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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Vom Leben am preußischen Hofe

Und als Friedrich Wilhelm der Vierte 1840 zur Negierung kam, galt der schon
halbvergessene Fouquö noch immer so sehr als Requisit der pietistischen Romantik,
daß ihn der König von Halle nach Berlin berief.

Unter den politischen Wandlungen der Zeit tritt naturgemäß die 1823
erfolgte Einrichtung der Provinzialstände am meisten hervor, weil Gustav v. Rochow
an dieser Einrichtung einen hervorragenden Anteil hatte. Karoline erzählt: "An
einem geselligen Tage in Reckahn -- dem Gute Rochows -- entstand die
Anregung zu einer Vorstellung an den König, worin er um Verschönung mit
einer sogenannten "konstitutionellen Verfassung" gebeten wurde. Man nahm
Beckedorffs Feder dazu in Anspruch, und in einem schönen, edlen Stil löste er
zu allgemeiner Befriedigung seine Aufgabe. Nun begann ein reges Leben und
Treiben, um diese Petition, womöglich von allen Kreisständen der Provinz
Brandenburg unterschrieben, abschicken zu können. Es gab aber viele möcomptes...
Vielleicht blieb meines Mannes Tätigkeit die Veranlassung, daß man dennoch
durchsetzte, was möglich war: die Petition wurde uur von zwei Kreisen abgeschickt
(November 1819), ziemlich schlecht aufgenommen, unhöflich und kurz zurück¬
gewiesen. Aber der Anstoß war gegeben! Die meisten anderen Kreise folgten
nach. ... Es traf damit zusammen, daß in dieser Zeit daran gearbeitet wurde,
den Staatskanzler (Hardenberg) mit seinem Anhang zwar nicht zu entfernen,
aber doch mehr zu neutralisieren, anderen konservativen Kräften Eingang zu
verschaffen; und so kann man diesen Moment wohl als denjenigen bezeichnen,
von dein an ein Innehalten im Gang der inneren Angelegenheiten eintrat, um
den ständischen Anforderungen wieder mehr Raum zu gönnen." Am 3. August
1823 wurde das allgemeine Gesetz über die Provinzialstände veröffentlicht; die
Ausführung des liberalen Gedankens der Reichsstände, einer Repräsentativ¬
versammlung des ganzen preußischen Volkes, war damit auf unbestimmte Zeit
hinausgeschoben. Karoline Rochow gibt zu, die Hoffnung der Stände, eine
nähere Einwirkung auf die Provinzialadministration auszuüben und dadurch der
Schreibmacht des grünen Regierungstisches ein lebendiges Gegengewicht zu geben,
sei nicht in Erfüllung gegangen, anderseits betont sie mit Recht, die neue Ein¬
richtung habe in der jüngeren Generation des Landadels wieder eine Kenntnis
und ein Interesse der betreffenden Verhältnisse erweckt, das ohnedem fast schlafen
gegangen sei, und habe auch den Städten und den Bauern ein weiter wirkendes
Bewußtsein ihrer Bedeutung verliehen.

Sehr interessant sind die Aussprachen der Karoline v. Rochow -- sie war
seit dem 11. September 1847 verwitwet -- über die politischen Umwälzungen
der Revolutionsjahre 1848/49; sie legen von der ruhigen Klarheit des Urteils
und der politischen Begabung dieser Frau ein vollgültiges Zeugnis ab. Am
3. Juni 1848 schreibt sie an ihre Schwester Klara v. Pfuel: "Man geht so
weit, zu versichern, es werde demnächst eine Deputation nach Potsdam gehen,
um vom Könige die sofortige Rückkehr nach Berlin zu verlangen. Wird er,
wird der Kaiser von Österreich nachgeben? Die Nationalversammlungen von


Vom Leben am preußischen Hofe

Und als Friedrich Wilhelm der Vierte 1840 zur Negierung kam, galt der schon
halbvergessene Fouquö noch immer so sehr als Requisit der pietistischen Romantik,
daß ihn der König von Halle nach Berlin berief.

Unter den politischen Wandlungen der Zeit tritt naturgemäß die 1823
erfolgte Einrichtung der Provinzialstände am meisten hervor, weil Gustav v. Rochow
an dieser Einrichtung einen hervorragenden Anteil hatte. Karoline erzählt: „An
einem geselligen Tage in Reckahn — dem Gute Rochows — entstand die
Anregung zu einer Vorstellung an den König, worin er um Verschönung mit
einer sogenannten „konstitutionellen Verfassung" gebeten wurde. Man nahm
Beckedorffs Feder dazu in Anspruch, und in einem schönen, edlen Stil löste er
zu allgemeiner Befriedigung seine Aufgabe. Nun begann ein reges Leben und
Treiben, um diese Petition, womöglich von allen Kreisständen der Provinz
Brandenburg unterschrieben, abschicken zu können. Es gab aber viele möcomptes...
Vielleicht blieb meines Mannes Tätigkeit die Veranlassung, daß man dennoch
durchsetzte, was möglich war: die Petition wurde uur von zwei Kreisen abgeschickt
(November 1819), ziemlich schlecht aufgenommen, unhöflich und kurz zurück¬
gewiesen. Aber der Anstoß war gegeben! Die meisten anderen Kreise folgten
nach. ... Es traf damit zusammen, daß in dieser Zeit daran gearbeitet wurde,
den Staatskanzler (Hardenberg) mit seinem Anhang zwar nicht zu entfernen,
aber doch mehr zu neutralisieren, anderen konservativen Kräften Eingang zu
verschaffen; und so kann man diesen Moment wohl als denjenigen bezeichnen,
von dein an ein Innehalten im Gang der inneren Angelegenheiten eintrat, um
den ständischen Anforderungen wieder mehr Raum zu gönnen." Am 3. August
1823 wurde das allgemeine Gesetz über die Provinzialstände veröffentlicht; die
Ausführung des liberalen Gedankens der Reichsstände, einer Repräsentativ¬
versammlung des ganzen preußischen Volkes, war damit auf unbestimmte Zeit
hinausgeschoben. Karoline Rochow gibt zu, die Hoffnung der Stände, eine
nähere Einwirkung auf die Provinzialadministration auszuüben und dadurch der
Schreibmacht des grünen Regierungstisches ein lebendiges Gegengewicht zu geben,
sei nicht in Erfüllung gegangen, anderseits betont sie mit Recht, die neue Ein¬
richtung habe in der jüngeren Generation des Landadels wieder eine Kenntnis
und ein Interesse der betreffenden Verhältnisse erweckt, das ohnedem fast schlafen
gegangen sei, und habe auch den Städten und den Bauern ein weiter wirkendes
Bewußtsein ihrer Bedeutung verliehen.

