Simmel),
"Die soziologische Methode der Privatrechtswissenschaft" (RechtsanwaltSinzheimer),
"Die sozialstudentische Bewegung" (Dr. Sonnenschein). Man sieht, daß die
Zusammenstellung der Vorträge nicht ohne Geschick erfolgt ist und Probleme
behandelt sind, die zu den bedeutendsten der Sozialpolitik zählen. Hand in
Hand mit diesen Vorträgen gehen Besichtigungen von Fabriken, großen Handels¬
betrieben, Wohlfahrtseinrichtungen. Auch die freie Studentenschaft hat an den
meistenUniversitäten eigens
die durch Vorträge und Besichtigungen ihren Mitgliedern soziales Verständnis
und soziales Denken zu vermitteln beabsichtigen. In so ausgedehnten: Maße
können sich leider couleurtragende Korporationen mit diesen Fragen nicht
beschäftigen, denn sie haben naturgemäß noch andre Ziele. Um so höher ist
es ihnen anzurechnen, daß sie trotzdem großes Gewicht darauf legen. Hier ist
vor allem die Burschenschaft zu nennen, in ihren beiden Zweigen, der "Deutschen
Burschenschaft" (ca. 65 Burschenschafter) und dem "Allgemeinen deutschen


Sozialstudentische Bewegung

behandelt würden; es handelt sich hier selbstverständlich um die katholische
Weltanschauung, oder richtiger um die vom Volksverein gebilligte und betriebene
„katholische Weltanschauung", daß es gilt, neben sozialpolitischer Arbeit den
jungen Studenten schon möglichst früh in die Gedankenwelt des Ultramontanismus
einzuführen, daß Sonnenschein selbst als eine der Hauptaufgaben dieser Ver¬
einigungen ansieht, ihre Mitglieder in einen besonders innigen Kontakt mit
dem sozialen Vereinswesen des katholischen Deutschlands zu bringen, in dem
bekanntlich der Klerus dominiert. (Siehe Sonnenschein: „Die sozialstudentische
Bewegung." Paderborn 1909. S. 10.)

Man wird es deshalb aufs lebhafteste bedauern müssen, daß selbst auf
einem Gebiete, das schon seiner Natur nach eigentlich konfessionelle Gegensätze
ausschließen sollte, konfessioneller Hader nicht ruhen kann. Die Geschlossenheit
und die Wucht der deutschen sozialstudentischen Bewegung muß aufs schwerste
leiden, wenn sich, was nach dem bisherigen Verlauf der Dinge mit Sicherheit
zu erwarten steht, zwei große feindliche Gruppen bilden; auf der einen Seite
stehe,! die konfessionellen, d. h. die katholischen Verbindungen, auf der andern
die übrigen nichtkonfessionellen studentischen Verbände.

Denn auch hier hat es sich in den letzten Jahren kräftig geregt. Sozial¬
wissenschaftliche Vereine, Freistudentenschaft, Burschenschaft, alle diese Verbände
haben sich seither mit immer steigendem Interesse der sozialen Probleme
angenommen.

Um ein Bild der Arbeitstätigkeit eines Sozialwissenschaftlichen Vereins zu
geben, seien hier die Themata der Vorträge wiedergegeben, die im Sommer¬
semester 1909 im „Münchener Sozialwissenschaftlichen Verein", einem sehr rührigen
Verein, gehalten wurden. Es sind dies: „Die Arbeiterwohnungsfrage in den
Städten" (Prof. Brentano), „Wohlfahrts- und Betriebseinrichtungen" (Dr. Günther),
„Bleivergiftungen" (Prof. Hahn), „Arbeitslohn und Lebenshaltung" (Or.Kuczynski),
„Die Aufgaben der Soziologie und der soziologischen Gesellschaft" (Prof. Simmel),
„Die soziologische Methode der Privatrechtswissenschaft" (RechtsanwaltSinzheimer),
„Die sozialstudentische Bewegung" (Dr. Sonnenschein). Man sieht, daß die
Zusammenstellung der Vorträge nicht ohne Geschick erfolgt ist und Probleme
behandelt sind, die zu den bedeutendsten der Sozialpolitik zählen. Hand in
Hand mit diesen Vorträgen gehen Besichtigungen von Fabriken, großen Handels¬
betrieben, Wohlfahrtseinrichtungen. Auch die freie Studentenschaft hat an den
meistenUniversitäten eigens
die durch Vorträge und Besichtigungen ihren Mitgliedern soziales Verständnis
und soziales Denken zu vermitteln beabsichtigen. In so ausgedehnten: Maße
können sich leider couleurtragende Korporationen mit diesen Fragen nicht
beschäftigen, denn sie haben naturgemäß noch andre Ziele. Um so höher ist
es ihnen anzurechnen, daß sie trotzdem großes Gewicht darauf legen. Hier ist
vor allem die Burschenschaft zu nennen, in ihren beiden Zweigen, der „Deutschen
Burschenschaft" (ca. 65 Burschenschafter) und dem „Allgemeinen deutschen


