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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Hans INemling

ungerechnet: cZ ist der Rcliquienschrein der heiligen Ursula, ein Besitztum
geradezu unschätzbaren Wertes.

Das älteste dieser Werke, den Johannes-Altar von 1479 (die Vermählung
der heil. Katharina), haben wir schon erwähnt. Aus demselben Jahre ist der
ebenfalls sehr schöne Drei-Königs-Altar, ein Tafelbild. Wohl von 1480 stammt
ein weniger geschätztes Werk, der Altar des Adrian Rems, als Hauptbild eine
Kreuzabnahme, auf den Flügeln Heilige und Stifter enthaltend; die Echtheit ist
nicht sicher. Mit dem Datum 1487 versehen ist ein Distychou, das von Martin
van Nieuwenhove gestiftet ist, eine heilige Jungfrau mit rotem Überwurf, dem
Christuskinde einen Apfel reichend. Sodann ein weibliches Porträt mit der
Inschrift "Sibvlla Zambetha".

Alles tritt zurück gegen den Ursulaschreiu. Schon 1480 wird erwähnt,
daß die Hospitalbrüder den Auftrag erteilt haben. Vollendet zu sein scheint das
Bild erst 1488. Das auf einem drehbaren Pfeiler stehende, in der Form eines
gotischen Giebelhäuschens gehaltene Kästchen hat nur 1,3 Meter Länge und
0. 66 Meter Höhe. Die beiden Langseiten sind in je drei Felder eingeteilt, von
denen jedes eine figurenreiche Szene aus dem Leben der heiligen Ursula darstellt:
1. Die Ankunft des Schiffes in Köln; die Heilige mit ihren Jungfrauen verläßt
das Schiff; im Hintergründe ein unverkennbares Bild von Köln mit dem Dom
und Groß-Se.-Martin. II. Ankunft der Jungfrauen auf zwei Schiffen in Basel,
doch hat der Maler offenbar Basel nicht gesehen. III. Der Empfang in Rom.
Architektur und Figuren sind köstlich zusammengefügt, die Köpfe zum Teil von
schönstem Ausdruck. IV. Rückreise vou Basel. V. und VI. Martyrium der
Jungfrauen und der Ursula in Köln, jenes mit Groß-Se.-Martin, dieses mit
dem Dom im Hintergrunde; auch in diesen beiden wieder eine große Meister¬
schaft in der figürlichen Komposition, die an Rogier van der Wenden gemahnt.
Die rechte Schmalseite enthält eine Ursula, die ihren Mantel um die Jungfrauen
breitet; die Heilige von doppelter Größe wie die Jungfrauen. Die linke Schmal¬
seite ist durch eine Jungfrau Maria mit dem Christuskinde und einer knienden
weiblichen Figur ausgezeichnet.

Die gleichzeitige Kunst eines Giovanni Bellini ging mehr ins Großartige.
An feiner Durchbildung der kleinsten Einzelheiten, an zartem Schmelz der Farben,
an einer unvergleichlichen Frische, endlich an der Naivität der realistischen
Auffassung übertrifft der stille Flamländer den pathetischeren Venezianer. Der
Schrein der Ursula ist ein Werk ganz für sich, mit nichts vergleichbar, selbst
innerhalb der Memlingschen Kunst einzig dastehend. Karl Voll äußert Zweifel,
ob der von jeher dem Memling zugeschriebene Schrein in allen seinen Teilen
wirklich von seiner Hand herrührt. "Er ist populär wie kein andres Werk des
Meisters und verdient auch bis zu einem hohen Grade diese Beliebtheit, die
sich jahrhundertelang gehalten hat und wohl auch bestehe" wird, solange die
Malereien nicht untergehen. Trotzdem ist es heute schwer zu sagen, ob die
Tafeln wirklich alle von Memling gemalt sind. Bei einigen wird man kaum


Hans INemling

ungerechnet: cZ ist der Rcliquienschrein der heiligen Ursula, ein Besitztum
geradezu unschätzbaren Wertes.

Das älteste dieser Werke, den Johannes-Altar von 1479 (die Vermählung
der heil. Katharina), haben wir schon erwähnt. Aus demselben Jahre ist der
ebenfalls sehr schöne Drei-Königs-Altar, ein Tafelbild. Wohl von 1480 stammt
ein weniger geschätztes Werk, der Altar des Adrian Rems, als Hauptbild eine
Kreuzabnahme, auf den Flügeln Heilige und Stifter enthaltend; die Echtheit ist
nicht sicher. Mit dem Datum 1487 versehen ist ein Distychou, das von Martin
van Nieuwenhove gestiftet ist, eine heilige Jungfrau mit rotem Überwurf, dem
Christuskinde einen Apfel reichend. Sodann ein weibliches Porträt mit der
Inschrift „Sibvlla Zambetha".

Alles tritt zurück gegen den Ursulaschreiu. Schon 1480 wird erwähnt,
daß die Hospitalbrüder den Auftrag erteilt haben. Vollendet zu sein scheint das
Bild erst 1488. Das auf einem drehbaren Pfeiler stehende, in der Form eines
gotischen Giebelhäuschens gehaltene Kästchen hat nur 1,3 Meter Länge und
0. 66 Meter Höhe. Die beiden Langseiten sind in je drei Felder eingeteilt, von
denen jedes eine figurenreiche Szene aus dem Leben der heiligen Ursula darstellt:
1. Die Ankunft des Schiffes in Köln; die Heilige mit ihren Jungfrauen verläßt
das Schiff; im Hintergründe ein unverkennbares Bild von Köln mit dem Dom
und Groß-Se.-Martin. II. Ankunft der Jungfrauen auf zwei Schiffen in Basel,
doch hat der Maler offenbar Basel nicht gesehen. III. Der Empfang in Rom.
Architektur und Figuren sind köstlich zusammengefügt, die Köpfe zum Teil von
schönstem Ausdruck. IV. Rückreise vou Basel. V. und VI. Martyrium der
Jungfrauen und der Ursula in Köln, jenes mit Groß-Se.-Martin, dieses mit
dem Dom im Hintergrunde; auch in diesen beiden wieder eine große Meister¬
schaft in der figürlichen Komposition, die an Rogier van der Wenden gemahnt.
Die rechte Schmalseite enthält eine Ursula, die ihren Mantel um die Jungfrauen
breitet; die Heilige von doppelter Größe wie die Jungfrauen. Die linke Schmal¬
seite ist durch eine Jungfrau Maria mit dem Christuskinde und einer knienden
weiblichen Figur ausgezeichnet.