Sehr interessant sind die Aussprachen der Karoline v. Rochow — sie war
seit dem 11. September 1847 verwitwet — über die politischen Umwälzungen
der Revolutionsjahre 1848/49; sie legen von der ruhigen Klarheit des Urteils
und der politischen Begabung dieser Frau ein vollgültiges Zeugnis ab. Am
3. Juni 1848 schreibt sie an ihre Schwester Klara v. Pfuel: „Man geht so
weit, zu versichern, es werde demnächst eine Deputation nach Potsdam gehen,
um vom Könige die sofortige Rückkehr nach Berlin zu verlangen. Wird er,
wird der Kaiser von Österreich nachgeben? Die Nationalversammlungen von


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[0132] Vom Leben am preußischen Hofe Und als Friedrich Wilhelm der Vierte 1840 zur Negierung kam, galt der schon halbvergessene Fouquö noch immer so sehr als Requisit der pietistischen Romantik, daß ihn der König von Halle nach Berlin berief. Unter den politischen Wandlungen der Zeit tritt naturgemäß die 1823 erfolgte Einrichtung der Provinzialstände am meisten hervor, weil Gustav v. Rochow an dieser Einrichtung einen hervorragenden Anteil hatte. Karoline erzählt: „An einem geselligen Tage in Reckahn — dem Gute Rochows — entstand die Anregung zu einer Vorstellung an den König, worin er um Verschönung mit einer sogenannten „konstitutionellen Verfassung" gebeten wurde. Man nahm Beckedorffs Feder dazu in Anspruch, und in einem schönen, edlen Stil löste er zu allgemeiner Befriedigung seine Aufgabe. Nun begann ein reges Leben und Treiben, um diese Petition, womöglich von allen Kreisständen der Provinz Brandenburg unterschrieben, abschicken zu können. Es gab aber viele möcomptes... Vielleicht blieb meines Mannes Tätigkeit die Veranlassung, daß man dennoch durchsetzte, was möglich war: die Petition wurde uur von zwei Kreisen abgeschickt (November 1819), ziemlich schlecht aufgenommen, unhöflich und kurz zurück¬ gewiesen. Aber der Anstoß war gegeben! Die meisten anderen Kreise folgten nach. ... Es traf damit zusammen, daß in dieser Zeit daran gearbeitet wurde, den Staatskanzler (Hardenberg) mit seinem Anhang zwar nicht zu entfernen, aber doch mehr zu neutralisieren, anderen konservativen Kräften Eingang zu verschaffen; und so kann man diesen Moment wohl als denjenigen bezeichnen, von dein an ein Innehalten im Gang der inneren Angelegenheiten eintrat, um den ständischen Anforderungen wieder mehr Raum zu gönnen." Am 3. August 1823 wurde das allgemeine Gesetz über die Provinzialstände veröffentlicht; die Ausführung des liberalen Gedankens der Reichsstände, einer Repräsentativ¬ versammlung des ganzen preußischen Volkes, war damit auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben. Karoline Rochow gibt zu, die Hoffnung der Stände, eine nähere Einwirkung auf die Provinzialadministration auszuüben und dadurch der Schreibmacht des grünen Regierungstisches ein lebendiges Gegengewicht zu geben, sei nicht in Erfüllung gegangen, anderseits betont sie mit Recht, die neue Ein¬ richtung habe in der jüngeren Generation des Landadels wieder eine Kenntnis und ein Interesse der betreffenden Verhältnisse erweckt, das ohnedem fast schlafen gegangen sei, und habe auch den Städten und den Bauern ein weiter wirkendes Bewußtsein ihrer Bedeutung verliehen. Sehr interessant sind die Aussprachen der Karoline v. Rochow — sie war seit dem 11. September 1847 verwitwet — über die politischen Umwälzungen der Revolutionsjahre 1848/49; sie legen von der ruhigen Klarheit des Urteils und der politischen Begabung dieser Frau ein vollgültiges Zeugnis ab. Am 3. Juni 1848 schreibt sie an ihre Schwester Klara v. Pfuel: „Man geht so weit, zu versichern, es werde demnächst eine Deputation nach Potsdam gehen, um vom Könige die sofortige Rückkehr nach Berlin zu verlangen. Wird er, wird der Kaiser von Österreich nachgeben? Die Nationalversammlungen von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/132>, abgerufen am 25.08.2024.