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[0016] Sozialstudentische Bewegung behandelt würden; es handelt sich hier selbstverständlich um die katholische Weltanschauung, oder richtiger um die vom Volksverein gebilligte und betriebene „katholische Weltanschauung", daß es gilt, neben sozialpolitischer Arbeit den jungen Studenten schon möglichst früh in die Gedankenwelt des Ultramontanismus einzuführen, daß Sonnenschein selbst als eine der Hauptaufgaben dieser Ver¬ einigungen ansieht, ihre Mitglieder in einen besonders innigen Kontakt mit dem sozialen Vereinswesen des katholischen Deutschlands zu bringen, in dem bekanntlich der Klerus dominiert. (Siehe Sonnenschein: „Die sozialstudentische Bewegung." Paderborn 1909. S. 10.) Man wird es deshalb aufs lebhafteste bedauern müssen, daß selbst auf einem Gebiete, das schon seiner Natur nach eigentlich konfessionelle Gegensätze ausschließen sollte, konfessioneller Hader nicht ruhen kann. Die Geschlossenheit und die Wucht der deutschen sozialstudentischen Bewegung muß aufs schwerste leiden, wenn sich, was nach dem bisherigen Verlauf der Dinge mit Sicherheit zu erwarten steht, zwei große feindliche Gruppen bilden; auf der einen Seite stehe,! die konfessionellen, d. h. die katholischen Verbindungen, auf der andern die übrigen nichtkonfessionellen studentischen Verbände. Denn auch hier hat es sich in den letzten Jahren kräftig geregt. Sozial¬ wissenschaftliche Vereine, Freistudentenschaft, Burschenschaft, alle diese Verbände haben sich seither mit immer steigendem Interesse der sozialen Probleme angenommen. Um ein Bild der Arbeitstätigkeit eines Sozialwissenschaftlichen Vereins zu geben, seien hier die Themata der Vorträge wiedergegeben, die im Sommer¬ semester 1909 im „Münchener Sozialwissenschaftlichen Verein", einem sehr rührigen Verein, gehalten wurden. Es sind dies: „Die Arbeiterwohnungsfrage in den Städten" (Prof. Brentano), „Wohlfahrts- und Betriebseinrichtungen" (Dr. Günther), „Bleivergiftungen" (Prof. Hahn), „Arbeitslohn und Lebenshaltung" (Or.Kuczynski), „Die Aufgaben der Soziologie und der soziologischen Gesellschaft" (Prof. Simmel), „Die soziologische Methode der Privatrechtswissenschaft" (RechtsanwaltSinzheimer), „Die sozialstudentische Bewegung" (Dr. Sonnenschein). Man sieht, daß die Zusammenstellung der Vorträge nicht ohne Geschick erfolgt ist und Probleme behandelt sind, die zu den bedeutendsten der Sozialpolitik zählen. Hand in Hand mit diesen Vorträgen gehen Besichtigungen von Fabriken, großen Handels¬ betrieben, Wohlfahrtseinrichtungen. Auch die freie Studentenschaft hat an den meistenUniversitäten eigens die durch Vorträge und Besichtigungen ihren Mitgliedern soziales Verständnis und soziales Denken zu vermitteln beabsichtigen. In so ausgedehnten: Maße können sich leider couleurtragende Korporationen mit diesen Fragen nicht beschäftigen, denn sie haben naturgemäß noch andre Ziele. Um so höher ist es ihnen anzurechnen, daß sie trotzdem großes Gewicht darauf legen. Hier ist vor allem die Burschenschaft zu nennen, in ihren beiden Zweigen, der „Deutschen Burschenschaft" (ca. 65 Burschenschafter) und dem „Allgemeinen deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/16>, abgerufen am 22.07.2024.