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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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vom Leben ein preußischen Hofe

Eine reiche Fundgrube ist das Buch von Erzählungen und Urteilen über
Minister, Generäle, Räte, Hofdamen und andere Glieder der Berliner Hof¬
gesellschaft. Diese Urteile sind natürlich subjektiv gefärbt und werden manchen
Widerspruch erfahren, aber sie beruhen auf scharfer Beobachtung und sind treffend
formuliert. Besonders beachtenswert erscheinen mir die Charakteristiken von
Clausewitz (S. 38) und Radowitz (S. 194 f.); auch der Reichsfreiherr v. Stein
geht in scharfen Umrissen über die Bühne, da Karoline Rochow 1825 eine
Zeitlang in feinem Hause zu Besuch war und auch ihr Gatte freundschaftliche
Beziehungen zu dem greisen Recken gewann. Sie schreibt (S. 229): "Die
Zeiten, in denen der Herr des Hauses zu unterhalten ist, gestalten sich etwas
schwieriger, denn der gescheiteste Mann von der Welt ist auch der wunderlichste
von Europa. Während sein Geist sich mit den Schicksalen Europas beschäftigte,
sind ihm Haus, Töchter, Familie, die Angelegenheiten seiner jetzt beschränkten
Tätigkeit, zu sehr en sous-oräre, als daß sie nicht gewaltig unter tausend
Wunderlichkeiten seines Geistes und Charakters zu leiden hätten. Ich, als
Fremde, die ihm von vielen alten Relationen und von den Dingen in
unserem Vaterlande, das ihn besonders interessiert, erzählen kann, diene
ihm bis jetzt noch zu hauptsächlichster Zerstreuung und Unterhaltung, den
Töchtern zur allergrößte" Erleichterung und zum Trost . . . Stein war
ein gewaltig und edel zugeschnittener Charakter, ein mehr scharfer als tiefer
Geist; aber ungezügelt in seiner Lebendigkeit, ja Heftigkeit; daher auch mehr
rasch und tätig auffassend als reflektierend. Die Überlegung trat gewiß erst ein,
wenn die Gedanken schon Leben gewonnen hatten; deshalb fiel ihm innerhalb
seiner weltgeschichtlichen Periode auch mehr die Aufgabe zu, in speziellen Dingen
Leben einzuhauchen, als mit Überlegung und Ruhe das innere Staatsleben zu
organisieren, wenn er auch die bestehenden Mängel vollkommen richtig erkennen
mochte."

Von den Männern der Zukunft trat besonders Bismarck vor das geistige
Auge Karolines. Er wurde der Nachfolger ihres Schwagers, des Generals
Theodor v. Rochow, beim Bundestag in Frankfurt. Aus diesem Anlaß schreibt
Karoline am 9. Mai 1851: "Was Theodor an seinem Schüler Bismarck erziehen
wird, soll uns die Zeit auch noch lehren. Alle, die ihn näher kennen, sagen,
daß an Kenntnissen, Talent, Lavoir-faire, Schlau- und Feinheit im Behandeln
der Menschen er schwerlich einen Mangel haben würde. Ob dies alles nun
genügt, ohne eine Art von Schule, ob es die Konduite und richtigen, geraden
Ansichten auch aus einem bisher fremden Felde bedingen wird, steht noch dahin.
Es ist eben ein Versuch, der vielleicht mißglückt, aber ebensogut ein bedeutendes
Resultat haben kann."

Neben alledem fesseln uns auch die Persönlichkeiten selbst, die uns diese
interessanten Berichte und Urteile hinterlassen haben, durch die Art ihres
Menschentums, besonders wieder Karoline Rochow. Es ist wohltuend, mit dieser
erlesenen Vertreterin altpreußischer Adelsgesinnung einige Stunden zu verkehren.


vom Leben ein preußischen Hofe

Eine reiche Fundgrube ist das Buch von Erzählungen und Urteilen über
Minister, Generäle, Räte, Hofdamen und andere Glieder der Berliner Hof¬
gesellschaft. Diese Urteile sind natürlich subjektiv gefärbt und werden manchen
Widerspruch erfahren, aber sie beruhen auf scharfer Beobachtung und sind treffend
formuliert. Besonders beachtenswert erscheinen mir die Charakteristiken von
Clausewitz (S. 38) und Radowitz (S. 194 f.); auch der Reichsfreiherr v. Stein
geht in scharfen Umrissen über die Bühne, da Karoline Rochow 1825 eine
Zeitlang in feinem Hause zu Besuch war und auch ihr Gatte freundschaftliche
Beziehungen zu dem greisen Recken gewann. Sie schreibt (S. 229): „Die
Zeiten, in denen der Herr des Hauses zu unterhalten ist, gestalten sich etwas
schwieriger, denn der gescheiteste Mann von der Welt ist auch der wunderlichste
von Europa. Während sein Geist sich mit den Schicksalen Europas beschäftigte,
sind ihm Haus, Töchter, Familie, die Angelegenheiten seiner jetzt beschränkten
Tätigkeit, zu sehr en sous-oräre, als daß sie nicht gewaltig unter tausend
Wunderlichkeiten seines Geistes und Charakters zu leiden hätten. Ich, als
Fremde, die ihm von vielen alten Relationen und von den Dingen in
unserem Vaterlande, das ihn besonders interessiert, erzählen kann, diene
ihm bis jetzt noch zu hauptsächlichster Zerstreuung und Unterhaltung, den
Töchtern zur allergrößte» Erleichterung und zum Trost . . . Stein war
ein gewaltig und edel zugeschnittener Charakter, ein mehr scharfer als tiefer
Geist; aber ungezügelt in seiner Lebendigkeit, ja Heftigkeit; daher auch mehr
rasch und tätig auffassend als reflektierend. Die Überlegung trat gewiß erst ein,
wenn die Gedanken schon Leben gewonnen hatten; deshalb fiel ihm innerhalb
seiner weltgeschichtlichen Periode auch mehr die Aufgabe zu, in speziellen Dingen
Leben einzuhauchen, als mit Überlegung und Ruhe das innere Staatsleben zu
organisieren, wenn er auch die bestehenden Mängel vollkommen richtig erkennen
mochte."

Von den Männern der Zukunft trat besonders Bismarck vor das geistige
Auge Karolines. Er wurde der Nachfolger ihres Schwagers, des Generals
Theodor v. Rochow, beim Bundestag in Frankfurt. Aus diesem Anlaß schreibt
Karoline am 9. Mai 1851: „Was Theodor an seinem Schüler Bismarck erziehen
wird, soll uns die Zeit auch noch lehren. Alle, die ihn näher kennen, sagen,
daß an Kenntnissen, Talent, Lavoir-faire, Schlau- und Feinheit im Behandeln
der Menschen er schwerlich einen Mangel haben würde. Ob dies alles nun
genügt, ohne eine Art von Schule, ob es die Konduite und richtigen, geraden
Ansichten auch aus einem bisher fremden Felde bedingen wird, steht noch dahin.
Es ist eben ein Versuch, der vielleicht mißglückt, aber ebensogut ein bedeutendes
Resultat haben kann."

Neben alledem fesseln uns auch die Persönlichkeiten selbst, die uns diese
interessanten Berichte und Urteile hinterlassen haben, durch die Art ihres
Menschentums, besonders wieder Karoline Rochow. Es ist wohltuend, mit dieser
erlesenen Vertreterin altpreußischer Adelsgesinnung einige Stunden zu verkehren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/136>, abgerufen am 23.07.2024.