Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.Lin Gottesurteil Als es vom Turm der Pfarrkirche zwölf Uhr schlug und das Mittagsläuten "Gott sei Dank," sagte der Vater, als sie draußen war. "Aber sie hat recht," erwiderte die Mutter, "es war eine Warnung. Man Der Vater schwieg wieder lange Zeit. Dann hob er das Gesicht aus den Händen. "Warum hast du das getan "Ich weiß, was ihn dazu gebracht hat," sagte die Mutter, "er ist traurig, In Toni schrie etwas: Nein. Er wollte sagen, was ihm im Sinne gelegen Es klopfte und einer der Jungen des Seiltänzers trat ein. Er stand zuerst verlegen an der Tür, dann ging er schnell zum Tisch und Die Mutter öffnete das Kuvert und zog eine Fünfgulden-Banknote hervor. Sie reichte das Geld dem Vater und der hielt es in zitternden Fingern und Dann erhob er sich. Auf seinem Gesicht las Toni einen neuen Willen. Da begann die Mutter laut zu weinen. Vor Toni aber sank das Wunderland Amerika mit seinen unendlichen Weiten Dieser Tag war für Toni von trüber Trostlosigkeit. Das Glück seiner Mutter Gegen Abend aber brach eine neue Hoffnung in das Grau. Es war die Toni kam atemlos in den Park. Er scheute sich davor, mit anderen Jungen Und nach einer Weile sah er sie wirklich kommen, an der Seite der langen, Lin Gottesurteil Als es vom Turm der Pfarrkirche zwölf Uhr schlug und das Mittagsläuten „Gott sei Dank," sagte der Vater, als sie draußen war. „Aber sie hat recht," erwiderte die Mutter, „es war eine Warnung. Man Der Vater schwieg wieder lange Zeit. Dann hob er das Gesicht aus den Händen. „Warum hast du das getan „Ich weiß, was ihn dazu gebracht hat," sagte die Mutter, „er ist traurig, In Toni schrie etwas: Nein. Er wollte sagen, was ihm im Sinne gelegen Es klopfte und einer der Jungen des Seiltänzers trat ein. Er stand zuerst verlegen an der Tür, dann ging er schnell zum Tisch und Die Mutter öffnete das Kuvert und zog eine Fünfgulden-Banknote hervor. Sie reichte das Geld dem Vater und der hielt es in zitternden Fingern und Dann erhob er sich. Auf seinem Gesicht las Toni einen neuen Willen. Da begann die Mutter laut zu weinen. Vor Toni aber sank das Wunderland Amerika mit seinen unendlichen Weiten Dieser Tag war für Toni von trüber Trostlosigkeit. Das Glück seiner Mutter Gegen Abend aber brach eine neue Hoffnung in das Grau. Es war die Toni kam atemlos in den Park. 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Lin Gottesurteil
Als es vom Turm der Pfarrkirche zwölf Uhr schlug und das Mittagsläuten
begann, da sprang sie erschreckt auf, denn sie hatte ganz vergessen, daß ihr Herd
noch ganz kalt war.
„Gott sei Dank," sagte der Vater, als sie draußen war.
„Aber sie hat recht," erwiderte die Mutter, „es war eine Warnung. Man
soll Gott nicht versuchen. Wie leicht hätte uns das Kind genommen werden können."
Der Vater schwieg wieder lange Zeit.
Dann hob er das Gesicht aus den Händen. „Warum hast du das getan
Toni?" fragte er, „was ist dir eingefallen? Hast du nicht gedacht, daß ein Unglück
hätte geschehen können?"
„Ich weiß, was ihn dazu gebracht hat," sagte die Mutter, „er ist traurig,
der arme Bub, daß es zwischen uns so ist — wie es nicht sein soll... glaubst
du, ein Kind spürt das nicht, wenn sie ihn in der Schul' auslachen.. .?" Und
sie strich ihm über den Kopf, ihrem Bundesgenossen, mit so viel Zärtlichkeit, wie
ihm noch nie von ihr geworden.
In Toni schrie etwas: Nein. Er wollte sagen, was ihm im Sinne gelegen
hatte. Aber es fanden sich keine Worte dafür. Und da verwirrten sich seine
Gedanken so, daß er selbst nicht aus und ein wußte.
Es klopfte und einer der Jungen des Seiltänzers trat ein.
Er stand zuerst verlegen an der Tür, dann ging er schnell zum Tisch und
legte einen geschlossenen Briefumschlag hin. Und war schon wieder draußen, ehe
noch jemand eine Frage an ihn gerichtet hatte.
Die Mutter öffnete das Kuvert und zog eine Fünfgulden-Banknote hervor.
Sie reichte das Geld dem Vater und der hielt es in zitternden Fingern und
betrachtete es wie etwas, was er noch nie gesehen hatte. „Mutter," sagte er,
„das Geld darf nicht ausgegeben werden . . . niemals."
Dann erhob er sich. Auf seinem Gesicht las Toni einen neuen Willen.
„Nein," fuhr der Vater fort, „man soll Gott nicht versuchen. Wir gehen morgen
zuni Pfarrer, Mutter. Nächsten Sonntag soll das erste Aufgebot sein. Ich
weiß jetzt, was meine Pflicht ist."
Da begann die Mutter laut zu weinen.
Vor Toni aber sank das Wunderland Amerika mit seinen unendlichen Weiten
in einen dichten Nebel. Eine graue Mauer erhob sich an seiner Stelle. Seine
Zukunft hatte keine Fernen mehr.
Dieser Tag war für Toni von trüber Trostlosigkeit. Das Glück seiner Mutter
war ihm ohne Bedeutung. Das beschworene Schicksal hatte sich gegen ihn
gewendet.
Gegen Abend aber brach eine neue Hoffnung in das Grau. Es war die
Zeit, zu der man das blonde Mädel ans der Mohrenapotheke im Stadtpark sehen
konnte. Da ging sie mit ihrer Erzieherin spazieren, ohne sich je in den Schwarm
spielender Kinder zu mischen. Ein unwiderstehliches Verlangen nach ihr trieb
Toni von Haus fort. Wenn er hier nicht verstanden worden war, sie würde ihn
verstehen und bewundern. Vielleicht würde ihr Anblick alles das Mißfarbene
erhellen, alles Unklare lösen.
Toni kam atemlos in den Park. Er scheute sich davor, mit anderen Jungen
zusammenzutreffen, er fürchtete ihre Fragen und schlich in einem.Bogen um den
Spielplatz auf den Weg, den das blonde Mädchen zu gehen pflegte.
Und nach einer Weile sah er sie wirklich kommen, an der Seite der langen,
vornübergebeugten Erzieherin, in ihrem Spitzenkleidchen, mit dem Glockenhut.
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