Die gleichzeitige Kunst eines Giovanni Bellini ging mehr ins Großartige.
An feiner Durchbildung der kleinsten Einzelheiten, an zartem Schmelz der Farben,
an einer unvergleichlichen Frische, endlich an der Naivität der realistischen
Auffassung übertrifft der stille Flamländer den pathetischeren Venezianer. Der
Schrein der Ursula ist ein Werk ganz für sich, mit nichts vergleichbar, selbst
innerhalb der Memlingschen Kunst einzig dastehend. Karl Voll äußert Zweifel,
ob der von jeher dem Memling zugeschriebene Schrein in allen seinen Teilen
wirklich von seiner Hand herrührt. „Er ist populär wie kein andres Werk des
Meisters und verdient auch bis zu einem hohen Grade diese Beliebtheit, die
sich jahrhundertelang gehalten hat und wohl auch bestehe» wird, solange die
Malereien nicht untergehen. Trotzdem ist es heute schwer zu sagen, ob die
Tafeln wirklich alle von Memling gemalt sind. Bei einigen wird man kaum


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[0143] Hans INemling ungerechnet: cZ ist der Rcliquienschrein der heiligen Ursula, ein Besitztum geradezu unschätzbaren Wertes. Das älteste dieser Werke, den Johannes-Altar von 1479 (die Vermählung der heil. Katharina), haben wir schon erwähnt. Aus demselben Jahre ist der ebenfalls sehr schöne Drei-Königs-Altar, ein Tafelbild. Wohl von 1480 stammt ein weniger geschätztes Werk, der Altar des Adrian Rems, als Hauptbild eine Kreuzabnahme, auf den Flügeln Heilige und Stifter enthaltend; die Echtheit ist nicht sicher. Mit dem Datum 1487 versehen ist ein Distychou, das von Martin van Nieuwenhove gestiftet ist, eine heilige Jungfrau mit rotem Überwurf, dem Christuskinde einen Apfel reichend. Sodann ein weibliches Porträt mit der Inschrift „Sibvlla Zambetha". Alles tritt zurück gegen den Ursulaschreiu. Schon 1480 wird erwähnt, daß die Hospitalbrüder den Auftrag erteilt haben. Vollendet zu sein scheint das Bild erst 1488. Das auf einem drehbaren Pfeiler stehende, in der Form eines gotischen Giebelhäuschens gehaltene Kästchen hat nur 1,3 Meter Länge und 0. 66 Meter Höhe. Die beiden Langseiten sind in je drei Felder eingeteilt, von denen jedes eine figurenreiche Szene aus dem Leben der heiligen Ursula darstellt: 1. Die Ankunft des Schiffes in Köln; die Heilige mit ihren Jungfrauen verläßt das Schiff; im Hintergründe ein unverkennbares Bild von Köln mit dem Dom und Groß-Se.-Martin. II. Ankunft der Jungfrauen auf zwei Schiffen in Basel, doch hat der Maler offenbar Basel nicht gesehen. III. Der Empfang in Rom. Architektur und Figuren sind köstlich zusammengefügt, die Köpfe zum Teil von schönstem Ausdruck. IV. Rückreise vou Basel. V. und VI. Martyrium der Jungfrauen und der Ursula in Köln, jenes mit Groß-Se.-Martin, dieses mit dem Dom im Hintergrunde; auch in diesen beiden wieder eine große Meister¬ schaft in der figürlichen Komposition, die an Rogier van der Wenden gemahnt. Die rechte Schmalseite enthält eine Ursula, die ihren Mantel um die Jungfrauen breitet; die Heilige von doppelter Größe wie die Jungfrauen. Die linke Schmal¬ seite ist durch eine Jungfrau Maria mit dem Christuskinde und einer knienden weiblichen Figur ausgezeichnet. Die gleichzeitige Kunst eines Giovanni Bellini ging mehr ins Großartige. An feiner Durchbildung der kleinsten Einzelheiten, an zartem Schmelz der Farben, an einer unvergleichlichen Frische, endlich an der Naivität der realistischen Auffassung übertrifft der stille Flamländer den pathetischeren Venezianer. Der Schrein der Ursula ist ein Werk ganz für sich, mit nichts vergleichbar, selbst innerhalb der Memlingschen Kunst einzig dastehend. Karl Voll äußert Zweifel, ob der von jeher dem Memling zugeschriebene Schrein in allen seinen Teilen wirklich von seiner Hand herrührt. „Er ist populär wie kein andres Werk des Meisters und verdient auch bis zu einem hohen Grade diese Beliebtheit, die sich jahrhundertelang gehalten hat und wohl auch bestehe» wird, solange die Malereien nicht untergehen. Trotzdem ist es heute schwer zu sagen, ob die Tafeln wirklich alle von Memling gemalt sind. Bei einigen wird man kaum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/143>, abgerufen am 23.07.2024.